IV

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Die Arena füllte sich. Immer und immer mehr. Wer hätte gedacht, dass so viele Bürger Kiralis' daran interessiert sein würden? Ich jedenfalls nicht. Aber das lag wohl in der Natur des Menschen. Diese kleine, sadistische Ader.

Meine Mutter saß rechts von mir, während mein Vater seinen Platz zu ihrer anderen Seite hatte. Die Arena war kreisförmig aufgebaut, sodass man von jeder Seite das Spektakel bewundern konnte. Ich und meine Eltern saßen relativ in der Mitte, aber dennoch abgetrennt von den anderen Zuschauern. Natürlich würden wir so sitzen, dass so gut wie jeder uns sehen konnte. Das war nötig aufgrund der Begrüßung, die mein Vater jeden Moment sprechen würde. Außerdem war es undenkbar in Kiralis, dass die Königsfamilie sich in die gleichen Reihen, wie die Bürger setzen würde. Ich persönlich hätte gar kein Problem damit, aber so waren nun mal die ungeschriebenen Regeln.

Nach einigen Minuten wurden die Eingangstore langsam geschlossen. Das hieß dann wohl, dass die Arena voll war und es jeden Moment losgehen würde. Und kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, stand mein Vater tatsächlich auf und trat zwei Schritte nach vorne, was aufgrund dem terrassenähnlichen Aufbau möglich war.

,,Ich freue mich, Sie alle heute hier begrüßen zu dürfen! Es ist lange her, dass so viele Bürger Kiralis' auf einem Fleck versammelt waren. Doch wir dürfen nicht vergessen, wieso wir heute hier sind. Heute werden mit absoluter Sicherheit Menschen sterben. Menschen, die sich jedoch selbst dazu entschieden haben, hierbei mitzumachen. Menschen, die eine Chance bekommen, eine neu gewonnen Freiheit zu erlangen. Denn hat nicht jeder von uns schon ein Mal in seinem Leben von einer zweiten Chance geträumt?'' Er machte eine kurze Pause, blickte still durch die Reihen der schweigenden Zuschauer.

,,Aber nun genug geredet. Lasst uns anfangen. Lasst uns zusehen, wer heute als Gewinner hervorgeht und einem neuen Leben entgegenblicken kann!''

Die Menge tobte.

Einerseits verstand ich die große Aufregung, die herrschte. Doch andererseits widerte es mich an. Wie konnte man sich nur so sehr auf den Tod freuen? Zwar nicht auf den eigenen, aber auf den anderer. Auf den von einem lebendigen Menschen.

,,Es ist nicht der Tod auf den sie sich freuen. Eine lange Zeit ist vergangen, seitdem die Menschen in Kiralis großen Gesprächsstoff hatten, seitdem etwas besonderes passiert ist. Das ist es worauf sie sich freuen. So ist die Gesellschaft aufgebaut, Liyana'', meine Mutter sah mich mit einem verständnisvollen Blick an. Ich brauchte zunächst einen Moment, um zu verstehen, dass ich meine Gedanken wohl laut ausgesprochen haben musste.

,,Dann ist sie wohl falsch aufgebaut'', murmelte ich vor mich hin und schüttelte leicht den Kopf. Bevor meine Mutter jedoch erneut etwas sagen konnte, kam ihr mein Vater zuvor.

,,Gleich werden die Teilnehmer erscheinen'', sagte er und starrte konzentriert nach unten in die leere Arena. Er schien nahezu angespannt zu sein. An sich wäre das vielleicht nichts großartiges gewesen, das Problem war nur: Man sah nie, dass er angespannt war. Außer in diesem Moment. Was war nur los?

,,Kennst du jeden, der mitmachen wird?'', fragte ich und betrachtete jede seiner Reaktionen akribisch.

,,Ich habe jeden schon mindestens ein Mal gesehen. An dem Tag, an dem ich ihr Urteil gesprochen habe.'' Er sah mich nicht an, während er sprach. Ich fragte mich, was ihm wohl gerade durch den Kopf ging.

,,Ich verstehe'', antwortete ich und richtete meinen Blick nun auch nach vorne. Und das keine Sekunde zu früh, denn in genau diesem Moment öffneten sich die Tore und die ersten Teilnehmer betraten die Arena, noch in Begleitung von Wachen meines Vaters. Doch kaum würde der Startschuss fallen, würden diese auch verschwinden.

LiyanaWhere stories live. Discover now