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Der Arbeitstag zog sich wie Kaugummi, was nicht zuletzt daran lag, dass er kaum mehr als vier Stunden geschlafen hatte.

„Wie siehst du denn aus?" Oliver winkte ab und schüttete den Energydrink runter. „Ich habe zu lange gezockt. Haben wir schon die Spinner vom Video geschnappt?" Mark schüttelte den Kopf. „Bedauerlicherweise nicht. Aber wir sind dran." Oliver ließ sich auf seinem Stuhl zurückfallen. „Wie kann es so schwer sein sie zu finden?" „Die Verdächtigen wissen, dass wir nach ihnen suchen. Irgendwo sind sie untergekrochen. Aber sie schaffen das nicht für immer und ewig. Genau dann werden wir da sein!" Aufmunternd klopfte ihm sein Vorgesetzter auf die Schultern und ging zu seinem Schreibtisch.

Gähnend befasste sich Oliver mit der Videoanalyse. Nach einer Weile vibrierte sein Smartphone kurz. Eine Sprachnachricht erschien auf dem Display. Der Blonde drückte Start und hielt es an sein Ohr. „Wir haben vergessen eine Uhrzeit auszumachen." Eindeutig Dustins Stimme. Oliver rollte mit den Augen. „Zwanzig Uhr.", murmelte er ins Mikrofon. Daraufhin kam ein Daumen-hoch-Smilie.

Um kurz nach sechs machte Oliver Schluss. Vom vielen Beweismaterial gucken taten ihm die Augen weh. Sein Bett. Das war das Einzige, was er nun wollte.

Zuhause angekommen hockte er sich aufs Sofa. Eher zufällig fiel sein Blick auf die Uhr. „Ach verdammt!" Fluchend rappelte er sich wieder auf. Schließlich wartete Dustin auf ihn.

Gerade noch so pünktlich schaffte er es zum Café. In ihrer Ecke lehnte Dustin mit geschlossenen Augen an der Wand der gepolsterten Bank. Das ganze Lokal erinnerte mehr an ein American Diner als an einen Coffeeshop.

Grinsend schlich sich Oliver näher. Auf dem Tisch warteten bereits die üblichen Getränke. Eistee für Dustin und Eiskaffee für Oliver. Leise setzte sich der Blonde auf die Sitzbank. Mit voller Absicht schlürfte er laut seinen Kaffee mit dem Strohhalm. Dustin grinste, behielt jedoch die Augen geschlossen. „Nur ein Bulle denkt, dass er sich lautlos anschleichen kann." Die olivgrünen Pupillen kamen unter den Liedern hervor wie eine aufgehende Sonne.

Oliver kam sich wie an die Wand genagelt vor. Hatte er sich eben verhört? „Guck nicht so schockiert. Denkst du, es hat keiner bemerkt?", fuhr Dustin ungeniert fort, „Aber jetzt ist es raus." Oliver blieb der Mund offen stehen. Seelenruhig nahm Dustin einen Schluck von seinem Eistee.

„Was willst du mir damit sagen?" Etwas irritiert wurde er angesehen. „Naja. Dein Undercover-Einsatz war nicht sehr erfolgreich.", antwortete der Braunhaarige frei heraus, „Deinen echten Namen kenne zwar bloß ich, vielleicht auch Tom. Aber du hast einfach nicht zu deiner Story gepasst. Du hast dich bemüht und es ebenso versaut." Oliver nickte bloß. Was sollte er auch großartig machen?

„Das Schlimmste daran ist..." Dustins Smartphone unterbrach ihn. Statt das Gespräch anzunehmen, drückte er den Anrufer weg und leerte lieber sein Glas ein wenig mehr.

„Jetzt sag schon!", drängte Oliver. Eigentlich sollte er aufstehen und gehen. In der Hoffnung, dass Dustin noch nicht seine Privatwohnung ausfindig gemacht hatte.

Die olivgrünen Augen betrachteten ihn nachdenklich. „Willst du es wirklich hören?" Die Stimme des Braunhaarigen war plötzlich sehr leise. „Du hast mir eben einfach so gesagt, dass ich von vorn herein aufgeflogen bin. Jetzt gib mir endlich den Todesstoß!" Dustin lachte ohne Freude. „Es ist wohl eher mein Todesstoß.", gestand er. Der Blonde zog seine Augenbrauen hoch. Schweigend maßen sie sich an Blicken. Bis Olivers Geduldsfaden zuerst riss. „Nun sag es endlich!" Doch Dustin schwieg ihn weiter an. „Dass ich auf der Todesliste stehe brauchst du mir nicht erzählen und..." „Tust du nicht.", unterbrach ihn Dustin, „Und das werde ich auch niemals zulassen!" Oliver stutzte. „Ich habe mehr Einfluss auf meinen Bruder als viele denken." Das änderte nichts an Olivers Bedenken. „Wieso solltest du mich schützen?" Die olivfarbenen Augen sahen ihn flehende an, obwohl der Rest von Dustin keine Regung zeigte. „Ich kann nicht anders.", antwortete er, „Als ich erfahren habe, dass du ein Bulle bist. Das war echt verdammt schlimm für mich. Aber noch viel schlimmer ist... Dass du nicht aus meinem Kopf gehst!"

Fast genau so etwas hatte Oliver befürchtet. Wenn Dustin jetzt noch die bescheuerten drei Worte sagte, war es endgültig vorbei mit ihrer Freundschaft.

„Ich liebe dich, Oliver." Es war nur leise ausgesprochen. Doch vor Olivers Augen zerschnitt jede Silbe das Wort ‚Freundschaft' bis es unkenntlich zerstört war.

„Ich sollte gehen.", murmelte der Blonde. Er legte einen Fünf-Euro-Schein auf den Tisch und stand auf. Ohne sich nochmal umzudrehen, verließ er das Lokal. Der Abend war gründlich nach hinten los gegangen.


Der schmale GradWhere stories live. Discover now