XXVIII

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Nachdem er geklopft hatte und ein leises 'Herein' ertönt war, drückte Neron vorsichtig die Türklinke nach unten und betrat schließlich das helle Zimmer mit den großen Fenstern. Es war das Gleiche, in dem auch er damals gelegen war. Ein kleines Schmunzeln schlich sich auf seine Lippen bei diesem Gedanken.

,,Neron'', hörte er Liyana hauchen, anscheinend überrascht ihn zu sehen. Er richtete seinen Blick auf die dunkelhaarige Schönheit, die in einem weißen Krankenhauskleid in ihrem Bett saß. Sie sah ihn mit großen Augen an und erwartete wohl, das auch er etwas sagte. Doch er ließ sich Zeit, zog zunächst einen der Stühle, die im Raum verteilt waren zu ihrem Bett, setzte sich hin und seufzte leise.

,,Wie geht es dir?'' Als seine Augen wieder auf ihre trafen, konnte er beobachten, wie sich eine kleine, aber sichtbare Falte zwischen ihren feinen Augenbrauen bildete.

,,Hör auf damit'', sagte sie nach einiger Zeit der Stille und bewirkte damit, dass Nerons Herz für einen Moment aussetzte. Das hatte er nicht erwartet.

,,Mit was?''

,,Damit dir die Schuld zu geben. Gott, ich kann es dir ansehen, wie es dich von Innen heraus auffrisst. Hör auf damit. Egal, was passiert ist, es ist nicht deine Schuld.'' Mit geweiteten Augen starrte Neron die Prinzessin an. Dieses Mädchen war doch immer wieder für eine Überraschung gut.

,,Ich will nur, dass du weißt, dass ich dir wirklich dankbar dafür, was du für mich getan hast, Neron. Für alles. Ich weiß, dass ich nicht einfach bin und immer Dinge tue, die ich eigentlich nicht tun sollte. Und das tut mir leid.'' Sie senkte ihren Blick auf ihre zusammengefalteten Hände und guckte vorsichtig zu Neron rüber, als er nicht antwortete.

,,Und ich will, dass du weißt, dass mir das, was ich jetzt tun werde, in keinster Weise leid tut.'' Und mit diesen Worten, ohne auf eine Antwort Liyanas zu warten, beugte er sich nach vorne, nahm ihr sanftes Gesicht in seine Hände und küsste sie. Vorsichtig, um sie nicht mit der Situation zu überfordern, aber doch bestimmt, denn es war mehr als nur schwer sich zurückzuhalten.

Als Liyana den Kuss zunächst nicht erwiderte, verlor Neron schon fast die Hoffnung, doch kaum hatte dieser Gedanke ihn erreicht, spürte er mit einem Mal den leichten Druck, der von ihren Lippen ausging.

Als sie sich kurze Zeit später von einander lösten und Neron in Liyanas noch vollkommen vernebelte Augen blickte, konnte er sich ein triumphierendes Grinsen einfach nicht verkneifen.

,,Und Dajan hat mit einem Handkuss angegeben'', murmelte er und brachte sie zum lachen.

,,Ich liebe dich, Liyana'', sagte er schließlich und versuchte nicht die kleinste Regung ihres Gesichts bei diesen Worten zu verpassen. Und als sich das kleine Lächeln auf ihren Lippen in ein sehr großes verwandelte, wusste er, dass er dieses Mädchen nie wieder von seiner Seite weichen lassen würde.

Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, legte seine ganz persönliche Prinzessin ihre weichen Lippen erneut auf die seinen und gab ihm mehr, als sie mit Worten je hätte ausdrücken können.

Doch kaum schien es endlich romantisch zu werden, schwang mit einem Mal lautstark die Tür auf und krachte gegen die Wand hinter ihr.

,,Ach du- Leute! Sucht euch ein Zimmer!'', beschwerte sich Dajan und hielt sich eine Hand vor die Augen.

,,Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Wir sind in einem Zimmer'', entgegnete Neron und zog amüsiert eine Augenbraue nach oben.

,,Ist es vorbei? Ihr wisst schon? Dieses eklige Zeug, das ihr da vor meinen armen, jungfräulichen Augen abgezogen habt?'', fragte Dajan und erntete ein leises Lachen von Liyana.

,,Ja, Dajan, du darfst wieder gucken'', sagte sie und lächelte ihn liebevoll an.

,,Ich hätte nicht gedacht, dass das so schnell eskaliert hier'', sagte Dajan und machte ein angeekeltes Gesicht.

Kurz darauf traten auch Adan und Enan ins Zimmer und bedachten die Neron und Liyana mit einem wissenden Blick. ,,Ich sehe, du hast es ihr endlich gesagt'', meinte Enan und grinste vor sich hin.

,,Du tust ja gerade so, als wäre es Liebe auf den ersten Blick gewesen'', versuchte Neron wenigstens ein Stück seiner gebliebenen Männerwürde zu behalten. Doch auch das ging sowas von daneben.

,,Oh ja, das glaube ich tatsächlich. Darf ich dich bitte daran erinnern, als du sie verträumt angeguckt hast, während Adans Arenakampf?''

,,Du hast Liyana angeguckt, statt mich anzufeuern?!'', fragte nun Adan gespielt entsetzt.

,,Wie wäre es, wenn wir uns einfach darauf einigen, dass wir uns alle total lieb haben?'', lachte Liyana und versuchte somit die aufkeimende Diskussion zu stoppen.

,,Abgemacht. Wenn du mich ein bisschen mehr lieb hast, als Neron'', meinte Dajan und erntete einen kurzen, genervten, aber doch amüsierten Blick von Neron.

,,Aber nur ein klitzekleines Bisschen.'' Liyana zwinkerte Neron zu, bevor dieser ihre kleine Hand in seine nahm und einen federleichten Kuss auf ihr platzierte.

,,Der Idiot da hinten hatte recht. Es ist wundervoll deine Hand zu küssen'', flüsterte er, sodass es nur Liyana hören konnte und entlockte ihr damit ein Schmunzeln.

In diesem Moment wurde Liyana klar, dass Neron von Anfang an ein großes Fragezeichen für sie gewesen war. Und immer noch gab es viele Sachen, die für sie nicht geklärt schienen. Aber sie war sich sicher, dass sie auch die letzte Frage, die ihn anging irgendwann einmal beantwortet bekommen würde.

Und Neron? Neron hatte das gefunden, wonach er sein Leben lang gesucht zu haben schien. Nach der Antwort all seiner Fragen, all seiner Gebete. Sie war es. Sie war die, die ihn fühlen ließ. Die ihn leben ließ. Und wenn er die Wahl hätte, würde er immer wieder aufs Neue dieses verdammte Eisentor sprengen, aus Wut auf das Leid, das er im Armenviertel erfahren musste. Er würde es jedes Mal wieder tun, wenn er die Gewissheit hätte, dann auf seine Prinzessin zu treffen.

Denn eine Frage ist nur vollständig mit ihrer ganz persönlichen Antwort. 

LiyanaWhere stories live. Discover now