Kapitel 12

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Meine Sicht war unscharf und so wäre mir fast die große Gestalt am Ende des Ganges entgangen. Ich wollte nicht so gesehen werden. So schwach und hilfebedürftig. Doch es war zu spät, um die Tränen davon zu streichen, also entschloss ich mich so wie ich war an ihm vorbeizuziehen. Heute erfuhr ich eine Demütigung nach der anderen.

„Elli?“

Ich kannte diese fragende Stimme und so verharrte ich in meiner Bewegung. Zum Großteil noch immer in dem fortwährenden Schluchzen gefangen, drehte ich mich um. Beinahe erleichtert erblickte ich die verschwommene Gestalt von Ethan.

„Elli, was ist passiert?“

Ich spürte seine Arme, die mich augenblicklich in sich einschlossen und ich genoss die Sicherheit, die er ausstrahlte. Mit seinem beruhigenden Herzschlag wurde auch das Schluchzen immer weniger.

„Sag mir, was los ist!“

Ich löste mich von ihm und augenblicklich erschrak ich mich. Erst jetzt, wo meine Sicht klarer wurde, sah ich das Veilchen, das auf seiner Wange thronte. Meine Hand fuhr hinauf zu seinem Gesicht und schmerzerfüllt verzog er dir Miene, sobald ich die empfindliche Haut berührte.

„Was ist denn mit dir geschehen? Sag mir nicht, du hast dich wieder geprügelt. Du weißt, was Mrs. Dowli das letzte Mal gesagt hat.“

Meine Stimme wurde immer wütender, während der Dunkelhaarige angestrengt seine Schultern anspannte.

„Beruhige dich. Es war nicht auf dem Schulgelände, also wird es sie nicht interessieren.“

„Aber mich interessiert es. Mit wem hast du dich geprügelt und warum?“

Meine Stimme ließ keine Widerworte zu und so stieß sich der Eishockeyspieler frustriert von mir ab.

„Erzähl mir erst, wer dich so zum Weinen gebracht hat.“

Erneut schüttelte ich meinen Kopf. So wie ich Ethan kannte, wird er auf direktem Weg zu Nathan gehen und dann fliegt er von der Schule. Der Dunkelhaarige rückte wieder näher, setzte seine großen Hände an meine Wangen.

„Sag mir, wer das war!“

Seine Stimme dunkel, doch zugleich besorgt.

„Versprich mir, dass du dich nicht mehr prügelst.“

Mein Gegenüber schien abzuwägen, nickte jedoch kurz darauf. Ich drehte mich von Ethan weg. Er sollte nicht sehen, wie mir bei dem Gedanken daran erneut die Tränen kamen. Wie konnte ich nur so dumm sein? Der Dunkelhaarige hatte mich auch noch vor ihnen gewarnt.

„Nach dem Spiel war ich mit Nathan zusammen. Wir kamen uns zugegeben etwas näher.“

„Was bedeutet näher?“

Ich hörte seine düstere Stimme ganz dicht hinter mir.

„Wir haben miteinander rumgemacht, doch bevor wir weitergehen konnten, hat mir Nathan etwas gestanden.“

„Was hat er dir gestanden?“

Seine Aura so verzehrt von der Dunkelheit, dass ich Angst bekam.

„Dass er und sein Bruder gewettet haben, wer mich zuerst ins Bett bekommt.“

Ich spürte das frustrierte Schnauben und hörte seine innere Stimme, die ihm befahl, die beiden zur Rechenschaft zu ziehen. Der Eishockeyspieler besaß ein Aggressionsproblem, doch gerade hier war es womöglich angebracht.

„Warum warst du überhaupt mit ihm unterwegs?“

Seine Stimme war wütend. Ich war ebenfalls wütend. Doch nicht auf Ethan, sondern auf mich selbst. Dem Schluchzen erneut wieder so nah gekommen, zuckte ich mit den Schultern.

„Ich dachte …“

Meine Stimme versagte und die aufgebrachten Laute des Dunkelhaarigen machten es nicht wirklich besser.

„Ich dachte, er würde sich für mich interessieren. Ich dachte, jemand könnte mich mögen.“

Ich sah ihn nun an, mit diesem verheulten Grinsen.

„Aber da habe ich mich wahrscheinlich geirrt.“

Ich war schon immer allein. Marie war meine erste richtige Freundin und das nicht, weil sie mich von sich aus kennenlernen wollte.

„Ach Elli …“

All die Finsternis war aus seiner Stimme verschwunden. Da war nur Besorgnis.

„Du weißt einfach nicht, wie das ist …“

Ethan war immer derjenige, der viele Freunde fand und dass, obwohl er es nicht einmal versuchte. Ich hatte es mal gewagt und wurde bitter enttäuscht. Mein Herz verschloss sich. Es war besser, allein zu sein, als erneut verletzt zu werden. Behutsam strich Ethan über mein Haar.

„Ich fasse es nicht, dass ich das jetzt sage …“

Verwirrt blickte ich auf in die dunklen Augen.

„Nathan hätte mit dir schlafen können, doch er hat es nicht getan. Warum denkst du, ist das so?“

„Ein schlechtes Gewissen vielleicht …“

Meine Stimme war so weinerlich, da würde jeder, Mitleid mit mir bekommen.

„Das denke ich nicht. Viel eher glaube ich, dass er Angst hatte, dich zu verletzen.“

„Er hat mich verletzt“, entgegnete ich mürrisch.

„Dich noch mehr zu verletzen … Ich denke, er mag dich, Elli.“

Eingeschnappt verschränkte ich meine Arme vor der Brust. Ich glaube viel eher, dass der Dreckskerl rechtzeitig von einem schlechten Gewissen heimgesucht wurde.

„Du bist wütend, das ist gut.“

Mein Gegenüber lächelte amüsiert.

„Warum ist das gut?“

Ihn schmückte dieses breite Grinsen. Das Grinsen mit den schönen Grübchen.

„Dann können wir sie gemeinsam hassen.“

„Warum …“

Nun wurde mir plötzlich klar, von wem das Veilchen stammte.

„Du hast dich mit Damian geprügelt?“, fragte ich ungläubig.

„Schaut ganz so aus.“

Verlegen fuhr sich der Riese über den Haarschopf.

„Warum?“

Er konnte schließlich nicht wissen, welche Wette die beiden Brüder verfolgten.

„Ich kann es dir nicht sagen.“

Frustriert drehte ich mich um.

„Sei nicht böse.“

„Ich bin nicht böse. Es war einfach ein sehr langer Tag.“

„Ein zu langer Tag für Code Eiscreme?“

Auch wenn ich so sehr versuchte ernst zu bleiben, entfuhr mir ein belustigtes Schnauben. Damals, als unsere Eltern frisch zusammengezogen waren, war alles neu für uns. Wir hatten uns oft gestritten über die banalsten Dinge. Bei einer dieser Diskussionen hatten wir aus Versehen ein Sammlerstück von Ethan’s Vater zerstört. Noch nie zuvor hatten wir beide solch ein Ärger bekommen. Irgendwann abends bemerkte ich, wie ein Zettel durch den Spalt meiner Tür geschoben wurden. 'Eiscreme?' stand damals darauf. Ich willigte ein und so haben wir gemeinsam eine ganze Packung Vanilleeis auf Ethan’s Bett verdrückt und uns dabei über unsere Eltern aufgeregt. Später wurde dies unser geheimer Code, um uns über alle möglichen Leute aufzuregen. Unsere Eltern, Mrs. Dowli, Chloé … und nun auch Nathan und Damian.

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