Regen

421 62 4
                                    

Es wurde immer grauer über mir und so langsam tat mein Rücken weh. Ich betrachtete seit gefühlten fünf Stunden den Himmel, während Dragon neben mir graste. Ich wusste nicht wie viel Zeit wirklich vergangen war, ich trug ja nichts bei mir, außer die Kleider an meinem Leib. Ich wollte nicht, dass es bald anfing zu regnen. Ich wollte die Sonne in meinem Gesicht spüren und einfach nur hier im hohen Gras neben Dragon liegen. Ich rappelte mich auf. "Es fängt bald an zu regnen, Großer. Aber du hast ja dein Fell und den Unterstand." Er hob kauend den Kopf. Dann machte er einen kleiner Satz zur Seite und stupste mich mit der Nase an. Ich grinste und legte den Kopf schief. "Was hast du dir jetzt schon wieder ausgedacht?", fragte ich ihn, als würde ich eine Antwort erwarten. Er ging einen Schritt auf mich zu. Ich ging einen Schritt rückwärts. Er machte den nächsten Schritt. Ich ging weiter rückwärts. "Du willst mich fangen?" Ich lachte, als würde ich über ein kleines Kind lachen, dass mich bat mit ihm im Sandkasten Burgen zu bauen. Doch dann stieg Dragon auf die Hinterbeine. Ich erstarrte für einen Moment, dann rannte ich lachend los. Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass unser Vertrauen wieder so stark zurück kommen würde, nachdem meine Mutter und die Turniere es nahezu ganz zerstört hatten. Aber siehe da, nach einem einzigen Tag, hatte sich wieder alles geändert. Ich rannte und rannte durch das Gras, das mir fast die Sicht nahm, so hoch war es. Und Dragon verfolgte mich, ab und zu stupste er mich an oder umkreiste mich. Er war zurück. Mein treuer Gefährte, mein Seelenverwandter war wieder da. Wir waren wieder da. Irgendwann begann es zu regnen. Ich hatte es erst bemerkt als ich schon komplett durchnässt war, so vertieft war ich in unser neues Spiel gewesen. Dragon schüttelte sich und lauter kleine Wassertröpfchen flogen aus seinem Fell und seiner Mähne. Ich lachte schon wieder. So langsam kam ich gar nicht mehr aus dem Lachen heraus. Dieses Dauergrinsen lag auf meinen Lippen. Auch wenn mir kalt war. Auch wenn ich durchnässt war. Auch wenn ich Hunger hatte. Auch wenn...

Ich stockte als Dragon den Kopf hob und die Ohren spitzte. Der Regen prasselte auf uns nieder und doch war das Wiehern, das aus der Ferne drang, markerschütternd laut. Ich zuckte zusammen und mit einem Mal verschwand auch das Lächeln. Nein! Ich schluckte. In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. Das nächste Wiehern. Und meine Welt brach zusammen. Es war vorbei. Ein für alle mal. Es war zu Ende. Sie hatten uns.  Das Pferd näherte sich und auch Dragon setzte sich in Bewegung, bis er am Rande des Zauns angelangt war. Er konnte ja nicht ahnen, was das gerade für uns bedeutete. Das Pferd war pechschwarz, der Reiter war dick eingepackt und gegen den Regen geschützt. Für einen kurzen Moment hatte ich Hoffnung gehabt es sei ein Fremder gewesen doch dann trabte er sein Pferd an und kam direkt auf mich zu.

Er hatte die Kapuze bis in die Stirn gezogen, deshalb hatte ich ihn nicht erkannt. Doch als die Stute näher kam musste ich mich selbst kneifen, um mich zu vergewissern, dass sie es wirklich war. Doch da kam zweifellos Lady auf mich zu. Mein Herz machte einen Satz. Liam. Er war nicht hier um mich zu verraten. Er war hier um zu bleiben. Das konnte nicht anders sein. Das drufte nicht anders sein. Er ließ sich von Ladys Rücken gleiten und streifte sich die Kapuze des langen Regenmantels aus der Stirn. Dann sah ich seine blauen Augen, sein Lächeln. Ich lief ihm entgegen und wir fielen uns in die Arme. Der Regen hörte gar nicht mehr auf und trotzdem standen wir einfach nur so da. "Ich werde nicht mit nach Hause kommen.", flüsterte ich gegen seine Schulter, nur um sicherzugehen. "Das weiß ich doch." Ein Lächeln schwang in seiner Stimme mit, als er es sagte. Dann war ich mir sicher sein, dass er mich nicht verraten würde. Nie im Leben. Wir hatten die gleichen Ansichten, die gleichen Gedanken. Und jetzt hatten wir auch uns.

Pferde fliegen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.Where stories live. Discover now