32. Daniel - Bischofshofen - Tag der Qualifikation

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Kraftvoll bahnte sich der Wind seinen Weg durch die Atmosphäre. Trieb sein erbarmungsloses Spiel mit den gigantischen grauen Wolkenbergen. Trieb sie an, tauchte unter ihnen hindurch, streifte über sie hinweg. Schneller höher und weiter wirbelte er Schneeflocken umher, die gerade ihr Zuhause verlassen hatten. Ahnungslos und voller Ideale in Richtung Erdboden schwebten, leicht wie Federn in der Dunkelheit versanken und die Erde in stilles dämpfendes Weiß hüllten.

Fernab vom Tal trug der Wind das dumpfe Dröhnen der Zuschauermenge hinauf in den kleinen Wald der dunkel auf dem Berg aufragte. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und versprach eine kalte Nacht. Daniel hatte sein Gesicht nach oben gerichtet, betrachtete die an ihm vorbeiziehenden Wolkenberge von unten. Sah dabei zu, wie kleine zerfranste Wolken unter der dicken Masse vorbeirasten. Streckte die Arme aus und stellte sich vor, wie es wäre mit den Wolken ziehen zu können. Spürte den Wind, der an seinen Armen zerrte, als würde er ihn dazu auffordern, einfach mitzukommen, die Erde unter sich zu lassen. Heuchlerisch versprachen sie ihm die Sorglosigkeit und Leichtigkeit des Seins.

Trotzdem gab Daniel sich diesem Gefühl für einen Moment hin. Schloss die Augen und lauschte dem Wind, wie er sich elegant seinen Weg durch die Bäume bahnte. Heute hatte er den Mund aufgemacht. Es war nichts Weltbewegendes gewesen. Er hatte sich weder geoutet, noch die Ansprache anlässlich des Weltfriedens gehalten. Es waren schlicht ein paar Worte aus seinem Mund gestolpert, mit denen er nicht gerechnet hatte. Die sich anfühlten, als wären sie verbotenerweise ausgebrochen. Erschrocken über die Tatsache, dass sie zu viel Aufmerksamkeit riskiert hatten. Versteinert hatte er gebetet, dass es niemandem auffallen würde. Dass die Jungs sich abwandten und die Sache auf sich beruhen ließen.

Sanft landete eine Schneeflocke auf seiner Wange und riss ihn aus seiner Starre, während sie auf seiner Wange schmolz. Domen war ihm tiefer unter die Haut gegangen, als er jemals gewollt hatte. Noch vor wenigen Wochen hatte er lediglich aus der Ferne von Domen geschwärmt ohne es sich zu gestatten, mehr daraus werden zu lassen. Die kleinen Sticheleien waren die einzige Schwäche gewesen, die er nicht hatte abstellen können. Und dann hatte der Wald angefangen, sie anzuziehen. Hatte sie immer wieder übereinander stolpern lassen und ins Chaos gestürzt.

Und jetzt stand er hier, weil er einen Moment zum Durchatmen brauchte. Weil das Leben ihn gnadenlos weitertrieb.

Was ist jetzt der Plan für Bischofshofen? Wie fühlst du dich Daniel? Hast du noch Fragen? Sie mögen es hier zu springen, richtig? Was würde Ihnen der Sieg bedeuten? Wie liefen die Skier? Welchen Anzug willst du nehmen? Brauchst du vor dem springen noch etwas? Glauben Sie, dass Sie Kamil schlagen können? Hatten sie denn schon Zeit zu realisieren, was gestern passiert ist?

Nein, hatte er nicht. Er hatte es ja noch nicht einmal geschafft zu realisieren, was gerade vor drei Stunden passiert war. Was er getan hatte, weil diese wunderschönen dunkelgrünen Augen mit den vielen braunen Sprenkeln darin ihn bis ins Mark getroffen hatten. Weil sie zu begreifen drohten, dass die Realität grausamer sein konnte, als jeder Albtraum.

Seufzend sah Daniel auf seine Uhr, warf einen letzten sehnsüchtigen Blick zum Horizont, bevor er sich umdrehte und langsam durch die Dunkelheit wieder zurücklief. Bald war er mit seinem Qualifikationssprung dran. Fröstelnd zog er sich seine Kapuze ein Stück tiefer ins Gesicht, lauschte dem Knirschen seiner Schritte, die sich langsam mit den Geräuschen aus dem Springerdorf vermischten. Dem Summen der Wachsmaschinen, dem fast schon rhythmischen dumpfen Schlagen von Bällen, dem hektischen Herumgetrappel seiner Bewohner, den quer miteinander vermengten Gesprächen.

Daniel verlies nur widerwillig die Dunkelheit, die ihm eine kurze Auszeit verschafft hatte und trat wieder mittenhinein ins Chaos. Zuckte zusammen, weil er beinahe mit den Skienden von Simon Ammann kollidiert wäre.

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