Der Junge aus dem Wald und die Nachrichten

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Am nächsten Morgen stand ich pünktlich an der Kreuzung. Aiden war dieses Mal noch nicht da, also klappte ich meinen Fahrradständer aus und setzte mich daneben auf den Boden. Die Minuten verstrichen und irgendwann waren alle Grashalme vor mir ausgerupft. Genervt stand ich wieder auf und stierte in den Wald, konnte Aiden aber nicht entdecken. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy und schaute, ob er mir geschrieben hatte. Hatte er aber nicht. Kurzentschlossen tippte ich auf seinen Kontakt und rief ihn an. Es klingelte ein wenig, dann sprang die Mailbox an. Schnaubend legte ich auf und fragte Aiden per Chat, wo er denn bliebe. Ich stierte noch einmal in den Wald und überlegte schon, ob ich nicht einfach fahren sollte, als mein Handy in meiner Hand klingelte. Aiden rief mich an. „Wo bist du?“, ging ich ran und hoffte, dass man aus meiner Stimme heraushörte, dass ich genervt war. „Hey, Leonie! Es tut mir so leid. Heute morgen gab es einen Zwischenfall bei uns im Dorf und solange das nicht geklärt ist, kann ich hier nicht weg. Es tut mir so leid. Ich hab total vergessen, dir zu schreiben.“ Schlagartig bekam ich ein schlechtes Gewissen. „Ist schon ok. Es tut mir leid, dass ich genervt war. Darf ich fragen, was passiert ist?“ „Eines der jüngeren Kinder ist ausgebüchst. Es war wohl genervt, weil seine Eltern ihm verboten haben, allein im Wald zu spielen, weil es die Gegend ja noch gar nicht kennt. Wir suchen den Jungen schon überall, können ihn aber einfach nicht finden.“

Mein schlechtes Gewissen verstärkte sich und ich zupfte unruhig an meinem Jackenärmel. „Ich hoffe ihr findet den Kleinen. Kann ich euch irgendwie helfen?“ „Nein, ich fürchte nicht. Aber danke der Nachfrage.“ „Ok. Ich schätze, ich werde dann mal… Was zum?“ Ich musste mehrmals blinzeln und mir in den Arm zwicken, um mir sicher zu sein, dass meine Augen mir keinen Streich spielten. „Ähm, Aiden?“ „Ja?“ „Du sagtest das Kind ist ein Junge?“ „Ja.“ „Hat er blonde Haare?“ „Leonie?“ „Und trägt er keine Klamotten?“ „Leonie!“ „Wenn ja, dann hab ich euren Ausreißer gefunden. Warte mal.“ Ich legte mein Handy in meinen Fahrradkorb und schaute schnell die Straße rauf und runter, ehe ich zu dem kleinen Jungen rannte. „Hey, Großer“, lächelte ich ihn sachte an und ging vor ihm in die Knie. Er schaute mich an und in seinen Augen sammelten sich Tränen. „Oh nein, nicht weinen. Ich will dir nichts Böses. Ich bin Leonie, ich wohne hier in der Nähe. Hier, warte, dir muss doch kalt sein. Zieh mal meine Jacke an.“ Die Strickjacke war ihm natürlich viel zu groß, aber das schien ihm nichts auszumachen.

„Bist du die Leonie, von der Aiden erzählt hat?“, fragte der Kleine plötzlich. Ich lächelte ihn an. „Das kann schon sein. Komm mal her“, meinte ich und hielt meine Arme auf. Der Kleine warf sich hinein und umklammerte meinen Hals. Ich hob ihn hoch und lief zurück zu meinem Fahrrad. Schnell nahm ich mein Handy wieder in die Hand. „Aiden?“ „Ja? Du sagst, du hast ein Kind gefunden? Heißt er Leon?“ Ich wandte mich dem Jungen zu. „Ist dein Name Leon?“ Er nickte an meiner Halsbeuge. „Er sagt ja.“ „Bist du an der Kreuzung?“ „Ja.“ „Bleib da. Seine Eltern und ich sind unterwegs. Bis gleich.“ „Bis gleich“, meinte ich und legte auf. „Deine Eltern sind auf dem Weg“, meinte ich zu dem Kleinen, der plötzlich anfing zu weinen. „Hey, was ist denn los?“ „Sie sind bestimmt sauer auf mich!“ „Nein, sie werden erleichtert sein, dass sie dich wiederhaben. Aiden hat mir verraten, dass alle nach dir gesucht haben. Er wollte nicht mal in die Schule gehen, solange du weg bist.“ „Meinst du wirklich?“ „Ich bin mir ganz sicher.“ Nach meinen Worten beruhigte sich Leon schnell wieder und so warteten wir auf seine Eltern und Aiden. Ich blickte noch einmal schnell auf mein Handy und musste seufzend feststellen, dass der Unterricht bereits begonnen hatte. Ich verstaute mein Handy wieder und wiegte Leon etwas hin und her, bis wir ein Auto hörten, das wenig später neben uns am Rand der Kreuzung parkte.

Kaum stand das Auto, sprangen ein Mann und eine Frau heraus und eilten auf uns zu. „Leon, mein Kleiner!“, rief die Frau und ich überreichte ihr den Jungen, den sie sofort zu herzen begann. Der Mann legte seine Arme um die beiden. „Jag uns nie wieder so einen Schrecken ein“, murmelte er. Aiden lief an dem Dreiergespann vorbei, kam zu mir und zog mich plötzlich in seine Arme. Der Duft von Wald und Fell schlug mir entgegen, doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, löste sich der Junge auch schon wieder von mir. „Danke, dass du ihn gefunden hast.“ „Naja, gefunden ist übertrieben. Er kam gerade aus dem Wald und ich stand mehr oder weniger zufällig hier“, winkte ich ab und merkte, dass meine Ohren warm wurden. „Trotzdem danke, dass du auf ihn aufgepasst hast.“ „Was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich konnte ihn ja schlecht hier alleine stehen lassen.“ „Und deine Jacke hast du ihm auch noch gegeben.“ „Er war ja nackt! Warum auch immer ein Kind nackt im Wald rum rennt.“ „Ach, unsere Kinder machen das gerne mal.“ Ich zog meine Augenbrauen hoch und machte einen Schritt von Aiden weg. Der fing an zu lachen. „Hey, das ist was ganz Natürliches. Naja, egal. Du, ich fahre noch mal schnell mit den drei zurück zum Dorf und komme dann später in die Schule. Ich verspreche dir, zu Deutsch bin ich da.“ „Ist gut, kein Stress. Bis später.“

My Love, My Life, My Mate (Werwolf FF)Where stories live. Discover now