Kapitel 2: Hollingworth Stables

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"Letzter Aufruf für die Passagiere des Flugs 293 nach London!", tönte es durch das Flughafengebäude.

"Mach's gut, meine Kleine und pass auf dich auf!", sagte Mum bevor sie mich schnell in ihre Arme schloss. Auch Cat, meine fünfzehnjährige Cousine umarmte mich und schluchzte dabei ununterbrochen.

"Cat, wein doch nicht, ich bin doch nicht aus der Welt!", aufmunternd lächelte ich sie an. Nachdem ich mich auch von meiner Tante Lucy verabschiedet hatte wandte ich mich ab und winkte noch einmal zum Abschied. Von Pop hatte ich mich schon auf der Farm verabschiedet. Flughäfen und große Menschenmassen waren einfach nicht sein Ding. Erschöpft ließ ich mich auf den mir zugewiesenen Sitzplatz im Flugzeug sinken und verneinte höflich, als die Stewardess mir ein Getränk anbot. Nachdenklich schaute ich aus dem Fenster. Seit dem Unfall waren nun sieben Monate vergangen. Ich vermisste Daylight jeden Tag. Es verging kaum eine Stunde, in der ich nicht an die wunderschöne, große Stute dachte. Ich hatte sie von meinem Dad geschenkt bekommen, kurz vor seinem Tod. Er war ein begeisterter Springreiter. Das hatte ich von ihm geerbt. Er starb bei einem Unfall mit einem jungen Hengst, den er hatte von Arizona auf unsere Farm bringen wollen. Ich war damals zwölf Jahre alt gewesen. Heute, elf Jahre später, war ich nun ohne Vater und ohne Daylight, Daylight, die ich zu meinem zwölften Geburtstag von ihm geschenkt bekommen hatte. Sie war damals zwei Jahre alt gewesen. Ich liebte sie sofort. Über die Jahre sind wir zu einem unschlagbaren Team zusammen gewachsen. Mein Dad wäre stolz auf uns gewesen. Doch mit Daylight ging auch meine Freude am Sport. Natürlich gab es auf unserer Farm noch viele andere Pferde, doch es machte mich traurig den Stall zu betreten und nicht wie gewohnt von Daylight begrüßt zu werden. Nein, seit dem Unfall war ich auf keinem Pferd mehr gesessen. Wenn Not am Mann war half ich bei der Arbeit, Ställe ausmisten oder Pferde füttern, doch ich tat das nur meinem Großvater zuliebe. Meine beste Freundin Charly hatte mich auf die Idee gebracht, dem ganzen eine Weile zu entfliehen und von vorne anzufangen. So hatte ich mich dafür entschieden nach England zu gehen. Ich hatte mich auf eine Stelle beworben, in der ein Dienstmädchen gesucht wurde. Es wurde nur beschrieben, dass die Familie, die dort lebte, ein großes Haus besäße und dringend Hilfe benötigte. Die Frau, die ich angerufen hatte, klang sehr freundlich, und so kam es, dass ich jetzt, zwei Wochen nach dem Telefonat im Flugzeug nach England saß.

"Miss? Bitte wachen Sie auf, wir werden in Kürze landen!", verschlafen blinzelte ich die Stewardess an, die mich freundlich anlächelte. Benommen nickte ich und legte mir den Sicherheitsgurt wieder an. Nachdem die Passagiere das Flugzeug verlassen und ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich meinem Koffer auf dem Band entdeckte, steuerte ich in Richtung Ausgang des Flughafens zu. Suchend blickte ich mich um. Die nette Dame hatte mir gesagt, man würde mich abholen. Da entdeckte ich auch schon einen etwas älteren, nett aussehenden Herrn der ein Schild mit der Aufschrift "Roxanne Fleming" in den Händen hielt.

"Guten Tag, ich bin Roxanne!", stellte ich mich höflich vor und reichte ihm meine Hand zur Begrüßung.

"Hallo Miss Fleming, ich bin Roger, schön, dass Sie hier sind. Ich werde Sie auf das Anwesen der Hollingworths fahren!", erklärte er während er meine Hand schüttelte. Ein Anwesen? Diese Hollingworths hatten anscheinend ziemlich viel Geld. Roger verstaute meinen Koffer in dem großen schwarzen Wagen und hielt mir dann die Tür auf, sodass ich einsteigen konnte. Dann ging er auf die Fahrerseite und startete den Wagen. Fasziniert schaute ich aus dem Fenster und verschlang London mit meinen Blicken. Hin und wieder stellte ich Roger eine Frage, die er mir lächelnd beantwortete. Nachdem Roger den Wagen geschickt durch Londons Verkehr gesteuert hatte, wurde die Umgebung ländlicher. Ich sah weite Wiesen auf denen sehr viele Schafe standen. Immer wieder regnete es und ich beobachtete die Tropfen, die am Fenster nach unten liefen.

"Da vorne ist es, Miss!", erklärte Roger und nickte mit dem Kopf geradeaus. Gespannt lehnte ich mich in die Mitte und schaute zwischen den beiden Vordersitzen hindurch durch die Windschutzscheibe. Ich bekam große Augen. Da stand ein großes Anwesen auf einem Hügel. Ich erkannte mehrere große Gebäude und viele weitläufige Koppeln. Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Koppeln? War ich hier etwa auf einem Gestüt gelandet? Ausgerechnet auf einem noblen Hof mit Pferden? Genau davon wollte ich doch eigentlich Abstand gewinnen. Ich schluckte schwer.

Mein weiter Weg zurückWhere stories live. Discover now