Der Tag danach

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„Die Zahl der Wolfsichtungen bleibt weiterhin konstant und nimmt weder zu noch ab. Mittlerweile sind sich die örtlichen Behörden einig, dass sich wirklich ein Wolfsrudel in der Gegend angesiedelt hat, zumal immer mehr Fallen unserer regionalen Jäger ausgelöst werden. Merkwürdig dabei ist jedoch, dass alle Fallen leer sind. Überdies fehlen auch Blutspuren oder Fellreste, die zurückbleiben müssten, könnte ein gefangenes Tier entkommen. Kreisjägermeister Gerhard Schmidt betonte in einem Statement, dass die Fallen sehr wahrscheinlich von Menschen entschärft worden sein müssen. Anders kann er sich nicht erklären, dass die Fallen zwar ausgelöst, aber weder Tiere noch Spuren zurückgelassen haben. Er bittet die Verantwortlichen, sich nicht mehr an den Fallen zu schaffen zu machen. Wir schalten nun zum Kamerateam vor Ort.“ Plötzlich wurde der Bildschirm schwarz. „Hey!“, rief ich und drehte mich um. Ein Déjà-vu überkam mich, als ich meinen Vater dort mit grimmiger Miene und der Fernbedienung in der Hand stehen sah. „Ich hab dir gesagt, du sollst die Nachrichten nicht mehr schauen.“ „Ja, aber…“ Ich wollte ihm sagen, dass es nun eine andere Situation war. Dass ich wusste, um wen es sich bei dem Wolfsrudel handelte. Und dass ich sicherstellen wollte, dass die Reporter es nicht herausgefunden hatten. Doch das konnte ich ihm nicht sagen. Also verstummte ich.

„Kein aber. Außerdem, musst du nicht langsam los?“ Ich folgte seinem Blick zur Uhr und sprang fluchend auf. Warum passierte mir das immer? Nun gut, heute Nacht hatte ich nicht so gut geschlafen und war dementsprechend heute morgen noch etwas länger liegen geblieben. Dennoch hatte ich eigentlich gedacht, dass ich die Nachrichten noch würde schauen können, bevor ich los musste. Ich eilte aus dem Haus und holte mein Fahrrad. Schnell verstaute ich meine Tasche und wollte gerade losfahren, als ich inne hielt. Gleich würde ich Aiden wiedersehen. Eine Gänsehaut überkam mich, aber ich lief nicht wieder ins Haus und holte mir eine Strickjacke. Stattdessen holte ich tief Luft. „Leonie, das ist doch Quatsch. Aiden ist kein Monster, du brauchst vor ihm keine Angst haben“, flüsterte ich und trat entschlossen in die Pedale. So schnell wie heute war ich selten an der Kreuzung, was wohl daran lag, dass ich ordentlich Gas gab, um nicht doch noch umzudrehen. Schon von Weitem konnte ich Aiden auf dem Weg stehen sehen und wurde langsamer. Vor ihm blieb ich stehen, wobei ich unterbewusst noch einen kleinen Abstand hielt, wie mir ein paar Sekunden später auffiel.

Wir beide blickten uns an und eine unangenehme Stille breitete sich aus. „Hey“, murmelte ich. „Hey“, sagte Aiden. Wieder war es still, bis Aiden seufzte und von seinem Fahrrad abstieg. Mit einem schiefen Grinsen blickte er zu mir und hob leicht seine Arme. „Darf ich dich umarmen?“ Vor drei Tagen hätte er nicht einmal fragen müssen und ich hätte über die Dummheit seiner Frage gelacht. Doch nun schien er unendlich unsicher zu sein, was mein Inneres widerspiegelte. Wir hatten wohl beide keine Ahnung, wie wir mit der Situation umgehen sollten. Ich gab mir einen Ruck und stieg von meinem Sattel. Ich brauchte keine Angst vor Aiden zu haben. Wenn man es logisch betrachtete, konnte er eher vor mir Angst haben. Ich konnte sein Geheimnis verraten, auch wenn ich daran zweifelte, dass mir irgendjemand glauben würde. Die Menschen – oder Werwölfe – im Dorf schienen das ganz anders zu sehen. Zögerlich hob ich meine Arme. „Na komm schon her“, grinste ich leicht. Aiden war mit zwei großen Schritten bei mir und schloss seine Arme vorsichtig um mich. Ich erwiderte die Geste und schloss meine Augen. Eine Welle von Geborgenheit schwappte über mich und bescherte mir eine Gänsehaut. Warum auch immer ich mich nun sicher fühlte, ich war wirklich froh darüber. Das bedeutete, dass ich Aiden vertrauen konnte und dass unsere Freundschaft nicht schon beendet war, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte.

Aiden löste sich wieder langsam von mir, wobei er mir über die Arme strich, als er einen Schritt zurückmachte. Natürlich bemerkte er die Gänsehaut sofort. „Ist dir kalt?“, fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. Aiden blieb kurz still. „Oder hast du Angst?“, kam es nach ein paar Sekunden leise von ihm. Sofort schüttelte ich meinen Kopf und bemerkte im nächsten Moment, dass ich nicht einmal log. Ich hatte tatsächlich keine Angst vor Aiden. Aiden grinste mich an und wandte sich kurz seinem Fahrrad zu. Dann hielt er mir meine Strickjacke vor die Nase, die ich damals Leon gegeben hatte, als er aus dem Wald gestolpert war. Verrückterweise schien das alles schon viel länger her zu sein als es eigentlich war. „Leons Eltern wollten sie noch waschen, bevor ich sie dir zurückgeben durfte. Alayah hätte mich fast zum Teufel gejagt, als ich die Jacke am nächsten Tag ungewaschen mitnehmen wollte.“ Bei der Vorstellung musste ich doch glatt kichern. Grinsend nahm ich meine Jacke entgegen und zog sie mir direkt an, wodurch meine Gänsehaut verschwand. „Apropos Leon. Ich wollte mich für ihn entschuldigen. Eigentlich wusste das ganze Rudel bescheid, dass du kommst. Alle Kinder hatten Verwandlungsverbot, aber Leon ist nun mal ein kleiner Rebell. Ich hätte dir gerne alles in Ruhe erklärt, aber er musste ja meinen Plan durchkreuzen.“ „So sind Kinder nun einmal“, hörte ich mich Leon verteidigen und Aidens Blick flatterte erstaunt zu mir.

„Ich habe viel nachgedacht die letzten zwei Tage. Was glaubst du, warum ich so große Augenringe habe.“ „Das tut mir leid“, entschuldigte sich Aiden, doch ich hob nur meine Hand. Er sollte mich jetzt nicht unterbrechen. „Wie ich schon sagte, werde ich euch nicht verraten. Auch wenn ich kaum denke, dass irgendjemand mir glauben würde. Außerdem würde ich gerne das Rudel kennenlernen. Momentan sagt mir mein Gewissen noch, dass ich Angst vor euch haben sollte. Hilf mir, mir selbst zu beweisen, dass ich das nicht haben muss.“ Aiden machte einen Schritt nach vorne und griff nach meinen Händen. „Du brauchst keine Angst vor uns zu haben. Ich werde es dir beweisen. Komm doch heute Nachmittag mit mir zum Dorf. Dann kannst du das Rudel etwas kennenlernen und wir können auch gleich den Stoff aus der ersten Schulwoche nachholen. Außerdem denke ich, dass mein Vater noch einmal mit dir sprechen wollen wird. Seid Samstag hat er eine Heidenangst, dass du uns verraten könntest, weil wir dich so überrumpelt haben. Und meine Mutter will nicht, dass du Angst vor uns hast.“ Ich nickte und drückte Aidens Hände, was ein kleines Lächeln in seine ernste Miene zauberte. „Ich werde heute Nachmittag mit zu dir kommen. Aber zu viel auf einmal ertrage ich nicht.“ „Das kann ich nachvollziehen. Wenn es dir zu viel wird, kannst du auch jederzeit gehen oder wir schließen uns in meinem Zimmer ein.“ „Das ist gut“, grinste ich und entzog Aiden meine Hände wieder.

„Und jetzt sollten wir langsam mal los, sonst kommen wir noch zu spät.“ Wir schwangen uns auf unsere Fahrräder und fuhren über die Straße. Mit einem Mal kam mir etwas in den Sinn. „Du, Aiden?“, rief ich über den Fahrtwind hinweg. „Ja?“, kam sofort seine Reaktion, da hatte ich noch nicht mal seinen Namen fertig gesprochen. „Kann es sein, dass mich gestern jemand beobachtet hat?“ „Wie kommst du darauf?“ „Ich hatte das Gefühl etwas im Wald gesehen zu haben.“ Aiden blieb still und ich wollte meine Beobachtung von gestern schon als Nichtigkeit abtun, da erhob er wieder die Stimme. „Ich war es.“ Mir blieb die Spucke weg. „Was?“ „Ich wollte schauen, ob es dir einigermaßen gut geht und wie du die Informationen verkraftest. Tut mir leid“, entschuldigte er sich, doch in meinen Augen war diese Entschuldigung überflüssig. Ich fand es nicht schlimm, dass er sich um mich gesorgt und nach mir geschaut hatte. Ganz im Gegenteil, ein warmes Kribbeln breitete sich über meine Haut aus, als ich daran dachte, dass er sich Sorgen um mich gemacht hatte. Jedoch ließ ich ihn mit meinem Schweigen wohl in dem Glauben, dass ich seine Aktion total bescheuert fand, denn er entschuldige sich nochmals und blieb dann den Rest der Fahrt still.

Hallo ihr Lieben! Eine WICHTIGE ANKÜNDIGUNG für euch (ok, nicht ganz so dramatisch). Ich bin die nächsten zwei Wochen im Urlaub und weiß noch nicht, wie sich das auf meine Uploads auswirken wird. Ich habe genug vorgeschrieben, aber es kommt ja auch darauf an, ob ich gutes Internet und Zeit habe. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit ihr weiterhin ganz normal samstags ein Kapitel zu lesen bekommt.
LG eure Ronja

My Love, My Life, My Mate (Werwolf FF)Where stories live. Discover now