Marshall B. Rosenberg

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Beginnen wir mit Rosenberg. Um sein Ideen besser zu verstehen, müssen einige Punkte im Auge behalten werden: Er hat ein positives Menschenbild, wonach der Mensch ganz natürlich bereit ist »vom Herzen zu geben«. Die Freude am einfühlsamen Geben und Nehmen entspräche unserem natürlichen Wesen. Leider ist der Mensch in vielen Bereichen »verkorkst« und muss entsprechend viel lernen und viel verlernen.

Rosenberg unterscheidet ferner zwei Kategorien: Giraffen und Wölfe (Im Original »jackals«, also Schakale). Die Art, wie wir denken, fühlen und handeln wird entsprechend der einen oder der andere Kategorie zugeschrieben. Die Sprache der Giraffen (große Herz!) ist die gewaltfreie Kommunikation. Im Folgenden werde ich an verschiedenen Stellen auf Giraffen- und Wolfsmerkmale hinweisen.

Rosenberg: »Du hast immer die Wahl etwas nicht zu tun.«

Rosenberg hat noch weitere Grundnahmen. Er kritisiert das »Leugnen der Verantwortung« für eigene Gefühle und Handlungen. Er geht dabei sehr weit: Selbst Sätze wie »Ich muss das tun, weil der Lehrer es mir aufgetragen hat.« oder »Ich fühle mich so, weil du mich mies behandelst.« würde er als »Leugnung der Verantwortung« betrachten. Rosenberg ist der Meinung, dass wir uns nicht als Opfer betrachten und zu unseren Entscheidungen stehen sollen. Grundsätzlich hätten wir die Wahl alle Dinge »nicht zu tun«, auch nicht Aufgaben, die uns der Chef, Lehrer oder ein Elternteil aufgibt. Das was auf den ersten Blick recht anarchistisch wirkt, soll uns nur vor Augen führen, das es immer unsere Entscheidungen sind: Natürlich hätten wir die Möglichkeit uns zu weigern Aufgaben zu erledigen. Der Schüler könnte die Mitarbeit verweigern. Er würde dann den Schulabschluss nicht schaffen. Er muss die Aufgaben nicht erledigen, sondern er will den Schulabschluss machen. Das ist seine eigentliche Entscheidung und die Pflicht, die Aufgaben zu erledigen, ist lediglich die Folge seines Entschlusses. Ähnlich verhält es sich nach Rosenberg auch bei Emotionen. Indem man konsequent die Verantwortung übernimmt, verhindert man, dass man den anderen die Schuld für die Umstände bzw. Gefühle gibt und dadurch verurteilt.

Rosenberg: »Du trägst für alles die Verantwortung - außer für Reaktion des anderen.«

Nach Rosenberg sind nur wir für unsere Gefühle, Bedürfnisse, Worte und Handlungen verantwortlich. Nicht jedoch für die Reaktion des anderen auf unsere Worte oder Handlungen! Dafür ist wiederum dieser selbst verantwortlich!

Grundsätzlich finde ich es richtig und gut Verantwortung zu übernehmen. Jedoch wirkt die Verantwortungsübernahme bzw. Zuschreibung teilweise auf mich befremdlich. Was meint Rosenberg mit »Verantwortung für Bedürfnisse« übernehmen? Heißt es sich um diese zu kümmern? Oder soll man tatsächlich für das Vorhanden sein oder Fehlen eines Bedürfnisses verantwortlich zu sein? Wie soll das funktionieren? Habe ich Einfluss auf meine körperlichen Bedürfnisse oder meine psychologischen Bedürfnisse, wie z. B. Liebe? Und wie ist es, wenn ich durch meine Worte & Handlungen die Bedürfnisse anderer beschneide, z. B. jemanden beleidige oder schlage? Habe ich da für meine Worte und Handlungen keine Verantwortung? Seine Gedanken sind sicherlich konsequent, aber nicht in allen Situationen überzeugend. Ich könnte das nur so deute, dass wenn man als »Giraffe« spricht oder handelt (was natürlich friedlich wäre), dann habe ich keine Verantwortung für die Reaktion des anderen... Aber was ist, wenn ich mich als Wolf gebe, also angreife... Habe ich da keine Verantwortung für die Gefühle des anderen? Gerade, wenn ich dessen Bedürfnisse gezielt und bewusst beschneide?

Werte vs. Urteile: Richte die Aufmerksamkeit auf das, was dir gerade wichtig ist, was du brauchst (Werte/Bedürfnisse) und nicht darauf, wie der andere ist (Urteile), weil er etwas (nicht) tut oder (nicht) sagt.

Ich persönlich habe bei manchen Ideen von Rosenberg Probleme. So lehnt er jegliche (moralische) Urteile und das Zuschreiben von Eigenschaften wie z. B. gut/böse, gerecht/ungerecht usw. bezüglich des Kommunikationspartners ab. Dabei dürfen Handlungen mit Bezug auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewertet werden, jedoch nicht im Bezug auf moralische Kategorien.

Zugespitzt ausgedrückt: Nach Rosenberg wäre es nicht richtig einen freilaufenden Massenmörder als bösartig oder gemeingefährlich zu verurteilen, sondern man dürfte lediglich sich Angst eingestehen und sein Sicherheitsbedürfnis als beeinträchtigt bezeichnen.

Meiner Meinung nach sind (moralische) Urteile richtig und wichtig, jedoch muss man sich dabei bewusst sein, dass man seinem Gesprächspartner dadurch weniger offen begegnen kann. Das moralische Empfinden definiert uns ein Stück weit. Es ist Teil unserer innersten Überzeugungen. Wenn es einem gelingt, dem anderen zugestehen zu können, dass dessen Moralempfinden ganz anders sein kann, dann kann man trotz anderer Moralvorstellungen den anderen annehmen. Das, was für mich gut oder schlecht, recht oder unrecht ist, dass muss für den anderen nicht so sein. Ihn zu verurteilen, weil er ein anderes moralisches Empfinden hat, ist nicht hilfreich. Letztendlich können wir schwerlich den anderen verurteilen, weil wir nicht in sein Herz bzw. in sein Innenleben schauen können. Da haben wir sie wieder, diese »undurchdringliche Blase«.

»Das ist gut« oder »Das ist schlecht« sind durch aus legitime »Komprimierung« komplexer Dinge, die nicht zwangsläufig (jedes Mal) soweit aufgebröselt werden müssen, bis die dahinterliegenden gegensätzlichen Bedürfnisse offengelegt werden. Und es ist auch keinesfalls sinnvoll, seinem Gegenüber stets zu widersprechen, um ihn vom „Schlechten" zum „Guten" zu führen.

Auf der anderen Seite hat Rosenberg Recht, dass Urteile uns einschränken und wir andere abstempeln. Reden wir in der verurteilenden »Wolfssprache« mit anderen oder mit uns selber, dann kann das die Entwicklung beeinträchtigen. Dabei geht es sogar nicht nur um das sprechen, sondern auch um das Hören: Höre ich Kritik mit Wolfsohre (gegen mich oder gegen den anderen gerichtet)? Oder habe ich Giraffenohren (auf mich oder auf den anderen gerichtet)? Nach Rosenberg denken, fühlen und handeln wir entweder als Wolf oder als Giraffe. Mehr dazu im Abschnitt Reagieren.

Ferner kritisiert Rosenberg das »Anstellen von Vergleichen«, weil diese eine andere Form von Verurteilungen seien. (Da wir alle ganz unterschiedlich »gestrickt« sind und wir gern von uns oder von anderen »Vorbildern« auf den Gesprächspartner schließen, sind Vergleiche ohnehin problematisch. Wieder einmal das Problem der Isolationsblase oder »Fremdsicht«!)

»Der Ton macht die Musik!«

Ebenfalls sehr schädlich ist nach Rosenberg das »Stellen von Forderungen anstatt von Bitten«. In beiden Fällen möchte man etwas vom Gesprächspartner. Der entschiedene Unterschied entsteht bei der Ablehnung: Während die abgelehnte Bitte die Möglichkeit nach einer flexiblen Suche nach Alternativen offen hält, folgen bei der abgelehnten Forderung Sanktionen. Diese können Strafen sein oder auch die Erzeugung von Angst oder Schuldgefühlen beim Gegenüber (z. B. durch Schweigen oder Vorwürfe). Es ist wichtig, dass die Bitten als ehrliche Bitten ausgesprochen und gemeint werden und nicht als verkleidete Forderungen: »Bitte mach das, sonst ...«. Dazu später mehr.

Die undurchdringliche Blase (Psychologie, Kommunikation)Where stories live. Discover now