Sieg

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Ich wusste nicht wo das ganze Wasser aus meinen Augen auf einmal herkam. Ich wusste nur noch, dass ich in der Ferne eine Wiese gesehen hatte. Weit weg von alledem hier. In Freiheit. Vor lauter Tränen sah ich nichts mehr. Dragon galoppierte und galoppierte. Ich hatte die Orientierung verloren. Nicht so Dragon. Jetzt gab es nur noch den Wassergraben und ihn. Ich wusste, dass er gerade genauso weinte wie ich, aber ich wusste auch, dass er mich niemals im Stich lassen würde. Niemals. Mühelos setzte er über etwas hinweg, dass ich aus meinem verschleierten Blick heraus als Wassergraben deuten konnte. Auf dem Film, den meine Mutter gerade wieder von meinem Ritt drehen ließ, sah dieser Sprung jetzt fröhlich und leichtfüßig aus. Aber das war nur von außen. In Dragon und mir sah es gerade ganz anders aus. In uns drinnen brauchte dieser Sprung viel zu viel Kraft, das Vertrauen zwischen uns bröckelte wieder ein bisschen mehr und er sah alles andere als leichtfüßig aus, er sah beschwehrlich und mühevoll aus. Aber außer uns sah das niemand. Jetzt noch der Schlusssprung. Ohne Dragon hätte ich ihn nicht überlebt. Die Menge jubelte, die Sprecher triumphierten. Mir war alles egal. Ich wollte nur noch eins. Weg von hier. Und zwar für immer.

Ich hatte gewonnen. Zur Siegerehrung mussten sie mich zwingen. Ich hatte Dragons Zügel fest umklammert. Würde ich sie loslassen...ich wüsste nicht was mit mir passieren würde. Aber ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Ich wollte ihm sagen, dass ich nichts lieber wollte als das Ganze hier für immer zu beenden, aber wie? Niemand würde uns zuhören. Was wir fühlten, diesen Drang nach Freiheit, konnte niemand verstehen. Niemand außer uns.

Ich konnte mir nicht mal meiner Mutter zuliebe zu einem Lächeln zwingen, als mir diese Frau von Kleeberg meine Siegerschleife in die Hand drückte. Man merkte ihr an, dass mein eisener Gesichtsausdruck sie ein wenig aus dem Konzept brachte. Ich berührte Dragons Nase mit dem Ellbogen und es schmerzte. Ich hatte sein vertrauen nicht mehr lange und das war mir nach diesem Turnier bewusst geworden. Mit jedem Sprung den er tapfer für mich machte bröckelte es mehr. Mit jedem Sieg verlor ich. Ich verlor meinen treuen Gefährten und das konnte ich, nein, ich durfte das einfach nicht zulassen. Constanze von Kleeberg schüttelte meiner strahlenden Mutter die Hand und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sie noch mehr strahlte. Dann wendete sie sich mir zu. Sie nahmn meine Hand. "Du hast mich schwer beeindruckt, Liliana." Sie blickte mich aus gnadenlosen Augen an. "Du wirst meine Geländestrecke reiten. In zwei Monaten. Es kommt noch einiges auf euch zu, das kann ich dir versprechen. Aber deine Mutter hat mir nicht zu viel versprochen. Du bist außerordentlich gut. Ich würde euch gerne zu einem Gespräch einladen. Morgen Nachmittag auf meinem Gestüt." Sie nahm mich in die Arme und ich hatte den pelz ihres Mantels im Gesicht, der nach einem schrcklichen Parfum roch. Der Winter war jetzt vorbei und die ersten Blumen sprießten schon, weshalb ich mich fragte warum sie immernoch mit diesem Angeber-unbezahlbar-Mantel-aus-dutzend-Rentieren herumlief. Ganz leise sagte sie, sie würde etwas großes aus mir machen und ich konnte sie kaum verstehen. Und ganz leise sagte ich, dass ich nichts Großes werden wollte. Sie hatte es nicht gehört. 

Pferde fliegen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon