Freiheit

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Fröstelnd zog ich die dünne Jacke enger um mich. Es war noch dieselbe, die ich mir letzte Nacht aus dem Schrank gefischt hatte um mich mit Liam auf dem Heuboden zu treffen. Ich starrte in die Dunkelheit der Hütte. Es war der erste Ort der mir eingefallen war, nachdem ich so völlig überraschend geflohen war. Suchten sie mich? Es war mir egal. Hier würden sie mich nicht finden. Es war so abgeschottet und verwahrlost, dass ich mir sicher war, hier würde niemand länger bleiben wollen, außer mir. Die Hütte war klein, ich kauerte auf dem Tisch, der das einzige Möbelstück war. Unter ihm stand eine Kiste, aber bis jetzt hatte ich sie noch nicht geöffnet, denn sie war verschlossen. Wahrscheinlich war dies wirklich einmal im Besitz eines Jägers gewesen, der hier regelmäßig Ausschau nach Wild gehalten hatte, denn ganz in der Nähe standen auch die letzten Balken eines Hochstandes. DerZaun war noch einigermaßen tauglich gewesen, Dragon stand draußen und graste. Durch die dünnen Wände konnte ich das Beruhigende Zupfen seiner Zähne an den Grashalmen hören. Irgendwann im Laufe der Zeit holte ich ihn zu mir in die Hütte. Mir war so kalt geworden, dass ich seine Wärme gut gebrauchen konnte. Willig folgte er mir in den engen Raum. "Nicht sonderlich gemütlich ich weiß." Ich wartete bis er sich entspannte und sich von alleine hinlegte, dann schmiegte ich mich an ihn. Ich war mitten im Wald. Nur mit meinem Dragon. Mitten in der Nacht. Und trotzdem fühlte ich mich so sicher wie lange nicht mehr.

Als ich die Augen aufschlug könnte ich durch die Ritzen in der Holzwand erkennen, dass es bis zur Morgendämmerung nicht mehr lange hin sein konnte. Dragon hob den Kopf. "Guten Morgen, mein Schöner." Ich war fasziniert von ihm. Wie locker er das alles hier nahm. Ein anderes Pferd wäre ohne die saubere und sichere Box im langen Stall mit den anderen Pferden völlig durchgedreht. Ich lächelte, denn ich kannte den Grund. Er war glücklich. Glücklich und frei. Genau wie ich. Er richtete sich auf, dann schüttelte er sich und trat einen Schritt auf die Tür zu. Ich stemmte mich gegen die Tür, die von innen wesentlich leichter zu öffnen war als von außen, und hielt sie ihm auf. Mit einem Satz war er draußen. Er rannte in vollem Galopp eine Runde über das eingezäunte Stück Wiese, das jetzt sein neues Reich war. Ich könnte nicht anders als schallend loszulachen, als er die waghalsigsten Bocksprünge vollführte, die ich je in meinem Leben von ihm gesehen hatte. "Dragon!", rief ich und er blieb stehen und spitze die Ohren in meine Richtung. Ich strahlte über das ganze Gesicht. Und es war lange her das ich sagen könnte, dass mein Lachen echt war. Er trabte elegant auf mich zu, mit erhobenem Kopf und gespitzten Ohren. Sein Dunkelbraunes Fell schimmerte rötlich in der aufgehenden Sonne. "Trägst du mich, mein Schöner?" Ich strich ihm über den Rücken und er blickte mich erwartungsvoll an. Einen Versuch war es wert. Ich bedeutete ihm mir zum Zaun zu folgen und er gehorchte. Dann kletterte ich auf das wackelige Gatter und legte vorsichtig ein Bein über den braunen Rücken. Er stand wie eine Eins. Womit hatte ich so ein Pferd verdient? Ich saß oben. Ohne Sattel, ohne Trense. Ich hatte Ostwind für ein Märchen gehalten. Für ein wunderschönes Märchen. Aber wenn ich daran dachte, jetzt mit Dragon durch das hohe Gras zu galoppieren, hier im Sonnenaufgang, würde ich nichts lieber tun als die Arme auszubreiten, die Augen zu schließen und die Welt um mich herum vergessen. Mein Magen knurrte. Und den Hunger vergessen. Ich legte die Arme um Dragons Hals. "Soll ich auch mal das Gras probieren? Dir scheint es ja zu schmecken." Der Walllach hob kauend den Kopf und schnaubte. Ich prustete los. "Dragon, du bist der Beste." Ich drückte ihm ein Küsschen ins Fell, dann atmete ich tief durch, schob mein rechtes Bein nach hinten und gab ihm die Galopphilfe. Er riss so plötzlich den Kopf hoch, dass ich vor Schreck fast nach hinten hinuntergefallen wäre. Dann machte er den ersten Sprung und alles war mir wieder so vertraut. Jeder einzelne Sprung. Als würde ich jede seiner Bewegungen auswendig kennen. Wir galoppierten über die Wiese. Über unsere Wiese. Der aufgehenden Sonne entgegen.

Pferde fliegen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.Where stories live. Discover now