"Mum?"
Seine Mutter sah nicht auf. Sie blieb schweigend am Küchentisch sitzen, den Blick fest auf die Zeitschrift geheftet, die vor ihr auf dem Tisch lag. Obwohl ihr Schweigen Jace mehr verletzte, als er zugeben würde, setzte er sich zu ihr und blickte sie verzweifelt an. Er wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte. Was wenn seine Mutter nicht nachgeben würde? Er konnte sie nicht zwingen fortzugehen. Und was war, wenn sie ihm nicht verzeihen konnte? Wenn sie nicht mehr mit ihm sprach?
Mrs Webber hob den Kopf, als sie den stechenden Blick ihres Sohnes nicht mehr ertragen konnte, aber sie mied es ihm in die Augen zu sehen und das bemerkte Jace. Doch er ließ sich nichts anmerken, sie hatte alles Recht der Welt, enttäuscht und wütend zu sein. "Mum, wir sollten für eine Weile verschwinden. Untertauchen bis Mason uns vergisst."
Sie sah ihn an, die Klarheit in ihrem Blick ließ ihn zusammenzucken, er konnte die Enttäuschung sehen, den Schmerz und die Wut, und dann schüttelte sie den Kopf. Es war wie ein Schlag in den Bauch. Jace umklammerte die Tischkante, sein Magen rebellierte, denn er wusste genau, was das bedeutete. "Ich werde mein Zuhause nicht verlassen, Jace. Und du auch nicht. Man kann vor seinen Problemen nicht einfach davon laufen." Sie spielte auf seinen Vater und seinen Bruder an, das wusste er und es schnürte ihm die Kehle zu, dass sie ihn mit ihnen verglich. Dabei war es doch nicht verwunderlich, dass sie das tat, er hatte ihr keine andere Wahl gelassen. "Du hast Menschen wehgetan und jetzt willst du weggelaufen? So habe ich dich nicht erzogen. Und ich werde nicht zulassen, dass du dich vor der Verantwortung drückst. Wir stellen uns unseren Fehlern, auch wenn das heißt, dass wir verletzt werden, innerlich oder äußerlich."
Er hatte seine Mutter stets bewundert. Sie hatte den Verlust ihres Mannes ertragen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Das Einzige, was sie wollte war, dass es ihren Söhnen gut ging, dass sie glücklich aufwuchsen, und dafür hatte sie so viel auf sich genommen. Und als sie dann auch noch von Adam hintergangen wurde, hatte sie trotz des Schmerzes weitergemacht, das hatte sie immer getan.
Und doch: Ihre Stärke sorgte jetzt dafür, dass Jaces Hände vor Angst zitterten. Denn das Ganze würde nicht gut ausgehen.
"Mum mit diesen Typen ist wirklich nicht zu spaßen und wenn ich ihnen den Ring nicht geben kann, dann werden sie schlimme Dinge mit dir anstellen." Sie sah ihn noch immer an, hatte ihren Blick starr auf ihn gerichtet und als er keine Veränderung wahrnehmen konnte, wusste er, sie hatte ihre Entscheidung schon getroffen. Und dennoch: Er griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand und drückte sie so fest, als könne sie sich jeden Moment in Luft auflösen. Und das kam der Realität vielleicht sogar ziemlich nah, immerhin hatte er keine Ahnung, was Mason mit ihr anstellen würde. "Bitte Mum, lass uns gehen." Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und er hörte selbst, wie gebrochen er klang.
Sein Herz zog sich zusammen, als sie den Blick abwendete und ihm ihre Hand entzog. "Wir können nicht weglaufen. Dafür ist es zu spät."
Es war, als hätte sie ihm ein Messer in die Brust gerammt. Er schloss die Augen, presste die Lippen fest zusammen, um bloß nicht aufzuschreien. Um den Schmerz auszusperren. Aber er konnte die Gedanken nicht aussperren und die waren kaum zu überhören.
Es war vorbei. Das wusste er so sicher, dass es ihn von innen zu zerreißen schien.
Er presste sich die Hände mit aller Macht auf die Augen, ein erbärmlicher Versuch, die Tränen zurückzuhalten. Aber sie ließen sich nicht zurückhalten und so saß er da.
Ertrank an seinen eigenen Tränen.
Seine Entscheidungen hatten ihn in ein dunkles Loch gezogen und mit jeder Minute, die verstrich, wurde ihm bewusst, dass er sich niemals selbständig daraus befreien konnte, nicht solange sein Gewissen ihm ständig all die Fehler vorhielt.
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Das Glück des Zufalls | db ✔️
RomanceLou lebt in einer Welt, in der Geld alles ist. Die Menschen kennen keine Gefühle. Für sie sind Liebe, Familie und Freundschaft Fremdwörter. Jace hingegen lebt in einer Welt, in der das Geld knapp ist. Er erlebt Enttäuschungen, dafür hat er jedoch ei...
