Kapitel 14: Unter Druck und unerwarteter Besuch

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Als Josh, Luke und ich am nächsten Morgen im Stall ankamen hörten wir schon von Weitem das Geschrei. Irgendjemand brüllte herum wie ein Irrer, oder vielmehr eine Irre, denn es war eine Frauenstimme. Als wir näher kamen erkannte ich Graces Stimme. Wir warfen uns verstohlene Blicke zu und machten uns an die Arbeit. Ich begann gerade damit, Citangos Box auszumisten als Grace wutentbrannt an mir vorbei rannte. Verwirrt schaute ich ihr hinterher. Ich hatte keine Ahnung, wen sie gerade so angeschrien hatte aber ich musste zugeben, dass es mich brennend interessierte. Doch ich zügelte meine Neugier, es ging mich nichts an. "Roxy, kann ich dich kurz sprechen?", Richard war plötzlich an der Tür aufgetaucht und sah mich abwartend an. Hatte Grace ihn so angeschrien? Das konnte ich mir nicht vorstellen. "Klar!", sagte ich und lächelte ihn freundlich an, doch es kam kein Lächeln zurück. Er wirkte angespannt und durcheinander. "Das mit Embassy, das muss jetzt laufen. Ich dulde kein Pferd mehr in meinem Stall, welches keine Erfolge einbringt.", er sprach ruhig aber bestimmend. Ich schaute ihn mit großen Augen an. Was waren denn das für neue Töne? "Richard, Embassy wird einmal Erfolge einbringen, da bin ich mir sicher, sie braucht nur Zeit und ich...!" "Nein!", unterbrach er mich barsch, "Sorg dafür dass sie in einem Monat in London auf dem Turnier läuft, ansonsten wird sie verkauft! Es ist schlecht für den Ruf unseres Stalls ein Pferd zu haben welches sich nicht reiten lässt." Niedergeschlagen senkte ich den Blick. "Okay.", flüsterte ich leise und sah Richard hinterher, der schnell die Stallgasse hinunterlief. Wie sollte ich es denn schaffen, dass Embassy in einem Monat auf einem Turnier läuft? Reiten könnte man sie bis dahin bestimmt, doch ein Turnier und die ganze Aufregung, die so etwas mit sich bringt, das würde sie noch nicht verkraften. Ich beendete meine Arbeit und ging zu der Schimmelstute. Als sie mich sah kam sie das erste Mal an die Tür um mich zu begrüßen. Ich lächelte. "Na, meine Süße. Was meinst du, schaffen wir das? Es liegt ganz an dir.", murmelte ich leise und beobachtete, wie sie ihre Ohren spitzte um meiner Stimme zu lauschen. Ich führte sie in die Stallgasse und putzte ihr seidiges Fell. Danach holte ich den Sattel aus der Sattelkammer. Ich würde sie heute mit Sattel longieren. Eigentlich hatte ich dies erst in ein bis zwei Wochen geplant, doch nun war ich gezwungen, das Tempo anzuziehen. Ich hoffte nur, ich machte dadurch nicht alles wieder kaputt. Als Embassy mich mit dem Sattel sah legte sie die Ohren an und scharrte nervös mit dem Vorderhuf über den Boden. "Schon gut!", flüsterte ich und summte wieder vor mich hin. Embassy wurde augenblicklich wieder ruhig und beobachtete mich, wie ich den Sattel vor ihr auf eine der Boxentüren hängte. Sie sollte erst einmal sehen, dass er nichts Gefährliches war bevor ich ihn auf ihren Rücken legte. Neugierig schnoberte sie über das weiche Leder und stupste ihn schließlich an. So hatte sie wohl keine Angst vor ihm. Also nahm ich den Sattel wieder und stellte mich damit neben sie. Sie trat nervös einen Schritt auf die Seite. Ich begann wieder mein Lied zu summen und beobachtete ihre Reaktion als ich den Sattel ganz vorsichtig auf ihren Rücken legte. Sie spannte sich zwar an doch blieb ruhig. Ich streichelte ihren Hals und nahm schließlich den Sattelgurt unter ihrem Bauch hindurch um ihn zuzumachen. Sie legte zwar die Ohren an doch das war auch schon alles. Bevor Grace sie gekauft hatte, hatte sie irgendjemand schonend an den Sattel gewöhnt. Das war schon einmal sehr positiv. Beim Longieren in der Halle bockte sie zwar zuerst eine Weile und versuchte so, den lästigen Sattel wieder von ihrem Rücken zu bekommen, doch nach ein paar Minuten beruhigte sie sich wieder und akzeptierte den Sattel auf ihrem Rücken. Nach der Arbeit brachte ich sie zu den anderen Stuten auf die Koppel. Sie freute sich und buckelte übermütig über die Wiese bis sie schließlich bei den anderen Pferden ankam. Ich sah ihr lächelnd nach ehe ich mich auf den Weg in unsere Hütte machte. Da die beiden Jungs wohl noch immer am Reiten waren, beschloss ich nett zu sein und etwas zu kochen. Ich öffnete unsere Küchenschränke und holte alles heraus, was man für Pizza brauchte. Nachdem ich sie belegt und in den Ofen geschoben hatte ging ich wieder auf die Veranda. Ich entdeckte Leo, der die Koppeln entlang lief. Wollte er etwa zu mir? Tatsächlich, er steuerte direkt auf unsere Hütte zu. "Welche Ehre, dich hier zu sehen. Hast du dich bekniet nach dem niedrigen Volk zu schauen?", fragte ich ihn sarkastisch. "Halt die Klappe!", antwortete er nur und ließ sich dann auf einen unserer Stühle fallen. "Was gibt's?", fragte ich neugierig und setzte mich ebenfalls hin. "Ich musste da oben mal raus!", meinte er wütend und nickte in die Richtung des Haupthauses. Interessiert zog ich meine Augenbrauen nach oben. Er bemerkte meinen fragenden Blick doch sagte einfach nichts. "Ja und wieso?", platzte es endlich aus mir heraus. "Ach, nichts besonderes. Wegen meinem Vater. Er ist nicht einverstanden, dass ich den Sommer über hier bin, er meint ich vernachlässige so mein Jura-Studium, dabei weiß ich doch nicht einmal ob ich das überhaupt möchte!", erklärte er mir. Er klang wirklich verzweifelt. Das waren wohl die Probleme im Leben eines Reichen, schoss es mir durch den Kopf doch ich strich diesen Gedanken sofort wieder, für Leo waren es wirkliche Probleme und ich durfte mir nicht erlauben ein Urteil darüber zu fällen. "Hast du das deinem Dad schon gesagt?", fragte ich daher doch er schüttelte nur seinen Kopf. Es war wohl das Beste, wenn ich ihn auf andere Gedanken brachte. Ich konnte ihm sowieso nicht wirklich helfen, das war eine Angelegenheit zwischen Leo und Richard. "Ich hab Pizza gemacht, willst du mit uns essen?", fragte ich daher. Er lächelte dankbar. "Ja. Gerne."

Luke und Josh kamen gerade rechtzeitig als die Pizza fertig war. Ich stellte sie auf den Tisch und die Jungs fielen hungrig darüber her. Ich holte noch schnell für jeden ein Bier auf dem Kühlschrank und nahm mir dann ebenfalls ein Stück. "Roxy, du bist echt klasse!", nuschelte Josh mit vollem Mund und schenkte mir ein Lächeln, Luke, der neben ihm saß, nickte kräftig. "Ich weiß, Jungs, ich weiß!", sagte ich grinsend und bemerkte Leos abwesenden Blick. Irgendwie tat er mir wirklich leid. Da Leo im Laufe des Abends immer ruhiger geworden war beschloss ich doch noch einmal mit ihm zu reden. Ich hatte das Gefühl, dass da noch mehr war. "Ich geh nochmal nach Embassy schauen, kommst du mit?", fragte ich ihn. Er verstand sofort, dass Embassy nur eine Ausrede war und nickte. Wir schlenderten nebeneinander her die Koppeln entlang. "Alles okay?", fragte ich ihn irgendwann unsicher. Er würde nicht von selbst anfangen, ich musste es ihm aus der Nase ziehen. "Ehrlich gesagt nicht, nein.", sagte er niedergeschlagen. "Na dann schieß los, betrachte mich als deinen persönlichen Kummerkasten!", versuchte ich es mit einem Scherz. Tatsächlich konnte ich ihm so ein Lächeln entlocken. "Es ist schwierig, ich weiß nicht wie ich das erklären soll.", druckste er herum, doch ich unterbrach ihn nicht und wartete einfach, ob er von alleine weitersprach. "Ich gehöre irgendwie nirgendwo hin. Hier bin ich nicht zuhause, in London aber auch nicht. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt oder später einmal machen soll. Ich dachte immer das Jurastudium wäre genau das Richtige für mich, doch inzwischen glaube ich, dass ich mir das immer nur eingeredet habe weil ich mir nicht weiter Gedanken darüber machen wollte.", versuchte er zu erklären. "Ich weiß, du verstehst das wahrscheinlich nicht, es ist so kompliziert." Ich schwieg einen kleinen Moment und dachte darüber nach, was Leo mir gerade erzählt hatte. Ich wusste genau, wie er sich fühlte, mir ging es nämlich ganz genau so. Seit Daylights Tod fühlte ich mich in Kanada auf der Farm nicht mehr zuhause. Sie war mein Anker gewesen. Meine lebendige Erinnerung an meinen Vater. Mit ihr war auch er für immer und komplett gegangen. Doch hier, in England, war ich auch nicht zuhause. Und dazu kam noch dieses furchtbare schlechte Gewissen... "Doch. Ich kann dich sehr gut verstehen.", sagte ich leise, ich flüsterte fast, doch Leo hatte es gehört und sah mich nun überrascht an. "Mir geht es genauso."

Ich ließ mich ins Gras fallen und beobachtete die Pferde, die in der Dämmerung auf den Koppeln standen und friedlich grasten. Leos Arm streifte meinen, als er sich neben mich setzte und hinterließ ein leichtes Kribbeln auf meiner Haut. Er sagte überhaupt nichts, er wusste dass mir etwas auf der Seele brannte, das unbedingt einmal ausgesprochen werden musste. Ich holte tief Luft. Das erste Mal würde ich jemandem davon erzählen.

Mein weiter Weg zurückWhere stories live. Discover now