Kapitel 13: Leo kann auch nett sein?!

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"Heute werde ich dir mal zeigen, wie man die Plätze mit dem Traktor fährt.", erklärte Josh mir grinsend. Ich schaute ihn mit großen Augen an. "Ich soll Traktor fahren?", dabei zeigte ich mit dem Zeigefinger auf meine Brust. Josh nickte und ich folgte ihm zu dem Ungetüm. Bisher war es immer Joshs Aufgabe gewesen, die Reitplätze und die Reithallte mit dem Traktor durchzufahren, sodass der Boden immer locker und eben war. Um ein richtiges Trainieren der Pferde zu gewährleisten brauchte man immer einen gepflegten und rutschfesten Boden. Richard hatte uns heute Morgen erklärt, dass entweder Josh oder ich Luke dabei helfen sollten die Pferde zu reiten. Ben kam nur noch an den Wochenenden und konnte Luke daher nicht mehr helfen. Da ich mich nach wie vor weigerte auf ein Pferd zu steigen übernahm Josh diesen Part. So kam es, dass ich den Part mit dem Traktor bekam. Während Josh mir die verschiedenen Hebel und Knöpfe erklärte schaltete mein Hirn auf Durchzug. Das konnte sich doch kein Mensch merken, das Einzige was dabei raus kommen würde, wenn ich dieses Ding durch die Reitplätze steuern würde, wären kaputte Zäune! "Also, dann setzt dich mal und starte ihn!", sagte Josh. Ich tat was er sagte und drehte den Zündschlüssel herum. Der Traktor sprang sofort an und brummte laut vor sich hin. Josh erklärte mir, wie ich los fahren sollte, was ich dann auch tat. Der Traktor ruckelte doch ich fuhr geradeaus. "Ich kann es!", jubelte ich und steuerte ihn um die Ecke der Reithalle um auf den Dressurplatz zu gelangen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und eine gefühlten Ewigkeit war es vollbracht: Der Dressurplatz war fertig. Ich muss zugeben, ich war wirklich stolz auf mich. Eigentlich machte es auch ziemlich Spaß, ich meine welches Mädchen konnte schon von sich behaupten so ein Teil zu fahren und nicht alles was im Weg stand damit umzunieten. Nach der Mittagspause sollte ich noch den Springplatz fahren. Stilsicher setzte ich eine Sonnenbrille auf und zog meine kurzen Latzhosen nach oben. Das karierte Hemd hatte ich in die Hose gestopft und mit den Gummistiefeln an meinen Füßen sah ich aus wie ein waschechtes Bauernmädchen. Meine blonden Haare hatte ich in zwei geflochtenen Zöpfen auf die Seite geschafft. Ich war zufrieden, so konnte ich mich doch auf einem Traktor sehen lassen. Ich fühlte mich wirklich richtig cool, wie ich einhändig über den Springplatz raste und den anderen Arm lässig über die Lehne des Sitzes gelegt hatte. Achtung! Ironie! Als ich fertig war und den Traktor wieder in der Scheune abgestellt hatte hörte ich wie jemand meinen Namen rief. "Ja, ich bin hier!", antwortete ich und lief auf den Hof. Ich entdeckte Danielle, die gleich auf mich zu gerannt kam. "Roxy, kannst du bitte mit Leo in die Stadt fahren um einzukaufen? Eigentlich sollte ich das machen, doch mein Trainer konnte kurzfristig eine Reitstunde mit mir reinschieben. Es ist wirklich wichtig wegen des Turniers am Wochenende.", erklärte sie mir schnell. "Kann Leo nicht allein einkaufen gehen?", fragte ich. "Nein, besser nicht, sonst dreht Mom wieder durch. Er kann noch nicht einmal eine Karotte von einer Gurke unterscheiden." "Na schön. Wo ist er?" "Im Haus, er kommt aber gleich raus. Und danke!", schnell drückte sie mir noch einen Kuss auf die Wange und verschwand im Stall.

Im selben Augenblick trat Leo aus der Haustüre und las mit gerunzelter Stirn einen Zettel. Ich tippte auf die Einkaufsliste. "Na Mister, studierst du den Einkaufszettel?", fragte ich und grinste ihn frech an. "Was zur Hölle ist eine Aubergine?", fragte er verwirrt und kratzte sich am Hinterkopf. "Keine Panik, ich fahre mit zum Einkaufen!", sagte ich. Ich sah kurz Erleichterung in seinen Augen aufflackern ehe er die Augen verdrehte. "Oh nein, bitte nicht du!" "Ach, stell dich nicht so an!", sagte ich nur und ließ mich auf den bequemen Beifahrersitz seines Audis fallen. "In den Klamotten setzt du dich in mein Auto?", fragte er entsetzt als er meine schmutzigen Latzhosen entdeckte. "Ja es kann halt nicht jeder nur den ganzen Tag faul rumliegen, manche Menschen müssen halt arbeiten!", neckte ich ihn. "Außerdem sind diese Latzhosen ziemlich sexy!", gespielt wackelte ich mit den Augenbrauen. Leo verdrehte erneut die Augen und startete den Motor. Beim Supermarkt angekommen holte Leo einen Einkaufswagen. Es war das reinste Chaos da Leo keine Ahnung hatte, was er eigentlich kaufen sollte und ich mich nicht auskannte und nicht wusste wo welches Lebensmittel zu finden war. Unkoordiniert gingen wir kreuz und quer durch die Gänge. "Lass mich mal schieben!", forderte ich doch Leo verneinte. "Du fährst das Ding noch in ein Regal!" "Jetzt tu mal nicht so!", motzte ich und schob mich zwischen seine Arme um meine Beine auf dem Einkaufswagen abstellen zu können. "Dann musst du mich eben mit schieben!", grinste ich triumphierend. Was mich wirklich wunderte war, dass er dies tatsächlich auch machte. Während er mich und den Wagen schob schmiss ich immer wieder Gegenstände in den Wagen und schrie immer wieder in welche Richtung er abbiegen sollte, da ich ihm ja die Sicht versperrte weil ich vor ihm stand. Öfters sind wir haarscharf an den Regalen vorbeigefahren und ein paarmal sogar fast ins Regal. Jedes Mal schrie ich und lachte dann los wie eine Verrückte, auch Leo hörte ich hinter mir lachen. Als wir endlich an der Kasse standen schlug ich ihm spielerisch gegen die Schultern. "Ich hätte nicht gedacht, dass man mit dir auch Spaß haben kann!", neckte ich ihn. "Dasselbe wollte ich auch gerade sagen!", antwortete er lächelnd. Einen Moment zu lang schauten wir uns in die Augen. Grün trifft blau. Beim letzten Mal sprühten beinahe Funken vor Hass, doch jetzt sah ich diese Augen ganz anders. Sie wirkten auch nicht mehr so kalt und herablassend auf mich. Als ich bemerkte, ich welche Richtung meine Gedanken abschweiften drehte ich meinen Kopf schnell weg und unterbrach den Augenkontakt. "Du bist trotzdem ein Schnösel!", sagte ich schnell während ich die Einkäufe in die Papiertüten legte. "Und du ein Bauerntrampel!", grinste er und kassierte dafür den nächsten Schlag auf die Schulter.

"Komm mit, wir essen noch ein Eis!", sagte Leo nachdem wir die Einkäufe im Kofferraum seines Audis verstaut hatten. Ich rümpfte gespielt meine Nase. "Ich soll mit dir ein Eis essen gehen?", fragte ich. "Du kannst auch im Auto warten!", antwortete er mir und drehte sich dann um, um in die Innenstadt zu laufen. Ich joggte ihm hinterher. "Wusste ich doch, dass du mir nicht widerstehen kannst!", sagte er und schubste mich leicht. Der für ihn leichte Schlag war für meine zarte Statur zu stark, sodass ich das Gleichgewicht verlor und nach rechts stolperte. Leo legte schnell seinen Arm um meine Taille und fing mich wieder auf. "Mann, Leo!", rief ich und schlug ihm gegen die Brust. "Für diese Aktion zahlst du mein Eis aber!" An der Eisdiele angekommen bestellte ich einen riesengroßen Eisbecher mit Sahne und Schokostreusel, Leo musste ja bezahlen. Als wir kurz darauf mit unseren Eisbechern in den Händen durch die Innenstadt schlenderten starrte er ungläubig mein Eis an. "Ich kann nicht fassen, dass du einen so großen Eisbecher essen willst!", meinte er schließlich. "Wieso, deiner ist doch genau gleich groß!" "Ja schon, aber du bist so klein!", sagte er und setzte wieder ein unwiderstehliches Grinsen auf. Unwiderstehlich? Nicht! "Hey, was soll das denn heißen?", fragte ich und stemmte dabei einer meiner Hände in meine Hüfte, mit der anderen musste ich den Eisbecher festhalten. Leo lachte kurz auf und schüttelte dann seinen Kopf. Ich lief neben ihm her wieder hinaus aus der Innenstadt. Nach kurzer Zeit erreichten wir den Strand. Wir setzten uns auf einen Steg und ließen die Füße ins Wasser baumeln. "Seit wann wohnst du denn in London?", fragte ich ihn. "Ich bin ausgezogen als ich siebzehn war. Mein Dad hatte mich damals ziemlich genervt.", erzählte er. Ich erinnerte mich noch an meinen ersten Tag auf dem Gestüt, Mrs. Hollingworth hatte mir erzählt, dass Leo Richards Sohn aus erster Ehe war. Ich vermutete, dass da mehr dahinter steckte denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass Richard nervig sein konnte, er war klasse. Meine Vermutung war viel mehr die, dass Leo Mrs. Hollingworth nicht ausstehen konnte. Das hatte ich schon immer beim Essen mit der Familie bemerkt, als ich noch im Haupthaus gewohnt hatte. "Und wo kommst du nochmal her?", fragte er und sah mich interessiert an. "Kanada.", antwortete ich schlicht und lächelte beim Gedanken an meine Heimat. Plötzlich vermisste ich Mum und Pop, ich hatte mich schon ewig nicht mehr bei ihnen gemeldet. "Vermisst du deine Familie?", Leo hatte meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet. Stumm nickte ich. "Ja, ehrlich gesagt schon. Ich war noch nie so lange von zuhause weg." "Wieso bist du gegangen?", fragte er weiter. Wegen den Unfalls, als ich mein Pferd verloren hab, ich dämliche Kuh, hätte ich am liebsten gesagt doch ich zuckte nur mit den Schultern und antwortete: "Ich wollte England mal sehen." Leo beobachtete mich genau und ich konnte sehen, dass er mir nicht glaubte, doch ich war froh, dass er nicht weiter nachfragte. "Wann gehst du zurück nach London?", begann ich dann eine neue Fragerunde. "Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht. Irgendwie zieht es mich noch nicht zurück. Vielleicht nach dem Sommer!", antwortete er mir. "Musst du nicht arbeiten?" "Ich studiere eigentlich, Jura. Aber irgendwie hab ich gerade das Interesse daran verloren.", erklärt er mir seufzend. "Was möchtest du später mal machen? Du willst doch nicht für immer bei uns bleiben und Stallbursche spielen, oder?", fragte er und lächelte dabei.  "Nein, aber ehrlich gesagt habe ich noch keine Ahnung was ich machen soll.", erklärte ich ihm und ließ meinen Blick über das Meer und den Horizont schweifen. "Ich wollte eigentlich Springreiterin werden, so richtig, weißt du? Aber ich hab es verbockt!", das war mir gerade nur herausgerutscht. Erschrocken riss ich die Augen auf und hielt mir die Hand vor den Mund. Leo sah mich überrascht an. "Was ist passiert?", fragte er einfühlsam. Leo konnte so lieb sein? Das konnte ich nicht glauben. Er hasste mich doch, und ich hasste ihn?! "Lass uns nicht darüber reden.", bat ich ihn leise und versuchte die aufkommenden Tränen hinunterzuschlucken. "Okay, dann lass uns mal wieder zurück gehen!", sagte er und stand auf. Er hielt mir seine Hand hin, die ich gerne annahm, und zog mich ebenfalls auf die Beine. Ich war ihm wirklich dankbar, dass er es akzeptierte und auch nicht weiter darauf einging oder gar versuchte mich zu trösten. Wir schwiegen, als wir nebeneinander her liefen um zum Parkplatz zurück zu gelangen. Doch es war ein angenehmes Schweigen und zu meiner eigenen Verwunderung beruhigte mich seine Nähe im Moment.

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