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Hollywood. Warum ausgerechnet Hollywood? Diese Frage ist theoretisch, sowie praktisch einfach zu beantworten. Seit mein Vater mit seiner Schauspielkarriere derartig durchgestartet war, sprach er davon, nach L.A. zu ziehen. Der ausschlaggebende Punkt war dann Catherine gewesen. Meine neue Stiefmutter.

„Wann sind wir da Dad?", fragte ich zum ungefähr tausendsten Mal und klang dabei wie eine quengelndes Kleinkind.

„Nicht mehr lange, Liebes. Lehn dich zurück und genieße den Ausblick. Oder bestell dir noch etwas, wenn du Hunger hast"

Seufzend ließ ich mich in den Sitz sinken und sah aus dem ovalen Fenster des Flugzeuges. In der ersten Klasse gab es so viele Flugbegleiter, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn zusätzlich alle Sitze hier mit Kashmere überzogen wären. Früher hätte ich nie auch nur daran gedacht, jemals in der ersten Klasse zu fliegen. Oder generell zu fliegen. Seit meiner Geburt hatten wir immer nur Autoreisen gemacht. Meinen Eltern schien das die günstigte Lösung zu sein. Wir waren nicht arm. Wir besaßen durchschnittlich viel Geld. Trotzdem war mir klar, dass sich nun viel ändern würde.

Mein Dad las schon seit Ewigkeiten die Tageszeitung, sodass ich mich fragte, wie viele interessante Nachrichten auf ein paar Blättern Papier stehen konnten. Vielleicht war mein Dad aber auch einfach unfassbar langsam beim Lesen.

„Kann ich noch etwas für sie tun, Miss?", fragte mich ein Flugbegleiter. Ich war drauf und dran, ihm zu sagen er solle doch bitte selber etwas essen oder kurz Pause machen, anstatt vier Stunden am Stück am Ende des Gangs zu stehen und darauf zu hoffen, jemand hätte gleich noch einen Wunsch. Als ich jedoch den warnenden Blick meines Dads wahrnahm, sagte ich schließlich: „Könnten sie mir vielleicht sagen, wann wir ankommen? Dieser nette Mann dort drüben vertröstet mich nämlich die ganze Zeit auf später." Ich machte eine ausladene Handbewegung in Richtung meines Vaters.

Der Flugbegleiter lächelte, doch selbst das sah bei ihm sehr formell aus. „Wir sollten voraussichtlich in einer halben Stunde ankommen. Dieser nette Mann dort drüben ist übrigens mein Lieblingsschauspieler", sagte er und wurde rot, als mein Vater den Kopf hob. Er lächelte den Flugbegleiter an und reichte ihm mit den Worten „Das freut mich zu hören, Menschen wie sie motivieren mich sehr" eine Autogrammkarte. Eine Geste, die mein Dad mittlerweile wohl im Schlaf konnte. Ich fragte mich, was die Leute mit Autogramm Karten wohl machten. Mein Dad hatte bestimmt schon hunderte male auf kleine Zettel, Fotos von ihm oder sogar Kleidungsstücke unterschrieben. Wahrscheinlich sammeln viele Leute Unterschriften von berühmten Personen. Auch, wenn ich das eher weniger nachvollziehen kann. Es ist im Nachhinein doch nur ein Schriftzug von einem ganz normalen Mann. Meinem Vater. Doch anscheinend fühlen sich die Leute gut, wenn sie sagen können: „Guck mal, hier habe ich Daniel Waldorf getroffen" und als Beweis das Autogramm hinhalten können.

Der Flugbegleiter sah auf den ersten Blick überhaupt nicht wie jemand aus, der Autogramme sammelte. Wahrscheinlich wollte er es einfach nur seiner Frau oder seinen Kindern zeigen und erzählen, dass man auch als Flugbegleiter etwas erleben kann. Sofern man eine kurze Begegnung mit meinem eigentlich gar nicht so spannenden Dad als ein nennenswertes Erlebnis bezeichnen konnte. Doch mir war klar, dass es für Leute, die mein Vater nicht zufällig groß gezogen hatte anders war, als für mich. 

Der Mann war ein wenig aus der Bahn geworfen, aber er blieb professionell. Er schob sich die Karte in seine Westentasche und bedankte sich bei meinem Dad. „Kann ich noch irgendetwas für sie tun, Sir?", fragte er meinen Vater und vergaß in dem Moment anscheinend, dass er eigentlich gerade noch bei mir war. Mir machte das jedoch nichts aus. Ich hatte sowieso keine Wünsche mehr. Außer vielleicht, endlich anzukommen. Oder nicht anzukommen. Keine Ahnung. 

Um ehrlich zu sein hatte ich Angst davor. Davor, was in Los Angeles auf mich wartete. Ein neues Haus, eine neue Mutter, eine neue Schule. Auch, wenn Catherine für mich vermutlich nie so etwas wie eine Mutter sein würde. Ich hatte immer das Gefühl, sie würde meine Mom ersetzten wollen. Was eigentlich nicht mehr als ein Vorurteil war, da ich Catherine noch nie gesehen hatte und mein Dad sie erst weit nach dem Tod meiner Mom kennengelernt hatte.

Bei dem Gedanken an die vollkommen neue Umgebung schlug mir ebenfalls das Herz bis zum Hals. Ich kam noch nie mit etwas klar, das mir nicht vertraut war. Die Tatsache, dass mein Leben sich nun drastisch verändern würde, ließ mich erschaudern.

So weit ich wusste, hatte Catherine sehr viel Geld, genau wie mein Vater. Anscheinend war sie Model. Ich wusste nicht viel über sie. Genau genommen waren mein Dad und ich quasi Hals über Kopf aufgebrochen. Ich, mit keinen weiteren Informationen als ihrem Namen und ihrem Beruf. Ich hatte sie noch nie in echt gesehen, nur auf Fotos in irgendwelchen Modemagazinen oder im Internet (Ja, ich hatte ihren Namen gegoogelt, was in meiner Situation doch echt verständnisvoll war, oder?!)

 Mein Dad hatte vor ein paar Monaten mal einen beruflichen Ausflug nach Los Angeles gemacht. Ich lebte währenddessen bei meiner Tante, die mir jede Minute irgendetwas Essbares brachte und unglaublich stark nach Parfum roch. In diesen Wochen hatte er anscheinend Catherine kennengelernt. Ich fragte mich manchmal, wie das möglich war. In zwei Monaten die Liebe seines Lebens kennenzulernen. Tja, Dad machte es möglich. Er kam quasi wieder und das erste was er sagte war: „Chloe, ich habe mich verliebt!" 

Kein sehr schönes Erlebnis für mich. 

Mein Dad und ich hatten schon immer in einer gemütlichen Kleinstadt gelebt, und auch wenn es ständig regnete und der WLAN-Empfang grottenschlecht war, liebte ich mein früheres Leben. Wir hatten einen Hund namens Charlie, den ich wirklich sehr gemocht hatte. Nur konnten wir ihn leider nicht mitnehmen, da Catherine eine Tierhaarallergie hatte.

Catherine hier, Catherine da. Würg.

Außerdem hatte mein Dad gemeint, dass es bei den beiden „Liebe auf den ersten Blick" war. Wenn man sich zwei Stunden lang sein Geschwärme für Catherine anhören musste, dann erschien diese Aussage sogar ziemlich realistisch. In seinen Augen ist sie wohl so etwas wie eine Liebesgöttin.

„Achtung: Bitte legen sie ihre Sicherheitsgurte an. Wir werden in wenigen Minuten landen", ertönte die Stimme des Piloten. Ich war bisher noch nie Flugzeug geflogen und war dementsprechend etwas nervös. Ich warf mir ein Kaugummi in den Mund, um für den Druckausgleich zu sorgen. Ich hatte schon von mehreren Leuten gehört, dass es beim Landen manchmal ziemlich in de Ohren wehtut. Deshalb hatte ich vorsichtshalber vorgesorgt. Die Landung war entgegen meiner Erwartungen jedoch ziemlich entspannt, was man vom Aussteigen danach nicht behaupten konnte. Kaum traten wir aus dem Flugzeug, blitzten uns zahlreiche Lichter entgegen. Wie immer, wenn Paparazzi Fotos von uns schossen, stellte ich mir die Schlagzeile vor. 

„Daniel Waldorf endlich in Los Angeles angekommen!"

Obwohl, vermutlich würde die Presse versuchen, sich etwas Kreativeres einfallen zu lassen. So etwas wie:

„Daniel Waldorf- Home sweet Home- endlich in L.A."

Auf dem Weg vom Flugzeug zu dem Taxi, welches bereits auf uns wartete, lächelte ich in dutzende verschiedene Kameras und versuchte, ihnen allen das zu geben, was sie wollten: Aufmerksamkeit von meinem Vater und wenn der gerade nicht hinschaute halt von mir. Ich hasste dieses Spiel. Dieses Falsche Lächeln, dass man gezwungenermaßen aufsetzten musste, sobald Kameras in der nähe waren. Sonst wurde man im Internet direkt als mürrisch, eingebildet oder gemein betitelt. Der Gedanke daran, dass dieser Vorgang sich in Hollywood weitaus öfters wiederholen würde, als dort wo wir früher gelebt hatten, gefiel mir überhaupt nicht. 

Wir gingen zum Taxi und stiegen eilig ein. Der Taxifahrer wusste bereits, zu welcher Adresse wir mussten und fuhr eilig los. Im Radio hörten wir entspannte Jazzmusik, während um uns herum die Hölle los war.

Mehrere Autos verfolgten uns und ich konnte tatsächlich einen Streifenwagen erkennen. Ich schaute aus dem Fenster. L.A. war unglaublich. Ich sah den weltberühmten Hollywood Schriftzug auf dem Mount Lee. Außerdem waren draußen überall Palmen, und obwohl es gerade erst Anfang Frühling war, war es sonnig und sehr warm. Diese Stadt schien perfekt. Es war ein bisschen peinlich, aber mittlerweile hing ich geradezu an dem Taxifenster. Wir fuhren am Disneyland vorbei, und ich beschloss, Dad zu überreden irgendwann mal mit mir hinzufahren.

„Unser neues Zuhause wird dir gefallen, Liebling", sagte dieser und lächelte selig. Nach weniger als fünfzehn Minuten waren wir da. Und das Haus, welches direkt vor uns lag war atemberaubend.

Manchmal trägt das Glück Socken in SandalenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt