Ein Angebot

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Ich starrte aus dem Autofenster, den Kopf gegen die Scheibe gepresst. War ich gerade erntshaft auf dem Weg zu dieser Kleeberg-Frau? Wieso? Was machte ich hier? Ich wollte das nicht, aber für wen machte ich es dann, wenn nicht für mich selbst? All das schoss mir jeden Meter dem wir uns dem Anwesen näherten erneut durch den Kopf. Ich tat es für meine Mutter. Irgendwie. Es gab keine andere Erklärung. Meine Mutter meinte es wahrscheinlich gut, aber meiner Meinung nach war sie nach jedem Turnier noch mehr süchtig auf das nächste.

Auf diesen ebenen Wiesen könnte man wunderbar galoppieren. Sehnsüchtig starrte ich auf das hüfthohe grüne Gras. Ich schloss die Augen und war in Gedanken bei Dragon. Ich konnte es förmlich spüren. Seine donnernden Hufe über dem Boden, seine Mähne, die mir ins Gesicht schlägt und der Wind, der meine weit ausgebreiteten Arme kitzelt.

Das große Haus näherte sich bedrohlich. Wir fuhren durch ein silbernes Eisnetor, das keine Spur von Rost trug. Nun waren wir auf einer Allee gelandet, die direkt vor den Platz vor dem Eingang führte. Lauter Platanen rechts und links und mitten auf dem Platz eine Statue von einem springenden Pferd. "Beeindruckend nicht wahr?", meinte meine Mutter. "Total.", knurrte ich. Wie immer überhörte sie den bissigen Unterton. Ich hatte seit langem aufgegeben ihr zu erklären, dass ich nichts von alle dem hier wollte, aber kein einziges mal war sie darauf eingegangen. Das Haus näherte sich bedrohlich. Alles in mir schrie nach Umkehren, aber meine Beine trugen mich wiederwillig weiter. "Ah! Da sind sie ja unsere Stars des Tages!" Ich hatte sie von der ersten Sekunde an nicht leiden können. Sie trug eine unnatürlich weiße Reithose und ein Poloshirt in royalblau. Artig schüttelte ich ihre Hand. "Hallo Constanze.", sagte meine Mutter. Aha, man war sich jetzt also schon per Du. "Marie, meine Liebe!" Sie umarmten sich freundschaftlich. Sie passten gut zusammen. Beide süchtig nach Erfolgen, die anderen zustanden. Frau von Kleeberg ritt auch nicht selbst. Es war ihr Enkel, der ihre ganzen Pferde auf Turnieren vorstellte und ritt. Ich hatte ihn einmal gesehen. Er war gut, sogar ziemlich gut. Und die Mädchen rannten ihm in Scharen hinterher. Liam von Kleeberg. Vermutlich noch so ein Schnösel.

"Was ich euch anbieten möchte ist äußerst wichtig, warum gehen wir nicht nach drinnen und besprechen alles bei einer Tasse Kaffee?" "Das klingt gut.", meinte meine Mutter. "Liliana, du kannst dich so lange gerne umschauen. Fühl dich wie zu Hause." Klar. Bei wichtigen Plänen hatte ich natürlich nichts mitzureden. Anscheinend nicht einmal, wenn ich die Hauptrolle in ihren Plänen spielte. Sie gingen davon ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Ich brauchte jetzt eindeutig Ablenkung. Der Stall war wahrscheinlich keine schlechte Idee, vielleicht konnte mich der Geruch nach Heu und Pferden ja etwas aufmuntern. Als ich das lange Gebäude betrat verschlug es mir den Atem. Hohe Decken, mit Gold verzierte Boxenwände, wahnsinnig viel Platz für jedes einzelne Pferd, keinen einzigen Pferdeapfel, geschweigedenn einen einzigen Staubkrümel. Das alles wirkte so unecht, so majestätisch, dass es eigentlich schon gar nicht mehr schön war. Das hier war eindeutig zu viel des Guten. Langsam ging ich durch den ruhigen Stall. Ein großer Schimmelwallach fiel mir auf. Sein Fell glänzte makellos und seine Mähne war akorrat eingeflochten. "Na?", sagte ich leise und kraulte ihm die Stirn. Er wirkte etwas überrascht, vielleicht bekam er sonst nicht wirklich viel Zuneigung. "Snow Runner. Ein ziemlich schwieriges Pferd." Ich fuhr herum. Liam. Der hatet mir jetztgerade noch gefehlt. "Du bist also das Wunderkind?", fragte er skeptisch und kam ein paar Schritte näher. "Ach, so werde ich jetzt also schon genannt?" Meine Miene verfinsterte sich und ich wandte mich wieder dem Schimmel zu. "Nein, aber meine Großmitter schwärmt von dir. Den lieben langen Tag." "Sie schwärmt garantiert nicht von mir, wenn dann nur von meinen Siegen!", rutschte es mir heraus. Er schaute mich erstaunt an. "Ich weiß du kennst mich nicht...", meinte er geheimnisvoll, "aber würdest du mich kurz begleiten?" Ich zögerte. Was hatte er vor? Schließlich folgte ich ihm. Wir schlenderten über einen gepflegten Rasen etwas entfernt vom Stall. "Was du da gerade gesagt hast...hast du das ernst gemeint?" "Ja.", sagte ich ohne groß darüber nachzudenken. "Hm.", machte er nur. "Auf was willst du hinaus?", fragte ich nach ein paar Sekunden des Schweigens. Geduld war noch nie meine Stärke gewesen. Er lächelte schwach und blieb stehen. "Ich dachte immer, ich bin der Einzige, der das so sieht, aber anscheinend habe ich jemanden gefunden, der - wie soll ich sagen - so tickt wie ich." Er hatte wirklich schöne Augen. Ein tiefes Blau mit langen Wimpern. Ein wildes Blau. Ein freies Blau. "Ähm..." Ich stand auf dem Schlauch. Zu sehr hatten mich seine Augen in den Bann gezogen. ich hatte noch immer keinen blassen Schimmer auf was er hinauswollte. "Du bist eine ganz schöne Träumerin, weißt du das?", grinste er und zu meinem Erstaunen grinste auch ich. "Ich meine dich, Liliana. Du hast eben das ausgesprochen, was ich auch immer denke. Dabei habe ich mich mit meinen Sorgen immer so alleine gefühlt." Da machte es Klick. Er war kein Schnösel. Ganz und gar nicht. Liam von Kleeberg war wie ich. Gebrochen. Er wollte das alles genauso wenig wie ich. Mir klappte die Kinnlade nach unten und ich war für einen kurzen Moment sprachlos. "Ich...dachte dasselbe. Ich dachte auch, dass es an mir läge, dass mir das alles hier zu viel wird." Er seufzte. "Und trotzdem können wir rein gar nichts dagegen tun." Er sprach sehr leise, aber ich verstand jedes Wort, denn er sprach mri aus der Seele. "Ach und...ich hasse meinen Namen. Also nenn mich Lila." Ich lachte über mich selbst. Über den plötzlichen Umschwung des Gesprächsthemas. Trotzdem war es kein fröhliches Lachen. "Okay.", lächelte er, "ich bin Liam." "Ich weiß." "Ach hier bist du, Liliana!" Ich ließ den Kopf hängen. "Wie ich sehe hast du schon Bekanntschaft mit meinem Enkel geschlossen.", meinte Frau von Kleeberg. Ich nickte stumm. "Das ist gut.", fügte sie hinzu, "denn ihr werdet euch jetzt öfters über den Weg laufen!" Sie genoss meinen verwirrten Blick, der zwischen ihr und meiner Mutter hin und her schwenkte. "Du wirst ab sofort hier trainieren, Liliana. Gemeinsam mit meinem Enkel und unseren Pferden. Ich stelle dir meine besten Pferde zur Verfügung. Unter anderem auch Snow Runner, ich bin mir sicher du kannst aus ihm einiges herausholen. Deine Mutter und du ihr könnt in das Gästehaus ziehen und..." "Alles in Ordnung?", die Frage kam von Liam. Ich nahm alles nur noch aus einem Schleier war. Meine Umgebung verschwamm und alles drehte sich. Ich wollte schreien. Vor Wut, vor Angst und vor Trauer. Aber alles was ich zustande brachte war ein heiseres "Und Dragon?" "Oh Mäuschen!", meinte meine Mutter, "die Pferde die du hier reiten kannst sind weitaus besser. Es wird dir gefallen. Und wenn du Snow Runner erst einmal geritten bist wirst du Dragon nicht mehr brauchen."

Und dann, zum ersten Mal in meinem Leben, brach ich zusammen.

Pferde fliegen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.Where stories live. Discover now