8. Daniel - Oberstdorf - Tag des Wettkampfes

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Hatte er sich verraten? Wusste Domen, dass er in ihn verliebt war? Verwundert stellte Daniel fest, dass ihm gerade nichts gleichgültiger war. Er war wie betäubt. Traurig starrte er in den dunkler werdenden Nachthimmel. Die Sonne war inzwischen kurz vorm Untergehen und die ersten Sterne zeigten sich am Firmament. Bedächtig sog er die klare Bergluft in seine Lunge und war dankbar für den Moment der Stille. Heute war so ein Tag, an dem er gern nachgegeben hätte. Der Verzweiflung, die schon seit dem Mittag drohte, ihn mit sich zu reißen.

Daniel konnte sich einfach nicht entscheiden, was besser war: die Gewissheit, dass seine Gefühle unerwidert bleiben würden oder dieses ständige Wechselbad der Ungewissheit, dass zwischendurch immer mal wieder einen neuen schwachen Keim der Hoffnung in ihn gepflanzt hatte, der nun endgültig unter einer schweren Betondecke begraben lag.

Domens Reaktion auf das schwule Pärchen hatte ihn zutiefst verletzt. Seine entsetzten Blicke hatten sich schmerzhaft tief in sein Innerstes gebrannt. Sicher war er sich jetzt nur in einer Sache: gern würde er sich in sein Bett verkriechen, die Decke über den Kopf ziehen und seinen Emotionen freien Lauf lassen.

Stattdessen würde in nicht einmal einer halben Stunde der erste Wertungsdurchgang die Tournee nun offiziell eröffnen.

Daniel ließ seinen Oberkörper fallen, um seinen Rücken zu dehnen. Wiegte sich hin und her. Wie gern hätte er seine Gefühle für Domen auch einfach so losgelassen. Eigentlich waren es ja schöne Gefühle. So liebevoll, voller Wärme und Herzlichkeit. Nur bei ihm waren sie einfach nicht gut aufgehoben. Für ihn verwandelten sie sich in quälende Schwere, die drohte ihn zu ersticken. Doch er war sich sicher, wenn er sie nur abgeben könnte, in aussichtsreichere Hände, würden sie die Person zur glücklichsten auf der Welt machen. Nur eben ihn nicht.

„Ja, aber lass dich davon nicht nervös machen. Du weißt, dass du es kannst." -

„Das Gleiche gilt aber auch für dich. Deine Sprünge sind schon sooo nah dran an einem Podestplatz."

Gemütlich joggten Andreas Wellinger und Markus Eisenbichler an ihm vorbei, die ihn im Schutz der Dunkelheit nicht bemerkten. Bisher hatte sein kleines Geheimnis, soweit er es beurteilen konnte, jedenfalls nicht die Runde gemacht. Aber klar, wenn Domen schon so reagierte, wenn er ein schwules Paar nur sah, dann würde er es wohl auch in jedem Fall vermeiden wollen, mit ihm in Verbindung gebracht zu werden. So wie er den momentanen Verlauf seines Lebens einschätzte, war Domens Abneigung wahrscheinlich sogar der Grund, weshalb Daniel sein kleines Geheimnis würde behalten können. Es war einfach alles so verdammt unfair!

Sehnsüchtig starrte er den beiden jungen Deutschen hinterher. Warum konnte die Tournee nicht auch für ihn seine größte Sorge sein?!

Betrübt trat er aus dem Gestrüpp wieder zurück auf den Waldweg. Es wurde langsam Zeit wieder ins Springerlager zurückzukehren, wenn er nicht wollte, dass seine Teamkameraden noch misstrauischer wurden. Schon auf der Fahrt zur Schanze hatte er die fragenden Blicke von Anders im Rücken gespürt, als er verkündet hatte, sich lieber allein aufwärmen zu wollen. Er hatte gespürt, wie seine Maske sich auf der Fahrt immer mehr von seinem Gesicht gelöst hatte. Er war ausgelaugt. Es war unendlich anstrengend, tagtäglich seine kleine Scharade aufrechtzuhalten. Aber noch länger würde er sich dem Team nicht entziehen können ohne eine wirklich gute Ausrede.

Seufzend strich er sich seine Haare aus dem Gesicht und lief zurück. Jetzt war nicht die Zeit, um sich weiter Gedanken über seine traurige Gefühlswelt zu machen. Dazu hatte er heute Nacht sicherlich noch genügend Zeit. Jetzt musste er seinen Fokus auf den Wettkampf legen. Funktionieren, die Gedanken abschalten. Das kam Daniel gerade unendlich viel leichter vor, auch wenn er sich dabei seltsam leer fühlte.

„Na endlich beehrt uns Meister Tande auch mal wieder", schrie Andreas durch das halbe Springerdorf und kam mit dem Ball, mit dem er offensichtlich gerade noch mit den anderen gespielt hatte, auf ihn zugelaufen.

„Andreas! Mal wieder am Verlieren?", fragte Daniel mit einem wehmütigen Lächeln, der deutlich die Erleichterung im Gesicht seines Teamkollegen erkannte. Andreas konnte ja ziemlich viel, aber Fußball gehörte nicht unbedingt zu seinen Stärken. Und so wie es aussah, war er gerade gegen Anders und Tom am Verlieren.

„Ich weiß gar nicht, wie du da wieder drauf kommst", stritt Andreas ab und die anderen beiden begannen schallend hinter seinem Rücken zu lachen.

„Von wegen. Die Titanic liegt quasi schon unter Meeresschlamm begraben am Grund des Ozeans, wenn du weißt, was ich meine", berichtete Tom die Misere seines Teamkollegens in den schillerndsten Bildern.

„So schlimm ist es nun auch wieder nicht", wehrte sich Andreas entrüstet. Seine Teamkameraden waren wie immer dabei, maßlos zu übertreiben.

„Stimmt. Es steht jetzt 3 zu 15 für uns und du spielst erst seit fünf Minuten allein gegen uns. Vor Weihnachten stand es da schon drei zu vierundzwanzig. Das ist im Vergleich eine ordentliche Bilanz", analysierte Anders trocken, der ein ziemlicher Zahlenfreak war und noch die Spielstände von vor fünf Wochen genauestens im Kopf hatte.

„Ihr schummelt ja auch am laufendem Band. Ich bin mir sicher, dass ihr irgendwas mit dem Ball gemacht habt!", beschwerte sich Andreas und sah Daniel flehend an. „Bitte! Du musst mir helfen!"

Schwach lächelnd sah Daniel seine Freunde an. Er liebte diese Truppe ohne Zweifel. Doch gerade war er sich nicht sicher, ob er wirklich die Gesellschaft glücklicher Menschen ertragen konnte. Seine Maske wog bleischwer auf seinen Gesichtszügen und drohte, sein ohnehin nur angedeutetes Grinsen in den Abgrund zu ziehen. Um sich ein wenig Zeit zu verschaffen, sah er auf seine Uhr, als er im Hintergrund bemerkte, wie sich die Tür des slowenischen Containers öffnete.

„Ich habe mich entspannt! Ich war quasi schon halbtot, so tiefenentspannt war ich! Kann ich ja nichts dafür, wenn das Teil kaputt ist!", wehte die liebreizend wütende Stimme von Domen Prevc zu ihnen herüber, der die Tür hinter sich ins Schloss knallen ließ und damit die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfes auf sich zog, ohne dass er das groß zu bemerken schien. Zumindest folgten auch die Nordamerikaner und Japaner neugierig der neongrünen Jacke, als gäbe es im gesamten Springerlager nichts Interessanteres.

„Oh, da ist aber mal wieder jemand verstimmt", kicherte Tom und starrte interessiert zum jüngsten Prevc Spross hinüber, der zum Auto der Slowenen marschiert war und dort offensichtlich etwas suchte. Gerade flogen mehrere Taschen aus dem Auto einfach auf den Boden.

Schwermütig musterte Daniel das Schauspiel, dass sich ihm bot. Beobachtete Domens hektische Bewegungen, seinen schlanken Körper, der sich weit in das Auto beugte und alles herauszog, was er zu fassen bekam. Daniel sah Domens Gesicht direkt vor sich: Seine wütenden moosgrünen Augen, die wütende Blitze schleuderten, seine leicht geröteten Wangen, die jedem verrieten, dass sein Puls gerade genauso heftig kochte wie seine Wut und natürlich seine Lippen, die er vor lauter Anspannung zusammenkniff, todsicher um sich davon abzuhalten, nicht weiter zu schreien und die sonst immer ein Grinsen aufsetzten, als könnte er kein Wässerchen trüben und niedliche Grübchen offenbarten.

„Wetten, gleich kommt Peter?", riss Anders Daniel aus seinen Tagträumen wieder zurück in die Realität, als tatsächlich die Containertür der Slowenen erneut aufflog, aber zur Überraschung aller Cene auftauchte, der seine Skier bereits auf dem Rücken hatte und in Richtung des Lifts lief. Ein enttäuschtes Raunen ging durch die kleine Gruppe.

„Ich wette zumindest, dass die Veranstalter die arme Tür da extra verstärkt haben", hielt Mackenzie dagegen, der ein Stück näher an sie herangetreten war.

„Da würde ich nicht widersprechen", lachte Andreas und klopfte dem Kanadier auf die Schulter.

Lachend standen die anderen da, während sie beobachteten wie nun doch Peter seinen Kopf aus der Tür herausstreckte. „Domen! Ich sagte doch, sieh noch mal im Rucksack nach!", rief er seinem Bruder zu und wedelte mit einer grünen Mütze, die Domen offenbar verloren gegangen war und der erschrocken hochfuhr und sich den Kopf am Rahmen des Autos stieß. Fluchend hielt er sich seinen Kopf und als er sich umdrehte, entdeckte er Daniel, der inmitten der Norweger und Nordamerikaner stand.

Einen fast unmerklichen Moment lang, verhakten sich ihre Blicke, bevor Domen sich schnell abwandte, zu seinem Bruder in den Container lief und die Stabilität der Tür erneut einem Belastungstest unterzogen wurde.

So würde das jetzt also laufen. Er würde Daniel ignorieren und aus dem Weg gehen. Das tat weh.

„Also, was ist jetzt mit Fußball?" Erwartungsvoll sah Andreas ihn an und hielt ihm den Ball vor die Nase.

„Nee, ich glaube, heute passe ich", lehnte Daniel ab. Ihm fehlte die Kraft weiterhin so zu tun, als wäre alles in Ordnung.

„Was? Seit wann denn das? Du liebst das doch", erstaunt musterte Tom seinen Freund, der sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich.

„Hab halt heute keine Lust", brummte er und zuckte mit den Achseln.

„Ist alles in Ordnung? Du bist heute irgendwie so... keine Ahnung... still...", fragte Andreas besorgt nach.

Still? Oh nein. Daniel war nicht still. Im Gegenteil. Innerlich schrie er sich gerade die Seele aus dem Leib. „Nur ein bisschen nervös, das ist alles", lächelte er Andreas ruhig entgegen und drehte sich um. Er hoffte, dass Robert und Halvor schon unterwegs zur Schanze waren und er im Container einen Moment der Ruhe finden würde.

„Hey, Daniel! Alles klar vor dem alles entscheidenden Sprung?", fröhlich stand Halvor in der Tür, der noch auf Robert wartete, der sich gerade die Schuhe schnürte.

„Wieso will das heute jeder wissen?!", platze Daniel der Kragen, als sich hinter ihm erneut die Tür öffnete und das restliche Team eintrat.

„Oh, wow! Also wenn du mich fragst, dein Waldtraining hat dir nicht so gutgetan", abwehrend hob Halvor die Hände.

„Halten wir also immer noch an der Geschichte fest? Ich meine, es wäre doch mal an der Zeit, Klartext zu sprechen, meint ihr nicht auch?", warf Tom in die Runde und Daniel versteinerte.

„Was?"

„Ach, komm schon! Du bist in letzter Zeit verdächtig oft im Wald und entweder, kommst du mit einem irgendwie verträumten Grinsen zurück oder wie heute schlecht gelaunt", führte Robert bedeutungsschwanger weiter aus, der sich seine Skier aus dem Regal nahm.

„Aha. Und daraus schließt ihr jetzt was?!", fragte Daniel, dessen Stimme ein paar Oktaven in die Höhe schnellte. Hatte Domen doch etwas gesagt? Doch bevor sie es nicht aussprachen, würde er ihnen nicht den Gefallen tun, irgendetwas zuzugeben. Er wollte doch nur, dass wenigstens etwas so blieb, wie es war. Und zwar genauso! Noch mehr fundamentale Erkenntnisse und möglicherweise weitere Abweisungen würde er nicht vertragen. Nicht heute. Nicht nach Domen.

„Ach komm schon, wir wissen von deinem mysteriösen Waldmädchen", breit grinsten sie ihm entgegen. Bis auf Anders. Anders brach sogar in schallendes Gelächter aus, was ihm erstaunte Blicke einbrachte, die er mit einem winken abtat. Er bemühte sich sichtlich darum, seine Fassung wiederzuerlangen.

„Waldmädchen?!", perplex starrte er seine Freunde an. Er hatte ja vieles erwartet, aber Waldmädchen? Wenn die nur wüssten...

„Wieso sonst, solltest du plötzlich so eine Leidenschaft für den mitteleuropäischen Forst entwickelt haben? Also, was ist los? Gab es etwa Krach im Wald? Hängen die äh... Beziehungsäste schief? Will sie sich nicht mit dir in der Öffentlichkeit blicken lassen?", betont mitfühlend strich Andreas ihm über die Schulter, dessen Augen jedem verrieten, dass er in erster Linie allerdings eines war: nämlich neugierig.

Für Daniel fühlte sich das alles ziemlich unwirklich an. „Es gibt kein Waldmädchen", widersprach er und begann sich an Halvor und Robert zu seinen Sachen vorbeizudrängeln. Wenn es nur eines geben würde, dann wäre alles so viel einfacher!
Auch Tom und Andreas streiften sich ihre Sprunganzüge über, während sie es irgendwie schafften, ihn nicht aus den Augen zu lassen.

Und da sage noch einmal jemand etwas über redselige Waschweiber. Seine Kumpels würden jede mit Bravour und Auszeichnung übertrumpfen. In ihm regte sich ein kleiner Funken Wut, der sich langsam mit seinem Trübsinn zu mischen begann.

„Sicher und Andreas hat ein Angebot vom FC Arsenal, aber das kannst du uns später erzählen, wir müssen nämlich jetzt wirklich los", drängelte Robert und sie ließen Daniel und seine Widerworte einfach stehen. Als er sich umdrehte, um sich seinen Anzug zu schnappen, bemerkte er die Gesichter der anderen drei, die ihm breit entgegengrinsten.

Er wusste, dass er sich jedes weitere Wort auch sparen konnte, sie dachten ja doch, was sie wollten. Er zog seine Joggingjacke aus, die Hose und schlüpfte in seinen Sprunganzug. Ungewöhnlich angespannte Stille machte sich zwischen ihnen breit.

Zumindest empfand Daniel sie so. Als er hochsah, bemerkte er die Blicke, die schnell in eine andere Richtung wechselten.

„Los! Jetzt spuckt es schon aus! Ich seh doch, wie ihr förmlich dran erstickt", gab Daniel dem Funken Ärger nach, der nach Aufmerksamkeit gierte. Er würde sich das früher oder später sowieso alles anhören dürfen. Wieso sollte er es nicht schon jetzt hinter sich bringen.

„Ehrlich, ich bin etwas enttäuscht. Ich meine, wir erzählen dir doch auch immer alles und jetzt machst du so ein großes Geheimnis um dein Waldmädchen... das finde ich echt unfair", platzte es aus Andreas keine Sekunde später heraus. Ohne Zweifel das hatte wirklich in ihm gearbeitet.

„Ich hab euch auch nie drum gebeten", erinnerte Daniel ihn ohne Umschweife, während er seine Schuhe unter der Bank suchte. „Außerdem sag ich es gern noch einmal: Es gibt kein Waldmädchen."

„Jaja. Sicher. Deswegen zerstört auch diese leichte Röte auf deinen Wangen deine vornehme Blässe", lachte Tom, setzte sich seinen Helm auf und holte seine und Andreas Skier. Sie würden fast hintereinander springen, genau wie Daniel und Anders, nur dass sie ungefähr zehn Minuten später an der Reihe sein würden.

„Soll ich es euch vortanzen, dass ihr es versteht?!"

„Lass mal. Du bist nicht der beste Tänzer" –

„Und bevor du uns ausversehen beichtest, eine Beziehung mit deiner Katze zu führen", fiel auch Andreas in Toms Gelächter ein, während sie gemeinsam in bester Stimmung den Raum verließen.

„Jetzt mach dir doch nichts draus. Ist doch okay, auf grün zu stehen", lächelte Anders ihm entgegen und Daniel ließ vor Schreck seine Handschuhe fallen. Domen in seiner neongrünen Jacke tauchte ungefragt vor Daniels geistigem Auge auf.

„Grün?!"

„Naja, du weißt schon. Schönes kraftvoll leuchtendes waldgrün", grinste Anders ihn an. Während er sich in aller Seelenruhe seine Schuhe zuband.

Er glaubte also auch, dass er irgendetwas am Laufen hatte. Er hatte definitiv den Hauptgewinn am heutigen Tag gezogen. Wieder schob sich Domen in seine Gedanken. Gleich würde er ihn wiedersehen. Im Aufwärmraum. Er spürte, wie seine Nerven begannen zu flattern. Er hasste es, dass der junge Slowene so viel Macht über ihn besaß.

„Fertig?"

Nein, dafür würde er wohl nie bereit sein. Tief atmete er durch. Er konnte sich ja schlecht hier drin verkriechen. „Dann lass uns das Ding mal rocken."

Schweigend liefen sie durchs Springerdorf zu den Aufzügen, die sie in den Turm nach oben brachten. Von hier hatten sie eine imposante Aussicht auf die tobenden Massen in der Arena, die schon seit dem Probedurchgang lautstark die Athleten anfeuerten. Die Aufzugtüren öffneten sich und sie traten in den Aufenthaltsraum. Daniel überließ Anders den Vortritt, was sich im Nachhinein als Fehler erwies, da er geradewegs auf die zwei freien Plätze zusteuerte, die sich direkt gegenüber Domen befanden. Reflexartig wollte er Anders aufhalten und hielt ihn am Oberarm fest.

„Was?", drehte Anders sich zu ihm um und Daniel starrte ihn an. Was hätte er ihm auch vor allen anderen sagen sollen? Irgendwie hatte er das nicht bis zum Schluss durchdacht, wie so einiges in den letzten Tagen.

„Ich ähm... hol mir noch ein Wasser. Du auch?", fragte er stattdessen.

„Nee, danke", lehnte er ab und setzte sich. „Domen", nickte Anders dem jungen Slowenen zu, der ohne jegliche Regung auf seinem Platz saß und sein Gesicht durch seine Skibrille verdeckte.

„Anders", kam es knapp zurück, bevor sich alle wieder in Schweigen hüllten. Daniel verbot es sich, seine Augen auch nur in die Nähe des Slowenen zu lenken. Er widmete jeden Fetzen seiner flatterhaften Konzentration, die sich gerade im Kampf mit seinen Gefühlen befand, dem Wasser vor sich, als er sich neben Anders fallenließ. Erleichtert stellte Daniel fest, dass Domen zumindest nicht aufstand und den Platz wechselte.

Genaugenommen hätte ihnen auch eine Statue gegenübersitzen könne, die hätte Daniel vermutlich mehr über ihre Gefühlswelt verraten können. Andererseits sollte vielleicht auch er langsam mal anfangen, sich auf seinen bevorstehenden Sprung zu konzentrieren, dachte er, gerade als von unten begeisterter Jubel zu hören war.

„Passt doch!", durchbrach Markus Eisenbichler die Stille, der etwas versteckt in der Ecke saß.

„Klasse Sprung!", anerkennend nickte auch Anders, dessen Augen auf den Monitor gegenüber geheftet waren.

„War nur noch eine Frage der Zeit, bis der mal wieder einen erwischt", pflichtete Maciej dem Norweger bei und auch Kamil Stoch und Manuel Fettner hatten den Sprung von Wellinger offensichtlich als nicht so schlecht empfunden.

Immer noch zeigte Domen nicht die geringste Regung. Es machte Daniel fertig, dem Slowenen so gegenüber zu sitzen. Zum Greifen nah und doch so fern. Und wer wusste schon, was sich in seinem Kopf gerade abspielte. Musste er sich zusammenreißen, so still Daniel gegenüberzusitzen? Kostete es ihn viel Überwindung? Wusste er es überhaupt? Oder war seine Reaktion einfach nur so drastisch ausgefallen, weil er generell etwas gegen Schwule hatte, aber von ihm nichts ahnte? Was es für Daniel natürlich nicht besser machen würde. Das war einfach zu verkorkst!

Was tat er da überhaupt? Gleich würde er sich eine Schanze hinunterstürzen, die ihn Kopf und Kragen kosten konnte, wenn er nicht zu hundert Prozent konzentriert war und er lamentierte über sein ohnehin niemals erfolgreiches Liebesleben. Er musste jetzt hier raus und anfangen, endlich seine Gefühle in den Griff zu bekommen. Sich davon befreien. Die betäubende Leere mit offenen Armen empfangen.

„Ich bin schon mal draußen. Will noch ein wenig die Atmosphäre aufsaugen", erklärte er Anders, der kurz nickte und Domen nicht aus den Augen ließ.

Draußen atmete Daniel die frische Luft ein. Begab sich in die Anfahrtsposition und begann, seine Imitationsübung. Er leerte seinen Kopf, stopfte alles in einen kleinen imaginären Tresor, was ihn belastete. Wieder brannte von der Menge Applaus zu ihm hoch. Er ließ sich davon nur zu gern anstecken. Er kreiste mit den Hüften, streckte seine Arme und Beine noch einmal. Vielleicht würde er ja eines Tages darüber hinwegkommen, dachte er, als lautes Gepolter an seine Ohren drang.

Das klang ganz so, als hätte jemand sehr viele Skier umgestoßen. Neugierig lief er um die Ecke, wo die Skier der Springer an der Wand lehnten. Oder zumindest gelehnt hatten. Denn nun lagen sie verstreut über den Boden verteilt und Mackenzie stand fluchend inmitten des Chaos'.

„Scheiße! Mist! Wer stellt die denn auch nur so ungünstig an die Wand?!", schimpfte er verzweifelt und lehnte hektisch seine Skier gegen das Geländer, die sich prompt zu den anderen auf den Boden gesellten.

„Warte ich helfe dir!", lief Daniel zu dem Kanadier, der ihn dankbar ansah.

„Oh, je! Entschuldige! Deine waren auch dabei was? Man ich bin mit den Enden irgendwie hängen geblieben und jetzt-"

„Jetzt, musst du zu deinem Sprung! Los, geh schon! Ich mach das hier", unterbrach Daniel ihn mit Blick auf seine Startnummer. Der Kanadier würde in wenigen Minuten mit seinem Sprung dran sein und musste noch zur Materialkontrolle. Würde er hier noch mit aufräumen, dann käme er definitiv zu spät. Der Norweger jedoch hatte noch Zeit, war er doch als letzter in diesem ersten Durchgang an der Reihe.

„Sicher?"

„Jetzt geh schon", schickte er ihn entschieden weg und begann, die Skier wieder an die Wand zu stellen.

„Dafür hast du was gut bei mir!", rief er noch zurück, bevor er um die nächste Ecke verschwand. Fast gleichzeitig öffnete sich die Tür vor ihm und Taku Takeuchi und Domen traten heraus, die ebenfalls bald dran waren.

„Bisschen ungünstiger Zeitpunkt um deiner Mikado Leidenschaft nachzugehen, meinst du nicht?", sagte Domen das erste, was ihm einfiel, als er Daniel am Boden zwischen all den Skiern sah.

Überrascht sah Daniel auf und strich sich dabei eine Strähne, die ihm ins Gesicht gefallen war, beiseite. Das war ja fast ein normales Gespräch. Taxierend sah er zu Domen auf, der es ihm wirklich schwermachte, auch nur irgendeine Regung in seinem Gesicht zu erkennen. Außer seinem Mund, der sich zu einem spöttischen Grinsen verzogen zu haben schien, konnte er keine weitere Regung erkennen.

Es sollte ihm egal sein, wie Domen von ihm dachte. Hatte er nicht noch vor ein paar Minuten erfüllende Leere propagiert? Ihm war wirklich nicht zu helfen. Es machte ihn wütend. Domen machte ihn wütend mit seiner Art sich ständig wieder in seine Gedanken zu schleichen.

„Welche Skier sind deine?", fragte Daniel Taku, der ein bisschen sprachlos hinter Domen stand und ignorierte den Slowenen. Die Japaner hatten eine etwas andere Gesprächskultur und Domens Geradlinigkeit hatte sie schon des Öfteren um Worte verlegen gemacht, auch wenn der Slowene es nicht absichtlich provozierte. Höflichkeit und Zurückhaltung zählten eben nicht unbedingt zu seinen Stärken.

„Ähm, ich springe welche von Fischer. Da müssten japanische Zeichen drauf sein und oben an den Skienden ein kleiner Vogel", antwortete Taku, ließ sich neben Daniel nieder und begann, betreffende Skier zu durchsuchen.

„Warte, ich glaube, ja... das dürfte passen, oder?", zog Daniel ein paar Skier, die ganz zuunterst lagen hervor und veranstaltete einen Höllenlärm dabei.

„Ja, danke. Ähm, ich würde dir ja noch helfen, aber-"

„Kein Problem. Los. Hau schon ab", sagte der Norweger freundlich und sah Domen an, der sich damit abmühte an seine Skier zu kommen. Irgendwie schienen sie sich im Geländer verhakt zu werden.

„Ehrlich jetzt, Tande. Gleich nachdem du deine Gehbehinderung in den Griff bekommen hast, solltest du dein Trampelgen behandeln lassen", stieß er angestrengt zwischen seinen Zähnen hervor. Mit all seinem Gewicht stemmte er sich gegen das Geländer doch nichts rührte sich. Seine verdammten Skier steckten im Geländer fest!

„Jetzt geh mal beiseite und meckere nicht so viel. Versuchs lieber wieder mit deiner Therapie, denn mit Gewalt, bekommst du deine Skier da nicht raus", brummte Daniel und schob Domen einfach beiseite. Die Skier hatten sich zwischen der Halterung des Geländers, der Geländerwand selbst und dem Boden eingekeilt. „Oder mach dich nützlich und stell ein paar der anderen Skier wieder an die Wand."

„Ich darf keine Norweger töten. Ich darf keine Norweger töten", stimmte Domen sein Mantra an. Zu Daniels Überraschung jedoch, begann er tatsächlich nebenbei die restlichen Skier vom Boden aufzulesen.

Währenddessen besah Daniel sich konzentriert das Dilemma, versuchte Domen nicht wieder in seine Gedanken zu lassen und begann die Skier ein wenig zu drehen. Und ganz nebenbei zu beten, dass sie nicht brechen würden, denn so unglaublich stabil, waren Sprungskier dann nun auch nicht.

Im Hintergrund öffnete sich die Tür erneut und die nächsten Athleten traten aus dem Aufwärmraum.

„Herzlich willkommen bei Tandes Sprungskiverleih. Mein Name ist Domen Prevc und ich werde Sie heute bedienen", begrüßte Domen die Neuankömmlinge und Daniel konnte sich förmlich vorstellen, was für einen seltsamen Anblick sie hier boten.

„Ich hätte ja mal nicht gedacht, dass du dich von Daniel rumkommandieren lassen würdest, aber so kann man sich täuschen", antwortete Anders und Daniel hörte das breite Grinsen aus dessen Stimme heraus. Auch die anderen brachen in schallendes Gelächter aus.

Der Norweger zog noch ein letztes Mal an den Skiern, als sie unerwartet nachgaben. Mit einem Ruck flog er nach hinten, direkt vor die Füße des jungen Slowenen, der grinsend auf ihn hinabsah. Jetzt war er sich sicher: Er hatte keine Ahnung von ihm.

„Aber vielleicht ist es ja doch andersherum. Unter uns gesagt Domen, ich glaube du hast ihn in der Hand. Er scheint förmlich auf dich zu fliegen. Liegt dir quasi zu Füßen. Also ich würde mehr Lohn verlangen", plapperte Anders vergnügt weiter, während Kamil, Markus und Jarkko sich kaum noch auf den Beinen halten konnten.

„Sehr witzig Anders", wütend rappelte er sich wieder hoch und drückte Domen seine Skier in die Hand. „Und du solltest dich ein bisschen beeilen", fügte er schroff hinzu und wandte sich ab. Er konnte die Reaktion des jüngsten Prevc-Sprosses heute Vormittag einfach nicht vergessen. Würde er ihn auch so ansehen, wenn er es wüsste? So voller Entsetzen? Oder gar mit Verachtung? Er konnte das nicht einfach ignorieren, auch wenn Domen es ja eigentlich nicht wissen konnte, dass er damit auch ihn traf.

„Wer ist eigentlich verantwortlich für dieses ganze Chaos?", fragte der Finne ihn neugierig, während er seine Skier suchte.

„Mackenzie war da wohl etwas übermotiviert bei der Sache", berichtete Daniel und wich den wachsamen Augen von Anders aus. Wir alle liefen gemeinsam an den Ablauf und verfielen einträchtig in Schweigen. Jeder hatte jetzt mit sich zu tun.

Er ging hunderte Male seinen Ablauf durch, rief sich in Erinnerung, was der Coach gesagt hatte nach dem Probedurchgang. Er sah den anderen dabei zu, wie sie sich vom Bakken stürzten und hörte die Reaktion des Publikums laut und deutlich. Auch den Stadionsprecher, der sich bei den Weiten von Kraft und Stoch, überschlug vor lauter Begeisterung. Es würde also beinhart werden, im Geschäft zu bleiben. Vielleicht war Domen ja endlich der Schlüsselsprung zu dieser Schanze-

Nein! Er würde jetzt bei sich bleiben. Bei seinem Sprung. Alles andere war egal. Er klopfte sich auf die Brust, prüfte die Reißverschlüsse am Anzug, die alle bis obenhin geschlossen sein mussten, stieg in die Skier und rutschte auf den Balken. Visierte den Horizont an. Atmete noch einmal tief aus, und sah zu Alex, der ihn in eben jenem Moment abwinkte. Den Blick starr nach vorn auf den Absprung gerichtet, stieß er sich ab.

Sein Körper, der wie ein Brett in der Luft lag, schaukelte ein wenig hin und her. Er hatte genau wie im Probedurchgang irgendwas am Absprung verpasst. Seinen Körperschwerpunkt nicht richtig über die Skier bekommen. Das hatte er sofort nach den ersten Luftmetern gespürt.

Er landete bei 130 Metern. Die Menge jubelte ihm zu, doch er hörte es schon an der Intensität des Applauses, dass Kamil und Stefan weitergekommen sein mussten. Er bremste seine Geschwindigkeit herunter und kam neben dem Ronan, dem Franzosen und seinem Duellpartner zum Stehen. Höflich klatschten sie sich ab, als Daniels Ergebnis erschien: Nur der neunte Platz.

Er verließ hinter dem Franzosen die Arena, und schlängelte sich als erstes zum Monitor durch, um zu sehen, ob er noch irgendeine Chance nach vorn hatte. Denn unter Umständen hatte er mit diesem einen Sprung seine Tourneehoffnung mit aller Anstrengung begraben.

„Kopf hoch! Für dich ist noch nichts verloren", tauchte Anders an seiner Seite auf, als Daniel seinen Namen auf der Liste fand. Direkt hinter dem von Domen. Natürlich war der Kleine mal wieder besser gesprungen. Aber auch Daniel lag mit seinen 15 Punkten noch nicht hoffnungslos zurück.

„Wie lief es bei dir?", wollte Daniel wissen, scrollte aber im selben Moment schon in der Liste nach unten. Anders 128m hatten immerhin zu Platz 17. gereicht. Zufrieden wandte er sich ab.

„Passabel, würde ich sagen. Mir liegen die größeren Anlagen einfach besser", zuckte er mit den Schultern. Gemeinsam gingen sie zu einer freien Bank, um sich schnell ihre Jacken überzuziehen und aus den unbequemen Sprungschuhen wieder herauszukommen.

Der Rückweg ins Springerlager gestaltete sich mit den Skiern wie immer schwierig. Überall liefen Menschen hektisch hin und her, um Informationen weiterzugeben, Skier neu zu wachsen oder im Fall der Presseleute noch schnell ein Interview zu erhaschen. Man musste immer höllisch aufpassen, nicht doch mal jemanden ausversehen die Skier an den Kopf zu knallen.

Gerade kamen ihre Container in Sicht und schon von Weitem erkannte er Cene, dessen Hand auf der Schulter seines jüngeren Bruders lag und die dieser trotzig abschüttelte.
„Ich brauche dein Mitleid nicht!", hörte Daniel Domen sagen, der sich abwandte und in voller Montur mit hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbeistiefelte ohne auch nur irgendwen eines Blickes zu würdigen. Er hatte wieder seine Skibrille aufgesetzt, seine Schutzmaske, die es unmöglich machte zu erahnen, was gerade sein Problem war.

Stirnrunzelnd blickte Daniel dem jungen Slowenen nach, der eilends in die Wachskabine der Slowenen verschwand. Was da nur wieder passiert war?

„Mach dir mal keine Sorgen, der wird das schon überstehen und nächstes Jahr ist auch wieder Tournee."

Verwundert sah Daniel den älteren Norweger an, der neben ihm stehen geblieben war.

Dabei war er so überrascht von dessen Aussage, dass ihm gar nicht bewusst war, dass er mitten im Springerdorf stand, Domen nicht gerade unauffällig beobachtet hatte und sich nun schon wieder Sorgen um den Jüngeren machte, obwohl er das hatte eigentlich nie wieder hatte tun wollen.

„Wieso sollte ich mir Sorgen machen?", antwortete Daniel reflexartig. „Und soo weit zurück ist er doch nun wirklich nicht", rutschte es ihm doch noch hinterher.

„Daniel, ehrlich. So blind kannst du doch gar nicht sein. Ich meine, ich weiß ja-"unerwartet brach Anders ab und wich dem Blick von Daniel aus. Das war so irgendwie nicht geplant gewesen.

„Was weißt du?" –

„Vergiss es einfach", lief Anders weiter, kam jedoch nicht sonderlich weit, da Daniel ihn am Arm zurückhielt.

„Was, Anders?", unnachgiebig starrte er ihn an. Er hatte es satt ständig im Ungewissen zu sein. Er wollte jetzt wissen, was Anders ihm hatte sagen wollen. Warum sollte die Tournee für ihn vorbei sein, wenn er noch vor ihm auf dem siebten Platz lag? Sie standen sich reglos gegenüber. Mitten in all dem Gewusel, zwei Menschen, die stillstanden und sich taxierten.

Dann sah Anders sich um und zerrte einen verwirrten Daniel am norwegischen Container vorbei, in den Schutz des Waldes. Hier waren sie wenigstens vor neugierigen Blicken und Ohren sicher.

„Was soll das?", verlangte Daniel zu wissen, der sich über das seltsame Verhalten seines Teamkollegen wunderte.

Tief holte dieser Luft. Er war sich nicht sicher, ob es wirklich der richtige Zeitpunkt dafür war, andererseits gab es den für solche Gespräche wohl nie und Daniel ahnte so wie es aussah sowieso schon, dass er etwas wusste.

Tief holte er Luft. „Ich weiß es, Daniel."

Abwartend starrte er Daniel an. Beobachtete jede seiner Reaktionen. Ungeduldig zappelte er in der Stille, die unterbrochen wurde, durch das ferne Gewusel der Außenwelt und dem Schrei einer Eule.

„Du weißt was?", brachte Daniel schließlich stockend hervor, der schwer damit beschäftigt war, sein inneres Chaos zu ordnen. Nicht wegzulaufen. Sich zu wappnen für das, was jetzt vielleicht gleich kam.

„Willst du dieses Spiel echt noch weiterspielen, Daniel? Wirklich? Du brauchst jemanden, dem du dich anvertrauen kannst! Ich hab doch in den letzten Wochen gesehen, wie dich das belastet. Deine fröhliche aufgesetzte Maske ist nämlich nicht so makellos wie du vielleicht glaubst. Für mich ist das echt okay. Das ändert doch nichts. Nicht für mich", plapperte Anders drauf los und Daniel konnte nichts tun, als seinem Freund mit offenem Mund anzustarren, während es in ihm tobte. Meinte er tatsächlich das, was Daniel gerade dachte?

Die Angst, seinen Freund vielleicht doch zu verlieren, wenn er es zugab, das unsichere Hoffnungsgefühl, nicht mehr ganz allein auf dieser grausamen Welt zu sein, kämpften in ihm. Konnte er wirklich so viel Glück haben?

„Jetzt starr mich schon nicht so an, ich werde schon nicht gleich den Exorzisten rufen. Ist doch okay, auf äh- ... neongrün zu stehen. Und nur damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich habe keine Angst, dass große mysteriöse unheimliche S-Wort auszusprechen und mich damit zu infizieren, oder was es da sonst alles so für kranken Scheiß gibt, der da durchs Netz schwirrt. Die Wände haben Ohren und ich denke mir-", plapperte Anders, der sich reichlich unbeholfen vorkam. Er hatte eine Menge zu dem Thema in den letzten Tagen gelesen, nur ein Leitfaden für ein derartiges Gespräch war leider nicht dabei gewesen.

„Du hast wirklich kein Problem damit?", immer noch unsicher und reichlich zittrig sah Daniel Anders an. Er konnte Anders Aussagen noch gar nicht richtig realisieren. Viel zu sehr schwebte dieses Damoklesschwert über ihm, mit dem er immer noch darum kämpfte, ob es vielleicht nicht doch der bessere Weg war, sich weiterhin zu verleugnen.

„Naja, was heißt schon Problem. Ich meine, gut, über deinen Geschmack müssen wir echt noch mal ein Wörtchen reden... neongrün ist schon sehr speziell, aber sonst, wüsste ich nicht, was mich daran stören sollte. Es gibt nicht nur kranke Idioten da draußen, weißt du?", legte er seine Hand beruhigend auf Daniels Schulter, die mutlos nach unten sanken. Wieder sah er die weitaufgerissenen Augen des Slowenen vor sich.

„Alles klar? Daniel? Ich sagte doch, dass es okay ist, oder war ich an irgendeiner Stelle undeutlich? Soll ich es vortanzen? Im Gegensatz zu dir, kann ich das auch wirklich gut, ich-"

„Nein, es ist nur...", unterbrach Daniel seinen Freund, unsicher hielt er einen Moment inne, doch dann sprudelte es aus ihm heraus. All das, was ihn schon den ganzen Vormittag beschäftigte. Aufmerksam hörte Anders ihm zu. Er hatte ja geahnt, dass Daniel eine ganze Menge schweres Gepäck mit sich herumschleppte, aber dass es doch so viel war, bestürzte ihn. Am liebsten hätte er Daniel zusammengeschrien, warum er nicht eher etwas zu ihm gesagt hatte. Schließlich waren sie Freunde und das seit dem ersten Tag, als Daniel ins Team gekommen war.

„Deswegen warst du vorhin so komisch zu ihm! Aber ganz im Ernst: Das kann ich mir nicht vorstellen, Daniel. Er mag ja viele Fehler haben und ich meine wirklich viele, aber Homophobie gehört sicher nicht dazu", versuchte er Daniels Sorgen zu zerstreuen.

„Wie kannst du dir da so sicher sein? Ehrlich, du hast es nicht gesehen. Sein Entsetzen, er sah aus, als würde gerade sein schlimmster Albtraum wahr werden", versuchte er Anders begreiflich zu machen.

„Weil ich gesehen habe, wie er dich ansieht, Daniel, wenn er glaubt unbeobachtet zu sein. Das hat nichts mit Verachtung oder Ekel zu tun. Ich glaube ja eher, dass er dich auch mag, aber ihr seid wie zwei Wirbelstürme, die unaufhaltsam aufeinander zustürmen und dann wunderst du dich, wenn alles um euch herum ins Chaos stürzt?", mit hochgezogener Augenbraue starrte er Daniel an, der von Selbstzweifeln zerfressen vor ihm stand.

„Ich- keine Ahnung. Momentan weiß ich einfach nichts mehr", gab dieser zerknirscht zu. Aber er konnte nicht verhindern, dass sich bei Anders Worten, erneut ein kleiner Samen der Hoffnung in ihm aufkeimte, obwohl er geglaubt hatte, diesen noch vor ein paar Stunden mit Beton endgültig getötet zu haben.

„Dafür hast du ja jetzt mich! Zusammen bekommen wir das schon geschaukelt. Glaub mir, das wird spitze! Aber jetzt, wirst du dafür sorgen, dass zumindest für einen von euch beiden, die Tournee noch nicht gelaufen ist", klatschte Anders freudig wie ein kleines Kind in die Hände.

„Wieso soll für ihn die Tournee schon gelaufen sein? Immerhin liegt er einen Platz vor mir?", fragte Daniel nach, dem der freudig erregte Gesichtsausdruck von Anders entging. Wenn er ihn bemerkt hätte, dann hätten bei ihm wohl jetzt alle Alarmglocken geläutet, denn Anders sah eindeutig wie jemand aus, der gerade etwas ausheckte.

„Liebe macht also doch blind. Da hätten wir den Beweis. Das ist Cene, Daniel. Dein Waldjunge liegt auf Platz 26!", stöhnte Anders gekünstelt auf und strich ihm beruhigend über den Rücken.

„Oh, Shit." Kein Wunder, dass er vorhin so angepisst gewirkt hatte. Wie es ihm jetzt wohl damit ging? Nachdenklich starrte er auf die slowenische Unterbringung, als er gemeinsam mit Anders wieder in den Lichtschein des Springerdorfes trat.

Hello HurricaneWhere stories live. Discover now