XXII

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Nummer 3 für diesen Abend ;) 

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Mit langsamen Schritten fing Miro an, Neron und die anderen beiden zu umkreisen.

,,Ich habe wirklich mehr von dir erwartet, Neron. Was ist es? Was ist es, was dich dort hält? Erpressen sie dich? Haben sie dir ein unwiderstehliches Angebot gemacht? Geld? Reichtum? Was ist es?! Sag es mir!'' Je länger Enan Miro zuhörte, desto mehr verstand er, was für ein Glück sie gehabt hatten, geschnappt worden zu sein. Mittlerweile erschienen ihm die sieben Jahre in der Zelle gar nicht mehr so schrecklich.

,,Sie haben gar nichts getan, Miro. Es liegt nicht an ihnen. Es liegt an mir, an uns. Es liegt daran, dass ich dieses verhasste Leben hier endlich hinter mir lassen möchte. Aber das scheinst du ja nicht im geringsten zu verstehen'', antwortete Neron im Ruhe bemüht und ließ seinen Blick über die restlichen Männer Miros schweifen. Sein Bruder wurde seit Kindheit an schon immer von allen anderen respektiert für seinen Mut, für seine Schlagfertigkeit. Da war es kein Wunder, dass er immernoch der Boss hier war.

,,Da hast du recht. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe nicht, wie du deine Familie, dein Zuhause einfach so zurücklassen willst, um mit dem Feind zusammenzuarbeiten. Ich habe dich immer für den Loyalsten hier gehalten, Neron. Aber so irrt man sich wohl.'' Miros Gesicht war voller Abscheu und dieser war auf jeden Fall gegen seinen Bruder gerichtet. Daran gab es keine Zweifel.

,,Ich bin loyal, Miro. Aber nicht gegenüber jedem.''

,,Ja, offensichtlich. Deiner Familie gegenüber bist du es definitiv nicht. Nicht mehr jedenfalls.''

,,Neron'', sagte Adan leise und signalisierte seinem Freund, dass dieser endlich zum Punkt kommen musste. Ohne sich umzudrehen, verstand Neron und fuhr fort.

,,Ich möchte, dass du und deine Männer sich zurückhalten. Keine Mordversuche, keine Anschläge, nichts. Lasst es ein für alle mal sein. Eine Narbe reicht mir bereits.''

,,Weißt du was ich mich frage, kleiner Bruder? Wieso du dich vor sie geschmissen hast. Man hat mir berichtet, was passiert ist und dass du - gerade du - derjenige sein würdest, der seinen eigenen Tod dem der Prinzessin vorziehst, hatte mich mehr als nur überrascht. Als unsere Eltern in dem Feuer bei lebendigem Leibe verbrannt sind, hast du doch auch nur daran gedacht deinen eigenen Hintern zu retten. Also sag mir: Was hat sie, was Mutter und Vater nicht hatten?''

Neron konnte einfach nicht fassen, was der Mann, der eigentlich zu ihm stehen sollte, von sich gab. Nie hatte Miro ihm Vorwürfe wegen dem Tod ihrer Eltern gemacht - war es doch wirklich nicht seine Schuld. Nur Neron selbst hatte nie Frieden mit sich schließen können seit dem folgenschweren Ereignis viele Jahre zurück.

,,Du warst nicht dort. Während du mit deinen kleinen Freunden gespielt hast, habe ich zugesehen, wie sie starben. Ich war es, der ihre Schreie gehört hat. Ich war es, der durch das Feuer zu Mutter gerannt ist, nur um von ihr zu hören, dass ich verschwinden soll. Ich war es, der an diesem Tag nicht nur seine Eltern, sondern auch seine Kindheit und sich selbst verloren hat. Ich war es, nicht du, verdammt nochmal!''

,,Was erwartest du? Mitleid? Mitleid dafür, dass du zu schwach warst, um-'' Mehr brauchte Miro nicht zu sagen, denn keine Sekunde später landete Nerons Faust bereits in seinem Gesicht und ließ ihn nach hinten taumeln, bevor er sich mit schmerzverzerrtem Laut an die getroffene Stelle fasste.

,,Halt den Mund, Miro. Halt einfach nur deinen verdammten Mund.''

***

Ich konnte es sich nicht nehmen, meinen Blick über all die verfallenen Häuser gleiten zu lassen. Sofort musste Ich daran denken, dass es vielleicht sogar Menschen gab, die noch in einigen von diesen Gebäuden wohnten. Das war schrecklich, es war schockierend.

,,Ich sehe, das ist das erste Mal, dass du hier bist'', sagte Dajan und holte mich aus meinen Gedanken. Ja, er hatte recht. Ich war tatsächlich noch nie in einem Armenviertel gewesen. Meine Eltern hatten es mir verboten - zu meinem eigenen Schutz. Und je mehr ich die Eindrücke dieses Ortes auf mich wirken ließ, desto mehr verstand ich auch wieso.

,,Es tut mir leid, Dajan.'' Ich wusste nicht wieso, aber mit einem Mal verspürte ich das große Bedürfnis zu jedem Menschen an diesem Ort hinzugehen und mich zu entschuldigen. Dafür zu entschuldigen, dass sie ein solches Leid ertragen mussten. Abgesehen von dem nicht vorhandenen Wohnmöglichkeiten, wollte ich mir noch nicht einmal ausmalen, welche Krankheiten hier rumgingen. Und die Mittel um sich gut versorgen zu lassen, hatten die Menschen hier nicht. Das alles war eine große Katastrophe, die unbedingt bewältigt werden musste. Und in diesem Moment nahm ich mir vor, dass ich alles was in meiner Macht stand, tun würde, um diese Situation zu ändern. Um das Leid zu verringern.

,,Du kannst nichts dafür und das weiß ich und das wissen auch Neron und die anderen. Eigentlich kann niemand so richtig etwas dafür. Und vielleicht liegt eben auch daran das Problem. Denn wenn sich niemand verantwortlich fühlt, verspürt auch niemand das Verlangen danach es wieder gut zu machen'', entgegnete Dajan mir. So, wie er es sagte, wusste ich, dass er bereits oft darüber nachgedacht haben muss. Öfter, als man denken könnte.

,,Weißt du, wo sie sind?'', fragte ich schließlich und wollte nicht weiter auf Dajans Erinnerungen, die diesen Ort angingen, herumreiten. Es schien ihm auch so schon schwer zu fallen, hier zu sein.

,,Ehrlich gesagt, kann ich mir nur einen einzigen Ort vorstellen, wo sie sein könnten'', antwortete er und machte eine deutende Geste mit dem Kopf. Ich drehte mich in gezeigte Richtung und sah nichts weiter, als ein genau so verfallenes Gebäude vor mir.

,,Das?''

,,Das.''

,,Und du bist dir sicher, dass sie hier sind?''

,,Relativ sicher.''

,,Na ja, das ist mehr, als wir sonst haben. Dann würde ich sagen, wir verlieren mal keine Zeit.''

,,Liyana'', hielt mich Dajan schließlich auf, als ich bereits von meinem Pferd gestiegen war und es festbinden wollte. Ich hob meinen Kopf und sah ihn erwartungsvoll an.

,,Wenn du es wagst dort drinnen zu sterben, töte ich dich nochmal mit meinen eigenen Händen.''

Amüsiert zog ich eine Augenbraue nach oben, absolut nicht verstehend, warum er einen solchen Trubel machte und zuckte mit den Schultern.

,,Abgemacht. Danke für die Warnung.'' 

LiyanaWhere stories live. Discover now