5. Weniger erfreuliche Neuigkeiten

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, schlief Newt noch. Wir hatten einander immer noch in den Armen und ich fühlte mich warm und geborgen. Ich hatte nichts geträumt, an das ich mich erinnern konnte in dieser Nacht, obwohl ich hätte schwören können, dass ich Albträume haben würde – nach diesem Abschied.
Und sofort musste ich wieder an Gally denken. Wie spät war es? War er schon in der Gedächtniskammer? Hatte er mich schon vergessen?
Ich schluckte schwer, riss mich dann allerdings zusammen und versuchte mich langsam aus Newts Armen zu lösen, um aufzustehen und ins Badezimmer zu gehen. Es war bestimmt gleich schon Zeit fürs Frühstück, auch wenn ich ja jetzt keinen richtigen Job mehr hatte.
Als ich mich von ihm lösen wollte, grummelte er und drückte sich noch ein wenig fester an mich. Ich blieb still liegen und sah ihn an, saugte jede Faser seines Gesichts in mich auf. Warum fand ich, dass er wunderschön war? Was passierte mit mir? Seine Haare waren vom Schlafen ganz durcheinander und ich hatte das starke Bedürfnis, sie zu berühren.
Jetzt hör aber auf!, schalt ich mich. Er ist nicht dein Freund und du bist nichts Besonderes für ihn!
Wie ich so da lag, völlig in Gedanken versunken, merkte ich zuerst gar nicht, wie er sich irgendwann langsam bewegte und seine Augen ein Stück öffnete. Er sah, dass ich ihn ansah und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er seine Augen endgültig öffnete und mir klar wurde, wie ich gerade aussehen musste, wie ich ihn so anstarrte.
„Guten Morgen", murmelte er verschlafen, richtete sich auf und strich sich durch die Haare.
„Morgen. Tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken...", begann ich peinlich berührt.
Aber Newt schüttelte den Kopf. „Hast du nicht. Außerdem wache ich so gerne auf. Neben dir."
Ich konnte sehen, dass er ein wenig rot wurde und mein Herz machte bei seinen Worten schon wieder einen dieser merkwürdigen Hüpfer.
Um das zu überspielen räusperte ich mich und sagte: „Na, das solltest du jetzt ja öfter können, wenn wir uns das Zimmer teilen."
Er lachte und sah von meinem Bett zu seinem. „Naja, wie man es nimmt."
Ich verstand, was er meinte, sagte aber nichts, weil ich mich nicht blamieren wollte, wenn ich ihm sagte, dass er gerne immer in meinem Bett schlafen durfte.
Was passiert nur mit mir?
Schell war ich auf den Beinen und schnappte mir ein paar Klamotten aus meinem Schrank. 'Property of W.C.K.D.' stand nun auch auf jedem meiner Shirts, nachdem ich nicht mehr bei den Kindern arbeitete und meinen Kittel trug.
„Ich dusche schnell. Dann können wir frühstücken gehen." Damit verschwand ich im Badezimmer und war froh, einmal für mich zu sein.
Während das warme Wasser mir auf die Haut prasselte dachte ich an viele Dinge. Ich dachte an Gally und was sie wohl gerade mit ihm machten. Ich fragte mich, ob er sich vielleicht wirklich irgendwie an mich erinnern konnte oder ob das nur Wunschdenken von ihm gewesen war, um mich zu beruhigen. Ich dachte daran, was Janson nun von mir erwartete. Es konnte doch nicht alles sein, auf Newt 'aufzupassen'. Das konnte einfach nicht sein. Nicht bei WICKED.
Ich trocknete mich ab, zog mich an, putzte meine Zähne und föhnte meine Haare. Dann war ich fertig und öffnete die Tür. Newt saß auf seinem Bett und starrte die Wand an, als überlegte er. Er hatte anscheinend gar nicht gemerkt, dass ich fertig war.
„An was denkst du?", fragte ich vorsichtig und setzte mich zu ihm.
Er schaute mich an und verzog sein Gesicht zu einem schwachen Lächeln.
„Ich habe an meine Schwester gedacht. Sie haben sie irgendwo hingebracht, wo wir nicht hinkommen. Ich habe Angst, dass sie ihr etwas tun."
Ich seufzte. „Sie werden ihr nichts Schlimmeres als das Labyrinth antun, Newt. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob es überhaupt etwas Schlimmeres gibt."
Es tat mir leid, dass ich ihm das so sagte, aber ich wusste, dass ich ehrlich zu ihm sein sollte. Er nickte stumm.
Vorsichtig legte ich ihm eine Hand auf die Schulter und sagte: „Na komm, lass uns essen gehen. Sonst gibt es bald kein Frühstück mehr."
Ich erhob mich und er tat es mir gleich, doch bevor ich die Tür öffnen konnte, hielt er mich am Arm fest. Ich drehte mich zu ihm um und wieder trafen sich unsere Blicke und ich war sprachlos.
„Ich bin der Nächste, oder? Janson hat dir gesagt, dass ich der Nächste bin, als ich noch bewusstlos war. Ich habe davon geträumt."
Ich merkte, dass mir der Mund offen stand und ich nicht in der Lage dazu war, das Richtige zu antworten. Wenn er sich daran erinnern konnte, wusste er dann auch noch, dass Janson gesagt hatte, er sei nicht immun?
Oh shit.
Irgendetwas in seinen Augen sagte mir, dass er die Wahrheit verkraften würde und ich es ihm sagen musste, weil er es sowieso schon wusste. Also nickte ich stumm, immer noch in seinen Augen verloren. Dass er nicht immun war, behielt ich allerdings für mich.
Ich konnte sehen, dass er es längst gewusst hatte und dass es ihn trotzdem traf. Also breitete ich meine Arme aus und umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung und ich roch schon wieder seinen wunderbaren süßen Geruch. Ich schloss meine Augen und spürte, wie mir eine Träne die Wange herunter lief. Ich würde ihn auch verlieren. Warum tat das nur so weh, nachdem ich ihn erst seit so kurzer Zeit kannte?
Wir standen eine Weile so da und lösten uns irgendwann wieder voneinander, wobei Newt mir noch einmal tief in die Augen sah. Ich blickte hoch zu ihm.
„Ich habe gar keine Angst vor dem Vergessen, weißt du? Alles was bisher passiert ist, ist es nicht wert es zu behalten. Aber ich habe Angst, dich zu vergessen. Ich habe so eine Verbindung wie zu dir noch nie gespürt. Du bist etwas ganz besonderes, Anna."
Ich verlor mich schon wieder in seinen braunen Augen und seinen Worten. In mir brachen die tausend Schmetterlinge wieder los und ich musste meine Augen kurz schließen, um ihn nicht anzustarren. Ich wusste nichts zu antworten und küsste ihn als Antwort einfach und ohne wirklich darüber nachzudenken auf die Wange.
Newt sah mich durchdringend an und ich konnte sehen, dass ich ihn zum Lächeln gebracht hatte. Um diese Situation, die mir etwas unheimlich war nicht noch mehr in die Länge zu ziehen öffnete ich nun die Tür und wir gingen schweigend zum Speisesaal, der bis auf vereinzelte Besucher schon wie leer gefegt war. Klar, die meisten waren an der Arbeit und mir fiel auf, dass ich in den letzten 5 Jahren noch nicht einmal so spät hier gewesen war um zu Frühstücken. Wir holten uns unser Frühstück und setzten uns alleine an den Tisch, an dem ich sonst mit den anderen Jungs saß.
Nach ein paar Minuten, in denen wir schweigend aßen, stand plötzlich jemand vor unserem Tisch. Ich sah hoch und erkannte mit Erstaunen, dass es Teresa, Thomas' Freundin war. Fragend und mit einer hochgezogenen Augenbraue sah ich sie an und wartete, dass sie etwas sagte.
Sie räusperte sich, sah sich im Raum um, wohl um sicher zu gehen, dass niemand sah, dass sie mit uns sprach und setzte sich dann neben mich.
„Das, was ihr da gestern Nacht gemacht habt – und ich weiß, dass ihr es wart – war mehr als verantwortungslos und dumm", begann sie und Newt und ich wechselten einen Blick.
Wir dachten das gleiche: Hatte Thomas es ihr erzählt? Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
„Ich habe gesehen, wie Thomas mitten in der Nacht sein Zimmer verlassen hat und dann nach einer halben Stunde mit einer aufgeplatzten Lippe und ziemlich aufgeregt wieder kam. Denkt ihr, ich bin blöd? Er wollte es mir nicht sagen, aber ich weiß, dass ihr gestern Nacht bei diesem Verrückten wart, nur damit du dich von ihm verabschieden konntest."
Ich sah sie einfach nur an und nachdem ich nichts entgegnete redete sie weiter.
„Ihr habt glaube ich gar keine Ahnung, was ihr da gemacht habt! Ihr habt gegen genau 7 Regeln hier bei WICKED verstoßen und dann auch noch Thomas, einen unserer wichtigsten Mitarbeiter, da mit herein gezogen. Außerdem habt ihr riskiert, dass ein wichtiger Immuner verletzt wird oder gar ausbricht, kurz bevor er endlich seine Tests antreten konnte. Was ihr da getan habt war nicht nur leichtsinnig und illegal, ihr habt auch noch in gewisser Weise den Fortschritt unserer Arbeit in Gefahr gebracht und damit die gesamte Menschheit!", schloss sie und sah mich voller Tadel und vollkommen entrüstet an.
Aber sie war nicht die Einzige, die hier entrüstet war. Ich starrte sie mit offenem Mund an und wusste erst nicht, was ich darauf nun entgegnen sollte. Doch als ich gerade beginnen wollte, mich zu rechtfertigen schaltete sich Newt ein.
„Sag mal, was ist eigentlich los mit dir? Du scheinst ja nicht nur freiwillig für diese Verrückten hier zu arbeiten, du scheinst das, was die hier machen, ja auch noch zu unterstützen. Was genau läuft da oben bei dir nicht richtig?", fragte er sie völlig baff. „Ihr sperrt hier Kinder ein, benutzt sie für irgendwelche Experimente, lasst sie für euch arbeiten und schickt sie dann in ein tödliches Labyrinth um zu schauen, wie lange sie wohl überleben? Und was daran rettet jetzt die Menschheit? Ich war da draußen, ich weiß, wie es dort ist und nicht einmal in den Jahren, die ich mit meiner Familie dort gelebt habe, habe ich irgendetwas positives von WICKED gehört, nicht einen Fortschritt, der wirklich geholfen hat, habt ihr gemacht! Die haben meine Eltern erschossen und mir meine Schwester genommen und jetzt bin ich hier und warte darauf, dass ich auch in dieses scheiß Labyrinth komme und alles vergesse, was ich jemals gewusst habe. Wen rettet das? Mich? Uns? Habt ihr einen dieser Jugendlichen jemals gefragt, ob sie das wollen, was mit ihnen passiert? Ob sie für etwas sterben wollen, das wahrscheinlich niemals funktionieren wird?!" Er war aufgestanden und hatte seine Hände zu Fäusten geballt.
Auch Teresa hatte sich nun erhoben und musterte Newt von oben bis unten.
„Wir haben keine Wahl. Wir machen das alles für das größere Wohl. Wir werden Menschen helfen. Was wir tun ist das Richtige und muss getan werden und solange wir in der Forschungsabteilung dahinter stehen, werden wir eines Tages die Menschheit retten. Ihr müsst doch auch sehen, dass es der einzige Weg ist."
Damit wollte sie gehen, aber nun stand auch ich auf und rief ihr hinterher, völlig desinteressiert, wer es hören könnte: „Du denkst also, ihr steht alle dahinter? Und was ist mit Tommy? Steht er deiner Meinung nach etwa auch dahinter?"
Sie hielt kurz im Gehen inne, drehte sich aber nicht um und sagte auch nichts mehr. Nach ein paar Sekunden ging sie erhobenen Hauptes weiter, um wahrscheinlich zu beobachten, wie sie Gallys Gedächtnis löschten.
Ich ließ mich mit einem Stöhnen wieder auf meinen Stuhl fallen und sah Newt mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Das war ganz schön mutig, was du da gerade gesagt hast."
„Du warst aber auch nicht schlecht", entgegnete er und zwinkerte mir zu.
Wir lachten und aßen weiter.

Als wir gerade unsere Tabletts weggebracht hatten und den Speisesaal verlassen wollten, kamen uns Janson und zwei seiner Männer entgegen.
Na hervorragend, hoffentlich hat Teresa ihm nichts gesagt.
Aber würde sie Thomas verraten?
„Miss Anna, gut, da sind Sie ja! Ich wollte Ihnen mitteilen, wo Ihre neuen Aufgaben ab nächster Woche liegen!"
Ich atmete erleichtert aus und entspannte mich etwas.
„Mr. Janson, Sir, wie schön. Ich bin ganz Ohr!"
„Wie ich sehe, haben Sie Ihren neuen Schützling auch dabei. Sehr schön. Ich möchte, dass Sie beide ab nächster Woche in Überwachungslabor 1 arbeiten und dort Thomas und Teresa unter die Arme greifen. Leider sind unsere beiden anderen Mitarbeiter, die vorher mit dieser Aufgabe betraut waren, ausgefallen."
„Was denen wohl passiert ist", flüsterte Newt so leise, dass nur ich ihn hören konnte. Die Ironie in seiner Stimme war selbst in dieser Lautstärke nicht zu überhören.
Ich wusste, was er meinte, konnte seinen Gedanken aber kaum greifen, da mir etwas ganz anderes durch den Kopf schoss. Newt konnte es natürlich nicht wissen, aber ich wusste genau, was Thomas und Teresas Aufgabe war - sie beobachteten meine Freunde.
Sie beobachteten Gallys Labyrinth.

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