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Als ich aufwachte war das erste, was ich wahrnahm der Mond, der durch mein offenes Fenster schien. Er warf einen hellen Streifen auf den Boden, bis zu meinem Bett. Es sähe beinahe magisch aus, wäre ich nicht gerade erst aufgewacht. Meine Wahrnehmung ist in der Nacht nämlich nicht sonderlich gut. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wie spät es war. Ich machte die Augen wieder zu, um weiterzuschlafen.

Da hörte ich Stimmen. War ich deswegen aufgewacht? Ich schätzte die Zeit auf drei Uhr. Ich  überlegte, ob ich nicht einfach mein Kissen nehmen und über meine Ohren legen sollte. Doch dann bemerkte ich, dass man so auch nicht wirklich gut einschlafen konnte, denn mein Kopf lag nun auf der Matratze und somit auf gleicher Höhe mit dem Rest meines Körpers, was ein ungewohntes Gefühl auslöste, und ich hasse Ungewohntes, wie ich schon einmal erwähnt habe. Ich legte mein Kissen wieder dahin, wo es hingehörte. Doch nun war die Chance, wieder einzuschlafen um mindestens ein Dreiviertel gesunken, da meine Sinne wieder wunderbar funktionierten und ich die Stimmen lauter hörte.

Mit einer Menge Überwindungskraft schaffte ich es, mich halbwegs lautlos aus meinem warmen Bett zu rollen. Da das Fenster über Nacht auf gewesen war, war es in meinem Zimmer ziemlich frisch. In L.A. war es in den Nächten nämlich auch manchmal kalt. Ich schloss das Fenster und hielt mich kurz an den Vorhängen fest, da ich vom schnellen Aufstehen etwas benebelt war. Ich schleppte mich in den Flur und merkte, wie ich mit jedem Schritt wacher wurde. Was hatte ich überhaupt vor? Ach stimmt, ich wollte zu meinem Dad gehen und ihn fragen, ob er etwas leiser sein könnte. Ich musste nur den Flur entlanggehen, dann nach rechts und die richtige Tür finden. Die Stimmen wurden derweil immer lauter.

Vor der Tür blieb ich stehen. Ich bin echt nicht der Typ, der an Türen lauscht, doch da ich es nun ja eh schon einmal getan hatte, würde das jetzt auch nicht viel ausmachen. Außerdem machte mich Dads aufgebrachter Tonfall neugierig. Ich hörte Catherines Stimme.

„Dann sag es ihr doch einfach, wenn du es nicht mehr aushältst!"

Mein Dad seufzte.

„Wie soll ich ihr DAS sagen? Das hätte ich früher tun müssen, ich habe Angst vor ihrer Reaktion!"

„Aber wenn du mich schon um vier Uhr morgens weckst, dann muss es dir doch wirklich wichtig sein", erwiderte Catherine.

„Ich glaube, sie hat den Brief gefunden. Was soll sie denn jetzt denken?", mein Dad klang etwas panisch.

„Sie würde dich doch bestimmt darauf ansprechen."

„Ach, du kennst Chloe nicht. Die würde mich nicht auf etwas ansprechen, das sie in meinem Zimmer gefunden hat. Vermutlich versucht sie, es auf eigene Faust herauszufinden!" Erst da bemerkte ich, dass es anscheinend um mich ging. Und schon wieder um den rätselhaften Brief, den ich gefunden hatte. Ich wurde immer neugieriger. Vielleicht sollte ich Dad wirklich einfach fragen. Doch er würde mir nicht ehrlich antworten. Da war ich mir so ziemlich sicher.

„Gehen wir erst mal davon aus, dass du den Brief verloren hast", sagte Catherine.

In dem Moment fiel neben mir etwas zu Boden. Ich war anscheinend an die Kommode gestoßen, denn ein Bilderrahmen lag nun neben mir. Ich rannte so schnell ich konnte in mein Zimmer. Kurz nachdem ich um die Ecke war, hörte ich, wie die Tür aufging. Gerade noch rechtzeitig. Ich legte mich schnell wieder in mein Bett und tat so, als würde ich schlafen. Den Rest der Nacht war es still.

⚬ ⚬ ⚬ ⚬ ⚬

„Du siehst schon wieder müde aus. Bist du überhaupt wach genug für unseren Ausflug heute Abend? Du guckst, als könntest du Schlaf gebrauchen." Nate und ich gingen nebeneinander durch den Schulflur. Es war die erste Pause und wir hatten uns vorher noch nicht gesehen. Ich schüttelte mit dem Kopf.

„Bring mir einen Kaffee mit und das wird schon wieder. Ohne Milch bitte", sagte ich, da wir mittlerweile an dem kleinen Kiosk neben der Schule angekommen waren, der ausschließlich Kaffee und Zigaretten anbot. Dieses Konzept war vielleicht etwas fragwürdig, da ungefähr ein Dreiviertel der Teenager an der Oakham Hill eher an Süßigkeiten und Softdrinks interessiert waren, doch den Besitzer des Ladens schien das nicht zu stören.

Ich hatte ihn in den letzten Tagen schon ein paar mal dort gesehen und durch Evelyn erfahren, dass er Mike hieß. Anscheinend verdächtigten ihn viele Schüler, dass er angeblich mit Drogen dealte. Ich schaute ihn mir genauer an. Er sah für mich nicht aus wie jemand, der mit Drogen dealte, soweit ich das beurteilen konnte. Ich hatte schließlich noch nie einen Drogendealer gesehen. Vermutlich würde ich niemandem ansehen, dass er ein Drogendealer war. Ich meine: Wie sehen diese Leute schon aus? Schuldbewusst? Bekifft? Ich wusste es nicht, aber Mike vom Kiosk sah weder nach dem einen, noch nach dem anderen aus. Er hatte zerzauste schwarze Haare und tiefe Stirnfalten. Das war das Erste was mir auffiel. Das Zweite war, dass er ein halb zerrissenes T-Shirt trug. In den buntesten Farben. Keine Ahnung, wann das mal in Mode war. Oder ob es überhaupt mal in Mode war. Das konnte ich mir nämlich beim besten Willen nicht vorstellen.

Nate bestellte zwei Kaffee- einen mit Milch und einen schwarz- und kam dann zu mir zurück.

„Danke." Ich nahm meine Tasse und wir setzten uns an einen dieser Plastiktische, bei denen der Lack an den meisten Stellen schon abgekratzt war. An den Stellen, wo dies nicht der Fall war, hatten irgendwelche Schüler sich verewigt. Zumindest bis die Tische das nächste Mal geputzt werden. Obwohl ich mir immer noch nicht sicher bin, ob das überhaupt jemals geschieht.

„Woran denkst du?", fragte Nate und ich schaute ihn über den Rand meiner Kaffeetasse an.

„An die Tische hier. Wieso?"

„Ach, weil du so verträumt geguckt hast, darum habe ich gefragt."

Ich grinste. „Und da denkst du natürlich gleich, ich habe an dich gedacht?"

Nate schüttelte mit dem Kopf und hob die Hände ein wenig.

„Nein, nein. Vielleicht bist du ja auch Objektsexuell und stehst auf Tische."

„Ich kann dir versichern: Ich bin nicht Objektsexuell, aber die Tische sind interessanter als du", neckte ich Nate und er verschränkte die Hände vor der Brust.

„Reden die Tische denn auch mit dir?", fragte er.

„Was, wenn ja?"

„Dann solltest du dir dringend Hilfe suchen!"

Ich brachte ein Lächeln zustande und nahm noch einen großen Schluck Kaffee.

„Wie geht es dir momentan eigentlich so mit Catherine?"

Es überraschte mich, dass Nate danach fragte. Ich brauchte einen Moment, um darüber nachzudenken. „Sie ist nett. Es wird noch etwas dauern, bis ich sie vollkommen als Mutter akzeptiert habe, aber ich denke, das wird noch passieren."

Nate nickte. „Das ist ziemlich verantwortungsvoll von dir. Also, dass du jetzt schon meinst, du wirst dich bald besser mit ihr verstehen", lobte er mich und ich zuckte mit den Schultern.

Ich leerte meine Kaffeetasse in einem Zug und gähnte. Manchmal ist das Leben einfach langweilig. Selbst wenn man gerade mit seinem Filmstar-Vater nach Hollywood gezogen ist. Manchmal gibt es einfach Momente, in denen man sich selbst und alles um sich herum als langweilig empfindet. Wie ich hier so saß, mit der Tasse in den Händen und den Augen halb geschlossen, hatte ich schon fast dieses Gefühl. Dadurch, dass es heute besonders heiß war, fühlte ich mich träge. Als wären Backsteine an meinen Gelenken befestigt, die sich mit jeder Bewegung bemerkbar machten. So schien es auch meinem Gehirn zu gehen. Ich hatte das Gefühl, dümmer zu sein als sonst. Obwohl das, rein wissenschaftlich betrachtet, nicht ging.

Ich war kurz davor, in einen Spiegel zu schauen, um nachzusehen, ob mein Kopf wirklich qualmte oder ob es sich nur so anfühlte. Doch dieses Vorhaben scheiterte an zwei Tatsachen und zwar erstens daran, dass ich keinen Spiegel zur Hand hatte, da ich nicht eines der „normalen" Mädchen an dieser Schule war, die immer einen Taschenspiegel und eine Handtasche voller Make-up dabei hatten, in die von der Größe her locker ein Hauszelt gepasst hätte und zweitens daran, dass sich nun doch mein gesunder Menschenverstand einschaltete und mir verriet, dass Köpfe rein physisch gesehen definitiv nicht qualmen konnten und falls meiner das doch tat, würde mich bestimmt jemand darauf hinweisen. So nach dem Motto: „Ach übrigens Chloe, dein Kopf stößt Qualm aus, aber mach dir mal keine Sorgen, das wird schon wieder!"

Ich brauchte definitiv noch einen Kaffee.

Manchmal trägt das Glück Socken in SandalenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt