Kapitel 26

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Runa verbrachte Silvester mit ihren Freunden aus der Lerngruppe, die alle nach Weihnachten wieder am Campus eingekehrt waren. Die Wohnheime füllten sich wieder, genau wie die Innenstadt. 

Schweren Herzens ließ Runa den Gedanken zu, dass sie die anderen vermisst hatte. Genau jetzt, wo sie jede Sekunde darüber nachdachte, wie es weitergehen sollte, konnte sie diese Gefühle nur schwer ertragen. 

Nie hätte sie gedacht, sich hier so gut einzuleben und Leute zu treffen, die sie wirklich mag - und die sie so mögen, wie sie ist. 

Ganz unvoreingenommen. 

Ihre Gefühle durften keine Auswirkung auf ihre Entscheidung haben, denn das war gefährlich. Sie könnten ihren Blick trüben, sodass sie etwas übersehen würde. 

Doch darum sollte es an Silvester nicht gehen, erlaubte sie sich an diesem Abend eine kurze Pause von all dem. 

Sie feierten auf dem Campus, was ihr gelegen kam, schließlich würde sie Logan hier ganz sicher nicht treffen. Einige Wohnhäuser hatten ihre Türen geöffnet, sodass man von einem Haus zum nächsten ziehen konnte. 

Runa war erstaunt darüber, dass einige sogar die Türen zu ihren Zimmern öffneten. Die würden sie vermutlich nie wieder ganz sauber bekommen. "Das würde mir im Traum nicht einfallen", lachte sie und Sophie stimmte mit ein. "Ich habe gehört, dass bei einem mal die Toilette ausgebaut wurde" Ihr Lachen wurde lauter. 

Der Abend endete, als einer der Studenten versuchte mit einem Skateboard die lange Treppe herunterzufahren und schlussendlich gegen die Wand krachte. 

Erst starrten alle geschockt auf den Jungen, der am Boden lag, doch als dieser anfing laut zu lachen, atmeten alle auf. 

Nur doof, dass dies die Aufsicht gesehen und alle aus dem Haus geschmissen hatte. Schnell schlossen auch andere Häuser ihre Türen und so liefen sie zurück zu Jacksons Zimmer, verbrachten noch zwei weitere Stunden zusammen, in denen sie über ihre Vorsätze für das neue Jahr sprachen und wann sie mit dem Lernen anfangen würden. 

Runa hielt sich zurück. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, fühlte sie zu ihrem Bedauern nicht die selbe Euphorie wie die anderen. 

"Und du stellst dich bald mal bei uns auf der Station vor, okay?", fragte Leyla und sie nickte bloß. 

Gegen drei Uhr morgens war Runa zu Hause. So müde, dass sie nach den letzten Tagen das erste Mal richtig tief schlief, auch wenn das nicht lange anhalten sollte. 

Gegen sieben Uhr wurde sie von einem Alarm geweckt. Das war kein gewöhnlicher Alarm, sondern einer von denen, die sie am liebsten niemals gehört hätte. Runa riss die Augen auf und sprang auf. 

Ihr Kopf dröhnte, doch das Adrenalin kümmerte sich darum. 

Jemand hatte ihre alte Handynummer gewählt. Jemand, der nur wenige Minuten von ihr entfernt war und mit dem Mast verbunden war, der dem Campus am nächsten lag. 

Männer, geschickt von ihrem Vater, die vermutlich hofften, dass sie müde, alkoholisiert und gerade auf dem Heimweg war. 

Doch Runa wusste nicht, dass an diesem Morgen noch mehr Menschen hinter ihr her waren. 

Logan und Rob verbrachten ein etwas anderes Silvester, als sie es sich erhofft hatten. Mit angespannten Schultern traten sie vor seinen Vater, der seine Augen auf die Zeitung vor sich gerichtet hatte, sie mit keinem Blick würdigte. 

Er hasste es, wenn sein Vater das tat - und doch erwischte er sich oft dabei, dass er genau das gleiche tat, wenn er jemanden provozieren wollte. 

"Wir sind hier, um dir zu erklären, wieso..." Sein Vater faltete die Zeitung zusammen, brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. 

Dann geschah etwas unerwartetes. Die Mundwinkel seines Vaters wanderten in eine ungewöhnliche Richtung - nämlich nach oben. 

"Ich weiß, wieso ihr das getan habt" 

Logan verzog keine Miene, auch wenn er sich fragte, was zum Teufel hier los war. "Du weißt es?" 

Sein Vater nickte. "Ich muss sagen, ich war überrascht, als ich es erfahren habe" 

Rob räusperte sich nervös, schien genau so wenig zu verstehen wie Logan. 

"Ich habe mir immer gewünscht, dass du dich darum kümmerst. Ich hatte das Gefühl, deine Welt dreht sich nur ums Feiern und um Football, dass du kein Verständnis dafür hast, was es heißt ein Teil dieser Familie zu sein" 

Absolute, grenzenlose Verwirrung breitete sich in ihm aus, doch sie erreichte seine Mimik nicht. 

Als niemand von ihnen sprach, fuhr sein Vater fort. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und faltete seine Hände. 

"Ich mache selten Fehler, aber diesen gebe ich zu", langsam entstand ein richtiges Lächeln in seinem Gesicht. Logans Magen zog sich zusammen. 

"Und weil du bis hier hin so gute Arbeitet geleistet hast, übernehme ich den Rest und du kannst unbesorgt wieder zur Uni, mein Sohn", er stand auf, "bereite dich auf dein erstes Footballspiel in diesem Jahr vor" 

Rob war es, der als erstes antwortete. "Ich bin mir nicht sicher, ob ich weiß, worum es hier geht", sagte er vorsichtig. 

Sein Vater nahm die Brille ab und betrachtete Rob, dann ihn. "Nicht? Man sagte mir, du hättest ebenfalls versucht, Informationen über das Mädchen herauszufinden" 

"Welches Mädchen?", antwortete Rob, auch wenn beiden in diesem Moment klar wurde, dass es um Runa ging. 

"Das Mädchen an der Versailles Uni", antwortete er schnaubend, nahm seine Brille ab und stellte sich vor die beiden. 

"Das Mädchen, das deine Schwester umgebracht hat"

Die Worte verpasstem ihm einen Schlag in die Lunge. Logan gab ein schmerzerfülltes Geräusch von sich, dass er nicht unterdrücken konnte. 

"Meine Männer werden sie suchen und morgen früh zu mir bringen" 

Dann drehte er sich weg. 

Logan und Rob nutzten die Gelegenheit, um einen Blick auszutauschen. Sie hatten definitiv den selben Gedanken: Sie mussten sofort zurück und Runa finden. 

"Also lässt du es mich nicht zu Ende bringen?", fragte Logan und ballte seine Fäuste. Er spielte das Spiel mit, war es der einzige Weg herauszufinden, was hier wirklich los war. 

Mit einem erstaunten Blick musterte sein Vater ihn. "Ich dachte nicht, dass du daran interessiert wärst" 

Logan hob sein Kinn. "Doch und deshalb werde ich sie herbringen" Er nickte Rob zu und sie verließen das Büro, gaben sich alle Mühe nicht zum Auto zu rennen. 

Sobald sie drinnen saßen, startete Logan den Motor. "Was war das denn bitte für eine kranke scheiße?", fluchte Rob, doch Logan hatte keine Antwort darauf. 

"Wir müssen sie finden", sagte er stattdessen und fuhr viel zu schnell die viel zu kurvige Straße entlang. 

"Wusstest du das?", blaffte Rob ihn an und seine Hände schlossen sich enger um das Lenkrad. "Dass ich die Mörderin meiner Schwester ficke?", antwortete er mit einer Gegenfrage und Rob verstummte. 

Er wusste, dass er besser nichts mehr sagen sollte, um Logan nicht noch mehr zu provozieren.

Logan verarbeitete die Worte seines Vaters nicht. Er konzentrierte sich bloß darauf, Runa zu finden. Ob es stimmte, was er sagte oder nicht, spielte gerade keine Rolle. Das könnte er immer noch herausfinden und sich dann überlegen, wie er damit umgehen würde. 

Niemand geringeres als die potenzielle Mörderin seiner Schwester war diejenige, die ihm die vergangenen Wochen den Kopf verdreht hatte. Da sein Leben schon immer voller Chaos und Probleme war, hätte er sich das beinahe denken können.  

"Wenn du so weiter machst, werden wir gar nicht mehr die Chance haben, sie zu finden" Rob hielt sich an dem Sitz fest, auf dem er saß und schaute angespannt auf die Straße. 

"Wir wissen nicht, wie lange seine Leute schon auf der Suche sind. Sie feiert bestimmt auf dem Campus" 


The Ordeal of Desire I Dark RomanceDove le storie prendono vita. Scoprilo ora