20. Noch ein Abschied

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Die letzte Woche, die Newt bei mir verbrachte verging rasend schnell. Im Labyrinth war George zum ersten Mal raus gegangen und schon nach kurzer Zeit wieder zurückgekommen. Er hatte keinen Ausgang und auch keinen Griever gefunden, wobei er letzteren ja auch glücklicherweise nicht gesucht hatte. Trotzdem entschieden die Jungen einstimmig, dass er noch einmal ins Labyrinth gehen sollte, um weiter zu suchen. Schnell hatten sie auch einen Begriff für das gefunden, was er tat – sie nannten ihn Läufer.
Es war Mittwoch, Spätnachmittag, und ich wusste, was heute Abend passieren würde. Newt wusste es ebenfalls, auch wenn wir heute noch nicht darüber geredet hatten.
Wir hatten die letzten Nächte ungefähr genauso verbracht, wie die in der ich Rachel aufgesucht hatte, nur gestern Nacht war anders gewesen. Begonnen hatte sie ähnlich, denn es fiel uns ziemlich schwer, die Hände von einander zu lassen, seitdem wir gemerkt hatten, wie wunderschön es war, wenn wir auf diese Art und Weise zusammen waren.
Nachdem Newt sich wieder einmal völlig außer Atem neben mich fallen gelassen hatte und wir uns wieder einmal völlig überwältigt angesehen hatten, hatte er mich in den Arm genommen. Das hatte er in der vergangenen Zeit so oft getan, doch dieses Mal war es anders. Wir wussten beide, dass es das letzte Mal war, dass wir so zusammen waren und auch, dass wir uns in nicht einmal 24 Stunden voneinander trennen mussten. Für Newt bedeutete der kommende Abschied wahrscheinlich für immer, für mich bedeutete er einen Abschied auf Zeit, was es mir aber nicht ansatzweise leichter machte.
Ohne es gemerkt zu haben, hatte ich zu weinen begonnen und wurde mir dessen erst bewusst, als ich auch Newt schniefen hörte. Er hatte sein Gesicht an meine Haare gedrückt und schien meinen Geruch in sich aufsaugen zu wollen. Ich löste mich ein wenig von ihm und konnte erkennen, dass sein Gesicht von Tränen nass war, genau wie meins. Wir sahen uns einen Moment lang an und der Anblick seiner braunen Augen machte mich nur noch trauriger.
Keiner von uns sagte etwas und wir umarmten uns einfach noch fester. Ich war sicher, dass er genauso wenig wie ich wusste, was er sagen sollte.
So, fest umschlungen und beide schluchzend, schliefen wir ein und hatten uns kein bisschen voneinander gelöst, als wir an diesem Morgen aufgewacht waren.
Auch Teresa und Thomas wussten, was uns heute Abend erwartete und ich wusste, ohne dass wir darüber gesprochen hatten, dass Thomas auch dieses Mal da sein würde, um mich zu einem weiteren Abschied zu begleiten. Er und Newt hatten sich ziemlich gut angefreundet in den letzten Wochen und ich wusste, dass Newt sein einziger Freund war, was es ihm umso schwerer machte. Aber er würde da sein, um 2 Uhr, so wie vor genau vier Wochen.
Als wir zum Speisesaal gingen, Newt und ich hatten unsere Hände fest miteinander verschränkt, sagte niemand etwas. Wie in Trance erreichten wir den Saal und setzten uns auf unsere Plätze, ohne etwas zu essen zu nehmen. Die anderen Jungen sahen uns komisch an, als Thomas und Teresa sich ohne ein Wort zu uns setzten. Alleine Minho schien zu wissen, was passieren würde, denn er sah Newt einmal so durchdringend an und nickte ihm zu, als wolle er sich verabschieden.
Und dann passierte es. Ich sah Janson und zwei Männer des SWAT-Teams den Raum betreten und auf uns zukommen. Völlig paralysiert starrte ich sie an, als sie uns erreichten und die beiden Männer Newt ziemlich grob aufhalfen und unsere Hände so voneinander lösten. Alles was ich noch wahrnahm war der Blick den er mir zuwarf, so voller Schmerz, und dann Jansons Lächeln, das er mir schenkte während er mir zuzwinkerte.
Mit offenem Mund saß ich da und musste mich am Tisch festhalten, um nicht vom Stuhl zu fallen. Ich spürte, wie jemand mir hoch half und als ich offensichtlich nicht dazu in der Lage war, zu laufen, meine Beine vom Boden zog und mich aus dem Raum trug. Tränen strömten mir über das Gesicht, als ich Ben und Zart irgendetwas rufen hörte, was ich nicht verstand und Teresa meine Hand nehmen spürte. Sie lief neben demjenigen her, der mich trug. Auch Thomas war da, denn ich hörte ihn leise sagen: „Du wirst dich noch verabschieden können, ich verspreche es", aber er war nicht derjenige, der mich trug.
Dieser Jemand war um einiges muskulöser als er, beinahe so wie Gally. Aber der konnte es nicht sein, das verstand ich, auch wenn ich völlig durcheinander war.
„Leg sie auf ihr Bett." Das war Teresa. Ihre Stimme klang kalt, als sie meinen Träger ansprach.
„Hey, Anna, kannst du mich hören?"
Minho.
Jetzt konnte ich ihn durch die Tränen erkennen. Ich nickte und blinzelte ein paar Mal, um richtig sehen zu können.
Teresa schien neben mir auf dem Bett zu sitzen. „Ganz ruhig. Alles wird gut. Denk daran, dass du ihn wieder siehst." Ich wusste, was sie meinte und wusste auch, dass Thomas und Minho denken würden, sie meinte, dass ich mich ja verabschieden konnte.
„Ganz genau, ich werde wieder hier sein und dich holen. Und dann kannst du dich in aller Ruhe von ihm verabschieden. Dieses Mal werden wir ja hoffentlich nicht so einen Lärm machen." Er schmunzelte und setzte sich dann auf Newts Bett – oder viel mehr auf das nun wieder freie Bett, denn Newts Sachen waren wie Gallys vor einem Monat alle verschwunden.
Ich schluckte, hatte mich aber wieder etwas beruhigt und konnte klar sehen und denken.
Ich konnte erkennen, wie Teresa Thomas tadelnd ansah, weil er schon wieder gegen die Regeln verstoßen wollte, aber dieser tat ihren Blick mit einer Handbewegung ab.
Minho stand noch immer neben meinem Bett und ich sah ihm an, dass er sich sichtlich unwohl in Teresas Gegenwart fühlte. Dieser schien es genauso zu gehen, denn sie drückte meine Hand noch einmal und stand dann auf.
„Wir sehen uns dann morgen früh. Ich wünsche euch... viel Glück heute Nacht." Damit sah sie Thomas auffordernd an und ging zur Tür. „Na komm, lass uns zurück zum Abendessen gehen."
Thomas nickte und stand auf. „Bis heute Nacht, Anna."
„Bis später, Tommy."
Sie verließen mein Zimmer und Minho setzte sich nun neben mich, wo eben Teresa noch gesessen hatte.
„Newt hat mir vor ein paar Tagen noch gesagt, dass ich auf dich aufpassen soll, wenn er ins Labyrinth geholt würde. Ich hatte nicht geahnt, dass er wusste, dass er der Nächste ist." Er schluckte. „Und dann musste ich ihn auch noch anlügen, denn ich werde nicht aufpassen können, dass dir nichts passiert, wenn wir deinen Plan die Kids hier raus zu schaffen umsetzen. Ich gehe davon aus, dass du ihn umsetzen willst?"
Ich nickte.
„Also gut, ich bin weiterhin dabei."
„Danke, Minho. Wenn wir es tatsächlich schaffen, den Rechten Arm zu erreichen, dann werden sie dich bestimmt auch mitnehmen. Rachel wird auch mit ihnen gehen. Ihr könntet dann ein besseres Leben anfangen und ich möchte, dass du gut darüber nachdenkst. Du solltest es machen, auch wenn du dann deine Freunde hier zurücklässt. Du hast es verdient, glücklich zu werden, Minho."
Jetzt nickte er. „Und du? Du wirst nicht mitkommen, habe ich Recht? Du willst hinter ihm her, richtig?"
Ich sah ihn überrascht an. War ich so leicht zu durchschauen?
Als hätte er meine Gedanken gelesen fügte er hinzu: „Das war mir klar, seit ich gesehen habe, dass sie Newt holen. Zuerst Gally und dann er. Ich kann mir vorstellen, dass du nichts mehr willst, als in dieses Labyrinth. Auch wenn es natürlich trotzdem hirnrissig und lebensmüde ist."
Trotz dieser harten letzten Worte sah er mich überhaupt nicht vorwurfsvoll, sondern eher verständnisvoll an.
Ich konnte nichts antworten und nickte deshalb nur.
Damit war dieses Gespräch beendet und er vergewisserte sich noch einmal, dass mit mir alles in Ordnung war und verließ dann auch den Raum.
Jetzt war ich also alleine, starrte die Decke an und weinte stumm. Viel zu viele Gedanken geisterten mir durch den Kopf, als dass ich hätte schlafen können. Deshalb starrte ich einfach weiter zur Decke, ging irgendwann gegen 23 Uhr duschen und legte mich dann wieder ins Bett.
Die Zeit zog sich wie Kaugummi und ich hatte zwischenzeitlich das Gefühl, dass es niemals 2 Uhr werden und ich für immer hier liegen würde.
Doch irgendwann klopfte es dann doch an meiner Tür und ich saß sofort kerzengerade im Bett. Schnell stand ich auf und öffnete.
Thomas.
Ich konnte nicht anders und stürzte ihm förmlich in die Arme, was eine weitere Tränenwelle hervorrief, weil ich jetzt wieder jemanden hatte, der mich umarmte.
„Na komm, lass uns zu ihm gehen. Er wartet bestimmt auf dich." Damit legte er mir einen Arm um die Schultern und gemeinsam liefen wir den gleichen Weg wie vor vier Wochen zu Gally.
Vor der gleichen Tür wie damals machten wir Halt, nur dieses Mal waren wir nur zu zweit und niemand würde Thomas dieses Mal anspringen.
Wieder sah Thomas mich prüfend an und wieder sagte ich: „Mach schon auf, Tommy", wie in einem lebensechten Deja Vu.
Es klickte und die Tür ging langsam auf. Thomas lugte herein und bedeutete mir dann, ihm zu folgen. Ich schlüpfte direkt nach ihm in den Raum und hörte schon fast nicht mehr, wie die Tür hinter uns ins Schloss fiel.
Da stand er vor mir, mit roten Augen und völlig ohne diese Ausstrahlung, die er sonst immer an sich gehabt hatte. Ich schlang meine Arme um ihn und spürte sogleich seine Wärme, die mich umschloss, als wäre ich zu Hause angekommen.
„Anna", flüsterte er und küsste mich sanft auf die Haare.
Jetzt, wo ich seine Stimme hörte, wie sie brüchig meinen Namen sagte, strömten mir die Tränen wieder die Wangen herunter.
„Newt", schluchzte ich und krallte meine Hände in sein T-Shirt.
So hielten wir uns minutenlang fest und weinten. Irgendwann löste er sich ein wenig von mir und nahm mein Gesicht in seine Hände, sodass ich ihn ansehen musste, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass sein Anblick mich auseinander reißen würde.
Er strich mir ein paar Tränen von den Wangen und küsste mich dann. Ich schloss die Augen und vergaß mal wieder alles um mich herum, als seine Lippen meine berührten.
Wir hatten uns in den letzten Wochen und vor allem in der vergangenen Woche so oft geküsst und trotzdem war es dieses Mal ganz anders. Wir wussten beide, dass es unser letzter Kuss sein würde.
Für Newt war es wohl der letzte für immer, für mich war es der letzte in diesem Leben. Denn ich würde die Hoffnung nicht aufgeben, dass ich es zu ihm schaffen und ihn wieder küssen würde, auch wenn es dann wieder unser erster Kuss wäre. So musste es einfach kommen.
Und nur durch diesen Gedanken hielt ich mich auf den Beinen und war in der Lage nach weiteren Minuten, die ich am liebsten nie hätte vorübergehen lassen, gemeinsam mit Thomas den Raum wieder zu verlassen.
„Tschüss, Kumpel, wir sehen uns."
„Tschüss, Tommy."
Die beiden nickten sich zu und ich konnte nun auch auf Thomas' Gesicht eine Träne glitzern sehen.
Newt küsste mich an der Tür noch ein letztes Mal, wischte mir noch einmal die Tränen weg und schob mich dann mit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Korridor.
Bevor die Tür zwischen uns sich schloss sagte ich noch ein letztes Mal: „Ich liebe dich."
Und er antwortete wie jedes Mal: „Und ich liebe dich."
Diese Worte brannten sich in mein Herz und in meinem Kopf ein und ich war mir sicher, dass ich sie nie vergessen würde.

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