Das Turnier

512 65 8
                                    

Hallo meine Lieben :)

Das Kapitel hier ist mal ein bisschen länger als die anderen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es vermutlich eines der wichtigsten Kapiteln er ganzen Geschichte ist, was auch der Grund für die Länge ist.

Und noch etwas, an alle Fans von Dragonfly und Lila: Es macht mir unglaublich viel Spaß für euch zu schreiben, ihr seid echt toll und deshalb noch eine wichtige Info zur Geschichte: Sie ist noch lange nicht zu Ende! <3

03:12 Uhr. Ich hatte immer noch kein Auge zu getan. Ich war nicht nervös. Nennen wir es...angespannt. War nach dem Turnier, zu dem ich in drei Stunden aufstehen musste, wirklich alles vorbei? Konnte ich meiner Mutter trauen? Wieder einmal, schossen mir viel zu viele Fragen durch den Kopf. So war es nur logisch, dass das mit dem Einschlafen nicht klappen konnte. Ich nahm mein Handy, dass auf dem Nachttisch lag. Dragon schaute mir entgegen, als ich es einschaltete. Er war Motiv für alle meine Huntergrundbilder. Weil ich wirklich nichts besseres wusste, um mich abzulenken, öffnete ich Whatsapp, scrollte die Chatliste nach unten und wieder nach oben, nach unten, nach oben, nach unten, nach oben, bis ich die Statussprüche auswendig aufsagen konnte. So, wie man das eben machte, wenn man Langweile hatte.

Da kann ja noch jemand nicht schlafen...hi :)

Liam? Natürlich! Auch er musste heute starten. Und das mit drei Pferden, von denen zwei sozusagen unberechenbar waren. Da war es verständlich, dass er auch nicht schlafen konnte.

Heuboden?, tippte ich.

10 min. Werde da sein.

Ich schlüpfte aus dem Bett und ging hinüber zum Schrank. Ich schlüpfte in meine Lieblingsreithose, rot mit schwarzem Kniebesatz, ein einfaches schwarzes Top und eine dünne Jacke. Die Jacke bereute ich sofort. Draußen war es sternenklar und somit ziemlich kalt. Erstaunlich kalt, für den Frühsommer. Die Treppenstufen knarzten, aber es war ja niemand da, der mich hören würde. Liam saß schon da, in Jogginghose und einem T-Shirt. "Ist dir nicht kalt?", grinste ich und tippte auf seinen Arm. "Nein, dir etwa?" Ich ließ mich neben ihm ins Heu fallen. "Nee." Ein wenig zu auffällig zog ich die Jacke enger um mich. "Sicher?" Er grinste wissend und seine Augen beobachteten mich durch die Dunkelheit. Er schob den Ärmel meiner Jacke nach oben. Hier oben war es nicht sonderlich kalt, trotzdem bekam ich durch seine Berührung eine wahnsinnige Gänsehaut. Was war das denn? "Dir ist kalt.", meinte er nun. Er legte vorsichtig einen Arm um mich, nicht aufdringlich, nur wärmend und...beschützend.

Mein Kopf lag auf seiner Schulter. Das war das erste, was mir auffiel als ich gegen das helle Licht anblinzelte. Moment mal! Es war hell? Ich schreckte auf und weckte damit auch Liam. "Morgen.", grinste er, steckte sich und zog mir einen Strohhalm aus den kastanienbraunen Haaren. "Nichts da morgen!", rief ich aufgebracht, "wir haben verpennt!" Seine Augen weiteten sich, dann stürmten wir beide zur Tür und die Treppen nach unten. Im Stall krachte ich - wie hätte es auch anders sein können - mit meiner Mutter zusammen. "Liliana!", rief sie. Sie hatte Dragon am Zügel, fertig gesattelt, das passte mir nicht. "Wo hast du gesteckt?", fuhr sie mich an, "du musst spätestens in einer halben Stunde auf dem Abreiteplatz sein!" Ich blieb ruhig. Ihre Schimpftiraden konnten mir nichts mehr anhaben. Bald war ich frei. "Und überhaupt: Wie siehst du eigentlich aus? Hast du auf dem Heuboden übernachtet?" "Ja.", sagte ich und verkniff mir ein Grinsen, als ich ihren schockierten Blick bemerkte. "Ich konnte nicht schlafen." "Du konntest nicht schlafen! Hör sich das einer an!" Sie spuckte die Worte förmlich aus. "Ich war nervös. Heute ist ein wichtiger Tag!" Ich hatte versucht sie nicht nachzuäffen, was mir nicht besonders gut gelungen war. Ich schnappte ihr Dragons Zügel aus der Hand, machte auf dem Absatz kehrt, fing Liams bewundernden Blick ein und machte mich auf den Weg zum Abreiteplatz. In roter Reithose und mit Heu in den Haaren. Sollten sie mich doch disqualifizieren. Das war mir egal. Denn bald war ich frei. Das konnte ich mir gar nicht oft genug sagen. Dieses eine mal noch, dann war ich frei. Dann waren wir frei! Ich legte meinen rechten Arm auf Dragons Hals, als wäre er meine Stütze. Er war meine Stütze. Die Stütze meines kaputten Lebens. Er gab mir Halt und ich war mir sicher, wir würden dieses letzte Turnier noch gemeinsam schaffen.

Ich erntete ein paar missbilligende Blicke der anderen Reiter, aber das störte mich nicht im geringsten. Ich konnte nur grinsen. Ich wärmte Dragon gut auf und machte einen Probesprung, für mehr war mir der Platz zu voll. "Startnummer 23, Liam von Kleeberg auf Lady in Black." Das Startsignal ertönte. Ich beobachtete ihn von Dragons Rücken aus. Er hatte sich noch umgezogen und plötzlich kam ich mir wirklich ein bisschen dämlich vor, in meinem rebellischen Outfit. Lady in Black war seine eigene Stute. Die beiden waren ein eingespieltes Team und nach seinem Ritt übernahm er die Führung. Ich sah ihm an, dass ihm das total egal war. Ich sah wie er Ladys Hals streichelte, wie er entschuldigend auf sie einredete. Wie ich und Dragon. Bei diesem Bild schossen mir Tränen in die Augen. Er war wirklich wie ich. Jetzt war ich mir sicher. "Startnummer 24! Liliana Maiwald auf Dragonfly!" Ich atmete tief durch. Die Luft roch nach Sommer. Nach Freiheit. "Ein letztes Mal!", sagte ich zu Dragon und auch zu mir selbst. Wir starteten in vollem Galopp. Dragon spürte, das es anders war als sonst. Er wusste, dass es danach vorbei war. Er legte eine Wahnsinns-Zeit hin. Wir flogen über alles hinweg. Ich dachte an keinen einzigen Ratschlag meiner Mutter. Ich ließ ihn einfach laufen. Ich zügelte sein rasantes Tempo nicht ein einziges Mal. Mir war schwindelig, aber Dragon hielt meine Welt fest. Noch ein Hindernis, noch ein einziger Stein auf unserem Weg. Ich warf einen letzten Blcik zu meiner Mutter, um meine Revolution siegessicher zu beenden. Neben ihr konnte ich eine Frau erkennen. Ich kannte sie. Und dann parierte ich Dragon durch. Er war ein bisschen verwundert, aber er gehorchte. Das Publikum wurde still. Meine Mutter sah mich vorwurfsvoll an, aber ich hatte nichts anderes erwartet. Es sah aus, als ob sie ein Stoßgebet zum Himmel schicken würde, dass ihre durchgeknallte Tochter endlich wieder zur Vernunft kommen würde. Ich starrte zu ihr und dieser Frau. Die Frau, die Dragon kaufen wollte.

Jetzt wusste ich es. Nichts auf der Welt würde meine Mutter aufhalten können. Nichts und niemand. Ich hatte nicht gewonnen. Ich hatte verloren. Game over. Sie hatte mich besiegt. Ich konnte kaum einen klaren Gedanken mehr fassen. Das einzige was ich vor mir sah, war eine Wiese. Grünes, hüfthohes Gras.

Ich drückte Dragon die Fersen an den Bauch und er sprang vom Stand in den Galopp. Ich lenkte ihn am Schlusshindernis vorbei. Überraschtes Gemurmel aus den Zuschauerreihen, die in meiner Nähe waren. Wir preschten auf die Umzäunung der Strecke zu. In vollen Galopp. Nicht mehr zu bremsen.

Und dann sprangen wir. Wir sprangen in die Freiheit. Wir flogen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.

Pferde fliegen. Ohne Flügel. Mit dem Wind.Where stories live. Discover now