14. Daniel - Garmisch-Partenkirchen - Tag der Qualifikation

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„Ich habe gefragt, ob sie das bei deinen Freundinnen auch so macht", neugierig sah Domen ihn an und Daniel konnte nur gelähmt zurückstarren und ließ, als hätten seine Lebensgeister ihn verlassen, das Hemd, dass er Domen für seinen Bruder herausgesucht und vor die Nase gehalten hatte, kraftlos sinken. Das Wort Freundinnen schwebte unangenehm bedrohlich im Raum und produzierte ein gewaltiges Echo in seinem Kopf. Es ließ einfach jeden anderen Gedanken erstarren. Ganz im Gegensatz zu allem Anderen in seinem Körper. Er hörte seinen schnellen Herzschlag überdeutlich, das Rauschen seines Blutes, spürte wie sein Atem, der vor Schreck kurz ausgesetzt hatte, wiedereinsetzte und eine unauffällige Form der Schnappatmung angenommen hatte. All dies dröhnte durch sein Hirn, während er fast schon verzweifelt einen Ausweg suchte.

Das war genau die Richtung, die das Gespräch nicht nehmen sollte. Seinetwegen konnten sie gern über Geschlechtskrankheiten sprechen. Alles wäre ihm lieber. Nur nicht das. „Das macht sie mit jedem", würgte er schließlich irgendwie so unkonkret wie möglich hervor und betrachtete Domens Mienenspiel. Die Sphinx ließ sich in die Karten schauen und teilte Daniel mit einem unzufriedenen Stirnrunzeln mit, dass er sich eine andere Antwort erhofft hatte. Nur welche Antwort?

„Was ist mit dir?", fragte Daniel nervös und fuhr sich mit seiner Zunge über die trockenen Lippen. Er würde sich nur zu gern freiwillig eingestehen, dass es der Versuch war, herauszufinden, ob es jemanden bedeutsamen in Domens Leben gab. Aber da er ja beschlossen hatte, sich von Domen fern zu halten, galt diese Frage selbstverständlich seiner Familie. Genauer genommen dem Verhalten seiner Familie. Vielleicht war die Mutter des Slowenen ja ebenso abgedreht. Vielleicht hatte sie eine Schwäche fürs äh... stricken?

Angespannt musterte er Domen, der nur ein paar Zentmeter von ihm entfernt stand. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Wie einfach es wäre, die Distanz zwischen ihnen zu überwinden und... Er würde es nicht einmal kommen sehen. Keine Vorwarnung. Nichts. Was ist mit Möglichkeit Nummer drei? Ihr reitet gemeinsam in den Sonnenuntergang?

„Das- ähm...ist nichts. Also, da. Ich meine, nichts zum Erzählen. Im Gegensatz zu anderen Personen im Raum", stotterte der Jüngere vor ihm und zog seine Lippen verstimmt zusammen, die Daniel wahrscheinlich noch nie näher gewesen waren.
Jetzt reiß dich zusammen, Daniel! Abstand! Siebzehn! Du erinnerst dich? Kämpfte sich sein Verstand mühsam wieder an die Oberfläche. „Ach, ich weiß nicht, Butterprinzessin. Seitdem du dabei bist, ist eine Menge Chaos über uns alle hereingebrochen", erklärte er schließlich mit hochgezogener Augenbraue und einem Grinsen im Gesicht, das ihm ein bisschen verrutschte. Weich wurde zusammen mit dem Rest seiner Mimik, ohne dass er das eigentlich gewollt hatte.

„Ich habe keine Ahnung wovon du sprichst Lahmarsch, aber darf ich dich daran erinnern, dass auch du meistens anwesend bist. Ich sage nur: Skier, Eisunfall in der Lobby-"

„Deine Mülltüte, dein Schuh und ich bin mir sicher, wenn ich mehr Zeit habe, fallen mir auch noch ein paar Dinge ein, die ganz eindeutig beweisen, wessen Anwesenheit bedeutend ist", zählte Daniel mit Hilfe seiner Finger auf.

„Es ist mir doch immer wieder eine Freude, dein sonst so langweiliges Leben zu erheitern. Weißt du, nicht deine Mutter, sondern ich sollte Gegenleistung verlangen", grinste Domen ihm entschlossen entgegen, lehnte sich dabei noch ein Stück vor und Daniel wurde heiß.

„Gegenleistung?" Was wollte Domen ihm damit sagen? Angespannt fuhr Daniel sich durch die Haare.

„Gegenleistung, Lahmarsch. Das, was man landläufig unter Bezahlung versteht. Meine bevorzugte Währung: Waldgeschichten, Du weißt schon, denen, denen du so geschickt ausweichst", forderte der jüngere ein und trat noch ein Stück näher an den Norweger heran.

Daniel hätte wissen müssen, wohin der Hase lief und sah seinem Gegenüber tief in die waldgrünen Augen, die umrandet waren von dichten langen Wimpern, die die Farbe von Baumrinde hatten. Hastig wandte er sich ab, bevor Domen ihn wirklich um den Verstand brachte. Er wusste, er war schon auf dem besten Weg dorthin. Es wurde Zeit, dem ganzen einen Riegel vorzuschieben, auch wenn es ihm noch so schwerfiel. „Solltest du Peter nicht sein Hemd bringen?", erinnerte er den Slowenen tonlos an den eigentlichen Grund, warum er hier war und wedelte mit dem Hemd vor dessen Nase.

„Aber ich kann auch einfach wieder anfangen zu raten, was meinst du? Hat doch heute schon so gut geklappt", überging Domen Daniel einfach.

„Da hat gar nichts geklappt! Ich bin einfach nur an einer Wurzel hängengeblieben und du hast eine lebhafte Fantasie. So, und wenn du dann jetzt so freundlich wärst, Peter sein Hemd zu bringen, schließlich hat meine Mutter Recht und Silvester wird auch wegen uns nicht verschoben", lief Daniel panisch zur Tür und öffnete sie demonstrativ. Das war der Wink mit dem Sägewerk, den der Slowene sicher verstand. Sie würden dieses Gespräch nicht weiter vertiefen. Nicht solange er noch einen Funken Kraft besaß, sich dagegen zu wehren. Schließlich würde auch er mit den Konsequenzen leben müssen und nicht der Slowene.

„Sicher bist du das. Weißt du Daniel, ich verstehe dich irgendwie nicht. Wenn andere Hilfe brauchen, bist du der erste der 'Hier' schreit und zur Rettung eilt. Geht es dann mal um dich, dann machst du komplett dicht. Wieso?", stirnrunzelnd war Domen in der Tür direkt vor Daniel stehengeblieben. Das dumpfe Gebläse der Lüftung drang ins Zimmer, doch abgesehen davon schien alles wie ausgestorben. Sie waren wohl die einzigen, die sich noch auf den Zimmern befanden.

„Vielleicht, weil du Gespenster siehst?", fragte Daniel tonlos und wäre gern noch ein Stück weiter zurückgewichen. Allerdings wusste er, wie das ausgesehen hätte.

„Was kann also so gigantischen Ausmaßes sein, dass es auf keinen Fall aus dem Wald kommen soll?", trat Domen an ihn heran und missachtete dabei jeglichen konventionellen Abstand, den man eigentlich zwischen normalen Gesprächspartnern erwarten würde. Aber was war bei ihnen schon normal?

Und gerade als Daniel zu einer weiteren Antwort ansetzen wollte, sah er aus den Augenwinkeln wie Domens Hand sich hob. Was ist mit Möglichkeit Nummer drei? Ihr reitet gemeinsam in den Sonnenuntergang?, schoss es ihm abermals durch den Kopf und gerade als sie sich gefährlich seinem Gesicht näherte, änderte sie die Richtung.
Stattdessen legte der Slowene sie auf seine Schulter. Daniel, bist du wirklich schon so verzweifelt, dass du anfängst, dir dämliche Sachen einzubilden? Die, nebenbei gesagt, besser niemals eintreten sollten?, dachte er verbittert und fühlte sich plötzlich so unendlich alt und kaputt. Wie lange sollte er das noch aushalten?

„Aber egal was es ist, Daniel, die Welt ist nur allein furchteinflößend. Wie hat ein gelegentlich ziemlich weiser, wenn auch noch nicht ganz so alter Mann, zu mir einmal, möglicherweise heute, gesagt? Man sollte sich glücklich schätzen, dass es Menschen gibt, die sich um einen sorgen. Und ich bin da, Daniel. Direkt vor deiner Nase und naja, es liegt nicht unbedingt in meiner Natur, mich zu gedulden und abzuwarten", entschuldigend zuckte er mit den Schultern und hielt ihn weiter mit seinem Blick gefangen. Lähmte den Rest seines Körpers, bis der Slowene beschloss, ihn endlich von der Angel zu lassen und sich abwandte. „Zur Not werde ich dich eben zu deinem Glück zwingen, Lahmarsch und eines Tages wirst du mich küssen wollen, so dankbar wirst du mir sein", verschwand er im Flur und ließ einen verzweifelten Daniel zurück, der in nervöses Lachen ausbrach.

Wenn Domen nur wüsste wie nah sein letzter Satz an des Rätsels Lösung war, aber das würde nie passieren. Niemals. Bis in die Haarspitzen frustriert schlug er die Tür hinter sich zu und verfluchte seine eigenen Ratschläge. Aber wer hätte auch ahnen können, dass Domen sie sich so genau zu Herzen nahm?! Das war so alles nicht geplant gewesen. Er sollte sich mit Peter beschäftigen und nicht mit ihm!

Er zog sich sein mit Eis und Kaffee bekleckertes Hemd aus, zerknüllte und warf es in eine Ecke, danach ging er ins Bad und spritze sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er musste jetzt einen kühlen Kopf bewahren, auch wenn er das Gefühl nicht loswurde, dass sich die Schlinge um seinen Hals immer enger zog. Es war so, wie er Anders vor kurzem gesagt hatte: Ihm gingen langsam sämtliche Energien flöten. Sein Leben wandelte sich gerade in einen einzigen Abwehrkampf und er war das alles einfach so leid.

Schnell schlüpfte er in sein sauberes Hemd und sah zu, dass er zu seinen Teamkollegen kam. Er musste dringend auf andere Gedanken kommen, bevor er noch weiter in dieses tiefschwarze Loch gezogen wurde, aus dem er sich vielleicht nie wieder würde befreien können, wenn er sich noch weiter herunterziehen ließ. Er musste sich ablenken. Versuchen, irgendwie seinen Kurs zu halten, der auf Abstand gerichtet war.

Tief durchatmend betrat er den Speisesaal aus dem ihm schon vom anderen Ende des Flurs fröhliche Stimmen entgegengeschallt waren. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Tisch auf der rechten Seite am anderen Ende des Raumes zu ihm sah, sich aber schnell wieder abwandte.

Auf der linken Seite saßen seine Teamkollegen um den Tisch herum. Alle starrten geschlossen auf Tom, der sich an die Stirnseite gestellt hatte und wild mit den Armen gestikulierte. Alles klar, Alex hatte seine Spielerunde eingeläutet. Das war seit jeher Tradition. Sie begannen den Abend mit einer Runde Pantomime, um die Stimmung ein wenig zu lockern und sich die Zeit zu vertreiben.

Auch an den anderen Tischen herrschte ausgelassenes Treiben. Während die Schweizer es eher ruhig angehen ließen und sich mit einer Partie Poker begnügten, waren die Finnen schon zum allseits beliebten Bleigießen übergegangen. Gerade war Antti an der Reihe, der sein Blei wieder aus dem Wasser fischte. Skeptisch hielt er es gegen das Licht und drehte und wendete seinen unförmigen Klumpen. Zumindest schloss Daniel das aus den ratlosen Blicken der Finnen, die sich schwertaten, irgendetwas zu erkennen.

„Gibt es so etwas wie einen Joker beim Bleigießen? Ihr wisst schon, wie beim Rommé. Man darf sich was aussuchen?", hörte er Jarkko fragen, der sich zweifelnd am Kopf kratzte und dabei seinen Teamkameraden und den finnischen Trainer Andreas Mitter ansah. Beide schüttelten mit den Köpfen.

Daniel lief an ihnen vorbei und passierte den Tisch der Nordamerikaner, die sich gerade ausgelassen über irgendwelche Footballmannschaften stritten.

Lief vorbei an all diesen Menschen, deren größtes Problem es war, sich die Zeit bis Mitternacht irgendwie nett zu vertreiben.

„Daniel! Endlich! Wo hast du nur gesteckt?! Wir sind verloren ohne dich!", sprang Andreas von seinem Stuhl auf und zog ihn unter allgemeinem Beifall zum Tisch.

„Der Großmeister hat sich dazu entschlossen, uns zu erlösen", rief Halvor ihm entgegen und wirkte dabei regelrecht erleichtert.

„Jetzt haltet mal den Ball flach und lasst mich erstmal warm werden", setzte der Norweger ein Grinsen auf und ließ sich auf den einzigen leeren Stuhl zwischen Anders und Robert nieder, der bereitwillig ein bisschen zur Seite rückte, um ihm Platz zu machen. Tom, der seine Ankunft ebenfalls überglücklich aufzunehmen schien, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, kam auf Daniel zu, verbeugte sich einmal tief und gab ihm dabei einen Handkuss, was am ganzen Tisch Gekicher auslöste. Dabei hielt er sich strikt an das Sprechverbot, dass Alex erfolgreich mit der Androhung eines Strafdienstes schon vor Jahren eingeführt hatte. Es kursierten die wildesten Gerüchte über den Ablauf des ersten Spiels, bei denen besonders das Wort Stille eine besondere Stellung einnahm.

„Wow, läuft es doch so schlecht?"

„Du hast ja keine Ahnung!", stöhnte Halvor und schlug die Arme verzweifelt vors Gesicht.

„Eine Ewigkeit steht er schon da. Wahrscheinlich hat er uns bereits Romeo und Julia vorgespielt, ohne dass wir es bemerkt haben", grummelte Robert und nahm einen großen Schluck aus seinem Wasserglas.

Was ist mit Möglichkeit Nummer drei? Ihr reitet gemeinsam in den Sonnenuntergang?

„Und wir wissen ja alle, dass das deinen Horizont weit übersteigt", lachte Andreas und schlug ihm auf die Schulter.

„Und wo wir gerade bei Romeo und Julia sind... Wo hast du denn Domen gelassen?", flüsterte Anders Daniel ins Ohr, dessen Gesicht sich für einen Moment verfinsterte. Wieso kam er ihm jetzt auch noch damit?

„Woher soll ich das wissen?", zischte er abweisend und legte seinen Fokus wieder auf Robert und Andreas. Er wollte den Abend heute doch einfach nur irgendwie genießen und so normal verbringen, wie alle anderen auch. „Also, was haben wir bis jetzt?"

„Zwei Wörter, irgendetwas mit Essen", informierte Halvor ihn, während Tom wieder seinen Platz an der Stirnseite des Tisches einnahm.

Alle konzentrierten sich wieder auf Tom der etwas in die Luft malte, dass die Ausmaße eines Baumes hatte und anschließend mit den Fingern signalisierte, dass das gesuchte äh... schrumpfen konnte?

„Wo bist du gewesen, Daniel?", nutze Anders die Gelegenheit, während Andreas, Halvor und Robert wild irgendwelche Sachen in den Raum riefen, die bei Tom Verzweiflungsgesten auslösten.

„Mich umziehen", antwortete er knapp und sah sich um. Gern würde er ein Glas Wasser oder einen Saft trinken.

„Das weiß ich, deine Ma ist schließlich schon eine ganze Weile zurück. Ganz im Gegensatz zu dir und Domen", ließ er nicht locker und legte dabei einen verheißungsvollen Tonfall an den Tag, der Daniel nicht unbedingt gefiel. Versprich es mir Daniel. Versuch dein Glück zu finden.

„Peter fehlt auch noch. Wahrscheinlich sprechen die sich gerade aus", bemerkte Daniel, der hoffte, Anders so auf andere Gedanken bringen zu können.

„Oder sie bringen sich gegenseitig um... Meinst du nicht, jemand sollte nachsehen gehen?", unschuldig sah Anders ihn an. Daniel wusste ganz genau, was das sollte. Aber dieses Mal würde es schlicht nicht funktionieren. Schließlich wusste er, dass Domen erst vor ein paar Minuten zu seinem Bruder gegangen war.

„Die werden schon klarkommen. Ein Pilz, Tom?", wandte er sich entschlossen von seinem Freund und seinen nicht lockerlassenden Gedanken ab. Er würde das heute nicht weiter diskutieren. Genaugenommen würde er das nie wieder tun.

Tom schüttelte mit dem Kopf und raufte sich die Haare.

„Das hatten wir auch schon. Genauso wie einen Baum, Roberts dämliche Stehlampe, Atompilz, Brokkoli und Blumenkohl", kommentierte Andreas.

„Alex! Was hast du ihm da nur wieder vorgegeben?", rief Daniel amüsiert quer über den Tisch und ignorierte die grimmigen Blicke von Anders.

„Ich wasche meine Hände in Unschuld. Tom wollte eine echte Herausforderung", berichtete ihr Trainer hämisch. Tom, der, immer noch mit dem Schweigegebot belastet war, nickte anerkennend und machte ein Daumenhoch Zeichen in ihre Richtung, als freue er sich über die Aufgabe. Er war lange nicht so gut im Lügen wie er, schoss es Daniel bitter durch den Kopf.

Wieder begann Tom mit seinem Halbkreis und Daniel bläute sich ein weiteres Mal ein, alle anderen Gedanken aus seinem Kopf auszusperren.

„Tom, kannst du es nicht mal anders versuchen. Ehrlich, so kommen wir doch nie weiter!", sagte Halvor resigniert und auf Toms Gesicht machten sich die ersten Anzeichen purer Verzweiflung bemerkbar. Dann schien er auf eine Idee gekommen zu sein und hielt zwei Finger in die Luft.

„Zwei Wörter. Erstes Wort", erkannte Daniel und Tom nickte. Danach begann er irgendwas zu werfen.

„Frisbee?" Kopfschütteln.

„Boomerang?" Erneutes energisches Kopfschütteln, dieses Mal begleitet von einer Hand, die Tom sich selbst an die Stirn klatschte.

„Ich dachte, wir suchen was Essbares?!", kommentierte nun auch Andreas verwundert, als Tom anfing irgendetwas in der Luft zu greifen und dabei vor ihnen hin und her sprang.

„Hampelmann?", rief einer von ihnen in die Runde, doch Tom reagierte nicht einmal und fuhr mit seinem seltsamen Gehopse weiter.

„Also daraus werd ich nicht schlau", teilte Anders der Runde mit, sah aber ausschließlich Daniel an, der unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Und während die anderen lediglich zustimmend nickten, verzog Daniel verärgert das Gesicht. Wieso konnte er es nicht einfach gut sein lassen?

„Du wirst nie aus diesem Spiel schlau, Anders. Deswegen bin ich auch der unangefochtene Champ", antwortete er ihm und richtete seinen Blick wieder auf Anders. Die Botschaft war angekommen, leider schien er sich damit nicht abfinden zu wollen.

„Ach, und deswegen bist du ja auch schon auf die Lösung gekommen. Das muss ich dann jetzt irgendwie verpasst haben", spottete Anders und alle anderen begannen zu lachen.

„Ja, Großmeister der Pantomime. Was ist los? Normalerweise stündest du jetzt schon dort und würdest die nächsten Punkte kassieren", bemerkte auch Robert und drehte sich interessiert zu ihm um.

„Hey, ich bin genauso wie ihr abhängig davon, was Tom da praktiziert und momentan sieht mir das mehr nach Yoga für hyperaktive Menschen aus", verteidigte sich Daniel und sah Tom achselzuckend an. „Sorry, Alter."

„Das ist Spiderman, also ehrlich, ist doch ganz einfach", erklang eine Stimme hinter ihm. Erstaunt drehte sich der gesamte Tisch zu Domen um, neben dem ein nicht minder erstaunter Peter stand und der entschuldigend lächelte.

Stumm taxierten die beiden sich mit Blicken. Und es war ganz und gar nicht einfach. Nichts war so einfach, wie es sich darstellte. Das hatte er inzwischen gelernt.

Versuch dein Glück zu finden.

„Siehst du, Daniel. So einfach ist das!", kicherte Anders neben ihm und nickte Domen anerkennend zu, nachdem Tom seinen Daumen erhoben hatte.

Stirnrunzelnd wandte sich Domen Tom zu. „Hat es ihm die Sprache verschlagen?"
„Nein, wer dran ist unterliegt striktem Redeverbot. Es sei denn, man ist scharf darauf, den anderen für ein Wochenende die Sachen hinterher zu räumen und Koffer zu schleppen", klärte Alex den Slowenen auf, der lediglich nickte. Und seinem Bruder einen Tisch weiter folgte. Daniel beobachtete wie der junge Slowene sich setzte, als ihre Blicke sich abermals kreuzten und Daniel sich schnell wieder abwandte.

„Okay, also Spiderman. Erstes Wort: Spinne... etwas zu essen...", begann Daniel laut zu überlegen und verzog sein Gesicht. Eigentlich wollte er diesen Gedanken nicht weiter verfolgen. Er mochte schon keine Spinnen, wenn sie lebendig waren...aber essen?! Doch wieder machte Tom ihnen einen Strich durch die Rechnung und schüttelte mit dem Kopf.

„Tom, du solltest endlich mal mit deinem Begriff anfangen und nicht so ein Theater drum herummachen! Kann ja nicht so schwer sein!", stöhnte Robert und Tom antwortete mit einem Stinkefinger.

„Nein, das ist eine Art Eselsbrücke, also wie geht es weiter?", gespannt wartete Andreas auf die nächsten Hinweise.

Auch Domen lenkte seine Blicke immer wieder zu ihnen rüber, wie Daniel finster feststellte. Er fühlte sich beobachtet. Angespannt versuchte er Domen im Auge zu behalten. Er hatte ja gar nicht gewusst, dass der Slowene Spaß an so etwas hatte. Und das hatte er wirklich, wie er so dasaß, seinen Oberkörper leicht nach vorn gelehnt, um auch ja keine Geste zu verpassen, die Stirn nachdenklich gerunzelt und seine Augen leicht verengt, als würde dahinter ein messerscharfer Verstand arbeiten. Auf Daniel wirkte es auf jedenfalls absolut hinreißend, ob er wohl auch in der Schule-

„Au!", wütend sah er Anders an, der ihm gegen sein Schienbein getreten hatte. Was sollte das? Wütend starrte er zu Anders.

„Alles klar bei dir, Daniel?", wollte ihr Skitechniker besorgt wissen, der ihm gegenübersaß.

„Nichts, ähm nur eine äh... Mücke?", stotterte Daniel, dem klargeworden war, was er da gerade getan hatte.

„Mitten im Winter!?", fragte nun auch Robert, der Daniel misstrauisch musterte. Peinlich berührt rutschte er auf seinem Stuhl herum. Scheiße, hatte er wirklich gerade Domen vor allen Augen angeschmachtet?

„Naja, weißt du, man schleppt ja inzwischen so viel ein, neulich habe ich tatsächlich einen Bericht über eine Stechmückenart gelesen, die quasi Winterhart. Stammt aus Sibirien, erstaunlich oder?", sprang Anders für ihn in die Bresche.

„Hey, Aufmerksamkeit bitte!", verlangte Halvor von der anderen Seite und zeigte auf Tom, der erst auf sich und dann neben sich die Umrisse einer Person nachzeichnete.

„Spiderman hatte doch garantiert einen Helfer...?", grübelte Daniel vor sich hin. Keine Ablenkungen mehr. Comics waren irgendwie immer an ihm vorbeigegangen.

„Was?! Was hattest du denn für Spiderman Comics? Der hatte doch keinen Helfer. Batman- sicher. Superman, naja, wenn man Lois Lane als solche überhaupt bezeichnen will, aber-", stoppte Robert seinen entrüsteten Monolog, als am Tisch Stille eintrat. Mit hochrotem Kopf sah er die anderen an. „Was denn? Ich hab halt gern Comics gelesen als Kind", verteidigte er seinen Ausbruch.

„Nur als Kind?", fragte Halvor kichernd.

„Schön, vielleicht lese ich sie ab und zu immer noch. Mein Bruder lässt sie ja überall rumliegen", grummelte Robert.

„Ja, und der steckt sie dir auch immer in deine Tasche", verriet Andreas süffisant grinsend und der gesamte Tisch brach in lautes Gelächter aus.

„Okay, also kein Helfer, dann vielleicht... ähm hey, wie heißt Spiderman eigentlich im realen Leben?", überlegte Daniel und Robert stöhnte erneut qualvoll auf. „Parker irgendwas, oder?", fuhr er fort ohne sich von Robert stören zu lassen.

„Ahhhh, noch mehr Unwissende. Peter Parker, merkt euch das. Das gehört doch zum Allgemeinwissen", tadelte Robert immer noch Kopfschüttelnd, während der Rest vor sich hin kicherte und Tom sich vor Begeisterung überschlug und eine eins hochhielt.

„Peter... als etwas Essbares...?", überlegte Halvor laut.

„Was ist mit mir?", kam es vom Nachbartisch und löste lautes Gelächter aus.

„Nichts. Wir suchen ein Wort mit Peter, dass man Essen kann", informierte Andreas ihre Tischnachbarn, den sie gerade aus einem angeregten Gespräch mit Jurij gerissen hatten.

„Vielleicht Peter in Hack? Domens Lieblingsvorst-... äh... gericht?", schlug Cene lachend von gegenüber vor, doch Tom schüttelte nur mit dem Kopf, hockte sich auf dem Boden und schien mit der einen Hand etwas festzuhalten und mit der anderen etwas abzuschneiden. Zumindest hielt er seine Finger eindeutig so, wie eine Schere.

„Petersilie!", rief Domen triumphierend aus, während alle anderen am Tisch stöhnten.

„Meine Güte, hätte ja nicht gedacht, dass wir das heute noch schaffen", entfuhr es Tom überglücklich und er stieß einen erleichterten Seufzer aus. „Daniel!", vorwurfsvoll sah er den blonden Norweger an. „Was ist los mit dir? Das hättest du doch eigentlich innerhalb von Sekunden erraten müssen! Stattdessen stehe ich hier, meine Verzweiflung sekündlich größer werdend und du-"

„Unser Großmeister hat eben seinen Großgroßmeister gefunden", verkündete Anders schnell, der das unangenehme Gefühl hatte, schon zu wissen welche Richtung dieses Gespräch wieder nehmen würde. Unauffällig linste er zu seinem Freund herüber, der stocksteif auf seinem Stuhl saß. Wenn Anders nur wüsste, dass er gar nicht so unrecht hatte.

„Von wegen! Er war mit seinen Gedanken woanders. Im Wald. Hab doch die verträumten seufzend abweichenden Blicke ins Leere gesehen. Konzentration sieht mal anders aus", verkündete er am gesamten Tisch und schlagartig schlug die Stimmung um.

Versprich es mir, Daniel. Versuch dein Glück zu finden. Und was ist mit Möglichkeit Nummer 3? Ihr reitet gemeinsam in den Sonnenuntergang?

Daniel hätte Tom am liebsten umgebracht, während er sich in all den neugierigen Blicken wandt, versuchte seine Gedanken zum Verstummen zu bringen und sich nebenbei gern in Luft aufgelöst hätte. Er wollte doch nur einen ruhigen Abend. Einen! War das etwa zu viel verlangt?!

„Sicher war ich im Wald. Deine Lianenschwinger-Show war ja auch einfach einmalig", zwang Daniel sich zu sagen und brach dabei in ein nicht ganz echt klingendes Gelächter aus. „Davon hätte ich gern ein Video", setzte er hinterher und auch der Rest am Tisch fiel in sein Gelächter mit ein und die Gespräche wandten sich anderen Themen zu.
„Alles klar bei dir?", beugte sich Anders zu ihm herüber.

Zitternd sah Daniel auf die Uhr, einfach nur, um sich irgendwie abzulenken. Schon fast halb zwölf stellte Daniel fest und sah sich um. Wo war eigentlich seine Mutter abgeblieben? Die hatte er seit dem Eisunfall am Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen. Das war absolut untypisch für sie, doch hier im Raum schien sie nirgends zu sein. „Sag mal, hast du meine Mutter irgendwo gesehen?", fragte er Anders und ignorierte die Frage, die er sich auch sicher selbst beantworten konnte.

„Äh...spontan...nein, aber frag mal bei Jarkko nach, da hab ich sie zuletzt gesehen", riet ihm Anders und Daniel hörte es an seinem Tonfall, dass er ihm gern irgendetwas aufmunterndes gesagt hätte. Wahrscheinlich wusste er genauso gut wie Daniel, dass es nichts gab.

Stirnrunzelnd stand er auf und lief zu den Finnen hinüber. „Hey, ähm, entschuldigt die Störung, aber ihr habt nicht zufällig meine Mutter gesehen? Anders meinte-"

„Doch. Die war vor ner Stunde noch hier. Wollte glaube ich zur Bar. Hier sitzt man ja irgendwie auf dem Trockenen", lächelte der Finne ihm entgegen und zeigte auf ihre leeren Gläser.

„Ist mir auch schon aufgefallen", verdrehte Daniel die Augen und blieb dabei an einer gigantischen Bleifigur hängen. „Was habt ihr da gemacht?!" Interessiert beugte er sich über den Tisch.

„Das ist doch eh nur Mist, und erkannt haben wir auch nichts", beschwerte sich Antti und gab dem seltsamen Gebilde einen Schubs, sodass es umfiel.

„Zumindest haben wir, nachdem deine Mutter weg war, nichts mehr erkannt. Und da haben wir gedacht, wir kleben einfach alles aneinander, in der Hoffnung, dass wir danach schlauer sind. Sozusagen die Vorhersage für unser gesamtes Team, aber wenn du mich fragst: ein Siegerpokal sieht anders aus", grummelte Jarkko und entlockte Daniel ein kleines Lächeln.

„Ach, quatsch. Ich glaube bei der rhythmischen Gymnastik sind die immer so länglich", kicherte der Norweger, immer noch nervös, aber sichtlich entspannter. Er mochte die Finnen. Und hier wusste niemand etwas von einem Waldmädchen.

„Aha. Und was heißt das jetzt? Dass wir umsatteln sollten?", stirnrunzelnd hielt er das Gebilde in den Händen.

„Oder einfach nur, dass unsere Pokale eine optische Veränderung brauchen", hielt Antti dagegen. „Was meinst du? So als Trophäe der Vierschanzentournee? Sieht doch äh... hübsch speziell aus."

„Speziell trifft es. Haltet mich auf dem Laufenden! Würde mich interessieren, was Walter dazu sagt", verabschiedete sich Daniel mit einem Zwinkern, als er Domens Blicke, die ihn aus dem Hintergrund trafen, auf sich ruhen spürte und lief den Flur entlang zur Treppe. Noch zwanzig Minuten.

Laute Musik erklang aus dem Barbereich, die begleitet wurde von lautem fröhlichem Stimmengewirr. Jetzt, so kurz vor Mitternacht schien es, als gäbe es nicht einmal mehr einen Stehplatz. Die Bedienungen drängelten sich mit ihren vollbeladenen Tabletts durch die Menge. Kein Wunder, dass keiner mehr daran dachte, nach ihnen zu sehen. Daniel ließ seinen Blick durch die Menge gleiten, als er den hübschen roten Schal über einen Stuhl in einer kleinen Nische gehangen erkannte, den sich seine Mutter heute in der Stadt gekauft hatte. Das konnte doch kein Zufall sein.

Mühsam drängelte er sich durch die Massen. Als er näherkam, erkannte er, dass ein Mann am Tisch saß, den er nicht kannte, der Platz ihm gegenüber war leer. Hatte er sich also doch getäuscht. Und gerade, als er sich umdrehen wollte, bemerkte er seine Mutter, die zielstrebig auf den Platz zuging, dem er gerade hatte den Rücken zukehren wollen und beobachtete wie sie sich lachend zu dem Mann mit den langen braunen Haaren und dem überdimensional großen karierten Schal beugte.

„Was tust du da?"

Erschrocken zuckte er zusammen. Domen hatte sich unbemerkt hinter ihn gestellt und sah ihm neugierig über die Schultern. „Verdammt Butterprinzessin! Was machst du hier!?"

„Naja, also eigentlich wollte ich nur nachsehen, wo Cene mit unserer Flasche Sekt zum Anstoßen bleibt, aber dann habe ich dich gesehen und dann dachte ich mir, dass das irgendwie spannender aussieht... so ganz versteckt im Grünen", plapperte Domen nervös drauf los. Dass das nicht ganz die Wahrheit war, musste der Norweger ja nicht unbedingt erfahren. Aber er hatte sich Sorgen gemacht. Den ganzen Tag über wirkte Daniel schon irgendwie so niedergeschlagen und abgekämpft, auch wenn er sich wirklich bemühte, es zu verstecken. „Und Cene, der mal wieder seinen Ausweis vergessen hat und deswegen mit der Barfrau diskutiert, ist nun wirklich nichts Neues", deutete Domen auf die Bar und tatsächlich stand dort ein recht verzweifelter Cene, der mit aller Kraft auf die Barkeeperin einredete, die nur genervt mit dem Kopf schüttelte und auf das Schild über der Bar deutete. Kein Alkohol für Minderjährige, stand dort geschrieben. „Also, was ist- Hey, ist das da drüben nicht Andrej? Was macht der bei deiner Mutter?", stieß er überrascht aus als er realisierte, wen Daniel da so unverhohlen beobachtet hatte.

„Du kennst den?"

„Ja, das ist uns-", begann Domen zu erzählen, als irgendjemand ihn von hinten anrempelte, sodass er unvorbereitet gegen Daniels Brust fiel. Geistesgegenwärtig fing der den Slowenen auf, der sich schnell aufrappelte, sich empört umdrehte und nach dem Schuldigen suchte, der schon längst wieder in der Menge untergetaucht war, als sich eine gestresste Kellnerin an ihnen vorbeidrängelte.

Daniel starrte seine Hände an, die den jungen Slowenen eben noch berührt hatten und der sich mit funkelnden Augen wieder zu ihm umdrehte. Für einen kurzen Moment fühlte er sich wie in einem Kokon gefangen. Überrascht sah er auf, als Domen ihn an der Hand packte und ihn durch die Menge zog. Völlig von diesem Gefühl hypnotisiert, dass Domens Berührung in ihm auslöste, ließ er sich willenlos zum Ausgang des Hotels ziehen.

Erst die kalte Luft erweckte seinen Verstand wieder und er blieb stehen. „Wo willst du hin? Es ist arschkalt hier draußen!", rief er Domen nach, der schon vor ein paar Sekunden seinen Arm losgelassen hatte und eben um die Ecke verschwunden war.

Schnell lief er dem Slowenen nach, der ihm gar nicht zuzuhören schien. Was tat er hier eigentlich schon wieder?

„Ach was? Wäre mir gar nicht aufgefallen. Darf ich bitten?", grinste er dem Norweger entgegen und öffnete eine Glastür, die in einen Wintergarten führte, der im Dunkeln lag.
„Butterprinzessin, ich bin mir nicht sicher, ob das- Hey, nein, jetzt sei vernünftig!", rief Daniel Domen hinterher, der einfach durch die Tür verschwunden war, ohne ihm weiter zuzuhören. Fluchend folgte er ihm. Drinnen war es warm. Viel wärmer als draußen. Die Luftfeuchtigkeit war viel höher. Er hörte das sanfte Geplätscher eines... Wasserfalls, hätte er beinahe gedacht, aber wahrscheinlich war das nur ein Springbrunnen. Nein, es war sicher nur ein Springbrunnen. Verdammt, er kam sich so vor, als wäre er eben durch den magischen Schrank nach Narnia gestiegen! „Woher kennst du das?", flüsterte Daniel bedächtig und sah nach oben. Hinter der Glasscheibe und den Schatten der Bäume und oder Palmen...dem Grünzeug leuchteten die Sterne und der Mond. Das hier war wie ein verschollenes kleines Paradies. Alles war ruhig, nichts prasselte auf ihn ein. Keiner zerrte an ihm.

„Wir waren im Sommer zum Trainieren schon mal hier. Das hier ist der Spa-Bereich, also der zum sinnlos in der Gegend liegen und entspannen", kommentierte Domen trocken.
„Und du hast nicht sinnlos in der Gegend rumgelegen?", vermutete Daniel und beobachtete wie Domens Silhouette sich langsam auf ihn zubewegte.

„Sinnlos rumliegen gehört nun mal auch nicht wirklich zu meinen Stärken", antwortete der Slowene leise und sofort meldete sich Daniels schlechtes Gewissen wieder. Er war wirklich nicht gut Domen auf Abstand zu halten, schoss es ihm müde durch den Kopf. Daniel schluckte und versuchte die Oberhand gegen seine Gefühle zu bewahren, die ihn dazu verleiten wollten, eine Dummheit zu begehen. „Dafür liebe ich Rätsel", verkündete Domen leise und blieb direkt vor ihm stehen.

„Rätsel?! Verdammt Domen, dann kauf dir ne Zeitung, spiel irgendwelche Computerspiele wie jeder andere auch, aber lass mich zufrieden, denn falls es dir nicht aufgefallen ist, mein Leben ist kein Rätsel!", zischte Daniel verletzt. Wie hatte er nur annehmen können, dass Domen tatsächlich etwas an ihm liegen könnte. Er liebte das Adrenalin, das Abendteuer, das war für ihn von Anfang an klar gewesen, wie hatte er das nur so schnell vergessen können. Wobei, wenn er genauer drüber nachdachte, dann wusste er genau, woran das lag. Gefühle waren doch trügerische Gebilde und wieder einmal war er auf sie hereingefallen. Die Versprechungen, die sie ihm machen wollten. Er lernte es einfach nicht. Wütend auf sich selbst und auf die Welt, drehte er sich um. Er wollte einfach nur weg.

„Nein, ich meine- Scheiße! So war das nicht gemeint! Das- verdammt, Lahmarsch, jetzt warte! Du weißt, dass mir dieses ganze emotionale Zeug nicht liegt! Bitte! Es tut mir leid, okay?", zog er Daniel zurück, den er wirklich verletzt zu haben schien, ohne dass er es gewollt hatte. Domen fühlte sich ungelenk. „Ich versuche nur, ich weiß nicht, dir ein guter Freund zu sein, schätze ich, denn ich glaube, du brauchst einen, auch wenn er sich so dämlich anstellt, wie ich das tue..."

Stumm lauschte Daniel dem Gebrabbel von Domen, die Hand auf der Klinke. Jeder Zeit bereit die Flucht zu ergreifen, genauso wie es sein Verstand ihm riet. Doch er konnte nicht. Festgefroren stand er da, ließ seine Schultern sinken und lauschte Domens tiefer sanfter Stimme, die ihn gegen jede Vernunft hoffen ließ. Doch wie oft, war er von dieser Hoffnung schon enttäuscht worden.

Ich verstehe ja deine Zurückhaltung, aber fang an, wieder dein Leben zu leben.

Was sollte er nur tun? Er war es so satt, dieses Theater zu spielen. Diese Figur in einem Stück, dass sich sein Leben nannte und sich so falsch anfühlte.


„Und okay, vielleicht bin ich auch nicht so selbstlos, wie ich gerade tue. Schon mal drüber nachgedacht, dass auch ich einen Freund brauchen könnte? Und da bietest du dich ja auch irgendwie an, immerhin hast du dich auch schon ungefragt in mein Leben gemischt und... scheiße! Sagst du vielleicht dann heute auch noch was dazu?!", brach Domen ab und wartete angespannt auf irgendeine Reaktion seines Gegenüber. Es war eine beschissene Idee gewesen hier her zu kommen. Er konnte Daniels Mimik nicht deuten.

„Okay", stieß Daniel aus und sah nach draußen. Es hatte angefangen zu schneien. Dicke Flocken segelten sanft zur Erde. Wieso kam er sich nur so vor, als wäre er gerade ohne Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen.

„Okay? Wie okay?"

„Lass uns... Freunde werden, Butterprinzessin", nahm er die Hand von der Klinke und drehte sich langsam um. Er würde es nicht schaffen, Domen auf Abstand zu halten. So würde es vielleicht einfacher werden und wer wusste schon, wohin ihn dies führen würde? Was ist mit Möglichkeit Nummer drei? Ihr reitet gemeinsam in den Sonnenuntergang? Scheiße, er würde Anders umbringen! „Nur, gib mir ein bisschen Zeit, mich daran zu gewöhnen. Ich kann nicht- Ich-"

„Okay, aber ich bin da. Und das meine ich auch so. Egal, was ist", bekräftigte Domen und trat ein Stück näher an die Fenster des Wintergartens. Der Schein der Straßenlampen erleuchtete sein Gesicht und Daniel sah, dass der Slowene lächelte. Ihn ehrlich anlächelte und er konnte nicht verhindern, dass sein Herz in seiner Brust dies registrierte und vor Freude wie wild herum zu hopsen begann. Es war ja so dumm.

In diesem Moment stiegen draußen die ersten Silvesterraketen in den Himmel und explodierten draußen über ihren Köpfen. Überrascht sahen sich die beiden an.
„Dann ähm... frohes neues mein Freund", verlegen sah Domen ihn an. „Scheiße, ich komme mir so vor wie ein Grundschulmädchen, das nervös auf die Antwort ihres geschriebenen Liebesbriefes wartet. Bescheuert was?", hielt er dem Norweger die Hand hin.

...

„Ja... total bescheuert. Dir auch frohes Neues, Butterprinzessin", brachte Daniel mit belegter Stimme über die Lippen, dem bei Domens Aussagen beinahe alle Gesichtszüge entglitten wären, bevor er dessen Hand ergriff und sie sich umarmten. Es war das erste Mal, dass er Domen so nah kam, der sich einfach viel zu gut anfühlte. Schnell ließ er ihn wieder los und stumm sahen sie sich einen weiteren Augenblick an, bevor Domen sich verlegen räusperte: „Ich äh... ja, ich glaube, ich sollte mal nach Peter und Cene sehen... die werden nicht begeistert sein, dass ich das große Anstoßen verpasst habe... Wobei... wahrscheinlich hat es das nicht einmal gegeben...sah ja nicht gerade so aus, als hätte Cene einen Schlag bei der Barkeeperin gehabt."

„Sicher, ähm... ich werde dann auch mal zu meiner Mutter... nachsehen...ähm hey, du hast doch gesagt, du kennst diesen Typen", hielt er Domen zurück.

„Ja, und mir schwant schlimmes- Nein! Oh, man! So meinte ich das nicht", beschwichtigte Domen Daniel, der ihn bestürzt angesehen hatte. „Andrej ist wirklich nett. Unser Mentaltrainer, aber naja, was soll ich sagen... Er steht auf Räucherstäbchen, schwere Arme und Beine, auf Ruhe und wahrscheinlich auch auf Yoga und Auren", warnte Domen ihn grinsend vor, bevor er verschwand.

„Das mit dem Mitleid müssen wir echt noch mal üben, Butterprinzessin!", rief er Domen hinterher, der ihm zuwinkte und zwischen den langsam aus dem Hotel strömenden Menschen verschwand. Unter ihnen konnte er seine Mutter und Anders ausmachen, die ihm lächelnd entgegensahen.

„Frohes Neues, Dany!", zog sie ihn in seine Arme und drückte ihm die Luft aus den Lungen.

„Dir auch Mum", presste er hervor und befreite sich aus ihren Armen. Dann wandte er sich Anders zu, der grinsend neben ihr gestanden hatte und ihn mit diesem unangenehm wissenden Blick ansah.

„Frohes Neues, Anders", wünschte Daniel ihm und konnte es nicht verhindern, dass sich auch auf seinem Gesicht ein Grinsen breitmachte.

„Sieht ganz danach aus, Daniel. Sieht ganz danach aus", flüsterte Anders, während er Daniel umarmte.

Hello HurricaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt