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Nur ganz langsam lief ich an dem großen, alten Brunnen vorbei und musterte dabei mit rasendem Herzschlag Dario, der ganz anders aussah, als ich es von ihm gewohnt war.

Statt weißem Hemd, trug er an diesem Tag einen breiten, schwarzen Kapuzenpullover. Statt Anzugshose, eine graue Jogginghose und als er plötzlich zu mir aufsah, erkannte ich mit einem Blick seinen viel ausgeprägteren Bart - dazu auch die dunklen Ringe unter seinen Augen. Es erschrak mich wirklich, ihn so zu sehen.

"Du bist gekommen", sprach er sofort erleichtert und stand dabei auf, um direkt hinter mich zu Gino zu sehen. Auch ich drehte mich kurz herum und bemerkte trotz der Entfernung, wie nervös mein Ehemann wirkte, während er an seinem BMW lehnte und uns ohne Ausdruck beobachtete.

"Ich hätte nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen", gab ich Dario mit beschlagener Stimme zurück und blieb dabei genau vor ihm stehen. Natürlich setzte er mal wieder ein sanftes Lächeln auf und wirkte ganz gelassen, doch ein Blick in seine ozeanblauen Augen genügte und ich erkannte diesen düsteren Sturm, der tief in seinem Innern tobte.

"Es war wirklich schwer für mich, dir diese Nachricht zu schreiben."

Er steckte seine Hände locker in die Taschen seiner Jogginghose, atmete dabei tief durch und schien sich die richtigen Worte zurechtzulegen. Ehe er aber hätte etwas sagen können, ergriff ich erneut das Wort.

"Es sollte dir nicht schwer fallen, mir zu schreiben, Dario", sprach ich ihm mit einem traurigen Lächeln zu und nahm anschließend auf der Bank hinter ihm Platz, was er mir gleich tat.

"Und doch ist es so", hauchte er und mir entging dabei nicht, wie überfordert er in diesem Moment wirkte. Ihn hier jetzt so zu sehen, gab mir ein ganz anderes Gefühl von ihm. Wo sonst die reinste Kontrolle herrschte, wirkte er jetzt vollkommen niedergeschlagen. Er schien verändert, auch wenn er nicht lange weg war. Mir kam jedoch schnell wieder die Situation in den Sinn, in der Gino seine Waffe auf ihn gerichtet hatte und ich konnte mir schon vorstellen, was in seinem Kopf vorging.

"Dario", fing ich also an die Stille zwischen uns zu unterbrechen und drehte mich dabei trotz meines Unbehagens näher zu ihm herum. "Bitte sag mir, dass du nach Hause kommst. Bitte lass das hier kein Treffen sein, um Abschied zu nehmen."

Ich sprach genau diese Worte aus, weil es sich für mich so anfühlte. Das Gefühl, dass er für immer verschwinden wollte, nahm mich plötzlich vollkommen ein und ich konnte es nicht vermeiden, dass sich erste Tränen der Hoffnungslosigkeit in meinen Augen sammelten.

"Ach, Kleine", erwiderte er mir schweratmend und wich meinem Blick dabei aus, um zu Gino zu sehen. "Ich kann nicht zurückkommen."

"Doch, du kannst", wurde ich etwas lauter und griff dabei einfach nach seiner Hand, wodurch er mir genau in meine Augen sah. "Und du musst! Julia braucht dich, Dario - wir brauchen dich. Du kannst nicht einfach gehen."

"Ludovica", setzte er an und entzog mir dabei seine Hand, während er gequälter denn je wirkte. "Ich kann nicht. Du musst das verstehen. Ich habe dich hierher bestellt, damit ich dir in Ruhe erklären kann, dass ich mein Leben nicht mehr so weiterführen  kann. Ich wollte aber nicht gehen, ohne dich noch einmal zu sehen."

"Aber-"

"Nein, es gibt kein aber mehr", unterbrach er mich. "Du wirst dir nie vorstellen können, wie sehr ich dich liebe und es überhaupt jetzt laut auszusprechen, bringt mich beinahe um!"

Er stand hektisch auf und atmete dabei mehrere Male tief durch, als würde er sich sammeln müssen, während auch ich dann eilig wieder aufstand.

"Das war's dann also? Du lässt deine Tochter im Stich?! Du lässt mich im Stich?"

Those empty eyes (Mafia) Teil 4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt