Die böse Hexe

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Einen Tag später hatte ich die neugekommene Erinnerung immer noch so wenig verdaut, dass ich in dieser Nacht wieder von Albträumen geplagt aufwachte. Nach dem dritten Mal hatten Aiden und ich genug und schlichen uns ins Wohnzimmer, um leise einen Weihnachtsfilm zu schauen, der mich ablenken sollte. „Der frühe Vogel fängt den Wurm. Aber ich bin wohl nicht früh genug“, kicherte Zarnall um kurz vor sechs, als sie die Treppe hinunterkam und uns auf dem Sofa vorfand. „Du gehst schon auf die Suche?“, runzelte Aiden seine Stirn. Immerhin war es noch dunkel draußen. Und das würde sich in den nächsten anderthalb Stunden auch nicht ändern. „Oh ja, oh ja. Die Dunkelheit ist der Hexen Element“, philosophierte die Hexe und hob dabei dirigierend eine Hand. „Und Dunkelheit findet sich gleich auch in meinem To-Go Becher.“ Die Frau verschwand in der Küche und machte sich wohl einen Kaffee. Wenig später verließ sie das Haus. Nachdem der Film zu Ende war, zogen Aiden und ich uns um.

Langsam wurde es hell draußen. Langsam erwachte die Lichtung zum Leben; Wenn auch nicht so laut und intensiv, wie es wohl an einem normalen Wintertag ohne enorme Sicherheitsregeln der Fall gewesen wäre. Aiden und ich frühstückten zusammen mit seinen Eltern, dann machten wir einen Spaziergang an der frischen Luft. Tief atmete ich den Geruch von Neuschnee ein und beobachtete ein paar Kinder dabei, wie sie einen Schneemann bauten. Aiden legte einen Arm um meine Schulter und zog mich fester zu sich heran. Seufzend genoss ich die Wärme, die von ihm ausging. Eine persönliche Heizung war im Winter wirklich praktisch. Wie von selbst wanderte mein Blick in den Wald und ich schauderte. „Ist dir kalt?“, verstand Aiden falsch und rieb meine klammen Hände. „Es geht“, lächelte ich ihn leicht an. Immerhin war ich so dick eingepackt, als würde ich eine stundenlange Wanderung durch den Schnee planen. Aiden war wirklich überfürsorglich. Und das war verdammt süß. Bestimmt würde es mich eines Tages nerven, aber jetzt noch nicht.

„Sollen wir…“, begann Aiden, wurde aber von einem lauten Knall unterbrochen. Die Baumwipfel bogen sich. Die Druckwelle erfasste alle auf der Lichtung. Ich stolperte nach hinten. Aiden fing mich auf. Keuchend klammerte ich mich an seinen Arm und blickte mich um. Manche Kinder lagen im Schnee und weinten. Die anderen rappelten sich wieder auf. Eltern eilten auf die Lichtung und schnappten sich die Kleinen. „Was war das?“, kam Marc auf uns zu. Er hatte nicht mal eine Jacke an. „Keine Ahnung“, rief Aiden über den stärker werdenden Wind. Jerold und Josephine traten zu uns. „Alles ok?“, erkundigte sich die Frau und ich nickte. Meine Haare peitschten mir ins Gesicht. Ich strich sie wieder weg. „Was…“, abermals wurde Aiden unterbrochen. Ein unmenschliches Kreischen mischte sich unter den Wind. Dauerte einige Sekunden an. „Das ist bestimmt Zarnall! Wir müssen ihr helfen!“, rief Anton, der neben Marc aufgetaucht war. „Alle Krieger mir nach!“, schrie Jerold über den heulenden Wind. Männer lösten sich aus der versammelten Menge auf der Lichtung und traten zu ihrem Alpha. Auch Marc, Anton und Aiden stellten sich entschlossen daneben. Scharf zog ich die Luft ein. Josephine legte eine Hand auf meine Schulter und hielt mich aufrecht. Der Wind wurde immer stärker. Fast schon zu stark. „Nein, ihr bleibt hier! Wir brauchen noch jemanden, der die Lichtung sichert!“, bestimmte Jerold und sah die drei scharf an. Aiden wollte widersprechen, schloss aber still den Mund und kehrte zu mir zurück.

„Komm, ich bring euch rein“, sagte er zu seiner Mutter und mir und zog mich hinter sich her. Hinter uns vernahm ich schwach das Reißen von Stoff. Als ich einen Blick über die Schulter warf, stürmte eine ganze Horde Werwölfe in den Wald. Wir kamen ins Haus. Kaum schloss Josephine die Tür, dröhnte die Stille in meinen Ohren. Aiden bugsierte mich aufs Sofa und stellte sich dann ans Fenster. Mit verschränkten Armen starrte er düster hinaus auf die Lichtung. Josephine setzte sich neben mich und dann warteten wir. „Sie kommen“, sagte Aiden nach einer gefühlten Ewigkeit der angespannten Stille und löste sich aus seiner Starre. Ich stand auf und stellte mich neben ihn ans Fenster. Umgeben von der Horde Werwölfe schritt Zarnall auf die Lichtung. In ihren Händen hielt sie die Enden einer rot glühenden Kette, die um den Körper und die Hände einer anderen Frau lag. „Denkt ihr wirklich die können mich aufhalten? Diese Ketten können meine Kräfte nicht ewig blockieren!“, hörte ich das Schreien der Frau bis hier nach drinnen. Dann begann sie irre zu lachen.

Die Versammlung der Wölfe löste sich auf. Nur ein besonders großer schwarzer schritt weiter mit Zarnall und der Gefangenen auf unser Haus zu. Josephine wollte zur Tür, doch Aiden hielt sie auf und schüttelte seinen Kopf. Stattdessen öffnete er die Tür und ließ die drei eintreten. Der Werwolf verschwand schnell nach oben, während Aiden eine andere Tür öffnete, die in den Keller führte. Ohne eine Miene zu verziehen, schleppte Zarnall die fremde Frau nach unten. Aiden folgte ihr, ebenso wie Josephine. Als auch Jerold wiederkam und in den Keller lief, eilte ich ihm schnell hinterher. Der Keller war größer, als ich es mir vorgestellt hatte. Von einem dunklen Flur zweigten ein paar Türen ab. Ich folgte Jerold in die hinterste und stellte mich direkt daneben. So hatte ich einen kürzeren Fluchtweg. Die Fremde saß nun auf einem Stuhl, immer noch gefesselt mit den roten Ketten, deren Enden nun im Boden verankert waren. Zarnall stand mit emotionsloser Miene und verschränkten Armen direkt neben der Frau. Die Anführerfamilie hatte sich um die beiden herum versammelt.

Aidens Blick fiel auf mich. Seine Augen weiteten sich leicht. Eilig trat er zu mir und nahm mich sachte am Arm. „Geh bitte nach oben“, flüsterte er und wollte mich aus der Tür schieben, doch ich blieb standhaft. „Ich will dabei sein“, flüsterte ich zurück und Aiden gab – warum auch immer – sofort nach. „Aber bleib hier. Und bei der kleinsten Gefahr verschwindest du“, wies er mich an und nahm seinen Platz wieder ein. „Wer bist du“, begann Jerold nun das, was wohl ein Verhör werden würde. Die Fremde schaute den Alpha gelangweilt an. „Marqui. Und du?“ „Wir stellen hier die Fragen“, knurrte Aiden. Der Kopf seines Vater ruckte leicht in seine Richtung. Mein Mate zog sich wieder etwas zurück. „Hast du diese Erscheinungen erschaffen und uns und unser Nachbarrudel terrorisiert?“, wollte Jerold wissen. „Natürlich“, kicherte die Frau und begann laut zu lachen. Dann drehte sie ihren Kopf grinsend in Zarnalls Richtung. „Jeder weiß doch, dass das mein Spezialgebiet ist. Aber du bist trotzdem zu dumm.“ „Ich hatte eine Vermutung“, sagte Zarnall ohne eine Miene zu verziehen. „Ist klar“, schnaubte Marqui.

„Warum hast du Leonie verflucht?“, knurrte Jerold. Der Blick der bösen Hexe fiel kurz auf mich und sie begann dämonenhaft zu grinsen. „Mir war langweilig. Sie war das perfekte Opfer“, zuckte sie dann mit den Schultern. Mir klappte der Mund auf. Aiden blickte zu mir und schüttelte leicht seinen Kopf. Seine Hände zu Fäusten geballt. Sein Körper zitterte leicht. Marqui fing wieder an irre zu lachen. „Sich immer gut zu benehmen langweilt mich! Unsere Vorfahren hatten noch keine Regeln. Sie waren die Herrscher der Gesellschaft!“ „Es gibt seit mehr als 200 Jahren den Hexenrat und die Regeln, die unser Überleben sichern. Jeder legt einen Eid ab, danach zu leben“, sagte Zarnall und verlor nun ihre ruhige Maske. Mehr als zornig funkelte sie ihre Widersacherin an, die nur weiterlachte. „Eide sind da um gebrochen zu werden! Außerdem habe ich nicht allein eigenmächtig gehandelt. Jemand hat mich angestiftet. Die Person hatte ebenso die Schnauze voll wie ich. Da hab ich gleich meine Chance genutzt, wenn ich dafür sogar noch was bekomme.“ „Einen lebenslangen Aufenthalt im Hexengefängnis bekommst du!“, rief Zarnall. Ihre Hände schossen an den Kopf der bösen Hexe. Beide schlossen die Augen. Kurz war es totenstill. „Versuch es nur weiter. Ich habe meine Erinnerungen gut verschlossen. Da kommt nicht mal der Teufel ran!“, raunte Marqui dann. Zarnall öffnete schnaubend ihre Augen und zog sich zurück. Offenbar hatte die böse Hexe recht. Ein paar Sekunden lang blickten sich die beiden Hexen in die Augen.

„Ich benachrichtige den Hexenrat“, sagte Zarnall dann und verschwand aus dem Keller. Auch Aiden wandte sich der Tür zu und zog mich mit sich wieder hinauf ins Wohnzimmer. Ein paar Minuten später ging Zarnall wieder in den Keller und Jerold kam mit Josephine nach oben. „Jetzt ist es vorbei“, seufzte die Luna und schloss mich in ihre Arme. Ich erwiderte die Umarmung. Aiden legte von hinten seine Arme um mich. Jerold schlang seine Arme um uns alle. Eine Stunde später betraten acht Mitglieder des internationalen Hexenrates das Haus, nahmen Marqui an ihren Ketten mit und verschwanden mit der irre lachenden Hexe wieder. Zarnall sprach einen Reinigungsspruch über das Dorf, ehe Jerold sich bei ihr bedankte und sie ebenfalls die Heimreise antrat. „Die neuen Sicherheitsmaßnahmen werden mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Die böse Hexe ist gefasst. Die Gefahr gebannt“, verkündete der Alpha dem versammelten Dorf, das in Jubel ausbrach. Glücklich lächelnd lehnte ich mich weiter in Aidens Arme. „Ich liebe dich“, murmelte dieser. „Ich dich auch“, antwortete ich und hauchte ihm einen langen Kuss auf die Lippen.

My Love, My Life, My Mate (Werwolf FF)Место, где живут истории. Откройте их для себя