Kapitel 1

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Verträumt beobachtete ich die Männer beim schweißtreibenden Training in der brennenden Mittagssonne. Dabei blieb mein Blick besonders an einem 16-jährigen Heranwachsenden hängen.

Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, die Zeit, die ich ihm hinterher schmachtete. Seit nunmehr 4 Jahren träumte ich jede Nacht von ihm und meine Wangen erröteten, wenn er mir seine Aufmerksamkeit schenkte und sei es auch noch so kurz – ein Blick in meine Augen reichte. Nachdem seine feine Jungenstimme, die eines Mannes wurde, bekam ich bei deren Klang eine Gänsehaut, vor allem wenn ich sie unerwartet hörte.

Heute war wohl kein guter Tag für den Lehrling. Sein Ausbilder machte ihm das Leben schwer und scheuchte ihn über den ganzen Platz. Der junge Mann war längst noch nicht ausgewachsen und etwas hager aber schon imposanter als seine Mitstreiter. Nun, das wird sicher seinen Weg ebnen, denn er gehörte zur Königsfamilie, ebenso wie seine Schwester Eowyn.

Der junge Krieger wirkte entkräftet und so wich er nur noch den Hieben seines Mentors aus, anstatt selber anzugreifen. Doch auch diese Bewegungen wurden immer langsamer, erschöpft von der Hitze und den Anstrengungen, denen er schon seit geraumer Zeit ausgesetzt war. Es geschah in seinem geschwächten Zustand das Unvermeidliche – der Junge wurde am Oberarm verletzt. Das Blut sickerte in einem unaufhörlichen Strom aus einer tiefen Schnittwunde. Vor Schreck hielt ich meine Hand vor dem Mund und erstickte einen Schockseufzer. Nach einem tiefen Atemzug besann ich mich wieder und eilte aus meinem Versteck zu den Hallen der Heilung. Meine Ausbilderin sah mich verwundert an.

„Lynea, dein Dienst fängt doch erst später an."

Ich zuckte nur gleichgültig mit den Schultern, legte meine Schürze an und band meine Haare zusammen. „Ich hatte nichts weiter zu tun und wollte dir noch helfen. Vielleicht kann ich heute eine Wunde nähen? Ich habe dir so oft über die Schulter geschaut ... ich möchte das selber in die Hand nehmen." Ich bat sie freundlich, aber eindringlich.

„Ja gut meinetwegen, aber heute ist ein ausgesprochen ruhiger Tag...."

Sie konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, da flogen die Türen auf und Everard kam mit seinem Schützling hinein gepoltert.

„Edda, flick den Jungen zusammen ... ." er besprach sich noch kurz mit der Heilerin, nachdem er den Verletzten auf die Pritsche etwas unsanft ablegte. Ein Stück dreckiger Fetzen war um die Wunde am Oberarm gewickelt. Dieser musste sofort entfernt werden, damit nicht unnötig alles verunreinigt wurde.

Vorsichtig begann ich an dem Verband zu nesteln, was dazu führte, dass der Lehrling den Arm wegzog, mich schmerzverzerrt und etwas vorwurfsvoll ansah.

„Pass doch auf Lynea!" fauchte er mich an.

Ich überwand meinen ersten Schreck, dass er so munter war und mit mir redete. Bemüht um eine ruhige Stimme und nicht rot anzulaufen, erwiderte ich gelassen:

„Sei keine Memme Eomér und halt still!" spottete ich und machte unbeirrt weiter. Sein Blick strafte mich, bis er die Augen zusammen kniff vor Schmerzen. Es war geschafft und der Verband ab. Wie ich schon von weitem vermutete, war es ein recht tiefer Schnitt – reife Leistung für ein nahezu stumpfes Übungsschwert. Da Edda immer noch in der Unterhaltung vertieft war, bereitete ich alles vor und reinigte die Verletzung.

„Muss das genäht werden?" fragte mich der Bursche – bemüht, nicht ängstlich zu klingen.

„Ja, sonst dauert die Heilung ewig. In zehn Tagen- an deinem Geburtstag werden die Fäden gezogen, dann ist es geschafft und alles weitgehend verheilt."

Schelmisch grinste mein Patient mich an. Der Grund war mir unbekannt, doch ich wollte es wissen.

„Was?" fragte ich schlicht.

„Kaum einer weiß, wann ich Geburtstag habe ... Also, wieso weißt du das so genau?"

Darauf war ich nicht vorbereitet, mein Herz raste, nicht nur meine Wangen färbten sich rot, nein mein ganzes Gesicht. Meine Hände wurden schwitzig und zitterten ... zu allem Überfluss wurde mir regelrecht übel. Ertappt wand ich mich schnell, unter dem Vorwand frische Verbände aus dem Nachbarraum zu holen, um. Dort angekommen, lehnte ich mich an einem Regal und versuchte mich zu beruhigen. Würde meine Meisterin mich so sehen, würde sie mir zu Recht nicht erlauben, die Wunde des jungen Mannes zu nähen.

Gefasst und mit sauberen Tüchern ging ich wieder in den Behandlungsraum. Meine Meisterin war bei Eomér und untersuchte ihn gründlich. Gerade tastete sie seine Brust ab, als er das Gesicht vor Schmerzen verzog. Mein Patient bemerkte mich und er versuchte augenblicklich tapfer zu sein und sich nichts anmerken zu lassen.

„Lynea, meine Augen sind müde ... komm und nähe die Wunde des Jungen."

Wie selbstverständlich nahm ich neben der Pritsche platz und legte meine Utensilien bereit. Ich stellte mir einfach vor, dass er ein ganz normaler Patient war... Er war jetzt nicht der junge Mann, der mich um den Verstand brachte, der mein Herz schneller schlagen ließ und mich jede Nacht in meinen Träumen heimsuchte ... Er war nicht der, in den ich mich schon vor langer Zeit verliebte ...

„Möchtest du etwas gegen die Schmerzen? Es werden sicher 8 Stiche..." fragte ich ihn, bemüht ruhig ... wie jeden Patienten.

Seine goldfarbenen Augen fixierten mich. „Nein. Wird es eine schöne Narbe?" Er wollte mich nicht veralbern, das konnte ich hören – schon so oft war ich Opfer seiner Scherze ... . Aufmunternd lächelte ich ihn an. „Die Schönste!" Er erwiderte mein Lächeln und drehte den Kopf weg, ehe ich den ersten Stich setzte.

Tapfer schluckte er einen Kloß im Hals hinunter, doch nach dem sechsten Stich stahl sich eine Träne davon. Everard lauerte immer in der Nähe und so wischte ich schnell das Wasser von der Wange meines Patienten. Danach widmete ich mich wieder meiner Arbeit, als ob nichts wäre. Doch Mitleid machte sich in mir breit. Man verlangte Härte von den Nachwuchskriegern und sicher brauchten sie diese auch in der Schlacht, dennoch hatten sie eine Seele und Gefühle. Ich hörte viele Frauen sagen, dass manche Krieger nach der Schlacht sich in den Armen ihrer Frauen sanken, den Kopf auf ihren Schoß gebettet und weinten, wie kleine Kinder.

Eomér hatte noch seinen weichen Kern, doch irgendwann würde seine Schale so hart werden, dass das keiner mehr vermuten würde. Schwermütig betrachtete ich ihn – ich mochte Eomér sehr, so wie er war, lebensfroh, humorvoll, frech und doch einfühlsam ... der Krieg wird ihn verändern. So in Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht, dass er mich beobachtete.

„Danke!" sprach mein Patient leise. Verlegen schüttelte ich den Kopf. „Nicht dafür, das ist meine Lebensaufgabe, so wie es deine sein wird, das Volk Rohans zu beschützen."

„Dafür muss er aber noch ordentlich trainieren, es sei denn, wir werden von Strohpuppen angegriffen ... vor denen kann uns Eomér beschützen." Everard stand hinter mir und peinigte seinen Schützling mit Gehässigkeiten. Der Blick seines Lehrlings verdunkelte sich sofort. Natürlich – niemand wird gerne bloßgestellt, egal vor wem. Ich ging nicht davon aus, dass es ihm mehr ausmacht, weil ich dabei stand, sondern weil er im Allgemeinen ein stolzer junger Mann war. Schweigsam setzte ich den letzten Stich. Ich gab mir die allergrößte Mühe, damit es später keine wulstige Narbe wird. Doch es wird sicherlich bei seinem noch mangelndem Geschick nicht die Letzte sein.

Jugendliebe vergeht nicht (Eomér FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt