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Als ich fertig war, waren auf meinem Bild ein Skizzenblock und noch ein paar andere Dinge, die mich glücklich machten, zu sehen. Wie zum Beispiel dieses in Schokolade getauchte Marzipanbrot. Ich musste zugeben, dass mein Bild nicht sonderlich kreativ war. Aber ich hatte mir Mühe beim zeichnen gegeben, und das sah man meiner Meinung nach auch.

Ich versuchte, einen Blick auf Nates Bild zu erhaschen, doch er hatte sich darüber gebeugt und seinen Ellenbogen in mein Sichtfeld geschoben. Ich lehnte mich also zurück und wartete, bis er fertig war.

Nach einer Weile hob auch Nate seinen Kopf. Er musterte sein Endergebnis kritisch und ich guckte über seine Schulter. Es verschlug mir die Sprache. Sein Bild war ausschließlich schwarz und weiß gehalten. Er war zwar kein großer Maler, aber das Bild war toll. Irgendwie geheimnisvoll.

Er hatte in die Mitte des Blattes eine schwarz eingemummte Gestalt gemalt. Sie erinnerte mich ein wenig an einen Dementor aus „Harry Potter". Das Gesicht lag im Schatten, doch man konnte die Umrisse der Person gut erkennen. Um ihren Kopf herum waren Fragezeichen. Auf der einen Seite war eine große Menschenmenge ganz in Weiß - man konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Auf der anderem Seite war die gleiche Menschenmenge ganz in Schwarz. Im Hintergrund schien ein großer, grauer Wirbelsturm zu wüten.

Irgendwie war mir mein Bild nun peinlich, doch Nate musterte es beeindruckt. „Cool. Ist zwar nicht sehr tiefsinnig, aber unglaublich gut gezeichnet. Tausendmal besser als meins", staunte er und ließ mich damit wieder erröten.

„Ich sehe, dass alle von euch fertig sind", stellte Mrs. Keth fest. „Also gut: Jeder wird jetzt mit seinem Bild nach vorne kommen und es vorstellen. Die erste Reihe beginnt." Ich schluckte. Ich saß ganz Links und stand auf. Als alle Augen auf mich gerichtet waren, wurde ich noch nervöser.

„Also: Ich habe ein paar Dinge gemalt, die mich glücklich machen", erzählte ich und wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Mrs. Keth nahm mein Bild entgegen und hängte es an die Tafel. „Total super Miss Waldorf. Ich bin begeistert", strahlte sie und ich lächelte dankbar. Dann ging ich zurück zu Nate. Das ging schnell.

Er stand als nächstes auf und ging nach vorne. Total gelassen. Dann hängte er selber sein Bild neben meins an die Tafel und erklärte: „Das Bild soll beschreiben, dass es eigentlich kompliziert ist. Dafür steht die Gestalt in der Mitte. Irgendwie soll sie auch zeigen, dass der Rest des Bildes nicht ganz so stimmt, aber das möchte ich nicht weiter erläutern. Die Personen am Rand sollen darstellen, dass es zwei Seiten gibt. Eine, die öfter glücklich ist, und eine, die sich selbst nur runterzieht", beendet er seinen Vortrag und Mrs. Keth stand der Mund offen, ungefähr so, wie mir vorhin. „Okay. Das ist mal etwas anderes Mr. Maddison. Danke für ihre überaus interessante Ansicht". Nate verbeugte sich noch einmal tief vor ihr, bevor er zurück zu seinem Platz schlenderte. Unglaublich.

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„Willst du noch etwas Wasser? Ich hole mir noch ein Glas", fragte Nate. Die Kantine war heute ausgesprochen leer. „Nein danke, ich bin fast fertig", sagte ich und steckte mir noch eine Gabel Salat in den Mund. „Okay. Holen wir uns zum Nachtisch noch ein Eis?"
Ich nickte. „Ich muss aber noch zu meinem Spind. Wir treffen uns beim Kiosk, okay?", fragte ich und Nate hielt den Daumen hoch.

Dann nahm ich meinen Teller und verließ die Kantine. Ich musste noch mein Portemonnaie holen und schlenderte zu den Spinden. Davor stand Jemand. Bei näherem Hinsehen erkannte ich Alex - das Mädchen aus dem Mathekurs.

„Hi", begrüßte ich sie und zog meinen Schlüssel aus der Hosentasche. „Hey Chloe. Hast du heute Nachmittag Zeit?", fragte sie und ich stutzte. Sie wollte sicherlich nur meinen Vater sehen. Wir kannten uns ja noch nicht einmal richtig. Ich wollte ihr dies aber auch nicht ins Gesicht sagen, da sie im Großen und Ganzen eigentlich ganz nett schien.

„Hm... heute geht leider nicht. Ich muss mit meinem Vater zu einer Feier ", sagte ich und war froh, dass es der Wahrheit entsprach und ich nicht lügen musste. „Okay, schade. Vielleicht ein anderes Mal", sagte sie und ging wieder weg.

Sie tat mir leid. Ich kannte sie zwar nicht gut, aber sie klang irgendwie einsam. Ich holte einen Fünf-Dollar-Schein aus meiner Tasche und schloss mein Schließfach wieder ab.

Nate wartete bereits am Kiosk, als ich ankam. „Hey. Was hast du geholt?", fragte er und ich hielt ihm den Schein unter die Nase. „Geld für ein Eis?", stellte ich fest und er zog die Augenbrauen zusammen. „Ich kaufe dir ein Eis", sagte er. Es klang mehr nach einem Befehl, als nach einem Angebot. „Kommt gar nicht infrage, ich kann mir selber eins kaufen...", wehrte ich mich, doch er stand bereits vor dem Kiosk. „Hey, warte, ich habe echt genug Geld!"

Mein Versuch, ihn davon abzuhalten, mein Eis zu bezahlen scheiterte kläglich. Siegessicher drehte er sich um und drückte mir ein Himbeereis in die Hand. „Einmal dein Lieblingseis. Bedanken kannst du dich später", prahlte er und ich starrte ihn gespielt beleidigt an.

„Woher weißt du, was mein Lieblingseis ist?", fragte ich, als wir auf der Bank saßen. „Das hast du mir gestern erzählt, Prinzessin!" Nate guckte mich tadelnd an.
„Das hast du dir gemerkt??", fragte ich überrascht und er antwortete: „Klar doch!"

Ich schaute mich um, während wir schweigend nebeneinander saßen, Beide in unsere eigenen Gedanken versunken. Doch es war ein schönes Schweigen und überhaupt nicht unangenehm. Nicht so ein unangenehmes Schweigen, wie zum Beispiel, wenn man in der Grundschule von der Lehrerin nach Hause gefahren wird, weil man krank ist und beide Eltern arbeiten. Ja, das ist mir tatsächlich mal passiert. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte und meine ehemalige Lehrerin ebenfalls nicht.

Hinter uns auf der Wiese spielten ein paar Jugendliche Badminton. Das waren anscheinend die Sportskanonen der Schule. Viele hockten nämlich in den Klassenzimmern und spielten an ihren Handys.

Nate war fertig mit seinem Eis und ich hatte noch ungefähr die Hälfte übrig. „Warum isst du so langsam?", fragte er und ich lachte. „Warum isst du so schnell?", konterte ich und er zuckte mit den Schultern.

„Wie ich sehe hast du deine Fußbekleidung immer noch nicht abgelegt." Ich warf einen missbilligenden Blick auf seine Sandalen. Heute trug er darin gestreifte Socken. Es sah schrecklich aus.

„Ich verstehe immer noch nicht, was du dagegen hast", sagte Nate und klang dabei echt ratlos. „Das ist ein modisches Verbrechen", belehrte ich ihn und versuchte, nicht ganz so besserwisserisch zu klingen. Es klappte nicht. „Na und?", fragte er und ich musste zu schwereren Geschützen greifen. „Weißt du, ohne diese Sandalen mit Socken sähest du vielleicht sogar ganz gut aus, aber sie zerstören halt einfach das Gesamtbild", neckte ich ihn und er verschränkte grinsend die Arme vor der Brust.

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Sandalen nichts gegen meinen unwiederstehlichen Charme tun können." Ich schnaubte. Nate klang belustigt und ich setzte einen Schmollmund auf, da mir kein weiteres Argument einfiel.

„Du bist blöd", beschwerte ich mich und schlug ihm freundschaftlich auf den Oberarm. „Hey, ganz ruhig Prinzessin!", lachte er und ich musste ein wenig grinsen. „Leider sind mir die Leute, die etwas an meinen Schuhen auszusetzen haben grundsätzlich egal, es liegt also nicht an dir", tröstete er mich und ich starrte ihn nur weiter wütend an. Allerdings musste ich dabei lachen, was dazu führte, dass ich vermutlich aussah, als hätte ich einen Krampf im Gesicht.

„Also bin ich dir egal", stellte ich fest und Nate legte den Kopf schief. „Nein, Prinzessin, nicht du, sondern deine Kritik an meinem Style." In Gedanken fügte ich hinzu, dass man diese Schuhe nicht wirklich „Style" nennen konnte. Doch die Tatsache, dass er mich Prinzessin genannt hatte, ließ mein Herz unweigerlich schneller schlagen.

„Wir sollten gehen. Ich habe gleich noch eine Stunde", sagte ich und stand auf.

Manchmal trägt das Glück Socken in SandalenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin