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Ich setzte mich neben Evelyn und sie lächelte verschmitzt in die Runde. „Wie wäre es mit einer Runde Wenn-ich-du-wäre?", fragte sie. Roxy, die gelangweilt auf einem Kaugummi kaute, nickte gleichgültig.

„Ich fange an! Rox, wenn ich du wäre, würde ich diesen Typen da vorne Küssen!", sagte Elyas und zeigte auf einen Jungen, der wenige Meter von uns entfernt auf einer Bank saß und las. Er trug eine Brille und sah hochkonzentriert aus.

Ich erwartete, dass Roxy sich weigern würde, doch stattdessen stand sie ohne zu zögern auf und ging auf ihn zu. Evelyn kicherte neben mir und Brandon jubelte ihr zu.

Wo war ich hier nur gelandet?

„Also, ist das so 'ne Art Wahrheit oder Pflicht?", flüsterte ich Evelyn zu. Sie schnaubte.
„Wahrheit oder Pflicht ist was für Kinder! Keiner möchte irgendeine Wahrheit hören. Aber ja, im Großen und Ganzen irgendwie schon."

Als Roxy zurückkam lächelte sie siegessicher. „Ich nehme natürlich die Neue - Chloe. Ich muss nur noch überlegen, was wohl eine angemessene Prüfung wäre...", sie runzelte sie Stirn.

Prüfung? Was sollte das denn heißen? Ich betete, dass ich niemanden küssen musste. „Lass dich nicht von ihr einschüchtern - sie macht oft viel Drama um Nichts", raunte Evelyn mir zu.

Ich war immer noch angespannt. Als Roxys Gesichtszüge sich wieder glätteten und sie schelmisch lächelte, wurde mein Gefühl nicht besser.

„Also, Chloe... Wenn ich du wäre, würde ich zu dem Typen da vorne gehen und so lange mit ihm flirten, bis er mich küssen möchte. Dann würde ich ihn abblitzen lassen."

Nun wurde ich noch aufgeregter. Ich hatte nicht wirklich Lust, diese Aufgabe zu erfüllen. Einfallsreich waren diese Ideen hier aber auch nicht gerade. Ich atmete tief ein und drehte mich um.

Roxy deutete auf einen großen, brünetten Jungen, der neben dem Eingang mit seinem Handy stand und uns noch nicht entdeckt hatte. Bei näherem Hinsehen kam er mir jedoch bekannt vor.

„Okay", sagte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Ich stand auf und ging auf den Jungen zu.

„Nate!", rief ich fast zu laut. Ich hatte Angst, dass die anderen mich hören konnten, doch ein Blick nach hinten verriet mir, dass sie mich immer noch anstarrten und Evelyn beide Daumen in die Luft hielt.

Vor mir stand niemand Anderes als Nate Maddison. Und darüber war ich mehr als glücklich. Er ließ sein Handy sinken und schaute mich ein wenig verwirrt an. „Was machst du noch hier?", fragte er mich.

„Ich bin mit ein paar Freunden... oder eher Bekannten hier", antwortete ich und er lächelte. „Ich wusste es: Du verfolgst mich", neckte er mich und ich verdrehte die Augen.

„Könntest du mir bitte helfen und so tun, als würden wir flirten?" Nate runzelte fragend die Stirn.
„Du bist sehr komisch Chloe Waldorf", bemerkte er.

Ich lachte. „Du kennst meinen Nachnamen? Wer stalkt hier jetzt wen?"
Nate zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Ich denke, deinen Nachnamen weiß man halt einfach. Wegen deinem Vater", sagte er und ich musste zugeben, dass er recht hatte.

„Kannst du vielleicht kurz versuchen, mich zu küssen? Damit ich dir dann einen Korb geben kann. Dann bin ich auch sofort wieder weg", bat ich ihn. Ich muss zugeben: Das klang schon ziemlich krank.

„Solange es eine lustige Geschichte dahinter gibt, die du mir morgen sicherlich erzählen willst", sagte er und ich nickte. Dann beugte er sich nach vorne. Ich legte ihm die Hände auf die Schultern und drückte ihn energievoll zurück, da ich keine Ahnung hatte, was ich tun sollte.

Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und ging wieder zurück zu den Anderen.
„Wow, Chloe! Das sah echt cool aus!", rief Evelyn und ich lächelte.

„Also Evelyn...", begann ich und sie grinste. „Du kannst mich Eve nennen."

„Wenn ich du wäre, würde ich zu Mr. Harret gehen und ihm sagen, wie sexy sein Outfit ist."
Eve schnaubte. „Was habe ich dir getan, Chloe Waldorf?", quengelte sie und ich zuckte mitleidig mit den Schultern.

Mr. Harret saß auf einer Bank neben dem Schulkiosk und zog irgendetwas aus seiner ledernen Aktentasche.

„Das wirst du noch büßen!", sagte Evelyn spaßig und ich lachte entschuldigend. Brandon, Roxy und Elyas hielten den Atem an, während Evelyn sich ihrer Aufgabe stellte. Mittlerweile begann ich zu verstehen, was alle so toll an diesem Spiel fanden.

Wir konnten sogar aus der Entfernung erkennen, wie rot Mr. Harret wurde, als Evelyn ihn ansprach. Ich würde wetten, dass sie nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte, während sie ihn anquatschte.

Als Eve zurück kam, konnte sie sich selbst nicht mehr halten vor Lachen. Es interessierte mich wirklich, wie Mr. Harret reagiert hatte. „Und? Wie war's?", fragte ich sie neugierig.

„Ratet mal, was er gesagt hat", prustete sie. „Er sagte: Ja... deins auch."
„O mein Gott!", quietschte ich und musste ebenfalls lachen.

Als wir uns wieder beruhigt hatten, trank Roxy einen Schluck Bier. „Hast du auch Durst?", fragte sie mich unhöflich und ich stutzte. „Nein... ich trinke keinen Alkohol", lehnte ich ab.
„Keine Sorge, wir haben auch Cola", lachte Eve und nahm zwei Flaschen für uns aus ihrer Tasche.

Ich nahm sie dankend entgegen und öffnete sie mit einem Feuerzeug, das auf der Decke herum lag. Das hatte mir mein Dad früher beigebracht. Meine Mom fand die Methode immer eher etwas fragwürdig, da es ihr selber nie gelang.

„Wow, du kannst mit einem Feuerzeug eine Flasche öffnen?", fragte Evelyn und probierte es selber aus, indem sie angestrengt den Kronkorken mit dem Feuerzeug bearbeitete.

„Man, wie kriegst du das hin?", fragte sie außer Atem und ich zeigte es ihr. Ich hatte schon lange keinen so seltsamen und schönen Nachmittag gehabt.

Auch, wenn Roxy oder Elyas wohl nie zu meinen Freunden gehören würden, war es irgendwie cool, mit ihnen abzuhängen.

Manchmal trägt das Glück Socken in SandalenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt