12. Daniel - Garmisch-Partenkirchen- Tag der Qualifikation

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„Hast du meine Mütze gesehen?", suchend sah Daniel sich in ihrem Container um, der gerade übervoll wirkte. Die Qualifikation war zu Ende und alle packten ihre Sachen zusammen, um schnell zum Hotel zurückzukommen. Sie alle wollten noch ein wenig abschalten vor der kleinen Silvesterfeier am Abend. Schließlich ging es morgen auch schon wieder früh mit der genauen Analyse der Sprünge weiter. Da musste man mit seiner Energie haushalten.

„Wie sieht die denn aus?", wollte Robert wissen, der neben ihm stand und seinen Anzug wieder in den Kleidersack steckte.

„Dunkelgrün. Ich weiß, ich hab sie eingesteckt", kaute er auf seiner Lippe und drehte sich im Kreis. Weit konnte sie eigentlich nicht sein. Rasch warf er einen Blick auf seine Uhr. Er wollte sich gleich mit seiner Mutter treffen. Gemeinsam würden sie ein wenig durch den Ort laufen. Seine Mutter war begeistert, von dem was sie bisher gesehen hatte. Und Daniel hatte nichts dagegen einzuwenden. Schließlich würde er dort einem gewissen Slowenen hervorragend aus dem Weg gehen können, der seinen restlichen Nachmittag ziemlich sicher im Kraftraum des Hotels verbringen würde.

„Ne, sorry, keine Ahnung. Frag doch mal Tom, der ist vorhin hier vorbeigewirbelt und hat alles auf den Kopf gestellt, weil er seine Brille vermisst hat", riet Robert ihm, während er ein paar seiner Sachen anhob, in der Hoffnung, Daniels Mütze zu finden.
„Tom! Hast du ne Mütze gesehen? Dunkelgrün?", rief er quer durch den Raum. Der angesprochene Norweger saß ganz hinten in der Ecke, die Sachen schon fertig gepackt, Kopfhörer im Ohr, die Augen geschlossen. Nur seine Hände, die im Takt Trommelbewegungen nachahmten, verrieten, dass er noch nicht ins Land der Träume gedriftet war.

Ungeduldig durchquerte Daniel den kleinen Raum, als Tom nicht reagierte. Kurzentschlossen zog er ihm die Ohrstöpsel aus den Ohren. Erschrocken zuckte Tom zusammen. „Hey! Was soll das?"

„Hast du meine Mütze gesehen? Dunkelgrün?", fragte Daniel und ignorierte Toms Empörung.

„Dunkelgrün?", plapperte Tom verwirrt nach. Offenbar war er noch nicht wieder in der Realität angekommen.

„Ja, ich will meiner Mutter in Ruhe die Stadt zeigen. Unsere Klamotten fallen da nur auf", antwortete er, zeigte an sich herunter und begann, die Taschen von Tom anzuheben. Vielleicht war sie ja runtergefallen, überlegte Daniel und kniete sich auf den Boden. Er sollte sich etwas beeilen.

„Ohhhh, in Ruhe. Ihr werdet nicht zufällig noch einen Abstecher in den Wald machen?", grinste Tom ihn unschuldig an.

„Ehrlich, ihr seid unmöglich!", rief Daniel kopfschüttelnd aus. Die Tatsache, dass Domen inzwischen vom Waldmädchen gehört hatte, wunderte ihn überhaupt nicht. Wahrscheinlich waren seine liebreizenden Teamkollegen im Springerdorf herumgelaufen und hatten jeden ausgequetscht. Zutrauen würde er es ihnen in jedem Fall.

„Aber wieso?", mischte sich Andreas in das Gespräch der beiden ein, der gegenüber von ihnen gestanden hatte und bis eben noch verträumt auf sein Handy gestarrt hatte, offenbar war ihr Gespräch dann aber doch interessanter. Leider.

„Weil ihr mir nicht zuhört: Es gibt kein Waldmädchen!", versuchte er ihnen klarzumachen und sah an den ihm entgegengrinsenden Gesichtern, dass er keine Chance hatte. Frustriert wandte er sich ab und suchte seine Mütze auf dem Tisch, dabei schob er Andreas unsanft zur Seite. Er hatte jetzt andere Probleme. Warum musste er auch nur so fest entschlossen sein, ihm zu helfen? Warum hatte er überhaupt etwas gesagt? Er hätte es besser wissen müssen.

„Weißt du, du kannst uns viel erzählen, aber wir wissen, dass da was im Busch ist", kicherte Robert über sein Wortspiel.

„Ja, und wir finden, du könntest uns ruhig an deinem Leben teilhaben lassen", bekräftigte Tom mit einem ernsten Nicken. Die hatten wirklich Nerven! Seit wann waren denn bitte alle so interessiert an ihm und seinem Leben? Das war nicht gut. Erhöhte Aufmerksamkeit, bedeutete erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass irgendwer irgendwas bemerken könnte. Das galt für seine Teamkollegen ebenso wie für Domen. Nur konnte er seinen Teamkollegen schlecht aus dem Weg gehen. Das würde mit dem Slowenen schon schwer genug werden, da brauchte er nicht einen Haufen übermütiger Norweger mit denen er über die Hälfte seines Tages verbrachte. Das würden seine Nerven nicht lange durchhalten.

„Ich weiß gar nicht, warum ihr euch beschwert. Ich lasse euch teilhaben. Ihr dürft mit mir meine Mütze suchen", erinnerte Daniel seine Freunde an sein eigentliches Anliegen. Er wollte gern hier weg sein, bevor die Slowenen mit ihrer Mannschaftssitzung fertig waren. Minimierte das Risiko.

„Ich bin ergriffen, von deiner tiefen Freundschaft zu uns. Wirklich, ich könnte mich kaum geehrter fühlen. Das ist, als würdest du uns deine Jacke halten lassen, während du über den roten Teppich stolzierst", sagte Tom und griff sich zu tiefst berührt an sein Herz.

„Jetzt lasst ihn schon in Ruhe. So bekommen wir sowieso nichts aus ihm raus", sprang Anders für ihn in die Bresche und begann demonstrativ zu suchen. „Also, wenn ich eine Mütze wäre, wo würde ich mich verstecken?", begann er laut zu überlegen und erntete damit ein paar Lacher.

Auch die anderen wandten sich laut schnatternd ihrer neuen Mission zu, wenn auch unter dem ein oder anderem Protest und stellten verquere Überlegungen zur psychologischen Struktur der Mütze an. Dankbar stellte sich Daniel an Anders Seite und ignorierte die Bemerkungen der anderen einfach.

„Du weißt schon, dass sie nicht nachgeben werden?", bemerkte Anders und sah auf dem kleinen Schrank nach.

„Irgendwann werden sie das Interesse verlieren. Alles wird irgendwann langweilig", wiegelte Daniel hoffnungsvoll verzweifelt ab. Denn diese Überlegung bezog sich nicht nur auf die Norweger, sondern auch auf den jungen Slowenen. Er hatte sich immer nach mehr Nähe gesehnt, doch irgendwie war ihm das aus der Ferne weitaus verlockender vorgekommen. Jetzt war da diese Unsicherheit, die Gefahr entdeckt zu werden und auf Ablehnung zu stoßen über allem. Er fühlte sich in die Ecke getrieben, mal davon abgesehen, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. Es hieß wohl nicht umsonst, dass man aufpassen sollte, was man sich wünschte.

„Wenn du meinst, aber ich fürchte, so funktioniert das nicht, Daniel. Diese Chaotentruppe liebt dich, die werden nicht einfach lockerlassen, nur weil du mauerst", warnte Anders leise, während Tom lautstark Überlegungen anstellte, ob die Mütze vielleicht eingeschüchtert von Daniels güldenem Haar, das Weite gesucht hatte und nun verängstigt zitternd in einer Ecke auf ihre Einweisung wartete.

„Ich weiß", antwortete Daniel frustriert. Er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Er wusste nur, was er nicht tun konnte. Nicht tun wollte. Und zu diesen Dingen zählte ein Coming-Out vor seinen Freunden und Domen. Vor allem nicht Domen. Er gestand es sich nicht gern ein, aber er hatte viel zu große Angst, vor dessen Reaktion.

„Aber falls es dich interessiert, die Jungs sind nicht die einzigen, die ein unverschämt großes Interesse am Waldmädchen zeigen. Auch ein gewisser Slowene schien mir heute äußerst interessiert", grinste Anders ihm aufmunternd entgegen, der verwundert das Mienenspiel von Daniel bemerkte. Statt die Sonne aufgehen zu sehen, schien sich bei Daniel ein Sturm zusammenzubrauen.

„Das ist mir nicht entgangen", brummte er finster und räumte abermals seinen Rucksack aus. Irgendwo musste diese dämliche Mütze doch sein. Er hatte sie vor ein paar Stunden noch in der Hand gehabt... glaubte er zumindest.

„Okay, jetzt komm ich nicht mehr mit. Wieso entlockt dir das nicht zumindest ein schwaches Lächeln? Das ist doch das, was du willst", ratlos kratzte Anders sich am Kopf. Irgendwas hatte er schon wieder verpasst.

„Gefunden!", schrie Andreas triumphierend zu Daniel herüber, der sich schnell von Anders abwandte.

„Danke, wo war sie denn?"

„In Toms Sprunghelm, aber frag mich nicht, wie sie dort hingekommen ist", antwortete Andreas kopfschüttelnd. Auch Daniel hatte keine wirkliche Erklärung parat. Ganz im Gegensatz zu Tom.

„Na ist doch klar, die Mütze weiß eben, dass es sinnvoller wäre, mein Gesicht zu verstecken. Immerhin kippen die Mädels bei meinem Anblick reihenweise aus den Latschen. Unabhängig davon, dass es bei mir durchaus noch Sinn macht, Gehirnzellen vor dem Erfrieren zu retten, während bei dir, Daniel- Hey! Nein! Lass das!", rannte Tom lachend und kreischend vor seinem Teamkollegen davon, der ebenfalls lachend mit seinem Schal nach ihm schlug auch wenn sein Lachen seine Augen nicht erreichte. Anders stellte heute einfach wieder die unangenehmsten Fragen. Wie sollte er ihm denn auch klarmachen, dass Domen ihn gerade nicht gebrauchen konnte?

„Na, warte! Von wegen Gehirnzellen! Dein IQ unterscheidet sich auch nicht wirklich von der Höhe einer Teppichkante", rief er ihm zu, während er sich an Robert vorbeidrängelte, der den Weg blockierte, als sich die Tür öffnete und ein schriller Pfiff das ausgelassene Treiben beendete.

„Okay, wer mit zum Hotel und nicht laufen will, der finde sich in fünf Minuten mit seinen Sachen am Mannschaftsbus ein. Blödsinn könnt ihr heute noch genug im Hotel machen, aber ich will dieses Jahr keine Beschwerden hören wegen irgendwelcher Verkehrsschilderbedeckender norwegischer Flaggen", ermahnte Alex seine Jungs, bevor er sich wieder zum Gehen wandte.

In Norwegen war es seit jeher Tradition am Neujahrstag sein Haus offiziell zu beflaggen. Da die Springer sich an diesem Tag immer in Deutschland befanden, mit dieser Tradition aber nicht brechen wollten, befestigten sie einfach eine norwegische Flagge an ihrem Hotelzimmerfenster. Dummerweise hatte sich die überdimensional große Flagge von Johann im letzten Jahr selbstständig gemacht und war auf ein Verkehrsschild geflogen, dass direkt an der Hauptstraße zum Springen gestanden hatte und eigentlich über das Parkleitsystem informieren sollte. Damit hatten sie dann, wenn auch unfreiwillig, ein kleines Chaos ausgelöst.

Genauso wie Alex jetzt. Durch ihre gemeinsame Suchaktion hatten sie ein gehöriges Durcheinander veranstaltet und jeder begann hektisch damit, Sachen in Taschen zu stopfen, den Sprunganzug einzutüten oder fieberhaft nach Keilen oder Handys zu suchen. Daniel, der schon fertig mit allem war, schnappte sich seine Tasche und machte den anderen Platz. Anders hatte ihm angeboten, seine Sachen mit ins Hotel zu nehmen.

Unter dem stechenden Blick von Anders verließ er den Container und schleppte alles zum Auto. Als er alles verstaut hatte und sich umdrehte, stand Anders vor ihm, der ihn mit sich in eine ruhige Ecke zog. War klar, dass er das nicht auf sich beruhen lassen konnte. „Das war es doch, was du wolltest?", griff er ihr Gespräch wieder auf und Daniel seufzte.

„Schon, aber irgendwie auch nicht", druckste er herum. „Ich meine, es ist besser, alles so zu belassen, wie es jetzt ist, denn seien wir ehrlich: Das kann nicht gut gehen", murmelte er und versuchte dem verwirrten Gesichtsausdruck von Anders auszuweichen.

„Nein, ich fürchte, wir müssen noch einmal zum Anfang zurück. Du stehst auf Neongrün, kannst die Augen nicht davon lassen - was ich immer noch nicht verstehe... aber das ist ein anderes Thema – und irgendwie dachte ich immer, hinter einer Schwärmerei steckt irgendwie der Wunsch nach naja, Erfüllung... Beziehung... wie auch immer und jetzt sagst du mir, wo doch dein Herzblatt in Grün gerade so etwas wie Interesse entwickelt, dass du das nicht willst?!", fasste Anders seine Erkenntnisse überrascht zusammen.

„Ja", antwortete Daniel knapp und sah sich unwohl um. Er wusste, dass egal was er tat oder sagte, Anders würde er nicht so schnell wieder loswerden. Bei Domen hatte er zumindest die Schwache Hoffnung, dass er ihn mit seinem Verhalten vergrault hatte. Mal unabhängig davon, dass er hoffte Domen tatsächlich geholfen zu haben. Er hatte sich in seiner Panik einfach nicht anders zu helfen gewusst. Auch wenn es ihm weh getan hatte, er war sich sicher, dass es besser für alle Beteiligten war, wenn er den Slowenen in Ruhe ließ.

„Okay... nein, ich verstehe es immer noch nicht", sagte Anders geradeheraus. „Was geht in deinem Kopf vor?"

„Er ist siebzehn, Anders." Seufzend sprach Daniel das aus, was Domen ihm heute Vormittag einmal mehr vor Augen geführt hatte.

„Okay. Siebzehn. Aber das ist er ja nicht erst seit gestern und irgendwann wird daraus auch eine Achtzehn...ehrlich, ich würde mir eher Gedanken um den Dickschädel machen", bemerkte Anders immer noch ein wenig ratlos. Den Altersunterschied, der in seinen Augen nicht so drastisch und entscheidend war, konnte Daniel ja nicht erst heute bemerkt haben.

„Ja, sicher, aber sieh ihn dir doch mal an. Ständig steht er unter Strom, will sich allen Beweisen. Er weiß doch selber noch nicht genau, wo die Reise hingehen soll. Er hat auch ohne mich genügend Probleme. Ich will ihm das nicht auch noch aufhalsen", versuchte Daniel sich zu erklären und dachte an ihre Begegnung am Mittag zurück, Domens Wut und seine Hilflosigkeit.

„Du halst ihm doch nichts auf. Du solltest nicht immer vom Schlimmsten ausgehen. Du hast doch gesehen, wie er dich anschaut und ich fress nen Besen, aber sein Interesse kommt auch nicht von ungefähr. Er braucht nur noch ein bisschen um das Puzzle zusammenzusetzen. Okay, vielleicht auch länger, Denken scheint nicht zu seinen Stärken zu gehören-"

„Hör auf, so zu reden! Siebzehn, Anders. Möchte wetten, da warst du auch noch kein Weltmeister im Denken", schlug er seinem Freund auf die Schulter. Es war ja nicht so, dass er blind für Domens Fehler war, aber ein bisschen mehr Verständnis für den jungen Slowenen konnte Anders schon aufbringen, fand Daniel. „So wie ich das sehe, gibt es zwei Möglichkeiten und keine davon beinhaltet ein Happy End: Beide beginnen damit, dass er irgendwann herausfindet, dass er das Waldmädchen ist: dann wird er entweder verstört das Weite suchen, versuchen die Information zu verdauen und mir eventuell auf mehr oder weniger angenehme Art und Weise sagen, dass er leider auf Frauen steht. Danach wird es so richtig ungemütlich, jedes Mal, wenn wir uns begegnen und im schlimmsten Fall, merken die anderen etwas und dann kommt eins zum anderen. Oder, Möglichkeit Nummer zwei, wesentlich unwahrscheinlicher, so wie ich das einschätze, er entdeckt, dass er doch auf ähm...neongrün steht und gerät so richtig in die Krise und muss mit alldem Scheiß klarkommen, über den ich mir schon mit dreizehn/ vierzehn Gedanken gemacht habe und darf sich noch zusätzlich mit Vorurteilen, dieser nagenden Unsicherheit, die jeden seiner Schritte begleiten wird und vielleicht sogar Ablehnung rumschlagen. Mit all den Kameras rings rum? Das ist kein Spaß und er wird damit nicht gut klarkommen. Und das ist noch ein euphemistisch. Ehrlich du weißt, wie er springt, dass er sein Gefühlsleben nicht vor der Schanze ablegen kann. Und dann wäre ich auch noch Schuld, weil ich ihn dazu gebracht habe, sich überhaupt mit seiner, du weißt schon, auseinanderzusetzen. Ich will keins von beidem. Also halte ich mich zurück und versuche, langsam drüber weg zu kommen und Domen kann sein bisheriges Leben weiterführen."

Sprachlos starrte Anders ihn an. Daniel konnte an den zusammengekniffenen Augen erkennen, dass ihm nichts davon, was er gerade gesagt hatte gefiel. Aber so war es nun mal. Das war die Realität.

„Was ist mit Möglichkeit Nummer drei? Er kann sich damit arrangieren, immerhin hat er ja dich als Stütze und ihr reitet gemeinsam in den Sonnenuntergang?", fragte Anders, der sich einfach nicht mit Daniels finsterer Sicht arrangieren konnte und auch nicht wollte. Daniel hatte es ja noch nicht einmal versucht. Irgendwann war es auch mal Zeit, mit seinem Leben weiterzumachen und etwas zu riskieren.

„Hast du wieder heimlich die Kitschromane deiner Mutter gelesen?", wollte Daniel mit hochgezogener Augenbraue wissen. So naiv konnte Anders doch eigentlich nicht sein.
„Mutter! Was sagt denn deine Mutter dazu?", wollte Anders wissen. Er nahm sich fest vor, ein ernstes Gespräch mit ihr zu führen. Vielleicht konnte sie ja ihrem Sohn den Kopf waschen.

„Anders! Laufen oder fahren?", schrie Robert zu ihnen herüber.

„Komme! Und wir beide, werden das später noch ausdiskutieren. Das ist völliger Blödsinn, was sich da schon wieder in deinem Hirn abspielt. Vielleicht hatte Tom vorhin ja doch recht und die Mütze ist wirklich nur noch zur Zierde da", rief Anders im über die Schulter und lief zum Auto.

Seufzend wandte Daniel sich ab. Er wusste, dass Anders es nur gut meinte, aber er hatte einfach keine Ahnung, wie es war, so zu sein. Damit in ihrer Welt zu leben. Er lief durch das Springerdorf zum VIP-Zelt, wo er seine Mutter fand, die in ein Gespräch mit einem ihrer Techniker vertieft war.

„Ah, Daniel. Ich dachte schon, ich müsste allein gehen", begrüßte sie ihren Sohn mit einem Lächeln. Sie vermisste ihn, wenn er um die Welt reiste, um sich von irgendwelchen Schanzen zu stürzen.

„Niemals. Wollen wir? Bevor die Geschäfte schließen? Ich habe den anderen versprochen, ein paar Luftballons und Zeug zum Bleigießen mitzubringen", erwiderte er ihre Umarmung liebevoll und sie verabschiedeten sich von dem Techniker.

Sie genossen die abendliche Stimmung in Garmisch-Partenkirchen und liefen durch die kleinen Touristenstraßen. Dabei zeigte seine Mutter eine deutliche Begeisterung für die kleinen Souvenirläden. Sie hatte der halben Verwandtschaft versprochen, Postkarten zu schreiben. Und ganz nebenbei konnte sie ihre Begeisterung für die Minerale und Steine aus der Umgebung, die man hier kaufen konnte, nicht verhehlen. Das war etwas für ihre esoterische Ader mit der sie ihn manchmal in den Wahnsinn trieb.

Daniel sog die gelöste Stimmung in sich auf. Er fühlte sich seltsam leicht, denn er war überzeugt, dass seine Entscheidung richtig war. Anders würde das schon noch einsehen. Verstohlen sah er zu seiner Mutter, die sich begeistert ein paar handgeschiedete Amulette ansah und deren Augen vor Freude leuchteten. Er fühlte sich wohl und dafür war er seiner Mutter jeden Tag wieder unendlich dankbar. Ob Domen wohl auch so eine gute Beziehung zu seinen Eltern hatte? Daniel konnte sich seine Eltern beim besten Willen nicht vorstellen. Aber wenn er die drei Brüder miteinander sah, dann konnte er nur erahnen, dass ihre Nerven definitiv Katastrophenerprobt sein mussten.

„Hey, Daniel. Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken?", schmunzelte seine Mutter und strich ihm über die Wange. Ertappt errötete er. „Warum frage ich überhaupt? Ich mag ihn", teilte sie Daniel unvermittelt mit und griff nach einem Schal, der in den schönsten Rottönen leuchtete.

„Hab ich gemerkt", brummte Daniel und wandte sich ab. Vorbei war es mit seiner Leichtigkeit. Es war wirklich schwer, dem Slowenen aus den Weg zu gehen. Irgendwie tauchte er ständig ungefragt auf. „Der Schal ist schön."

„Was quält dich?", besorgt betrachtete sie Daniel, der seine Mütze abnahm, und sich durch die Haare fuhr. Das tat er immer, wenn er nervös oder unsicher war.

„Das ist alles so kompliziert. Ich meine, ich weiß nicht, ob er- und ich will ihm keine Schwierigkeiten verursachen, verstehst du? Es ist besser, auf Abstand zu bleiben", stammelte er herum und wünschte sich, angesichts des sorgenvollen Blickes, den seine Mutter ihm zuwarf, er hätte nichts gesagt. Er wollte auch ihr keine schlaflosen Nächte bereiten. Es reichte, wenn er damit klarkommen musste.

„Aber du verursachst doch nichts! Dazu hast du gar nicht die Macht. Du entscheidest nicht, wie er damit umgeht. Egal ob schwul oder nicht. Herrgott Daniel, du hast genauso ein Recht zu lieben, wen du willst wie alle anderen und solltest dich nicht dafür schuldig fühlen müssen! Was er daraus macht, liegt nicht in deiner Hand. Ich verstehe ja deine Zurückhaltung, aber gib dir nicht für alles die Schuld und fang an, wieder dein Leben zu leben", widersprach seine Mutter ihm entschieden und umarmte ihn. Fest erwiderte er die Umarmung und sog den vertrauten Duft seiner Mutter ein, der ihm sofort ein Gefühl der Geborgenheit gab. Er fragte sich, was er nur ohne sie tun würde. „Versprich es mir, Daniel. Nimm dir das als Vorsatz fürs neue Jahr. Gute Leistungen, Geld oder härteres Training sind so unwichtig. Versuch dein Glück zu finden."

„Ich versuch es, Mom. Aber es ist schwer", gab er traurig zu und brachte nur ein mickriges Lächeln zustande. Besonders da er wusste, dass Domen besser dran war ohne diesen Mist. Alles was er wollte, war, dass es ihm gut ging.

„Weil du allein kämpfst. Lass dir helfen. Anders ist ein guter Freund. Dein ganzes Team steht hinter dir, wenn du sie lässt", sagte seine Mutter fest überzeugt und er fragte sich, woher sie dieses Urvertrauen in die Menschen nahm. Aber vielleicht hatte sie Recht. Vielleicht hatte Domen Recht: Für ihn sollten keine Sonderregeln gelten. Gelten müssen. Wenn er nur die Vergangenheit abschütteln könnte. Einfach vergessen.

„Wo wir gerade beim Team sind: Ich riskiere ihren bedingungslosen Rückhalt definitiv, wenn ich nicht an die Luftschlangen, Luftballons und die Sachen fürs Bleigießen denke. Da drüben scheint es das Zeug zu geben. Willst du mit?", versuchte er äußerst elegant das Thema zu wechseln.

„Lass mal, du weißt, dass ich nicht viel davon halte", winkte seine Mutter ab, die ihn dieses Mal davonkommen ließ und wandte sich wieder dem Stand zu. Sie wusste, wann sie ihrem Sohn seinen Freiraum lassen musste. Letzten Endes konnte sie ihm sein Leben nicht abnehmen, nur mit Rat und Tat beiseite stehen.

„Richtig. Du stehst ja mehr auf den Hardcore-Kräuterhexenkram", neckte er seine Mutter, die sich begeistert über die Sammlung an einheimischen Kräutern beugte und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Er würde das niemandem erzählen, aber zu Hause lebte sie ihren Tick nur zu gern aus und brachte ihm irgendwelche komischen Tees, die angeblich Glück bringen sollten oder brannte irgendwelche Kräuter ab, wenn schlechte Stimmung im Haus war und dafür liebte er sie.

Kopfschüttelnd lief er über die belebte Straße. Man spürte die Vorfreude auf den heutigen Abend. Die letzten Feuerwerkskörper wurde besorgt, man traf sich vergnügt auf eine letzte Tasse Kaffee in diesem Jahr mit Freunden und Familie und genoss die letzten Sonnenstrahlen, die sich am Horizont hielten. Niemand achtete auf ihn in seinen privaten Sachen. Er liebte es, sich ab und an inkognito zu bewegen und nicht mit jedem Schritt den er tat, Autogramme schreiben zu müssen.

Er betrat den Laden, der von oben bis unten mit Krimskrams gefüllt war. Daniel konnte nur eine handvoll Kunden ausmachen, die sich im Laden aufhielten und ruhig durch die nur schwach beleuchteten Gänge schritten. Auch er versuchte, sich ein wenig Orientierung zu verschaffen. Links von ihm befanden sich Hygieneprodukte, gleich danach ein Gang mit Getränken und Lebensmitteln. Also wandte er sich nach rechts. Dort sollte er finden, was er suchte. Hier standen Aufbewahrungsdosen und Boxen in den verschiedensten Formen, Farben und Größen, Kinderspielzeug jeglicher Art, und gleich daneben Dinge für den Haushalt. Daniel runzelte die Stirn: egal wer diesen Laden eingeräumt hatte, hatte kein besonders logisches Konzept verfolgt. Gerade lief Daniel an einem Regal mit Schuhen vorbei, das von einem Regal voller Unterwäsche und Besteck abgelöst wurde.

„Wie soll man bitte hier etwas finden? Ich dachte, wir wären schnell wieder im Hotel? Keiner hat was von einem Irrgarten gesagt", hörte Daniel eine ihm nur allzu vertraute Stimme ungefähr zwei Gänge weiter laut meckern. Wahrscheinlich hatte ihm das Schicksal bei seiner Geburt einen Magneten in den Arsch gepflanzt, der Domen magisch anzog. Anders konnte sich Daniel sein Glück einfach nicht erklären.

„Jetzt hör doch mal auf zu zetern und entspann dich! Wir sind schon noch zurück, bevor der Kraftraum zumacht. Außerdem hast du es mir versprochen!", antwortete eine andere Stimme und Daniel war sich ziemlich sicher, dass sie zu Cene gehörte. Ob Peter seine Brüder begleitet hatte? Wobei, eher unwahrscheinlich. Dann hätte er die Geschwister wohl auch schon viel eher gehört.

„Jaja, aber du musst schon zugeben, dass man das hier auch etwas übersichtlicher hätte gestalten können. Ich meine, wir können froh sein, wenn wir hier vor Mitternacht wieder rausfinden", konnte Domen es sich offenbar nicht verkneifen und Daniel hörte das laute Seufzen von Cene.

„Wieso straft mich das Schicksal gleich mit zwei nervigen Brüdern?" Daniel musste sich ein kleines Lachen verkneifen. Cene schien wirklich schon ziemlich entnervt zu sein und er konnte es sich gut vorstellen, wie nervig Domen auf einer Einkaufstour sein konnte, die er eigentlich nicht hatte machen wollen. Wahrscheinlich hatte der junge Slowene bisher nur gemeckert und Cene aus seinen wunderschönen grünen Augen vorwurfsvoll strafend angesehen. Wie hatte er Domen nur gegen seinen Willen mitschleifen können? Gern wäre Daniel zu den beiden gegangen und hätte mit ihnen gescherzt. Völlig ungezwungen. Doch er rief sich seine Entscheidung in Erinnerung und begnügte sich damit, leise einen Gang weiter zu schleichen, sodass er die beiden Slowenen durch die Regale im Blick hatte. Es war besser so.

„Hey, du wolltest unbedingt noch losziehen und wenn du schon einen Waffenstillstand aushandelst, dann solltest du dich vielleicht auch selbst dran halten", drang Domens Stimme brummig an sein Ohr. Waffenstillstand?

„Weil du dich ja bisher so kooperativ verhalten hast", antwortete Cene trocken und Daniel sah den nächsten Krach in der Familie Prevc schon kommen. Sie steuerten zielsicher darauf zu, wie die Titanic auf den Eisberg.

„Wer ist hier kooperativ?" Überrascht riss Daniel die Augen auf. Das war eindeutig Peter, der da dazugekommen war. Leise schlich er sich noch ein wenig näher an die Geschwister heran.

„Domen hilft mir dabei, herauszufinden, was wir alles heute Abend nicht brauchen. Stell dir vor, beinahe hätte ich statt Luftschlangen Feinrippunterwäsche gekauft", bemerkte Cene und zu Daniels Überraschung begann Peter zu lachen.

„Zumindest könnte dir keiner fehlende Originalität vorwerfen. Das erinnert mich an Nika und ihr Tipi vor ein paar Jahren. Mama war so sauer und Oma erst. Das war mein bestes Ausgehnachthemd, junge Dame", äffte Peter jemanden nach und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht

„Ich hab mich immer gefragt, wozu Oma ein Ausgehnachthemd braucht, wobei ich das vielleicht doch nicht so genau wissen will", stimmte Cene in Peters Lachen ein und durch das Regal hindurch sah Daniel auch ein Lächeln in Domens Gesicht. Es war schön, ihn wieder so zu sehen. Seine Augen leuchteten vor Freude und seine Gesichtszüge wurden viel weicher und erinnerten daran, dass er ein erst siebzehnjähriger Junge war, der eigentlich immer so unbeschwert sein sollte. Offenbar war das ein denkwürdiges Ereignis gewesen, in dem die drei Brüder da glücklich schwelgten. „Und ich weiß bis heute nicht, wie Nika überhaupt auf die Idee gekommen ist."

Aber Daniel hatte da so eine Ahnung, wenn er Domens Gesicht genauer betrachtete. Er zeigte sein Spitzbubengrinsen und hatte so einen wissenden und gleichzeitig unglaublich zufriedenen Ausdruck in den Augen. Das war nicht nur ihm aufgefallen.

„Domen? Du hattest nicht zufällig was damit zu tun, oder?", fragte Peter misstrauisch, dem aufgefallen war, dass sein Bruder verdächtig wenig zur Diskussion beigetragen hatte.

„Ich? Nein! Niemals! Ich würde doch nie-"

„Natürlich nicht. Was hat Oma denn angestellt, dass du aus ihrem Lieblingsnachthemd ein Tipi für Nika bauen musstest?", neugierig sah Peter seinen Bruder an, dem deutliches Misstrauen ins Gesicht geschrieben stand. Offenbar war er nicht sonderlich scharf auf eine weitere Predigt von seinem älteren Bruder. „Hey, wir haben Waffenstillstand, schon vergessen?"

„Ja, und ich bringe euch beide um, wenn ihr unser erstes gemeinsames Silvester seit Jahren sabotiert mit euren ewigen Streitereien", mischte sich nun auch Cene ins Gespräch wieder ein und wedelte drohend mit einem glitzernden Spielzeugzauberstab, der mit rosa Federn geschmückt war und an dessen Spitze sich ein Einhorn befand.

„Sie hat mir mein Skateboard weggenommen und mich gezwungen, meine Hausaufgaben zu machen. Als ich schon fast fertig mit meinem Aufsatz gewesen bin, hat sie ihn genommen und zerrissen, weil sie meine Schrift als Zumutung empfunden hat. Dabei hätte sie nur mal zum Augenarzt gehen müssen", erzählte Domen und noch heute hörte man die Empörung seinerseits deutlich heraus. Leid tat ihm sein Tun auf jeden Fall nicht.

„Und was hast du Nika versprochen, dass sie dichtgehalten hat? Ich meine sie hat dich schon damals geliebt, aber eine wütende Oma zu ertragen, ist schon nicht ohne", fragte Peter seinen Bruder interessiert.

„Pff, von wegen Geschwisterliebe. Ich musste eine Woche ihre Hausaufgaben machen, Nika ist knallhart", erwiderte Domen trocken. Dabei bildete sich eine steile Falte auf seiner Stirn, die wie Daniel inzwischen wusste, nichts Gutes zu bedeuten hatte und sein Blick verfinsterte sich. Er fragte sich, was den Stimmungsumschwung ausgelöst hatte, der den anderen beiden offenbar verborgen blieb.

„Wow, nicht schlecht, trotzdem warst du immer noch besser dran, als sie. Was hat sie zu der Zeit für Hausaufgaben gehabt? Bitte die nächsten zwei Zeilen den Buchstaben a schreiben?", lachte Peter.

„Das kommt so in etwa hin", bestätigte Domen nickend. „Was genau brauchen wir jetzt?", suchend wandte sich der junge Slowene von seinen Geschwistern ab und Daniel sah sich fieberhaft nach einer Fluchtmöglichkeit um. So schnell er konnte versteckte er sich im nächsten Gang und stand zu seiner Überraschung vor einem Korb gefüllt mit Luftschlangen und Luftballons.

„Wir schauen mal vorn bei den Kassen", rief Cene von irgendwoher und Daniel nahm sich zwei Packungen von jedem, als er sich umdrehte und Peter gegenüberstand, der ihn mindestens genauso erstaunt ansah, wie Daniel ihn. „Daniel, so eine Überraschung!"

„Peter! Auch die letzten Einkäufe für Silvester?", brachte der Norweger nervös über die Lippen. Er durfte sich jetzt nicht verraten und Peter hatte immer diesen Röntgenblick, der einem das Gefühl gab, nichts vor ihm verheimlichen zu können. Er hatte nicht gelauscht. Er wusste von nichts. Er hatte nicht gelauscht. Er wusste von nichts, sagte er sich in Gedanken und hoffte, dass Peter seinen schuldbewussten Blick nicht durchschauen würde.

„Ja, Domen und Cene wollen gern anständig Silvester feiern, wie sie es nennen", malte er Gänsefüßchen in die Luft und lächelte dabei. Auch wenn er es vielleicht nicht zugeben wollte, glaubte Daniel, dass Peter sich insgeheim schon darauf freute, Silvester mal wieder mit seinen Brüdern zu verbringen. Trotzdem wirkte Peter auf ihn etwas unsicher.

„Naja, ist doch ganz schön so mit Familie", zuckte Daniel mit den Schultern und versuchte möglichst unbeteiligt zu klingen... „Oder nicht?", fragend sah Daniel den ernsten Slowenen an.

„Ja, schon, aber... ach, nichts", wollte Peter sich abwenden, als Daniel ihn am Arm zurückhielt.

„Aber was? Ich verrate es auch keinem. Auch nicht Domen." Ganz besonders nicht Domen, denn von dem wollte er sich ja fernhalten.

„Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll... ich meine, nein, vergiss es. Ist nicht wichtig. Die Prevc-Geschwister feiern heute zusammen Silvester, das ist wichtig", brummte Peter kraftlos und zerquetschte dabei den Teddy, den er in der Hand hielt.

„Für die Presse vielleicht, aber was ist dir wichtig? Ich meine, ist bestimmt anstrengend sich immer den Erwartungen beugen zu müssen", überlegte Daniel laut und Peter sah ihn überrascht an.

„Ja, aber woher weißt du das? Ich meine, ich will mit ihnen feiern und es ist mir auch wichtig-" –

„Ich wollte dir nichts unterstellen und ich glaube dir, wirklich, aber ich meine wir sind ja nicht doof und das Springerdorf ist, naja, eben ein Dorf", entschuldigend zuckte Daniel mit den Achseln und Peter verstand, was der Norweger ihm sagen wollte.

„Domen und ich, wir haben so unsere Schwierigkeiten. Was ich sagen will, mir fehlt irgendwie der Draht zu ihm. Es hat sich so viel geändert. Ich war so oft weg und früher, da... ich weiß nicht und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich ihn gar nicht mehr kenne. Er lässt sich nichts sagen, reagiert bei jedem Wort von mir genervt und ich, ich komme einfach nicht damit klar, dass wir die Vorzeigebrüder sein sollen, die wir nun mal nicht sind", unglücklich stand der Slowene vor ihm.

„Naja, zumindest seid ihr doch gemeinsam hier", versuchte Daniel ihn ein wenig aufzumuntern. Irgendwie schienen die beiden auf den ersten Blick so ungleichen Geschwister, ganz ähnliche Probleme zu haben.

„Ja, weil Cene ein Machtwort gesprochen hat und ich glaube, er hat irgendwas gegen Domen in der Hand. Kann mir nicht vorstellen, dass er sonst mit dem „perfekten Peter" mitgegangen wäre", sagte Peter verbittert.

„Perfekter Peter? Nette Alliteration. Domens Kreation?", fragte Daniel und konnte sich ein schiefes Lächeln nicht verkneifen, als Peter nickte. Was Spitznamen anging, hatte Domen noch einiges zu lernen. Allerdings glaubte Daniel nicht, dass Cene ihn erpresst hatte. Wenn Domen etwas nicht wollte, dann konnte man ihm nur mit Sprungverbot wirkungsvoll Einhalt gebieten und diese Macht besaß Cene nicht.

„Ich hab einfach keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Irgendwie hat jeder Versuch zu reden immer alles nur noch schlimmer gemacht. Dabei will ich ihm doch nur helfen, uns, aber das geht nicht, wenn er immer so ist, wie er ist", gab Peter zerknirscht zu und Daniel sah ihm an, dass es ihn Überwindung gekostet haben musste.

Trotzdem musste Daniel sich davon abhalten, nicht zu lachen vor lauter Verzweiflung. Das hier war eigentlich so einfach. Beide wünschten sich dasselbe, vom anderen anerkannt zu werden, als eigenständig wahrgenommen zu werden und ein gutes brüderliches Verhältnis. Sie mussten es nur einmal schaffen, sich auszusprechen und schon könnte die Welt wieder besser werden. Wären doch nur alle Probleme so einfach zu lösen.

„Peter nutz doch einfach die Stimmung heute Abend... such das Gespräch. Ohne Skispringen. Frage ihn doch einfach mal, wie es ihm geht und erklär ihm, wie es dir geht. Ich glaube, das wäre ein guter Anfang", schlug Daniel ihm vor.

Peter schüttelte mit dem Kopf. „Das hab ich schon so oft versucht. Sobald ich beteiligt bin, macht er komplett dicht...", nachdenklich sah Peter Daniel an, dem dieser Blick nicht gefiel. „Kannst du nicht mal mit ihm reden? Ihr scheint euch ja gut zu verstehen, auf dich hört er vielleicht."

„Was?! Ich?! Nein, keine gute Idee", lehnte Daniel hastig ab. Das wäre die schlechteste Idee überhaupt.

„Peter! Wir haben die Raketen gefunden! Los, komm vor!", schrie Cene nach seinem Bruder.

„Bin gleich da!", antwortete er laut und wandte sich Daniel wieder zu. „Bitte! Wenigstens einen Versuch, du würdest uns wirklich helfen!", flehte Peter. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

Der Norweger fuhr sich durch die Haare. Er wusste, dass Domen das Verhältnis zu seinem Bruder belastete. Peter würde Domen helfen. Könnte Domen eine Stütze sein, wenn er endlich seinen Dickschädel ablegte.

Dann müsste er sich nicht mehr die ganze Zeit Gedanken um den jungen Slowenen machen und ihm würde es leichter fallen, sich fernzuhalten, wenn er wusste, dass Domen gut aufgehoben war. Eigentlich klang das nach einem ziemlich solidem Plan. In der Theorie, doch was die Praxis anbelangte, war Daniel sich gar nicht so sicher.

Doch seine Vernunft konnte abwägen, was sie wollte. Er wusste, er würde es nicht schaffen sich herauszuhalten, wenn er die Möglichkeit besaß Domen zu helfen. Und auch wenn er darüber nur Vermutungen anstellen konnte, glaubte er schon, dass er zumindest einen kleinen Anteil daran besaß, dass Domen überhaupt mit den Geschwistern mitgegangen war. Und Cene und Peter waren offensichtlich mit ihrem Latein am Ende.

Gequält sah Daniel zu Peter. Er hatte die gleichen Augen wie sein jüngster Bruder, die ihn hoffnungsvoll musterten. „Ich versuchs, aber ich kann nichts versprechen", nickte er wider besseren Wissens. Aber zuerst würde er sich etwas einfallen lassen müssen, wie er Domen von seiner fixen Waldidee wieder wegbekam.

„Danke, wirklich!", klopfte Peter ihm auf die Schulter, bevor er sich abwandte und zu seinen Brüdern lief.

Worauf Daniel sich da nur wieder eingelassen hatte? Wobei eigentlich wusste er das schon. Auf die nächste Katastrophe natürlich. Wie sonst sollte das alles enden?

Hello HurricaneWhere stories live. Discover now