Sich öffnen, Bitten

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Die vierte Stufe: Bitte

Bei Rosenberg sollte der Problembesitzer (man hat ein »unerfülltes Bedürfnis«) zunächst nach der Beobachtung den Sachverhalt (ohne Bewertung / Interpretation!) seinem Gesprächspartner mitteilen, so dass er weiß, worauf man sich anschließend bezieht. Das ist wichtig, weil dem anderen z. B. gar nicht bewusst ist, dass er einem wiederholt ins Wort fällt.

Beispiel: Der Nachbar mäht zur Zeit der Mittagsruhe den Rasen. Vorgeschlagene Feststellung des Sachverhalts: »Ich sehe, Sie mähen gerade ihren Rasen.« – Mein Senf dazu: Rosenberg fordert uns auf, den Sachverhalt ohne Bewertung anzugeben! Das kann eine ziemliche Herausforderung sein, wenn man bereits verärgert ist, denn Körpersprache und Tonfall können durchaus den Satz »Ich sehe, Sie mähen gerade ihren Rasen.« zu deutlich mehr, als eine Sachbotschaft machen! Hier ist wohl viel Selbstbeherrschung gefragt!

Sobald das Gefühl und das unbefriedigte Bedürfnis identifiziert wurden, ist es möglich eine Bitte an seinen Gesprächspartner zu richten. Dabei geht Rosenberg davon aus, dass jeder Mensch gern bereit sei, etwas für einen anderen Menschen zu tun, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Das Menschen in ihrer natürlichen Art tatsächlich diese Einstellung haben, begründet sich in den Bedürfnissen nach Gemeinschaft, Kooperation, Harmonie und dem Wunsch »gebraucht zu werden«. »Helfen zu können« steigert zudem das Selbstwertgefühl. Wird die Anfrage jedoch als Forderung formuliert oder hat der Gesprächspartner das Gefühl eine Pflicht abzuarbeiten bzw. ist das Verhältnis auf der Beziehungsebene massiv gestört, ist die Erfüllung der Anfrage schwieriger.

Mittlerweile wurden zahlreiche Versuche mit Kleinkindern und sogar mit Säuglingen durchgeführt, die die angeborene Hilfsbereitschaft nachgewiesen haben. Bereits in diesem Alter können Kinder Handeln bewerten und wissen was »richtig« (»helfend«) und was »falsch« (»schädigend«, »behindernd«) ist.

Rosenberg ist davon überzeugt, dass auch Gesprächspartner, die nicht in der gewaltfreien Kommunikation geschult sind, sich auf diese Art der Kommunikation einlassen – wenn nicht sogar hineingezogen werden. Sie entspricht seiner Meinung nach der »natürlichen Kommunikation«. Durch diese offene Art der Kommunikation entsteht ein Fluss zwischen den Menschen, ein ehrlicher, friedlicher Austausch, durch den auch schwierige Konflikte gelöst bzw. durch einen Kompromiss abgemildert werden können.

Bei der Formulierung der Bitte sollten möglichst folgenden Punkte beachtet werden:

· Die Bitte bezeiht sich auf eine konkrete Handlung in der Gegenwart und ist kein vager Wunsch und sollte sich nicht auf Ereignisse in der fernen Zukunft beziehen.

· Die Bitte soll in einer »positiven Handlungssprache« formulieret werden, d. h. man sagt, was man will, statt was man nicht will.

Es gibt auch die Möglichkeit, um z. B. eine Beschreibung der Gefühle des anderen zu bitten (Rosenberg nennt dies eine »Beziehungsbitte«, weil es keine Handlung im eigentlichen Sinn ist).

Oft macht es Sinn seine Bitte mit seinem Gefühl und dem damit verbundenen Bedürfnis zu begründen. Dabei ist selbstverständlich, dass man dieses ohne Angriffe / Beschuldigungen in Form von einer klaren Ich-Botschaft formuliert. So wird das Anliegen für den Gesprächspartner nachvollziehbar und emotional verständlich. Allerdings erfordert die offene Besprechung von Gefühlen und Bedürfnissen Mut. Sind bestimmte Bereiche mit Angst oder bestimmten Vorstellungen besetzt, kann es sein, dass zunächst dieser Mut nicht aufgebracht werden kann, d. h. es muss Zeit in den Kommunikationsprozess investiert werden.

Das wichtigste Element der Bitte ist, dass sie keine versteckte Forderung ist. Wenn man auf etwas besteht, dann sollte man fordern, nicht bitten. Das geht auch. Natürlich sind Forderungen für die zwischenmenschliche Beziehung vermutlich schädlich, aber klare Forderungen sind immer noch besser als versteckte. Wenn wir bitten, dann sollte uns klar sein, dass die Bitte auch nicht erfüllt werden kann!

Die vier Stufen in Rosenbergs Grundmodell der gewaltfreien Kommunikation sollten sich auch in der Art und Weise des Bittens wiederfinden: Die wertungsfreie Darlegung des Sachverhaltes weißt die Beteiligten auf die gegenwärtige Lage hin. Die Offenlegung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse helfen dem anderen uns zu verstehen. Für diese ersten drei Schritte, müssen wir zuerst in uns selbst eine entsprechende Klarheit finden. Bei der Formulierung der Bitte gibt es auch einiges zu beachten – siehe oben.

Rosenberg fasst die Schritte im Grundmodell in folgendem Satz zusammen:

»Wenn ich A sehe, dann fühle ich B, weil ich C brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne D.«

Beispiel: »Wenn du ohne Anklopfen in mein Zimmer kommst, dann bin ich verärgert, weil mir Privatsphäre wichtig ist. Wärst du bereit anzuklopfen, bevor du mein Zimmer betrittst?«

Dabei ist dieses Grundmodell eine Art »Übergangshilfe« für die Schulung der Aufmerksamkeit und kein Ersatz für die Alltagssprache. Rosenberg gibt an, dass es in der Regel erhebliche Übung bedarf, bis die gewaltfreie Kommunikation in der Alltagssprache zu einer flüssigen Kommunikation wird. Auf der einen Seite wirkt es unnatürlich sich beim Bitten an die verschiedenen Schritte zu halten: Auf den Sachverhalt hinweisen, eigene Gefühle und Bedürfnisse darlegen, Bitte aussprechen. Im Alltag und in bestimmten Situationen kann sehr zähn und befremdlich wirken! Auf der anderen Seite sind alle Schritte hilfreich und verbessern die Chancen, dass unsere Bedürfnisse gestillt werden. Weil wir es nicht gewohnt sind, lohnt es sich dieses Grundmodell auch im Alltag anzuwenden, damit wir es in schwierigen Situationen ebenfalls beherrschen. Ohne Übung wird es uns nicht gelingen!

Ungelöstes Problem bei Rosenberg: Was tun, wenn mein Gegenüber meine Bedürfnisse nicht erfüllen will und sich nicht öffnet (um zu erkennen, was seine Bedürfnisse sind, die ihn daran hindern mir entgegen zu kommen)? 

Die undurchdringliche Blase (Psychologie, Kommunikation)Where stories live. Discover now