37. Domen - Bischofshofen - Tag des Wettkampfes

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Pechschwarze Wolkenberge verdeckten den nachtblauen Himmel. Schemenhaft ragten die Spitzen der hohen Tannen hinter der Schanze von Bischofshofen in die Luft. Wiegten sich leicht im Wind. Ausdruckslos starrte Domen in die Ferne. Zog sich seine Jacke über, um sich vor der Kälte zu schützen, die längst von ihm Besitz ergriffen hatte. Mit seinem letzten Sprung für diese Tournee war sämtliche Anspannung von ihm abgefallen. Jetzt fühlte er sich ausgelaugt. Müde. Allein.

Die Massen hinter ihm tobten. Vor ihm stieß sich Piotr Zyla in die Luft, öffnete seine Skier zu einem sauberen V. Es dröhnte dumpf in seinen Ohren. Jeder einzelne Blick folgte dem Polen nach unten. Begeisterungsstürme folgten, als er die grüne Linie überflog und somit die Führung übernehmen würde. Die Spannung an der Schanze stieg mit jeder Sekunde. Die Tournee würde sich in den nächsten Minuten entscheiden und es gab absolut nichts, was Domen im Moment weniger interessiert hätte.

Alles woran er denken konnte, war, dass es vorbei war. Er sollte erleichtert sein, dass er im letzten Moment erkannt hatte, was für einen Fehler er begangen hatte. Was Daniel beinahe mit ihm gemacht hätte. Aber er war es nicht. Er fühlte sich immer noch gefangen. Bedrängt. Suchte immer noch völlig neben sich stehend nach Antworten.

„Mal wieder spät dran, Butterprinzessin?"

Grinsend starrte Daniel ihm aus der hintersten Ecke des fensterlosen Fahrstuhls entgegen, in den Domen im letzten Moment gesprungen war. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er den Norweger gar nicht gesehen hatte, als er im letzten Moment durch die sich schließenden Türen gehastet war.

„Eigentlich bin ich sogar recht früh", erwiderte Domen unsicher und drehte Daniel den Rücken zu. Starrte auf die silbrige Oberfläche des Aufzugs vor sich, um sich abzulenken. Sein Atem kam ihm in der Stille viel zu laut und aufgeregt vor. Ebenso wie sein Herzschlag. Er spürte Daniels Anwesenheit mit jeder Faser seines Körpers. Genauso gut hätte der Norweger ihn berühren können. Das Kribbeln, das ihm den Rücken herunterlief, wäre dasselbe gewesen. Und er wollte genau das, ebenso sehr wie er es nicht wollte.

Leises Rascheln hinter Domen holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Die verschwommene Spiegelung des fensterlosen Fahrstuhls verriet Domen, dass Daniel nun direkt hinter ihm stand. Angespannt schloss Domen die Augen. Wartete darauf, was passieren würde, unfähig sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, als Daniels warmer Atem ihn am Ohr kitzelte und kleine Schauer durch seinen Körper schickte.

„Pokalzimmer am anderen Ende des Flurs. Direkt gegenüber den Toiletten. In fünf Minuten?", flüsterte er in sein Ohr. Überrascht wandte Domen sich um. „Was? ", flüsterte der Norweger amüsiert. „Du bist eben nicht der einzige, der ab und an auf Abwegen unterwegs ist", öffneten sich die Fahrstuhltüren mit einem Pling. Daniel trat in den Gang hinaus ohne sich ein weiteres Mal umzusehen, ließ Domen verwirrt zurück.

Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Nicht nach dem Volleyballfiasko und dem erneuten Zusammentreffen mit Peter. Trotzdem hatte er eben vor ihm gestanden. Gelöst und irgendwie glücklich. Hatte einen Weg gefunden weiterzumachen, während er immer noch nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Er wusste nur, dass er weiter Zeit mit Daniel verbringen wollte. Und das machte ihm mehr Angst, als er zuzugeben bereit war.

Domen war dabei so in Gedanken versunken, dass er beinahe verpasst hätte aus dem Fahrstuhl auszusteigen. Erst die sich vor seinen Augen schließenden Türen brachten ihn in die Realität zurück. Er stolperte hinaus in den Gang, direkt vor ein überdimensional großes Bild von Stefan Kraft. Triumphierend hielt er den goldenen Adler in die Höhe. Wie sollte Daniel sich auf die Tournee konzentrieren können, wenn er mit den Gedanken woanders war?

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