Kapitel 9

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Nach einer ruhigen Nacht, in der nicht bloß meine Gedanken, sondern auch Aiden mich hatten schlafen lassen, war ich seit einer guten Stunde auf den Beinen. Wie erwartet hatte Spencer die Nacht im Büro verbracht und war, nach wie vor in diesem, während ich mich darum bemühte unseren Sohn davon zu überzeugen seinen Brei zu essen. "Komm schon Aiden." flehte ich ihn beinah an als er den Löffel, welchen ich ihm entgegenhielt, ein weiteres mal abwies, indem er sich seine kleinen Händchen vor den Mund hielt. "Mummy hat sich wirklich Mühe gegeben." fügte ich hinzu und strich mir verzweifelt einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, doch diese Bemerkung interessierte meinen Sohn nicht im geringsten. Stattdessen landete der Löffel samt Brei, welchen ich in der winzigen Küchenzeile gekocht hatte, auf dem Boden. "Aiden!" rief ich aufgebracht, woraufhin er laut zu weinen begann. Mit einem Seufzen blickte ich an mir herunter und entdeckte einen orangenen Fleck auf meinem Oberteil. Ich war mir bewusst, dass der Kleine es nicht mit Absicht getan hatte, weshalb ich mich bereits kurz nachdem ich ihn angeschrien hatte, unglaublich schlecht fühlte. "Es tut mir leid, mein Engel." entschuldigte ich mich und hob ihn aus dem Hochstuhl, um welchen ich den Agent, der heute Morgen bei uns gewesen war, um nach uns zu schauen, gebeten hatte. "Deine Mummy ist zurzeit ganz doll angespannt." versuchte ich Aiden, dessen Tränen ich vorsichtig beiseite wischte, bevor er seinen Kopf an meiner Brust vergrub , zu erklären. Meine Nähe beruhigte ihn, da er nach einer Weile verstummte und mich bloß noch mit seinen großen Augen ansah. "Probieren wir es nochmal?" fragte ich mit einem sanften Lächeln, ehe ich einen sauberen Löffel aus einer der Schubladen herausholte und Aiden hinterher erneut in den Hochstuhl setzte, was ihm jedoch nicht zu passen schien, da er sich schon wenige Augenblicke später lautstark zu Wort meldete. "Ma!" quiekte er, während seine kleinen Hände aufgeregt hinter mich deuteten. Verwirrt drehte ich mich daraufhin um. "JJ." brachte ich überrascht hervor als diese plötzlich im Raum stand. "Wir hatten gestern keine Gelegenheit miteinander zu sprechen." begann sie und stellte einen dampfenden Pappbecher auf den Tisch. "Ich habe dir auch etwas zu essen mitgebracht." bemerkte meine beste Freundin mit einer gewissen Fürsorglichkeit in ihrer Stimme. "Danke, aber ich..." "Wie lange ist es her, seitdem du nichts mehr gegessen hast?" unterbrach JJ, die genau wusste, was ich hatte sagen wollen, mich. "Erst muss ich mich um den Kleinen kümmern." entgegnete ich entschlossen, doch meine ehemalige Teamkollegin schüttelte ihren Kopf und nahm mir Plastiklöffel und Schälchen aus der Hand. "In meiner Handtasche." wies sie mich, ohne damit aufzuhören Aiden zu füttern, an. Verwundert darüber, dass dies bei ihr problemlos funktionierte, griff ich abwesend in die schwarze Handtasche, die auf dem Tisch lag. "Du hast mir Sandwiches gemacht?" fragte ich, nachdem ich in die grüne Box geschaut und mehrere Brote vorgefunden hatte, belustigt. "Eigentlich war es Garcia." erklärte JJ grinsend. "Richte ihr ein großes Dankeschön aus, falls du sie eher als ich sehen solltest." nuschelte ich mit vollem Mund, da ich mich nicht mehr hatte zurückhalten können und mit großen Bisssen dabei gewesen war, eines der belegten Brote zu verschlingen. Währenddessen bemerkte ich, dass nicht nur Schlaf, eines der Dinge war, die ich in der letzten Zeit vernachlässigt hatte. "Du siehst grauenvoll aus." pflichtete mir eine innere Stimme bei, woraufhin ich innehielt und das Sandwich zurück in die Dose legte. Es war die Wahrheit. Ich konnte mein eigenes Spiegelbild nicht mehr ertragen, wenn es mit diesen dunklen Augenringen auf mich zurückstarrte. Mein Körper schien bloß noch eine leblose Hülle zu sein. Die anderthalb Wochen, in denen niemand etwas von Keith gehört hatte, waren ein Alptraum für mich gewesen. Schlaflose Nächte, Appetitlosigkeit und das Gefühl ständig unter Beobachtung zu stehen, beherrschten seitdem meinen Alltag. Mein Leben. "Du isst nicht genug." hatte meine Mum des mehrfachen bemerkt als wir uns vor einiger Zeit getroffen hatten, nachdem unsere eigentliche Verabredung durch meinen Abteilungsleiter, der unbedingt mit mir hatte sprechen wollen, verschoben werden musste. "Ich bin momentan im Stress." hatte ich genervt erwidert und lustlos in meinem Kuchen herumgestochert. "Erzähl mir endlich worum es geht." hatte sie mich gedrängt, weshalb ich ihrem inständigen Blick ausgewichen war. Dennoch hatte sie nicht locker gelassen. "Es ist noch immer dieser Fall, der dich beschäftigt." "Ja." war das einzige, was ich gesagt hatte. Mir war nicht danach zumute gewesen, meiner Mum an meinen Gedanken teilhaben zu lassen. "Leidest du noch unter den Schlafstörungen, von denen du mir am Telefon erzählt hast?" hatte sie wissen wollen, obwohl ihr die dunklen Schatten unter meinen Augen eigentlich als Antwort genügen sollten. "Es wird langsam besser." hatte ich gelogen, während Spencer in diesem Moment mit Aiden in die Wohnung getreten war. "Hallo Charlotte." hatte er meine Mum ein wenig überrascht begrüßt und sie herzlich, wenn auch etwas unsicher, umarmt. Dies hatte ihr als Begrüßung gereicht, da sie ihre Aufmerksamkeit im Anschluss darauf sogleich auf ihren Enkel gelenkt hatte. "Case?" bei der Erwähnung meines Namens schaute ich schlagartig auf. "Wie bitte?" fragte ich verwirrt und sah JJ mit großen Augen verwundert an. "Warum hast du mir nichts gesagt, nachdem du gewusst hattest, dass er nicht mehr im Gefängnis ist?" wiederholte diese mit einem enttäuschten Unterton in ihrer Stimme. "Ich wollte nicht, dass noch mehr Menschen davon erfahren, weil ich niemanden der unschuldig ist und nichts mit der Sache zu tun, in Gefahr bringen wollte." erklärte ich und stand auf, um Aiden aus seinem Hochstuhl zu befreien. "Du dachtest, dass ich in Gefahr sein würde, wenn du mit mir darüber sprichst?" wollte JJ, die mich ungläubig anschaute, von mir wissen. "Ich dachte es nicht nur." entgegnete ich, während mein Sohn versuchte sein Lätzchen selbst zu öffnen und kläglich daran scheiterte. "Mummy macht ja schon." flüsterte ich als er bereits leise zu quengeln begann. "Ich muss nicht länger abwarten, um zu wissen, dass jeder in meiner Nähe zu Keith's Zielobjekt werden könnte." fuhr ich, nachdem ich den Kleinen wieder ruhig in meinen Armen hielt, fort. "Weißt du, was das schlimmste an der ganzen Sache ist?" fragte ich und blickte auf die geschlossene Akte, wodurch trotz alledem Keith's Gesicht vor meinem inneren Auge auftauchte. "Er hat nichts zu verlieren JJ. Entweder bringe ich das Schwein ein zweites mal hinter Gitter oder..." "Er stirbt bei dem Versuch den Plan seines so lange erträumten Endspiels in die Tat umzusetzen." beendete sie meinen Satz mit ihren Worten, denen ich nichts mehr hinzuzufügen hatte. Bloß meinen Gedanken fehlte ein wichtiger Punkt, den weder JJ, noch ich laut ausgesprochen hatten. "Vielleicht hat Keith dich längst getötet, bevor er wieder hinter Gitter landet oder irgendwer anders die Chance bekommt ihn umzubringen." "Ich werde nicht zu lassen, dass mein Sohn ohne seine Mutter aufwachsen wird." widersprach ich der Stimme in meinem Kopf und drückte Aiden behutsam fester an mich. Eine unbehagliche Stille breitete sich in dem kleinen Raum aus, während ich meinen Blick an JJ vorbeischweifen ließ und durch die offenstehende Tür hinaus in den mit künstlichen Licht ausgestatteten Flur sah. Dieser wirkte beinah wie ausgestorben. Keine Gespräche, von irgendwelchen Agents, die nach dem Rechten schauen wollen. Keine Schritte, die durch den hellhörigen Gang schallten. Nichts. Außer Stille, in der ich mich bereits verloren hatte. Ohne nachzudenken trat ich ein paar Schritte vor, bis mein Körper, über den ich in diesem Augenblick keinerlei Kontrolle hatte, im hell erleuchteten Flur zum Stehen kam. Ich sehnte mich plötzlich danach dem Gefängnis, in dem ich mich meines Erachtens befand, zu entfliehen und für eine kurze Weile an einem Ort allein zu sein, an dem ich wieder das Gefühl haben würde, atmen zu können. Bevor es jedoch dazu kam, wurde die Stille durch zwei Stimmen, die ich nicht zuordnen konnte, unterbrochen. Zu leise waren sie als hätte ich, sagen können, ob ich die beiden Personen, die sich unterhielten und deutlich näher kamen, kannte. Erst als diese um die Ecke bogen, sah ich zumindest ein mir bekanntes Gesicht. Neben dem stämmigen Mann im grauen Anzug, dessen Gesicht einen strengen Ausdruck hatte, hielt meine Mum einige Meter vor mir. "Spencer hat mich angerufen. Ihm tut es furchtbar leid, dass er die ganze Nacht an dem Fall gearbeitet hat und du mit dem Kleinen in einer völlig fremden Umgebung allein sein musstest." plapperte diese, während wir den Flur verließen, drauf los. Ich musste schwer schlucken. "Er hat dir von dem Fall erzählt?" "Nein. Das einzige, was ich erfahren habe ist, dass es für euch zu gefährlich ist, bei diesem in eurer Wohnung zu bleiben." klärte mich meine Mum, die gegenüber von JJ Platz nahm, auf. Ich nickte stumm, bevor ich sie um etwas bat. "Könntest du dich für zwei Stunden um Aiden kümmern?"

Crave you// criminal mindsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt