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Ich fühlte mich unglaublich schlecht. Auch, wenn auf diesem Zettel vermutlich nichts Wichtiges stand, war es eine Verletzung der Privatsphäre meines Dads. Ich setzte mich auf mein Bett und faltete den Zettel auseinander.

Er war an den Seiten mit kleinen Zeichen verziert und in einer wunderschönen Handschrift beschrieben. Es sah aus, wie ein wichtiger Brief und mein Gewissen wurde noch mehr belastet. Doch nun war ich hier und hatte diesen Brief in den Händen. Der an meinen Dad adressiert war. Ich schluckte und begann zu lesen.

Lieber Daniel,
ich schicke dir ganz herzliche Grüße aus Seattle. Ich vermisse dich. Um ehrlich zu sein, muss ich dir eine wichtige Nachricht überbringen. Ich weiß nicht, ob es für dich gut oder schlecht ist. Ich liebe dich. Und ich fände es nicht fair, wenn du nicht davon erfahren würdest. Ich hoffe, du sitzt gerade, denn diese Nachricht wird dein Leben verändern. Wow okay. Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Wir sind jetzt vier Monate zusammen und... ich bin schwanger! Und nein, es ist kein Missverständnis. Ich habe einen Schwangerschaftstest gemacht und bin zum Arzt gegangen. Der nächste Flug nach Hause geht in drei Tagen. Ich komme so schnell ich kann. Ich liebe dich.
Becca

Ich starrte den Brief vor mir an. Das durfte nicht wahr sein. Ich verstand es ja nicht einmal. Der Brief war definitiv an meinen Dad adressiert. Aber wer war „Becca"? Ich schluckte. Was auch immer das zu bedeuten hatte, ich war mir sicher, es war nichts Gutes.

„Chloe Schätzchen! Essen!", rief Catherine von unten. Schnell stopfte ich den Brief in meinen Kopfkissenbezug. Ich war mir zwar nicht sicher, ob ich wissen wollte, was das alles zu bedeuten hatte, doch eines war mir klar: Mein Verstand würde keine Ruhe geben, ehe ich es herausgefunden hatte.

○○○○○

Nate wartete bereits vor der Schule, als ich dort ankam. „Hey. Bist du bereit für den Kunstkurs?", fragte er und ich nickte. „Unsere Lehrerin heißt übrigens Mrs. Keth. Sie ist eigentlich ganz nett." Ich nickte wieder. „Alles okay? Du bist so schweigsam." Nate wirkte besorgt.
„Ja", log ich, da ich todmüde war. Ich brauchte mehr Schlaf als normale Menschen. Und gestern Abend war ich erst spät eingeschlafen, da ich noch viel über den Brief nachgedacht hatte.

Der Kunstraum war groß und dort warteten bereits ungefähr 20 Schüler. Wir waren wohl die letzten. Mrs. Keth begrüßte uns. Sie schien wirklich recht sympathisch. Nate und ich setzten uns an zwei freie Plätze in der ersten Reihe. Dort holte ich meinen Skizzenbuch heraus. Nate nahm es in die Hand und hielt es weit über seinen Kopf, als ich es wiederholen wollte.

„Nate Maddison, geben sie mir sofort meinen Zeichenblock wieder!", befiel ich streng. Nate setzte einen Schmollmund auf und schaute mich aus Hundeaugen an. „Lass mich bitte einen Blick reinwerfen", nörgelte er und ich verdrehte die Augen. „Vielleicht belohne ich die hübsche Maid dann mit einem Kuss", witzelte er und ich wurde rot. „Untersteh dich!" Ich grinste.

Doch Nate ließ sich nicht bitten und schlug meinen Block auf. Dann blätterte er schweigsam durch die Seiten. Dieses Buch beinhaltete die Designs der letzten fünf Monate. Aus irgendeinem Grund war es mir unglaublich wichtig, dass sie ihm gefielen.

Ich hielt fast den Atem an, als er das Buch sinken ließ. Er konnte unmöglich alle Entwürfe angeschaut haben. „Wow! Ich verstehe zwar nicht alle Abkürzungen, aber die Zeichnungen sind toll. Ehrlich, ich bin dein größter Fan", sagte er ernst und ich lächelte verlegen.

Kein Wunder, dass er meine Abkürzungen nicht verstand. Neben meine Designs kritzelte ich oft Buchstaben wie z.B. „emT", was für: „Eventuell mit Tasche" stand. „Danke Mr. Therealspiderman", bedankte ich mich und er verschränkte die Hände auf dem Tisch. „Hey, Spiderman ist eine unglaublich tiefgründige Figur", beschwerte er sich und ich hob entschuldigend die Hände.

Da meldete sich die Kunstlehrerin zu Wort. „Also, ihr Lieben: Heute habe ich eine besondere Aufgabe für euch. Habt ihr alle etwas worauf ihr malen könnt? Wir arbeiten heute mit Acrylfarben". Ich war etwas enttäuscht, dass wir nichts zeichnen durften. Dann verstaute ich meinen Skizzenblock wieder in meiner Schultasche und zog einen Block mit festerem Papier heraus.

„Warum hast du das in deiner Tasche?", raunte Nate mir zu und ich zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung - man kann immer mal was gebrauchen." Ich riss ein Blatt für ihn heraus und er bedankte sich schmunzelnd. „Also gut. Ihr sollt mit eurem Tischnachbarn besprechen, was für euch Glück bedeutet und es dann auf dem Papier darstellen. Habt ihr noch Fragen?", fragte Mrs. Keth.

Sie war sehr kurz angebunden, doch das gefiel mir. Ich hasste es, wenn Lehrer unnötig viel redeten und mich so vom Unterricht abhielten. Nate drehte seinen Kopf wieder zu mir. Um uns herum begannen die Anderen, ebenfalls zu reden.

„Was ist für dich Glück?", fragte Nate. Ich musste überlegen. So eine Frage konnte ich nicht einfach so aus dem Stegreif beantworten. „Du zuerst!", forderte ich und Nate nickte. „Okay, aber lach mich nicht aus. Also: Ich habe da eine Theorie. Was ist, wenn wir Menschen gar nicht so einfach glücklich sein können. Also, ich meine: Wir sagen, es ist Glück, aber ist es das wirklich? Vielleicht denken wir das nur, weil wir dieses Gefühl gewohnt sind. Ich glaube, Glück ist etwas viel Größeres. Nicht etwas, was man täglich spürt. Es sollte etwas Besonderes sein. Und die Momente, in denen wir wirklich glücklich sind, bleiben uns für alle Ewigkeiten im Gedächnis. Diese Momente sind die, an die wir denken, wenn wir sterben müssen."

Ich machte meinen Mund auf und schloss ihn wieder.

„Darüber habe ich noch nie nachgedacht", gestand ich. „Was bedeutet Glück denn für dich?", fragt er und stützt sich auf den Tisch. „Ich glaube, ich definierte das Glück bis jetzt als etwas ganz Einfaches. Als einen Lebensstil. Manche sind halt glücklich und manche nicht. Eigentlich macht das gar keinen Sinn, da ja keiner immer glücklich ist, aber komischerweise habe ich das erst gerade eben bemerkt. Ich weiß auch nicht. Zum Beispiel, wenn ich zeichne verspüre ich Glück..." Und wenn ich mit dir rede, ergänzte ich in Gedanken.

Nate runzelte nachdenklich die Stirn. Dann beugte er sich über sein Blatt und tauchte einen der Pinsel, die vor uns lagen, in schwarze Farbe.

Ich bemerkte, dass ich ihn immer noch anschaute und guckte schnell weg. Dann nahm ich mir ebenfalls einen Pinsel, und begann zu malen.


An dieser Stelle muss ich einmal derjenigen danken, die mein wunderschönes, neues Cover gemacht hat! Das war nämlich die liebe

claxum

Schaut gerne mal bei ihr vorbei, sie ist echt talentiert! Ich konnte die letzten zwei Tage nicht so viel schreiben, aber jetzt kommt wieder mehr ♥ xxx Marei

Manchmal trägt das Glück Socken in SandalenWhere stories live. Discover now