Kapitel 22. - Urlaub und Arbeit

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Nach unserem Urlaub lag Louis flach. Mit Fieber, Schnupfen, Husten und Heiserkeit. Ich hatte ihm noch gesagt, er solle sich warm anziehen, weil es zu Hause viel viel kälter war, als in Spanien. Aber was gilt der Prophet im eigenen Land? Nichts. Und deshalb sprang Louis selbst mit Schnupfnase noch mit kurzen Sache durch besten englischen kalten Nieselregen. Am Abend dann glühte er mir roten Bäckchen und glasigen Augen. Das war natürlich alles andere als gesund. Was ich aber toll fand: er konnte so nicht arbeiten gehen. Er war zu Hause. Die ganze Zeit. Keine Nachtschichten, nicht ewig angefordert werden, weil das Personal zu knapp war. Für mich war das fast mehr Urlaub, als die Zeit in Spanien. Louis war nicht im Dunstkreis von Leuten, die ihm schaden könnten. Keine teils körperlich überlegenen, von der Gesellschaft längst abgeschriebenen, traumatisierte Jugendliche. Oder homophobe Arschlöcher auf dem Weg zu eben jenen Jugendlichen. Er war in Sicherheit. Musste nicht Nachts allein draußen herum laufen.

"So könnte es immer sein.", Murmelte ich zufrieden, als ich von der Arbeit Heim kam und mich so aufs Sofa setzte, dass Louis seinen Kopf auf meinem Schoß ablegen konnte.

"Ich krank? Danke aber nein Danke. Wie produziert der Körper eigentlich Rotz? Ach, nein. Ich will's nicht wissen."
"Ich bin Anwalt, kein Mediziner."
"Also wieso willst du mich ewig mit Fieber hier liegen haben?"
"Nicht mit Fieber..."
"Was willst du sagen?"
"Du müsstest nicht arbeiten..."
"Harry, lass es. Mein Job macht mir Spaß.", Seufzte er nur.
"Das ist gefährlich."
"Das sind Kinder."
"Genau darum."
"So schlimm ist es nicht. Sie alle haben einen Grund da zu sein. Keiner von denen ist freiwillig so geworden."
"An dem Grund kannst du aber nichts ändern. Es ist, wie es ist."
"Manche von ihnen schaffen es daraus. Manche schaffen es und nehmen ihr Leben selbst in die Hand."
"Schön. Du hockst da aber auch mit dem Großteil, bei denen das nicht so ist."
"Harry..."
"Lou, du bist den Meisten von denen körperlich im Leben nicht gewachsen."
"Dafür gibt's Deeskalationstraining. Damit ich denen körperlich nicht gewachsen sein muss. Außerdem bin ich jetzt auch kein Gartenzwerg."
"Es wäre mir lieber-"
"Das sagtest du schon. Aber ich möchte arbeiten.", Schnitt er mir das Wort ab.
"Aber ich verdiene genug und wir sehen uns sonst kaum."
"Dann arbeite du weniger?"
"Ich verdiene mehr als du."
"Oh, willst du mir etwas bestimmtes sagen?"
"Nein. Das hast du falsch aufgefasst. Ich wollte nicht sagen, dass du zu wenig verdienst, aber-"
"Und jetzt können wir uns irgendwas denken, was dann genau das aussagt. Das ist immer so. Ich bin kein Nazi, aber... Ich bin kein Querdenker, aber... Alles was vorm aber steht kann man streichen. Damit will man nur im Vorhinein schonmal relativieren. Lass es! Ich schreibe dir nicht vor, wie viel und ob du zu arbeiten hast und andersherum gefälligst genau so.", Schimpfte er und verschwand im Schlafzimmer.

Ich seufzte. Ich hatte ihn gebeten, zumindest irgendwie die Nachtschichten gegen finanzielle Einbußen sein zu lassen.  Aber er meinte, dass die Jugendhilfe ohnehin völlig unterbesetzt sei und sie jeden verfügbaren Menschen bräuchten. Außerdem sei das seine Sache und ich solle mich raus halten.
Also hielt ich die Klappe. Ich hatte doch nur Angst um ihn....
Und Geld? Scheiß doch drauf, wer das nun zuerst aufs Konto bekam. Wir hatten genug. Darauf kam es doch nur an, oder?

-

Zwei Wochen später eilte ich dann ins Krankenhaus. Louis war eingeliefert worden. Platzwunde auf der Stirn. Eine Bewohnerin war offenbar ausgetickt. Es war am späteren Abend gewesen und als das Telefon geklingelt hatte, hatte ich mir sonstwas ausgemalt. Ich fuhr direkt zu ihm. Eigentlich müsste ich noch arbeiten. Morgen hatte ich einen wichtigen Termin. Mit einem, mit meinem Klienten und war total übermüdet. Trotzdem machte ich mich natürlich sofort auf den Weg. Nichts war wichtiger als Louis.
Man würde morgen nicht erfreut sein, wenn ich mich nicht schon in alles eingearbeitet hätte. Vielleicht würde ich die Nacht durchmachen?...

-

"Sie hat das nicht so-", begann er, sobald ich zur Tür herein kam.

"12 Stiche?! Im Gesicht?! Scheiße! Wie geht's dir?", Fiel ich ihm ins Wort. Das fette Pflaster bedeckte den Großteil seines Gesichts.

"Super.", Schnaubte er säuerlich.

Ich wollte keinen Streit. Ich wollte nur sichergehen, dass es ihm... Ja natürlich, ging es ihm nicht gut... Aber es sollte ihm eben nicht schlecht gehen.

Ich ging an sein Bett und küsste ihn vorsichtig.

"Tut's Doll weh?", Fragte ich sachte.
"Nein. Ich hab eine Tablette bekommen. Du bist gelb."
"Na super... Du siehst hinterher aus wie Harry Potter...", Versuchte ich meine Sorge zu überspielen und einen schlechten Scherz zu machen.
"Stört es dich?", Fragte er provokant.
Kein Streit, kein Streit. Ich will keinen Streit. Ich bin müde. Ich habe mir solche Sorgen gemacht... Aber ich will Ehrlichkeit.

"Nein. Ich finde nur, dass das da vermeidbar gewesen wäre.", Antwortete ich also.
"Willst du mir jetzt sagen, wie ich meinen Job zu machen habe? Das Mädchen-", zischte er.
"Nein, nicht wie, sondern ob.", Fiel ich ihm ins Wort.
"Die Maßnahme mit ihr wurde sofort beendet. Tätliche Angriffe werden nicht geduldet."
"Wow. Dafür kommt aber so ein neuer Terrorzwerg."
"Harry, ich-" Nein. Nicht schon wieder. Immer beschwichtigte er mich. Aber im Endeffekt war es doch so.

"Nein, Lou. Sieh es ein. Du kannst von mir aus was anderes machen. Aber ich will nicht jedesmal, wenn du aus dem Haus gehst Angst um dich haben müssen. Du hast doch Mal erzählt, dass du gern Klavier spielen würdest. Wir kaufen eins und du nimmst Stunden. Du könntest so viel machen. Aber bitte nicht das.", Flehte ich. Scheiße! Was hatte die doofe Planschkuh sich bloß dabei gedacht, jemanden, der ihr doch helfen wollte, so zu verletzen?!

"Können wir da später drüber reden?", Fragte Louis und gähnte.
"Natürlich. Schlaf ein bisschen. Ich liebe dich, Lou."
"Ich dich auch, Harry."
"Ich muss wieder los... Ähm... Ich komme später wieder.", Murmelte ich. Die Kanzlei... Ich würde so gern bei ihm bleiben. Aber ich musste noch arbeiten. Wir hatten es inzwischen Nachts um zwei.

"Klar.", Brummte er. Er guckte, als hätte er eh gerade keinen sonderlichen Bock auf mich... Es tat mir leid. Dass ich ihn so sehr drängte. Aber ich kam gegen meine Sorgen nicht an. Und die galten ihm.

-

In kam völlig am nächsten Morgen völlig abgehetzt in der Kanzlei an, was mir sehr komische Blicke einbrachte. Ich hatte verschlafen, aber dafür bis fünf Uhr gearbeitet. Ich entschuldigte mich bei dem Klienten für meine Verspätung und machte mich an meine Arbeit. Jetzt hieß es durcharbeiten bis in die Abendstunden und dann wieder Sorgen machen. Um Louis. Meinen Schmetterling. Dazu verlangten meine Eltern, mich öfter zu sehen. Sie hatten wieder nach einer Freundin gefragt. Mit einer Frau an meiner Seite würden sie sich weniger Sorgen machen. Wenn ich sesshaft werden würde. Meine Jungs vom Fußball hatten gefragt, ob ich in ein paar Wochen fürs Wochenende mit auf eine Sauftour fahre. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Hamster im Laufrad. Zumindest meine Gedanken standen selten still. 

-

Und dann eröffnete Louis mir, dass er sich für ein Jahr beurlauben lassen wollte. Er sagte mir in einem Atemzug, dass ich ihm ja nicht mit einem Halseisen kommen solle und dass er, sobald er das Gefühl habe, ich würde ihn sonst irgendwie einsperren wollen, sofort wieder arbeiten gehen würde und das ließ mich dann doch sehr nachdenklich werden. Aber da ich ihn ja sowieso nicht zu Hause anketten wollte oder so etwas, war das ja unerheblich.

Also versuchte ich es ihm eben schmackhafter zu machen. Sobald er aus dem Krankenhaus kam, war ich für ihn da. Ich hatte ihm ein Klavier gekauft, hatte Adressen für entsprechende Lehrer dazu gelegt, hatte ihm eine Jahreskarte fürs Schwimmbad gekauft und umsorgte ihn, sobald ich Feierabend hatte. Ich bekam nicht genug davon ihn durchzuknuddeln. Das Gefühl, dass er endlich sicher war, schenkte mir endlich Ruhe. Ich fände es nur schön, wenn er einmal ehrlich lächeln würde... Aber ich erwartete wohl zu viel...

Tja... Versteht irgendwer Harry? 😅
Bis dann.
Viele Grüße ^⁠_⁠^

Nächte mit LouisDove le storie prendono vita. Scoprilo ora