3. Domen - Oberstdorf - Tag der Qualifikation

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Als Domens Wecker am nächsten Morgen klingelte, schreckte er verschlafen hoch, doch im Gegensatz zum vorhergehenden Tag würde er dieses Mal pünktlich zum Frühstück erscheinen. Es ärgerte ihn immer noch, dass der Coach auf seine dämlichen Pläne so viel Wert legte, doch momentan saß Goran noch am längeren Hebel und da die anderen alle Arschkriecher waren und sich an seine Pläne hielten, würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als sich vorerst auch nach ihm zu richten. Besonders da er nicht wollte, dass die Interviews mit diversen TV-Sendern heute auch noch gestrichen werden. Aber er würde es heute allen zeigen. Er hatte den Wecker extra eine halbe Stunde früher gestellt und würde noch ganz vorbildlich vor allen anderen am Frühstückstisch sitzen.

Den gestrigen Abend versuchte er dabei in die hinterste Ecke seines Bewusstseins zu verdrängen. Die Schmach bei der PK nicht dabei gewesen zu sein, saß immer noch tief. Dieser Klumpen Wut hatte sich festgesetzt. Dass er dennoch heute Morgen aufgestanden war und nicht auch noch den Rest der Interviews schwänzte, lag allein an Daniel, auch wenn Domen das nie zugeben und lieber sterben würde. Aber der Norweger hatte Recht gehabt. Er wollte diese Tournee gewinnen und er durfte sich das jetzt nicht wegen irgendwelcher Kindereien verbauen. Wenn er erst einmal so richtig erfolgreich war, dann würde sich keiner mehr trauen, ihn zu bevormunden. Dann würde er alles so machen können, wie er wollte.

Verschlafen stellte er sich unter die Dusche, die ihn kein bisschen munterer werden ließ und wollte sich anziehen. Allerdings hatte er Mühe seine guten Sachen für das Interview zu finden, da die inzwischen überall im Zimmer verstreut lagen. Anze und er waren nicht gerade Experten in Sachen Ordnung und so wie es momentan aussah, sollten sie dringend Besuche von Goran oder einem der anderen Betreuer vermeiden. Nach dem letzten unangemeldeten Besuch hatten sie Putzdienst aufgebrummt bekommen, was leider nicht nur ihr Hotelzimmer betroffen hatte, sondern auch die Kabinen an der Schanze. Das hatten beide ziemlich ätzend gefunden. Seitdem waren die Hotelzimmer, die sie bewohnten, immer verbotene Zone für die anderen.

Endlich hatte er auch sein T-Shirt gefunden, dass er vor sich hielt und kritisch von allen Seiten beäugte. Offenbar war das kein knitterfreies T-Shirt gewesen und die Zeit als Haufen auf dem Boden hatte der ehemals relativ glatten Oberfläche definitiv nicht gut getan. Kurz überlegte er und sah sich um. Das könnte eine Weile dauern, ein anderes zu finden und eine Garantie, dass das dann knitterfrei sein würde, gab es nicht, befand er, bevor er sich doch das graue Shirt überzog und sich entschloss, einfach seine Trainingsjacke drüber zu ziehen. Und schon waren die Falten wie von Zauberhand verschwunden. Wer brauchte schon ein Bügeleisen, wenn es Jacken gab? Bevor er sich zur Tür wandte, prüfte er noch einmal schnell seine Frisur im Spiegel und kurze Zeit später schlurfte er gemächlichen Schrittes durch die ausgestorbenen Flure des Hotels in den Frühstücksraum, wo erwartungsgemäß wenig los war. Dabei stellte er nicht ohne eine gewisse Befriedigung fest, dass er tatsächlich der erste an ihrem Tisch war.

Verschlafen ging er ans Buffet um sich eine Schüssel Müsli und einen Tee zu holen. Verstohlen sah er dabei zum Tisch der Norweger, der von seiner Position aus gut einsehbar war. Auch dort waren gerade mal zwei Springer anwesend: Johansson und Granerud, die gut gelaunt in ihre Brötchen bissen.

„Suchst du wen?"

Ertappt fuhr Domen zusammen und blickte zu seinem Gegenüber. Natürlich musste es ausgerechnet er sein! Wer auch sonst?!

„Äh... Butter", stammelte sein müder Verstand und er hätte sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen. War er noch ganz zu retten?!

„Zum Müsli??", zweifelnd sah Daniel ihn an.

„Das ähm... isst man... äh in Slowenien so", hielt er an seiner Geschichte fest, in Gedanken viel zu sehr damit beschäftigt seinen Kopf gegen eine Wand zu schlagen, um noch irgendetwas Sinnvolles herauszubringen. Er spürte dabei ganz genau wie seine Wangen begannen vor Scham zu brennen. Wieso hatte er nicht geschalten und gesagt, er wolle noch ein Brot essen??? War er jetzt völlig geisteskrank?!

„Okay... ähm da steht sie, direkt vor deiner Nase", zeigte Daniel auf die Stelle zwischen dem großen Brotkorb und den Marmeladen etwas seitlich von ihnen.

„Danke", stieß er hervor, wandte sich schnell von seinem Gegenüber ab und nahm sich notgedrungener Weise ein Stück Butter, das er in Ermangelung eines wachen Verstandes nun in sein Müsli tat und der Butter dabei zusah, wie sie in seiner lauwarmen Milch begann zu schmelzen. Aber er wollte sich auch nicht die Blöße geben, und niemals hätte er zugegeben, dass er heimlich nach ihm Ausschau gehalten hatte. Wobei ihm diese Tatsache auch erst aufgefallen war, als Daniel ihn angesprochen hatte. Er wusste gerade auch nicht so genau, wieso er das getan hatte und das machte ihn ziemlich wütend. Auf sich selbst und auf Daniel.

„Und das schmeckt, ja?", konnte Daniel es sich nicht verkneifen noch einmal nachzufragen und war Domen ungefragt gefolgt. Dabei sah man ganz deutlich die steile Falte zwischen seinen Augen. Offenbar war er sich nicht so ganz sicher, ob Domen noch im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten war.

„Ganz vorzüglich", schnappte er und lief schnellen Schrittes an seinen Tisch, der glücklicherweise weit weg von dem der Norweger stand. Grummelnd setzte er sich hin und betrachtete die Butterreste, die nun zwischen seinem Müsli schwammen. Ganz klasse. Was sollte er jetzt damit tun?!

Suchend sah er sich nach etwas um, wohin er die Butter verschwinden lassen konnte. Möglichst unauffällig natürlich. Da fiel ihm der Tischmülleimer auf. Es widerstrebte ihm zwar, Lebensmittel wegzuwerfen, aber wie sollte er das irgendjemandem erklären?

„Was tust du da?!"

Ertappt fuhr Domen zum zweiten Mal an diesem Tag zusammen, während die Butter zurück in seine Milch platschte und den halben Tisch vollspritzte. Als er aufsah, sah er direkt in die nächsten mit hochgezogenen Brauen versehenen Augen, die zu seinem ältesten Bruder gehörten, der wirkte als würde er überlegen, ihn gleich an Ort und Stelle umzubringen. Peter hasste es, unangenehm aufzufallen. Und sein jüngerer Bruder warf nicht immer ein positives Licht auf die Familie Prevc. Peter verstand es einfach nicht, wie man sich so unmöglich benehmen konnte. Sie waren momentan das Gesprächsthema Nummer eins und das nicht nur wegen ihrer sportlichen Leistungen.

„Ähm..mir ist die Butter in die Schüssel gefallen und-"

„Wie das denn?", skeptisch sah er zum Buffet. Zugegeben, dass die Butterschüssel circa 5 Meter weit weg seiner sonstigen Route stand, die Peter natürlich bestens kannte, war seiner Glaubwürdigkeit nicht gerade zuträglich.

Um seine Nervosität etwas zu überspielen rührte er in seinem Tee, während er weitersprach: „Naja, eigentlich war das auch nicht ich, sondern Daniel... Und ich konnte sie ja unmöglich mit der ganzen Milch zurücklegen... Willst du sie?", zuvorkommend hielt er sie seinem Bruder entgegen und hoffte, dass er es einfach auf sich beruhen lassen würde.

„Daniel?"

Natürlich konnte er es nicht dabei belassen. Wie hatte er das auch nur annehmen können? Aber er konnte ihm auch unmöglich die Wahrheit sagen. Viel zu peinlich. „Jaaaa, wir sind äh... haben uns angerempelt und dabei..."

„...ist die Butter von seinem Teller in deine Schüssel gesprungen?!? Echt, du bist unmöglich!", schimpfte Peter.

Was sollte das jetzt wieder? Wieso war Peter auf ihn sauer, wenn doch alles die Schuld des Norwegers war? Wenn man es genau nahm, dann war Peter sogar selbst Schuld! Und Goran natürlich. Wer hatte denn unbedingt darauf bestehen müssen, dass er unbedingt pünktlich zum Frühstück erschien? Er sicher nicht. Außerdem sollte Peter sich mal besser mit seinen eigenen Problemen befassen, die waren momentan schließlich auch ohne ihn zahlreich vorhanden.

„Was ist eigentlich jetzt schon wieder dein Problem?", zischte Domen, während ihm all das durch den Kopf schoss. Seine Nerven waren an diesem Morgen schon stark strapaziert worden und einen Anpfiff seines ach so perfekten Bruders konnte er jetzt wirklich nicht noch ertragen.

„Mein Problem ist, dass du dich immer so aufführen musst, wie der unreifste Mensch auf der Welt. Du wirfst ein schlechtes Licht auf uns", warf Peter ihm wütend vor, während ihre kleine Auseinandersetzung begann Aufmerksamkeit zu erregen. Und das obwohl Peter seine Antwort fast schon geflüstert hatte. Aber alles an seiner Mimik und Gestik verriet, dass er wegen irgendetwas verärgert war. Und das allein war schon eine kleine Sensation, den sonst so ausgeglichen wirkenden Peter Prevc einmal in der Öffentlichkeit wütend zu sehen. Von den Nachbartischen aus warf man ihnen schon neugierige Blicke zu, die nicht ganz so unauffällig waren, wie die Urheber vielleicht dachten.

„Ich mach doch gar nichts!", brauste Domen auf und hob dabei seine Stimme, was ihnen noch mehr Interesse einbrachte.

„Jetzt schrei nicht so rum. Vergiss einfach, was ich gesagt habe", ruderte Peter schnell zurück und sah sich unangenehm berührt um. „Warte, ich hole mir noch einen Teller", setzte er schnell hinterher und eilte genervt in Richtung des Buffets und vereitelte so jede weiteren Widerworte, die Domen, trotz der frühen Uhrzeit, schon äußerst zahlreich und qualitativ hochwertig auf der Zunge gelegen hatten.

Grimmig fischte er seine Butter erneut aus der Milch, als Peter sich wieder auf dem Weg zu ihrem Tisch befand und gab sie ihm, gerade als die Norweger an ihnen vorbei zurück auf ihr Zimmer gingen. Sein Blick blieb an Daniel hängen, der ihn ebenfalls ansah und verschmitzt lächelte. Einen kurzen irgendwie doch ewig dauernden Moment verhakten sich ihre Blicke.

Dann schaltete sich Domens Gehirn wieder ein und er registrierte, was Daniel da gerade sah, beziehungsweise eigentlich ja nicht sah: nämlich ihn, wie er gerade dabei war, sein slowenisches Buttermüsli zu genießen. Entschlossen sich keine Schwäche zu erlauben, zwang er sich Daniel weiter direkt in die Augen zu sehen, als wolle er ihn geradezu herausfordern etwas zu sagen. Doch stattdessen verbreiterte sich der Mundwinkel des Norwegers, der in schallendes Gelächter ausbrach.

Dabei bemerkte er die Blicke seines Bruders nicht, der überrascht zwischen beiden hin und her sah.

„Hallo? Erde an Domen", versuchte er, die Aufmerksamkeit seines jüngeren Bruders wieder zu erlangen und wedelte mit seiner Hand vor dessen Gesicht herum, als er sich zurück an den Tisch setzte. Den Teller beladen mit seinem Frühstück und Domens Butter. Was hatte das zu bedeuten?

„Was?! Was ist diesmal? Was habe ich deiner erlesenen Meinung nach schon wieder falsch gemacht?!", brach es aus ihm heraus und er begann, in Windeseile sein Müsli in sich hinein zu schaufeln, die Hand fest um den Stiel gekrallt, der in Domens Fantasie Peters Hals war. Das war einfach nicht seine Tageszeit. Nicht einmal annähernd. Er musste dringend hier raus. Vor allem weg von seinem Bruder. Und Daniel aus dem Weg gehen, bis er ihn daran erinnern konnte, wer hier der Boss im Skisprungzirkus war. Dazu musste er allerdings noch bis heute Nachmittag warten, denn erst da würde die Qualifikation für den morgigen Wettkampf stattfinden. Wäre er doch nur so wie sonst auch zu spät gekommen, dann würde er jetzt gemütlich in seinem Bett liegen, hätte kein peinliches Butterfiasko erlebt und er hätte seine Ruhe vor Peter und seinem Stock im Arsch gehabt.

„Jetzt krieg dich mal wieder ein, wollte nur fragen, ob du auch daran denkst, dass um halb zehn Abfahrt in die Trainingshalle ist", sagte Peter Augen rollend und widmete sich seinem Frühstück. Okay, das war nicht ganz die Wahrheit. Eigentlich hatte er seinen Bruder fragen wollen, was dieser mit dem Norweger zu schaffen hatte, doch gerade in diesem Moment hatte er Jurij und Jernej durch die Tür kommen sehen und beschlossen, das Thema erst einmal ruhen zu lassen. Er hatte schon länger das Gefühl, dass sie sich irgendwie komisch verhielten. Nicht immer, aber manchmal hatte er den Eindruck, dass da... ja was eigentlich? Er konnte es selbst nicht so genau sagen. Es waren nur die seltenen Momente wie dieser, die ihn aufhorchen ließen. Die ihn glauben ließen, dass da etwas nicht stimmte. Oder zumindest anders war.

„Ich bin nicht dement, Peter", antwortete Domen schroff und stopfte sich mit Nachdruck einen weiteren Löffel in den Mund.

„Ach, tatsächlich? Ist das jetzt ärztlich bestätigt? Sind die sich da wirklich sicher?", setzte sich Jurij neben Peter, der den letzten Teil ihres Gesprächs offenbar aufgeschnappt hatte, und wuschelte Domen durch die Haare.

„Lass das!", schlug er die Hand weg und richtete seine Frisur wieder, so gut es eben ging ohne Spiegel. Noch so etwas das er hasste. Wieder hatte er das Gefühl von allen wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Außerdem würde er sich gleich mit den Leuten vom Fernsehen treffen und da wollte er nicht aussehen, als wüsste er nicht wie man Kamm auch nur buchstabiert.

„Uh, da hat aber jemand schlechte Laune", kommentierte Jernej trocken, bevor auch er sich seinem Frühstück zuwandte.

„Das ist in der Pubertät so, weißt du doch", sagte Jurij mit einem Zwinkern und biss herzhaft in sein Wurstbrot.

Domen, der schon genervt genug an diesem Morgen war, hatte keine Lust sich diesen ganzen Quatsch weiter anzuhören, stand mit einem Ruck auf und verließ wortlos den Frühstücksraum.

Etwas ratlos blickten die anderen ihm hinterher. „Was hat er denn?", fragte Jurij etwas ratlos und Jernej zuckte mit den Schultern. „Ist vielleicht nur mit dem falschen Bein aufgestanden?", schlug er vor.

„Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass er überhaupt so früh aufgestanden ist?", setzte Jurij noch einen drauf und beide verfielen in einträchtiges Gelächter.

Nur Peter starrte seinem Bruder stirnrunzelnd hinterher. Vielleicht stimmte ja tatsächlich etwas nicht. Vielleicht war der ganze Erfolg der letzten Wochen, die hohen Erwartungen, die man an ihn richtete und der ganze Rummel um seine Person doch ein wenig viel für ihn. Er wusste nur zu gut, was da alles auf einen niederprasselte. Er hatte es schließlich selbst erlebt.
Vielleicht sollte er noch einmal mit ihm reden. Eigentlich war ihr Verhältnis nicht so eng.
Sicher, sie waren Brüder, aber irgendwie war doch immer jeder seinen eigenen Weg gegangen. Und dass dieser sich jetzt kreuzte, war ganz und gar nicht einfach.

Domens Laune war an diesem Morgen auf jeden Fall am absoluten Tiefpunkt angelangt. Aber jetzt hatte er keine Zeit sich in Selbstmitleid zu baden. In nicht einmal zehn Minuten würde er sich mit dem Reporter unten in der Eingangshalle treffen. Im Geiste ging er noch einmal mögliche Fragen und potenzielle Antworten durch, während er die Treppen in die Eingangshalle herunterlief. Sicherlich würden sie ihn nach seinen Zielen für die Tournee fragen. Wahrscheinlich auch, was er persönlich von der ihm angetragenen Favoritenrolle hielt und wie er mit dem Druck zurechtkam. Außerdem würde wohl wieder etwas zu seinem Flugstil kommen. Bisher hatte er noch kein Interview gegeben, das nicht früher oder später an diesem Punkt gekommen war.

„Mr Prevc?" Domen drehte sich zu der Stimme um, die ihn soeben angesprochen hatte.

„Ja?"

Vor ihm stand ein etwas älterer Herr in die fünfzig mit einer Halbglatze und dicker Hornbrille, der ihm die Hand reichte. „Freut mich außerordentlich ihre Bekanntschaft zu machen. Mein Name ist Paul Thiessen und ich werde heute das Interview für RTV Slovenija mit Ihnen machen."

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite", erwiderte Domen freundlich und folgte Thiessen in ein Konferenzzimmer, wo sie schon vom Kameramann erwartet wurden. Domen kannte Thiessen ganz gut. Er war in Slowenien ein angesagter Sportreporter und verstand etwas von seinem Fach. Im letzten Jahr hatte er mehrere Interviews mit Peter geführt und Domen hatte ihn heimlich darum beneidet. Er konnte es kaum erwarten, mit ihm über seine Pläne für die Zukunft zu sprechen.

Lässig setzte er sich auf den für ihn vorgesehen Stuhl, ließ sich von der Maske noch ein wenig abpudern und dann konnte es auch schon losgehen. Voller Erwartung sah Domen Thiessen an, der sich ein letztes Mal überzeugte, dass seine Krawatte richtig saß.

„Meine Damen und Herren, es ist mir eine große Freude, dass wir ihn heute einmal persönlich bei uns haben: den Überflieger der noch jungen Saison und der jüngste Bruder des Überfliegers der letzten: Domen Prevc. Domen, schön dass du heute Zeit für uns gefunden hast", begrüßte er Domen noch einmal für die Zuschauer.

„Ich freue mich, hier sein zu dürfen", erwiderte Domen mit einem Kopfnicken Richtung Kamera und beschloss, den Hinweis auf seinen Bruder einfach zu ignorieren. Als ob man ihn ohne seine Verwandtschaft zu Peter nicht erkennen würde.

„Domen, du bist in letzter Zeit ziemlich erfolgreich unterwegs gewesen. Das hat viele überrascht. Wie geht es dir damit?", stieg Thiessen in das Interview ein und lehnte sich ein Stück vor.

„Es freut mich natürlich, dass es so gut läuft. Das ist das Ergebnis jahrelangen harten Trainings und es fühlt sich gut an, dafür belohnt zu werden", antwortete er nicht ohne ein wenig Stolz auf sich selbst zu sein. Dabei setzte er sich in seinem Stuhl etwas aufrechter hin.

„Aber wird der Druck nicht manchmal ein bisschen viel? Immerhin bist du erst siebzehn Jahre und zählst zum Favoritenkreis für die Vierschanzentournee", bohrte Thiessen weiter und ließ ihn nicht aus den Augen.

Insgeheim ärgerte sich Domen etwas über die Frage. Er wusste nicht, was sein Erfolg mit seinem Alter zu tun haben sollte. Er würde schon nicht heulend zusammenbrechen und nach seiner Mama schreien. „Nein, mich lässt das alles kalt. Mein Kopf ist frei und klar und wenn ich bei der Tournee verliere, dann fahre ich einfach nach Hause. Das macht mir nichts aus", verkündete Domen selbstsicher, während er sich kurz durch die Haare fuhr und seine Jacke öffnete. Es war wirklich warm in diesem Zimmer. Die irritierten Blicke von seinem Gesprächspartner führte Domen dabei auf seine Antwort zurück und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Genau das hatte er sich erhofft.

Dass sein Gesprächspartner damit nicht seine Antwort quittierte, sondern sein zerknittertes Shirt ging völlig an Domen vorbei.

„Wie gehst du damit um, dass du jetzt mit deinen Brüdern in der Mannschaft bist? Ist es nicht schwierig zwischen dir und Peter? Der eine hat Erfolg, der andere nicht? Beeinflusst das eure Leistungen?", fragte Thiessen weiter, etwas taktlos, wie Domen fand.

„Es macht Spaß, mit meinen Brüdern zu springen und ich freue mich natürlich darüber, aber diese Entscheidung, gemeinsam zu springen, haben nicht wir getroffen, sondern der Coach", versuchte er dem letzten Teil der Frage auszuweichen, die er schon aus Prinzip nicht beantworten wollte.

„Dann verrate mir doch mal eins: Was ist das besondere an euch? Ich meine, Peter hat die letzte Saison dominiert, du diese, dein Bruder Cene war sehr erfolgreich im ContiCup unterwegs. Gibt es da ein spezielles Gen in der Familie Prevc?", ließ sein Gegenüber nicht locker.

„Nein, wohl eher nicht. Das Geheimnis des Erfolgs wird immer hartes Training sein. Das kommt nicht einfach von selbst. Wir tragen nur zufällig die gleichen Nachnamen. Aber er ist Peter und ich bin Domen." Mit einer stoischen Ruhe beantwortete Domen diese zum himmelschreiend bescheuerte Frage, sodass sogar Mutter Theresa von seiner Selbstkontrolle beeindruckt gewesen wäre. Viel lieber hätte er sich das Mikro vor ihm geschnappt und Thiessen ins Maul gestopft. Wer hatte sich denn bitte diese Fragen ausgedacht? Und um ehrlich zu sein, kam es ihm langsam so vor, als hätten die das Interview viel lieber mit Peter geführt, statt mit ihm. Dabei sollte es doch um seine Person gehen und nicht schon wieder um seinen Bruder.

Immerhin war er derjenige mit Chancen auf den Tourneeadler.

„Dass du einen noch extremeren Sprungstil hast als dein Bruder, quasi die Version Peter 2.0 bist, wurde schon hinreichend thematisiert in den letzten Wochen. Dein Sprung sieht spektakulär aus und viele halten den Atem an, wenn sie dich sehen. Hast du niemals Angst, dass mal etwas schief gehen könnte?", ließ Thiessen ihn nicht von der Angel.

Scheinbar hatte der ihm die letzten Minuten nicht zugehört. Er war nicht Peter 2.0! Zornig nahm er einen Schluck Wasser aus dem Glas, das vor ihm stand, bevor er noch irgendetwas Dummes von sich geben würde und es um seine Kontrolle geschehen wäre. Mit Nachdruck stellte er es wieder ab, bevor er antwortete: „Angst? Respekt vor der Schanze vielleicht und klar, ein wenig Angst ist auch dabei. Das ist normal. Aber keine echte Angst. Echte Angst führt zu schlechten Sprüngen und davor hab ich wiederrum mehr Angst."

„Okay, dann wünschen wir dir viel Erfolg bei der Tournee und wir bedanken uns, dass du hier warst", verabschiedete sich Thiessen und der Kameramann ließ einen Augenblick später seine Kamera sinken. Endlich war es vorbei, dachte Domen. Das war irgendwie nicht ganz nach seinen Vorstellungen gelaufen.

„Gutes Interview", gab Thiessen ungefragt seine Einschätzung ab und lächelte ihn irgendwie falsch an.

„Danke", brachte Domen trotz allem über die Lippen. „Sind wir dann fertig?" Er wollte weg. Schnell.

„Sicher. Viel Erfolg euch heute", wünschte Thiessen, bevor er sich von ihm abwandte und sich in ein Gespräch mit dem Kameramann vertiefte. "Und richte deinem Bruder viele Grüße aus!"

Alles klar, du mich auch, dachte Domen, nickte aber und sah zu, dass er hier raus kam. Und er musste wirklich dringend hier raus. Irgendwohin und sich abreagieren. Peter, Peter und nochmal Peter. War er denn so viel schlechter als sein Bruder?

Dieser Morgen war von Anfang an verflucht gewesen. Jetzt wusste er wieder, warum er diese Tageszeit am liebsten ausließ.

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So meine Lieben, das war es. An dieser Stelle noch eine kleine Anmerkung: dem ein oder anderen sind vielleicht die Fragen/Antworten im Interview bekannt vorgekommen und ja, tatsächlich: die habe ich für meine Story mal Zweckentwendet ;) Wer also die Interviews der FIS, die von Skijumping.pl und auch ZDF verfolgt, der kennt meine Quellen. ^^ Nur der Vollständigkeit halber.
Und jetzt seid ihr dran, wenn ihr mögt. Sagt mir, was ihr davon haltet. :)

Hello HurricaneWhere stories live. Discover now