Verzeih mir

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Stumm rollen mir Tränen über die Wangen, als er mich anblickt, aus seinen treuen braunen Augen, mit diesem traurigen Blick. Ich wünschte ich könnte es änder. Ich wünschte ich könnte ihm daseinzige geben, was er wirklich wollte. Was auch ich wollte. Freiheit. Nie war mein Freiheitsdrang größer als jetzt. Nach den zwei Tagen im Krankenhaus wollte meine Mutter natürlich sofort mit dem Training anfangen. Das letzte Turnier - die Geländestrecke der Kleebergs - sollte ich noch mit Dragon reiten. Danach würden sie ihn verkaufen oder sonst etwas. Mein Magen krampfte ich zusammen. Meine Gedanken wollten sich zur Zeit nicht ordnen, aber wenn ich eines sicher wusste, dann war es, dass sie mich und Dragon niemals trennen konnten. Ich war längst nur noch eine Spielfigur meiner Mutter in der Turnierszene, aber ohne Dragon war ich nichts mehr. Er war mein Leben. Das klägliche Häufchen Hoffnung, das in mir übrig geblieben war, hing an ihm . Ohne ihn hatte ich auf dieser Welt nichts mehr zu suchen. Och lebte jetzt schon in meiner eigenen Welt. Ich sah alles nur noch durch einen Schleier, der nicht nur von den Tränen kam. Ich schottete mich mehr und mehr ab. Leute sprachen mich an, schüttelten mir die Hand und gingen achselzuckend weiter, da ich sie nur mit verklärtem Blick anstarrte und schwieg. Wahrscheinlich galt ich nach diesen drei Tagen, die ich und Dragon jetzt schon auf dem Kleeberg-Gelände verbracht hatten, als geistig verwirrt oder einfach nur seltsam. Vielleicht war ich das ja auch. Vielleicht hatte ich einen psychischen Knaks und verstand diese kranke Welt als einzige nicht. Vielleicht stammte ich aus einer anderen Welt. Ich war nur einmal aus meinem Leben, das nur noch in meinem Kopf stattfand, zurückgekehrt. Max. Mit zusammengezogenen Augenbrauen hatte er mich angeblickt. Er hatte mich an den Schultern gepackt und unsanft geschüttelt. "Was ist mit dir los? Ich erkenne dich nicht wieder, Lila! Dein Traum wird wahr und du wirst immer mehr zu einem...was auch immer. Ich verstehe das alles nicht mehr!" Da war ich zurückgekehrt. Für ein paar Sekunden war der Zorn stärker gewesen als die Verzweiflung, die mich in meinem Kopf gefangen hielt. "Du hast Recht, du verstehst überhaupt nichts!", hatte ich geschrien. Ich hatte ihn unsanft von mir weggestoßen, bei seinem Versuch mich zu beruhigen, und war schließlich weggerannt. Zu Dragon auf die Koppel. Zu dem einzigen Wesen, das mich verstand. Teilweise dachte ich auch an Liam. Ob wir wirklich die gleichen Ansichten hatten? War es möglich, in so einer unmöglichen Situation jemanden zu finden, der einem wirklich, von tiefstem Herzen, verstehen konnte und das nicht nur so dahinsagte? Ich hatte ihn seither nicht mehr gesehen. Auch er würde bei dem Turnier starten, allerdings in einer noch höheren Klasse wie ich. Wahrscheinlich war er zu sehr mit dem Training beschäftigt. "Komm, Liliana!" Die Stimme meiner Mutter suchte sich einen Weg in meine Welt. Sie näherte sich Dragons Stall. "Hör zu, Dragon.", sagte ich schnell und wischte mir die Tränen von den Wangen, "Ich will das genauso wenig wie du. Ich hasse es und ich spüre, dass du es auch hasst. Du hast so etwas nicht verdient. Eigentlich habe nicht einmal ich dich verdient. Ich verspreche dir, dem ganzen ein für alle mal ein Ende zu setzen. So schnell es geht. Sobald ich weiß wie." ICh versuchte die Schluchzer zurückzuhalten, aber ich schaffte es nicht. Dragon hob leicht den Kopf und blies mir seinen warmen Atem ins Gesicht. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme, die sich auf meinem Gesicht und auch in mir drin ausbreitete. Ab diesem Moment wusste ich, dass ich es schaffen konnte, Dragon wieder zurückzugewinnen. Er würde zu mir halten. Er würde mir verzeihen. Ich atmete tief durch. Langsam aber sicher kehrte ich zurück. Langsam aber sicher bahnten sich die Ideen an.    

Pferde fliegen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.Where stories live. Discover now