Ich kann nicht mehr

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Eine Wiese. Grünes, hüfthohes Gras, strahlend blauer Himmel und ein Pferd unter mir, das unbedingt losrennen will. Auf wem sitze ich? Es ist eine Shilouette, ich kann nicht erkennen welches Pferd unbedingt in die Freiheit möchte. Ich weiß nur, dass ich es will. Mehr als alles andere. Ich will frei sein. Frei wie der Wind, der meinen Freudenschrei durch die Täler trägt, als ich anfange zu galoppieren...
"Liliana?"
Und einen anderen Namen hätte ich auch gerne!
"LILIANA! Zeit für's Frühstück! Heute ist ein wichtiger Tag!"
Achso, ja. Wie konnte ich das vergessen? Seufzend rappelte ich mich auf. Konnte ich nicht einfach in meinen Traum zurück verschwinden? Fliehen, vor diesem scheußlichen Tag? Es war Montag, ich hatte von meiner Mutter schulfrei bekommen. Ehrlich gesagt, wäre ich lieber in der Schule als auf dem Weg zu einem dieser unzähligen dämlichen Turniere. Meine Mutter trainierte mich. Jeden Tag. Mindestens drei Stunden. Ich flog über die verschiedensten Geländestrecken hinweg, die unsere Umgebung bot. Nein...nicht ich. Dragon flog. Dragonfly. Mein Ein und Alles. Er ist der einzige Grund warum ich noch lebe! Wir verstehen uns. Wir haben ein und den selben Charakter. Er will nicht springen, nicht auf einer dämlichen Geländestrecke vor einem noch dämlicheren Publikum! Er will galoppieren, über Wiesen und Felder. Ich bin mir ziemlich sicher, das er das Pferd aus meinem Traum war. Zu hundert Prozent.
In strahlend weißer Reithose und in Turnierfrack ließ ich mich an den Esstisch fallen. Ich hatte keine Geschwister, mein Vater war sowieso nie zu Hause und meine Mutter hatte im Moment nichts besseres zu tun als mir ein Mega-Frühstück aufzutischen. Bei dem Geruch von Spiegeleiern drehte sich mir der Magen um.
"Ich will nicht!"
"Mäuschen, du musst etwas essen! Sonst fällst du mir noch in den Wassergraben! Denk daran: lass Dragonfly nicht zu wild darauf zu..."
"Ich meine nicht das Essen! Ich meine die Turnierreiterei! Ich hab es satt! Schon zum Dreimillionsten Mal! ICH. KANN. NICHT. MEHR!"
"Ach Liliana! Hör doch auf. Du hast dir das immer gewünscht. Heute wird Constanze von Kleeberg da sein! Ich habe mit ihr telefoniert, sie wird ein Auge auf dich werfen! Du wolltest schon immer irgendwann ein Mal auf der Geländestrecke von Frau von Kleeberg siegen!" Sie hob triumphierend eine Faust in die Luft.
"Nein...das war schon immer dein Traum. Mum."
"Komm wir flechten dir die Haare ein.", säuselte sie, als hätte sie meine Aussage überhört. Das hatte sie höchstwahrscheinlich auch. Sie interessierte sich überhaupt nicht für mich! Nur für meine Erfolge. Ich wusste nicht wie lange Dragon das noch mitmachen würde. Er war wie ich. Er konnte nicht mehr und vorallem wollte er nicht mehr! Ich musste einen Ausweg finden. Und zwar bald!

Pferde fliegen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.Where stories live. Discover now