Kapitel 18

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Das erste halbe Jahr ohne Eomér verging relativ schnell, denn Denethor zu pflegen und Erania gerecht zu werden, forderte viel von meiner Zeit. Boromir und Faramir wiederum vertraten so gut es ging ihren Vater und seine Interessen. Beinahe jeden Abend beklagte sich mein Mann über die Diplomatie, sie machte ihn mürbe und raubte seine Nerven. Doch für seine Tochter hatte er immer noch Zeit, um ihr eine Geschichte zum Einschlafen zu erzählen.

Wir verstanden uns ausgezeichnet, waren beste Freunde und uns näher als vor meiner Reise nach Edoras. Mein Mann und ich unterhielten uns häufiger über mehr als Kriegsführung und Erania. Wir sprachen über unsere Gefühle, was uns bewegte und beschäftigte. Boromir war einsam, allein. Die Wärme einer Frau im Bett reichte ihm nicht mehr. Er sehnte sich nach Verbundenheit, die er einst hatte und zweifelte gleichzeitig daran, jemals diese Gefühle erleben zu können. Auch mein Herz sehnte sich nach Zuneigung – allein von Eomér, doch das schien unerreichbar für die nächste Zeit.

Oft nahm mich Boromir in den Arm, manchmal schlief ich darin ein und fand ein wenig mehr Frieden. Denethor erholte sich von seinem Leiden, was aber nicht hieß, dass seine Söhne entlastet wurden. Der Truchsess forderte jeden Knaben bereits ab dem 12. Lebensjahr das Kämpfen zu lehren. Ebenso forderte er die Frauen dazu auf, mehr Nachkommen zu entbinden. Gondor war ein Menschenreiches Land, woher diese Forderung kam, konnte sich niemand erklären.

„Lynea, wann gedenkst du endlich schwanger zu werden? Beinahe 4 Jahre verbringst du bei uns und tust nichts, außer das Bastardkind von Boromir großzuziehen. Lenkt sie dich zu sehr ab? Sollte das so sein, werde ich dir die Last abnehmen, damit du dich endlich um deinen eigenen Nachwuchs kümmern kannst!"

Seine Drohung war eindeutig und ich dankbar, dass Boromirs Ohren sie nicht hörten. Ihn hätte das sehr zu schaffen gemacht und so konnte ich ihn schonen. Doch seinen Rat und Unterstützung benötigte ich sehr wohl, weshalb das auch unser Abendthema im Bett war.

„Dein Vater wird ungeduldig. Er war heute richtig erzürnt bei der Frage nach einem Erben.... was sollen wir tun?"

Mitleidig sah mich mein Mann an und zog mich in seine Arme. „Ich befürchtete schon, dass er ungeduldig wird.... Es wäre das Beste, würdest du seinem Wunsch nachkommen und schwanger werden."

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und Tränen der Verzweiflung kullerten mein Gesicht hinab. Mein Freund verstand ohne Worte meine Tragik. Doch viel Macht, um die Situation zu ändern, hatte er nicht.

„Schreib Eomér – ein Besuch ist eh längst überfällig. Er soll kommen und dann finden wir vielleicht eine Lösung."

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und so schrieb ich ihm einen langen Brief. Wir hatten ursprünglich verabredet, dass wir uns nicht schreiben würden – der Schmerz wäre jedes Mal zu groß. Doch nun musste ich ihn bitten, nach Minas Thirith zu kommen - zu mir.

Der Brief beinhaltete belangloses aber auch gefühlvolle Passagen. Damit er ebenfalls die Dringlichkeit eines Besuchs erkannte, schilderte ich zu guter Letzt die missliche Lage, in der ich mich befand.

Eine Antwort bekam ich nicht. Warten .... Meine denkbar unliebsamste Beschäftigung, vor allem wenn es nicht absehbar war, ob das Warten sich lohnen würde.

Tage, Wochen .... Monate vergingen. Kein Lebenszeichen von Eomér, dafür ein nörgelnder Truchsess und ein nervöser Ehemann. Eines Abends brachten wir Erania gemeinsam ins Bett.

„Würdest du dich über ein Schwesterchen freuen, Liebes?"

Fassungslos sah ich Boromir an. Hatte er seine vierjährige Tochter gefragt, ob sie sich ein Geschwisterchen wünscht?

„Boromir!" zischte ich meinen Unmut schwer verbergend. Schuldbewusst zuckte er mit den Schultern. „Nicht nur dir macht mein Vater Druck. Er stellt meine Männlichkeit in Frage .... Er zweifelt, ob ich als Nachfolge geeignet bin, wenn ich nicht mal einen Erben zeugen kann."

Nun stürmte ich wütend aus dem Kinderzimmer in unser Schlafzimmer. Die Wut entstammte nicht von seinen Worten. Der Zorn richtete sich gegen mich selbst. War ich so ein egoistischer Mensch, dass ich nur an meine Bedürfnisse dachte? Noch nie verschwendete ich einen Gedanken an Boromir, was das alles für ihn bedeutete. Es schien ihm alles so leicht zu fallen. Von Anbeginn an nahm er alles mit einer Leichtigkeit hin, dass es den Anschein erweckte, es machte ihm gar nichts aus. Doch eigentlich tat er das für mich. Der Verlust seiner großen Liebe traf ihn hart und hatte er bis zum heutigen Tag nicht überwunden. Ihm vorzuwerfen, dass er nur an sich dachte, wäre mehr als unfair. Nahm er doch immer Rücksicht auf meine Befindlichkeiten und die Situation. Boromir war mir immer ein guter Freund und ein aufgezwungener Ehemann. Selbstlos ermöglichte er Eomér und mir eine Verbindung, obwohl das Risikoreich war. Er gab mir all die Jahre immer Halt und seine Unterstützung. War es nicht an der Zeit, ihm etwas zurückzugeben?

Niedergeschlagen wollte ich gerade durch die Gemächer zu Erania's Kinderzimmer schlürfen.

Gerade bog ich rechts ab, prallte ich gegen jemanden. Es konnte nur mein Mann sein, also umarmte ich ihn fest.

„Das ist eine schöne Begrüßung." sprach Eomér leise, was mich zusammenschrecken ließ.

„Du bist hier?!" stellte ich fassungslos fest, wobei es wie eine Frage klang. Ein Lächeln deutete sich in seinem harten Gesicht an.

„Eomér?" erklang sein Name hinter ihm, von Boromir, der seine Ankunft ebenfalls überraschte.

Die beiden Männer begrüßten sich in einer Umarmung, bei der ich mich in der Mitte befand.

„Ich kann nicht lange bleiben .... Ich bin auf der Durchreise und erhielt Lynea's Brief unmittelbar vor meinem Aufbruch."

Der Krieger wirkte angespannt. Etwas lastete auf seinem Herzen. Etwas, das er mir beichten wollte.

„Sag es mir ... es ist schon gut... sag es mir! Ich werde es irgendwie verkraften. Bitte sag mir nur, dass du uns nicht aufgibst."

„Lynea ... ich .... soll eine Frau abholen, die zu meiner Frau werden soll...." langsam bugsierte mich mein Geliebter in der Schockstarre auf einen Stuhl im Essbereich. Boromir sorgte für etwas Licht und gesellte sich mit Wein zu uns. Direkt zog ich die Flasche zu mir und setzte sie an meinen Lippen an. Der Alkohol floss durch meine Adern und ließ mein versteinertes Herz weiter schlagen.

„Wer ist es?" fragte mein Mann meinen Geliebten trocken, was ich nicht auszusprechen vermochte.

„Lothiriel aus Dol Amroth." antwortete er kurz und knapp, nahm die Flasche aus meiner Hand und trank in großen Schlucken.

Sein Herz war ebenso schwer meines. Ich nahm seine freie Hand in meine Hände, hielt sie fest umschlossen vor meinem Gesicht. Ich umschloss sie ganz fest, als könnte ich ihn damit für immer an mich binden. Mit traurigen Augen sah er mich an, rückte mit seinem Stuhl nah an mich heran. Seine Stirn lehnte sich an meine.

„Ich bin hier.... um meinen Segen zu geben – Boromir. Ich weiß, welcher Druck auf dir lastet und was dein Vater von dir erwartet."

Mitleidig sah mein Liebster mich an. „Ich liebe dich Lynea und nichts schmerzt so sehr, als dich mit einem anderen Mann zusammen zu wissen."

Schluchzend brach es aus mir heraus: „Dich mit einer anderen Frau verheiratet zu wissen, ist mindestens genauso schlimm!" beteuerte ich.

Langsam erhob er sich von seinem Platz und bedeutete mir, aufzustehen, um mich dann in seine Arme zu schließen.

„Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um das zu verhindern! Ich versuche Lothiriel mit Theodréd zu verkuppeln. Das dürfte nicht schwer sein, er hat mehr Charme als ich." So erschöpft er auch war, seinen Humor verlor er nie.

Sein Plan und seine Worte beruhigten mich sehr.

Jugendliebe vergeht nicht (Eomér FF)Where stories live. Discover now