Der Tag danach

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Trotzdem fühlte ich mich am nächsten Morgen ziemlich gerädert, als der Wecker meines Vaters klingelte. Seufzend drehte ich mich von meinem Vater weg und zog die Decke über meinen Kopf, nachdem er aufgestanden war. „Komm schon, Leonie. Du musst bald los. Mein Wecker klingelt doch später als deiner.“ Stimmt, da war ja was. „Ich will aber nicht“, murmelte ich und kuschelte mich weiter ins Kissen. Plötzlich wurde es um mich herum kalt. Mein Vater hatte mir die Decke weggezogen! „Du bist gemein“, brummte ich und setzte mich auf. Mein Vater sah mich kopfschüttelnd aber grinsend an. „Du hast Aiden gestern gesagt, dass du in die Schule gehst. Der Junge kommt jetzt extra hierher. Also wirst du dich auch an dein Wort halten.“ „Ist ja gut, ist ja gut“, ergab ich mich und schlurfte zurück in mein Zimmer um mich umzuziehen. An diesem Morgen warf ich gar nicht erst einen Blick in die Nachrichten. Einerseits war ich dafür schon zu spät dran und andererseits konnte ich mir gut vorstellen, was auf allen Kanälen berichtet wurde.

Mehr aus Zwang denn aus Hunger aß ich ein Sandwich zum Frühstück und dann klingelte es auch schon an der Tür. Ich öffnete und musste unwillkürlich schmunzeln, als ich Aiden vor der Tür stehen sah. „Morgen“, murmelte ich und gähnte. „Nicht gut geschlafen?“, fragte Aiden. Ich nickte und rieb mir über die Augen. „Albtraum.“ „Tut mir leid.“ „Ist ja nicht deine Schuld.“ Aiden öffnete den Mund um etwas zu erwidern, ließ es dann aber bleiben und machte stattdessen einen Schritt zur Seite. Hinter im kam nicht nur sein eigenes Fahrrad zum Vorschein, sondern auch noch ein zweites. Ich zog meine Augenbrauen hoch. „Wie bist du mit zwei Fahrrädern hergekommen?“ Man merkte, morgens war ich nicht sehr geistreich. Als Aiden zu lachen begann, stieg mir die Wärme in die Wangen. „Ach, das war gar nicht so schwer. Ich bin einfach gelaufen. Das Fahrrad ist für dich. Ein Geschenk von uns allen. Komm, wir stellen Sattel und Lenker richtig ein.“ Aiden griff nach meiner Hand und zog mich zu dem Rad. „Das ist echt geschenkt?“, ging ich auf Nummer sicher. Ich konnte es nicht glauben, dass Aiden mir einfach mal so ein neues Fahrrad schenkte. Vor allem, weil er ja gar nicht Schuld daran war, dass mein altes Fahrrad wohl nur noch Schrott war. „Natürlich. Wenn ich es doch sage. Setz dich mal drauf.“ Der Sattel war schon gut eingestellt, nur noch den Lenker mussten wir etwas erhöhen. Probeweise drehte ich eine Runde auf dem Hof und nickte Aiden dann zu. „Es ist perfekt.“ „Das freut mich“, grinste Aiden und zog seinen Helm auf.

„Wollen wir dann langsam mal losfahren?“ Ich nickte und holte von drinnen meine Schulsachen. „Pass gut auf dich auf“, verabschiedete sich mein Vater von mir und zog mich fest in seine Arme. „Es gibt ja jetzt keine Gefahr mehr“, redete ich ihm und mir selber ein und löste mich wieder von meinem Vater. Der nickte und warf einen Blick zu Aiden. „Pass mir ja gut auf mein Mädchen auf!“, rief er. „Ich verspreche es!“, antwortete Aiden. Wir fuhren langsamer als sonst den Weg entlang, was an Aiden lag, der nicht so stark in die Pedale trat. Im ersten Moment ärgerte ich mich darüber. Ich wollte so schnell wie möglich an der Schule ankommen. Später jedoch stellte es sich als genau richtig heraus. Aiden wusste, was er tat.

Die Kreuzung kam in Sicht. Mein Blick glitt automatisch zum Waldrand. Rote Augen. Einen Schrei mehr schlecht als recht unterdrückend griff ich total in die Bremsen. Nur Aidens schneller Reaktion verdankte ich es, dass ich nicht ungebremst auf den Boden oder auf ihn fiel. Keuchend klammerte ich mich an seine Arme, die sich um mich geschlossen hatten. Rote Augen. Ich kniff die Augen zusammen. „Da ist nichts, Leonie. Atme tief ein und aus. Ganz ruhig. Schau noch mal hin.“ Ich schüttelte meinen Kopf. Ich wollte den Rouge nicht noch mal sehen! „Leonie, öffne deine Augen. Der Rouge ist tot, er ist nicht mehr im Wald. Schau zwischen die Bäume. Da ist nichts.“ Ich atmete tief durch und öffnete meine Augen wieder. Da war nichts. Nur die umgeknickten Bäume, die der Rouge gestern zerstört hatte. „Da ist nichts“, murmelte ich. „Da ist nichts“, bestätigte Aiden. „Da ist nichts“, bestätigte ich. Ich wollte mich wieder von Aiden lösen, doch der hielt mich eisern fest. Erst jetzt bemerkte ich, dass meine Arme und Beine zitterten. „Wir laufen den restlichen Weg besser“, schlug Aiden vor und ich nickte. Erst jetzt entließ er mich aus seiner Umklammerung. Schnell stieg ich von meinem Rad und schüttelte meine Arme und Beine nacheinander etwas, um das Zittern irgendwie zu beenden. Zum Schluss zitterten nur noch meine Hände leicht. Fest griff ich mit beiden Händen den Lenker und drückte meine Finger dagegen, damit das Zittern nicht auffiel. Ob es mir gelang oder nicht, konnte ich aus Aidens Blick nicht herauslesen.

My Love, My Life, My Mate (Werwolf FF)Where stories live. Discover now