Kapitel 24

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„Ethan, ich weiß, dass du da drin bist.“

Schon zwei Mal hatte ich an seine Tür geklopft, doch immer wieder ertönte nur laute Musik. Ohrenbetäubende Musik, als wollte er sich die Gedanken so aus dem Verstand verbannen. Ich drückte die Türklinke herab. Abgeschlossen.

„Ethan bitte. Du musst mit jemandem reden.“

Wieder keine Antwort. Verzweifelt fuhr meine flache Hand an der Wand hinab.

„Wenn nicht mit mir, dann wenigstens mit jemand anderem.“

Wieder nur der heftige Ton, der durch das Radio quoll. Sein Vater würde sterben. Es hätte mich gewundert, wenn er sich nicht in seinem Zimmer verbunkern würde. Seufzend stieß ich mich von der Tür ab und als ich gerade meinen Weg bahnen wollte, erschrak ich mich. Damian stand vor mir. Ich sah zur Seite und dann wieder zu ihm. Es war keine Einbildung, er stand tatsächlich vor mir. Genau, wie an jenem Morgen, der alles verändern sollte.

„Jetzt hast du mich wohl erwischt.“

Der Dunkelhaarige wollte sich gelassen an mir vorbeistehlen, da erfasste ich sanft sein Handgelenk.

„Was machst du hier?“

Desinteressiert schaute er zu der Tür, die kurz zuvor Zeuge meiner Verzweiflung wurde.

„Schlechter Tag?“

„Schlechte Woche.“

Nachdem unsere Eltern diese Hiobsbotschaft hinterlassen hatten, reisten sie wieder ab, als wäre nie etwas geschehen. Wir würden die dritte Woche der Ferien zum ersten Mal nach zwei Jahren wieder bei ihnen verbringen. Ich würde ja sagen, zu Hause, doch dies traf für unser altes Haus schon lange nicht mehr zu. Wir hielten es alle für das Beste, wenn wir erst einmal eine Woche alles sacken lassen.

„Lenk nicht vom Thema ab. Warum bist du hier?“

Noch sturer als sonst entzog er sich meinem Griff.

„Ach, reden wir jetzt wieder miteinander?“

Empört zog ich meine Augenbrauen in die Höhe. Nachgebend ließ er die Luft aus seinen Lungen.

„Komm mit. Ich kann es mir nicht leisten, dass mich die Hausherrin erwischt.“

Grob zog er mich am Oberarm mit sich, unfähig erneut meine Worte an ihn zu richten. Damian stoppte erst, als er mich drei Räume weiter durch eine Tür gezogen hatte. Verdutzt sah ich mich um. Zwei Betten standen darin, ein paar Poster einer Band, die ich nicht kannte. Die eine Seite war voll mit Medaillen, die andere ein Büchersammelsurium, dass der Meinigen Konkurrenz machte.

„Das ist euer Zimmer“, stellte ich unverblümt fest und fuhr wie gefesselt über ein Regal. Ein eingerahmtes Bild stand darauf. Es zeigte Nathan und Damian. Sie hatten einen Arm um den jeweils anderen gelegt. Jung sahen sie aus, es muss bestimmt zwei Jahre alt sein.

„Es ist nur ein Zimmer, Elli“, entgegnete er rau.

Ich erschrak, denn ich spürte sein Atem ganz deutlich in meinem Nacken. Vor lauter Unsicherheit drehte ich mich um und trat zwei Schritte zurück. Damian studierte dies mit einem gefährlichen Lächeln.

„Ich habe es zu Hause nicht mehr ausgehalten.“

Mein Gegenüber hatte seinen Blick abgewendet, um sich schließlich auf seinem Bett niederzulassen. Der Eishockeyspieler begann desinteressiert mit einem Ball zwischen seinen Händen zu spielen. Vorsichtig setzte ich mich neben ihn und versuchte dabei den Gedanken zu verdrängen, wie viele Mädchen hier schon ihr Glück gefunden hatten. Nun stoppte er, als hätte ihn ein Gedanke heimgesucht, der nicht länger verdrängt werden konnte.

„Mein Vater hat wieder damit angefangen, dass das Eishockey spielen mich von den wirklich wichtigen Dingen abhält.“

„Die wirklich wichtigen Dinge …“, summte ich sarkastisch.

„Warum betonst du das so?“

„Was wirklich wichtig ist, entscheidest du. Du bist derjenige, der am Ende deines Lebens zurückblickt und entscheiden muss, ob dein Leben gelungen ist. Nicht die Gesellschaft. Nicht dein Vater. Nicht einmal dein Bruder. Du! Du selbst.“

Da gab es diesen Moment zwischen uns. Ein Moment, wo wir in den Augen des anderen versanken. Jegliche Zeit wirkte so winzig klein. Da war nur seine dunkle Iris. Damian richtete sich auf, erhob mit Leichtigkeit seine Hand, nur um sanft mit seinen Fingern über meine Wange zu streichen. Eine so leichte Berührung, die dennoch alles zu verändern schien. Kaum merklich schüttelte er sich und seine Fingen fielen herab.

„Jedenfalls verlangte er, dass ich wie Nathan beginne, mich diesen Sommer in sein Unternehmen einzuarbeiten. Wäre ich dem nachgekommen, so befürchte ich, dass es für mich keine Rettung mehr gegeben hätte. Kurz gesagt. Ich bin unüberlegt abgehauen und dies war der einzige Ort, an den ich gehen konnte.“

„Was ist mit Nathan? Hast du ihm Bescheid gegeben, dass du hier bist?“

Der Eishockeyspieler seufzte auf und hätte ich nicht die Hälfte seines Bettes belegt, hätte er sich wahrscheinlich theatralisch nach hinten fallen lassen.

„Nathan ist Teil meines Problems. Er ist der perfekte Sohn.“

So wie ich Nathan kannte, war er das gewiss nicht. 

„Was, wenn er das eigentlich nicht ist? Was, wenn Nathan sich so fühlt wie du, nur unfähig ist zu fliehen? Was, wenn ihm dies geraubt wurde, weil er seinen kleinen Bruder beschützen will?“

„Willst du etwa behaupten, es wäre meine Schuld, dass Nathan in dem Unternehmen meines Vaters verstaubt?“

Erbost starrte mir der Dunkelhaarige entgegen. Seine Stirn war wütend in Falten geschlagen, doch mich sollte dies nicht bekümmern. Im Gegenteil, ich hatte die Angst vor seiner dunklen Seite verloren. Ich lehnte mich noch etwas mehr vor, sodass mein Gegenüber überrascht die Luft anhielt.

„Ich sage nur, dass es nicht schaden könnte, deinem Bruder einen Rettungsring zuzuwerfen.“

Eine lange Zeit schwiegen wir, bis ich beschloss, die quälende Ruhe zu brechen.

„Was hast du jetzt vor?“

Damian verschränkte seine Arme hinter seinem Kopf und zuckte gleichzeitig mit den Achseln.

„Hier bleiben, bis die Schule wieder anfängt, schätze ich. Die Gesellschaft könnte schließlich nicht besser sein.“

Ich kommentierte seinen schmeichelnden Blick mit hoch gezogenen Augenbrauen.

„Wie willst du das schaffen? Wenn dich die Hausherrin nicht entdeckt, dann wird dein Plan spätestens bei deinem Vater scheitern. Er wird dich suchen.“

„Da kennst du meinen Vater aber schlecht. Solang sein perfekter Sohn noch da ist, verschwendet er keinen Gedanken an mich.“

Meine Hand zerschellte mit seinem Kopf.

„Au, wofür war das denn?“

Verärgert rieb sich der Eishockeyspieler die schmerzende Stelle.

„Sag so etwas nicht. Ich weiß, dein Vater ist kein besonders umgänglicher Mensch, doch er liebt dich und du solltest froh sein, dass es ihn gibt.“

Schon fast mitleidig sah mir Damian entgegen. Er dachte offenbar, dass ich von meinem eigenen Vater sprach, doch um ehrlich zu sein, ging auch an mir Olivers bevorstehender Tod nicht so galant vorbei.

„Jedenfalls wird er kein Problem sein. Die Hausherrin jedoch …“

„Überlass das mir.“

Überrascht blickte er mich an. Ich hatte mich gerade in die Höhe erhoben.

„Im Laufe der Jahre habe ich mir den ein oder anderen Trick angeeignet, um dieser lästigen Frau zu entkommen.“

„Elenore Harper, ich glaube es nicht.“

Mit einem Lachen auf der Kehle wanderte ich zur Tür.

„Wie kann es sein, dass wir uns erst dieses Jahr begegnet sind?“

Woodstone Academy Where stories live. Discover now