15. Kapitel

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15. Kapitel

Freunde erkannt man daran wie sehr sie dazu bereit sind sich zum Affen zu machen, damit es einem selbst besser geht.

-K.M.

Nach einer Weile lagen Lilly und Hanna so atemlos im Gras, dass sie nicht einmal mehr genug Luft zum Lachen hatten. Unsere Köpfe lagen alle zusammen, wenn man von oben auf uns herab sah, könnte man meinen wir wären die Flügel einer Windmühle. Gedankenverloren spielte ich mit den Fingern meiner Schwester, während diese versuchte sich zu beruhigen. Hanna war schneller als sie. Irgendwann waren nur noch tiefe, gleichmäßige Atemzüge von ihr zu vernehmen. Sie war einfach in der heißen Mittagssonne eingeschlafen. Lächelnd warf ich Lil einen Blick zu. Diese erwiderte und deutete mit dem Kopf auf unseren Sonnenschirm. Mit etwas Mühe rappelte ich mich auf und schaffte ihn heran. Direkt neben Hanna spannte ich ihn auf, damit er ihr Schatten spendete und sie sich keinen Sonnenbrand holte. Meine Schwester rollte sich neben ihre Freundin, blieb auf dem Bauch liegen, kreuzte die Arme, bettete ihren Kopf darauf und schloss die Augen. Unschlüssig stand ich eine Weile neben ihr, bis ich feststellte, dass auch sie eingeschlafen war. Leise machte ich mich davon.

Im Haus war es angenehm kühl und seht still. Toten still. Beinah wie an dem Tag nach Annas Tod. Als sie gerade ein paar Stunden tot war, hatte man überall im Haus Schreie und Weinen gehört, doch am Tag danach: Nichts. Nur das Brechen der Wellen vorm Haus. Es war unheimlich gewesen. Unwirklich. Bis zu diesem Zeitpunkt, konnte man jeden Tag Lachen und freudiges Geschrei hören. Als es dann so plötzlich aufhörte, jagte es mir Angst ein. Eine Zeitlang glaubte ich, dass keiner von uns jemals wieder lachen würde. Mein erstes Lachen, nach ihrem Tod, war wegen Lilly gewesen. Natürlich. Und auch sie musste an jenem Tag zum ersten Mal wieder herzhaft lachen. Bei der Erinnerung daran, grinste ich leicht dümmlich vor mich hin.

Ich spielte gerade auf dem Stützpunkt Basketball. Lillys saß am Spielfeldrand und schaute zu. Neben ihr stand ein altes Radio. Als ein noch älterer Britney Spears Song lief, hörte Drew plötzlich auf, sah von mir zu meiner Schwester und wieder zurück. Vermutlich hätten wir nicht bedrückter aussehen können, am halbjährigen Todestag unserer Schwester, denn mit einem Mal, fing er laut an zu singen:

„I'm Miss American Dream since I was 17,

Don't matter if I step on the scene or sneak away to the Philippines,

They still gon' put pictures of my derrière in the magazine,

You want a piece of me? You want a piece of me?"

Vollkommen perplex sah ich ihn an. Als in der nächsten Strophe auch noch Rayn einstieg:

„I'm Miss Bad Media Karma, another day, another drama,

Guess I can't see the harm in workin' and being a mama,

And with a kid on my arm, I'm still an exceptional earner,

You want a piece of me?"

Beim Refrain grölen alle gemeinsam und legten eine absolut chaotische Performanz hin.

„I'm Mrs. Lifestyles Of The Rich & Famous

(You want a piece of me?)

I'm Mrs. Oh My God, That Britney's Shameless

(You want a piece of me?)

I'm Mrs. Extra, Extra, This Just In

(You want a piece of me?)

I'm Mrs. She's Too Big, Now She's Too Thin

(You want a piece of me?)"

Mit einemmal konnte ich nicht anders. War mir bis dahin noch zum heulen zumute gewesen, so hielt ich mir mit plötzlich den Bauch vor Lachen. Das war so dämlich und lustig zugleich. Ich brüllte fast, klopfte mir auf die Schenkel und wischte mir eine Freundenträne weg, während sie unbeirrt weitermachten:

„Oh yeah

Oh yeah

I'm Mrs. You Wanna Piece Of Me?

Tryin' and pissin' me off

Well get in line with the paparazzi

Who's flippin' me off?

Hoping I'll resort to some havoc

End up settlin' in court

Now are you sure you want a piece of me?

(You want a piece of me?)

I'm Mrs. Most Likely To Get On The TV For Strippin' On The Streets

When gettin' the groceries, no, for real are you kiddin' me?

No wonder there's panic in the industry

I mean, please, do you want a piece of me?

I'm Mrs. Lifestyles Of The Rich & Famous

(You want a piece of me?)

I'm Mrs. Oh My God, That Britney's Shameless

(You want a piece of me?)"

Vom Rand des Feldes, vernahm ich zwischen meinen Lachanfällen ein helles Kichern, das zu einem lauten Lachen anschwoll. Als ich mich danach umdrehte, kringelte sich meine kleine Schwester fast auf dem Boden. Einige Soldaten waren stehengeblieben und musterten uns skeptisch, ehe auch sie losgrölten. Einige stiegen mit ein, andere lachten nur noch lauter. Wer hätte gedacht, dass wir so bekloppt sein konnten?

Wenn ich mich recht erinnerte, waren sogar einige Videos davon auf Youtube gelandet. Mich störte das nicht. Ich fand es lustig und schaute sie mir selbst gerne an. Mittlerweile hatte das eine oder andere schon mehrere hunderttausend Klicks. Verrück, wenn man bedachte, das darauf ein Haufen Soldaten zusehen waren, die unser Land schützen sollten, doch stattdessen lauthals Britney Spears sangen und dazu tanzten. Lachend schüttelte ich den Kopf. Es war und blieb lustig und einer der besten Tage meines Lebens.

Das Klingeln des Telefons riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaute mich kurz suchend danach um. Irgendwie fehlten mir die alten Telefone, die noch an der Wand gehangen hatten. Die hatte man wenigstens nie suchen müssen. Als ich es endlich fand, hechtete ich hin, hob ab und meldete mich.

„Ah, hallo Leo. Deine Mutter und ich kommen heute Abend erst spät nach Hause, vielleicht auch gar nicht. Tom und seine Frau haben uns eingeladen zum Essen zu kommen. Vielleicht übernachten wir dort. Sag bitte deiner Schwester bescheid und esst anständig ja?", redete mein Vater direkt drauf los.

Ehe ich etwas erwidern konnte, hatte er auch schon wieder aufgelegt. Verwirrt sah ich das Telefon an, aus dem nur noch ein Tuten zu hören war. Man sollte meinen, dass man sich mit der Zeit an solche Gespräche gewöhnte, doch das tat man nicht. Ich jedenfalls nicht. Schulter zuckend legte ich auf und stellte das Telefon in die Ladestation. Tja, sah ganz danach aus, als würden wir den Abend zu zweit, oder zu dritt verbringen. Je nachdem ob Hanna blieb oder nicht. Essen musste so oder so gemacht werden. Auf einen mehr oder weniger kam es da auch nicht an. Langsam schlenderte ich zum Kühlschrank um etwas zum Kochen zu jagen.


Forbidden Touch (TNM-#0.5)Where stories live. Discover now