15. Ein guter Freund

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Die Tage, die ich mit Newt hatte, vergingen viel zu schnell und mir wurde schmerzlich bewusst, dass wir nur noch eine Woche hatten, bis sie ihn in die Gedächtniskammer schicken würden.
Ich hatte meine gesamte freie Zeit, die ich nicht mit ihm verbracht hatte, dafür genutzt mehr über diese Menschen außerhalb der Schutzzone herauszufinden. Ich wollte um jeden Preis dafür sorgen, dass die Kinder befreit wurden, bevor es zu spät für mich war.
Doch alles, was ich herausgefunden hatte war, dass sie sich „Der Rechte Arm" nannten und laut Gerüchten irgendwo in den Bergen versteckten.
Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich sie kontaktieren sollte, aber ich war mir sicher, dass es einen Weg gab.
Und ich hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, wie ich es versuchen wollte. Ich wusste, dass Janson regelmäßig auswärts unterwegs war und auch, dass er alle wichtigen Informationen über den Rechten Arm garantiert in seinem Büro aufbewahrte, schließlich führte er das Team an, das nach ihnen suchte.
Ich musste irgendwie in Jansons Büro gelangen und dafür brauchte ich Hilfe. Und eigentlich wusste ich auch schon, wen ich fragen musste.
Ich war bei meiner Entscheidung geblieben, Newt nichts davon zu erzählen, um ihn nicht in Gefahr zu bringen.
Rachel. Sie musste ich sowieso irgendwann einweihen, weil ich 24 Kinder ohne ihre Hilfe gar nicht unbemerkt in die Lüftungsschächte bekommen würde.
Minho. Er war mein einziger richtiger Freund, der mir hier noch geblieben war und dem ich völlig vertraute.
Und Thomas. Ja, ich würde Thomas um Hilfe bitten. Ich war mir sicher, dass er meine Meinung im Grunde teilte und einfach nur intelligent genug war, das zu verbergen.
Ja, die drei würde ich einweihen. Und ich musste es bald tun, ohne, dass Newt etwas merkte. Denn ich wusste nicht, wie lange es dauern würde, Kontakt zum Rechten Arm aufzunehmen, auch wenn ich dann wahrscheinlich Hilfe hätte.
Wir waren gerade auf den Weg zum Abendessen. Es war Mittwoch und in ziemlich genau einer Woche würden sie Newt holen, um ihn am nächsten Morgen in die Gedächtniskammer zu bringen und ihn dann ins Labyrinth zu schicken. - Wo ich ihn dann einen weiteren Monat beobachten musste.
Alleine bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. Und irgendwie war ich auch aufgeregt, schließlich würde sich bald zeigen, ob er sich an mich erinnern würde oder nicht. Ich wusste, dass ich nicht denken durfte, dass er mich einfach nicht genug gemocht hatte, falls er es nicht konnte, denn Teresa hatte mir mittlerweile mehrfach erklärt, dass es natürlich auch möglich war, dass man sich an nichts erinnerte, auch wenn man eine tiefe Bindung zu einer Person hatte.
Ich würde mich damit abfinden müssen, dass ich darum bangen musste, ob er sich so wie Gally an mich erinnern konnte. Denn wir hatten uns auch entschieden – ohne es ihm zu sagen –, dass wir es nicht noch einmal riskieren würden eine Nachricht ins Labyrinth zu schmuggeln. Zu groß war die Gefahr, dass jemand es bemerkte oder dass ein Junge auf der Lichtung sie fand, der sie nicht finden sollte. Da waren Thomas, Teresa und ich uns mittlerweile einig.
Im Speisesaal angekommen setzten wir uns zu unseren Freunden und ich hörte nur mit halben Ohr hin, als Zart mir erzählte, dass er ein Auge auf irgendein Mädchen geworfen hatte und nun überlegte, wie er sie am besten ansprach.
„Hey, Anna, hörst du mir überhaupt zu?", fragte er enttäuscht.
Ich sah auf. „Klar, Zart, erzähl weiter, ich bin ganz Ohr."
„Na ja, ich bin jetzt halt am überlegen, ob ich sie einfach mal frage, ob sie nicht Lust hat sich zum Essen zu uns zu setzen. Meinst du, sie sagt ja?"
„Frag sie doch einfach!" Minho ließ sich auf einen freien Stuhl neben mir fallen. Er und Ben kamen gerade mal wieder von einem Sporttest und waren noch ziemlich verschwitzt.
„Wisst ihr was? Genau das mache ich jetzt!" Und damit stand Zart auf, brachte sein Tablett weg und ging auf eine kleine Gruppe Mädchen zu, unter denen auch Rachel war, redete kurz mit einem von ihnen und setzte sich dann dazu.
„Wow", murmelte ich und schüttelte den Kopf.
„Komischer Typ, hm?", meinte Minho und ich musste lachen.
„Ja, so wie ihr alle", entgegnete ich.
Wir mussten noch mehr lachen.
Nachdem ich mich noch etwas mit Minho und Ben unterhalten hatte, sah ich, dass Newt schon aufgegessen hatte und zu mir herüber blickte, als warte er, dass auch ich fertig würde. Da kam mir ein Gedanke. Ich hatte jetzt vielleicht die Möglichkeit mit Minho zu sprechen.
Also lächelte ich Newt zu und sagte: „Willst du schon einmal vor gehen? Dann kannst du ja schon mal duschen oder so."
Er nickte, ging aber eher widerwillig. Ja, wir wollten beide alle Zeit die uns noch blieb miteinander verbringen, aber das hier war wichtig. Außerdem hätte ich eh auf meinem Bett gesessen und auf ihn warten müssen. Da konnte er auch schon einmal vorgehen.
Ich dachte daran, dass er wahrscheinlich gar nicht duschen gehen würde, sondern nach Lizzy schauen wollte. Ich hatte gemerkt, dass er manchmal nachts verschwand, ohne mich wachmachen zu wollen, obwohl ich gerne mit ihm gekommen wäre und gleichzeitig vielleicht noch einmal das Dach besucht hätte. Trotzdem konnte ich aber auch verstehen, dass er manchmal einfach mit seinen Gefühlen alleine sein wollte. Das wollte ich schließlich auch.
Und das hier war ja auch etwas, was ich alleine machen musste.
Also sah ich Newt hinterher, als er den Raum verließ und wandte mich dann wieder Minho zu.
„Ich muss mit dir reden, gleich nach dem Essen. Am besten unter vier Augen."
Minho sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an, schien dann aber an meinem Blick zu erkennen, dass ich es ernst meinte und nickte.
„Hey, Ben, würde es dir was ausmachen nach dem Essen erst noch mit Heath mitzugehen oder so? Ich würde mit Anna gerne kurz in unser Zimmer gehen."
„Was...?" Ben sah vom einen zum anderen und zog seine Augenbrauen hoch. Er hatte das ganze garantiert völlig falsch verstanden.
„Ich muss mit Minho über etwas wichtiges sprechen und niemand soll das mitbekommen", flüsterte ich.
Aber Ben war nach wie vor misstrauisch. „Bist du schwanger oder so?"
„Oh, nein! Nein! Newt und ich haben nicht..." Ich stockte. Aber es stimmte – zwischen uns war nicht mehr gewesen als auch vor zwei Wochen noch.
„Und was willst du dann von Minho? Anna, ich mag dich wirklich sehr gerne, aber du hast Newt eben weggeschickt und gehst jetzt mit Minho auf sein Zimmer, da kommen mir schon komische Gedanken... Das hat Newt echt nicht verdient, er ist ein richtig toller Typ und -"
„Ben!", stieß ich hervor und nun war ich diejenige, die die Augen aufriss. „Ich würde nicht mal im Traum daran denken, ich..."
Aber da winkte Ben auch schon wieder ab. „Schon okay, ich glaube dir ja. Ich wollte nur sichergehen."
Ich sah ihn noch ein paar Sekunden prüfend an, wandte mich dann aber wieder meinem restlichen Essen zu.
„Fertig?", fragte Minho mich, nachdem er aufgegessen hatte und ich nickte. Gemeinsam brachten wir unsere Tabletts weg und verließen den Raum.
Als wir schon fast raus waren, spürte ich ganz klar, dass mich jemand anstarrte. Ich sah mich im Saal um und traf den Blick von Teresa, die uns misstrauisch ansah. Ich lächelte ihr zu, um sie zu beruhigen, aber sie starrte nur zurück und ich wusste, dass sie irgendetwas ahnte.
Thomas neben ihr hatte anscheinend nichts bemerkt, denn er redete gerade mit ihr, während er auf seinen Teller schaute und etwas mit seinem Messer durchschnitt.
Wir erreichten Minhos und Bens Zimmer ohne, dass jemand uns begegnete und betraten den Raum.
Es sah genauso aus wie unseres und ich setzte mich auf Minhos Bett, das er mir anbot, bevor er sich neben mich setzte.
„Also, was gibt's?", fragte er und sah mich erwartungsvoll an.
Ich schluckte und suchte kurz nach den richtigen Worten. Aber mit wem redete ich denn hier? Minho würde mich garantiert verstehen, also sollte ich gleich mit der Wahrheit heraus rücken.
„Newt und ich haben vor knapp zwei Wochen einen Weg auf das Dach des Gebäudes entdeckt. Wir sind durch die Lüftungsschächte gegangen, um seine Schwester in Nebentrakt C zu suchen und haben dabei einen Leiterschacht gefunden, der bis aufs Dach führt. Ich habe nach 10 Jahren die Sterne und die Sonne wieder gesehen, Minho. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sich das angefühlt hat."
Ich sah in seinem Blick, dass er sich ganz genau vorstellen konnte, wie ich mich gefühlt hatte. Schließlich war er schon so lange hier drinnen wie ich.
„Du weißt, ich habe mich bis vor ein paar Wochen zusammen mit Rachel um die Kinder hier gekümmert. Sie halten diese Kinder hier wie Tiere und warten nur darauf, dass sie alt genug werden, um für sie zu arbeiten oder ins Labyrinth zu gehen und dort zu leiden oder vielleicht sogar zu sterben.
Ich konnte das schon die ganzen letzten Jahre nicht mit ansehen, aber ich wusste nie, was ich tun sollte. Aber jetzt gibt es eine reelle Chance, sie hier heraus zu schaffen. Es gibt da eine Widerstandsgruppe, sie nennen sich „Der Rechte Arm" und sie sollen angeblich in den Bergen sein und sich irgendwo dort verstecken. Vor allem sollen sie aber versuchen, Kids zu befreien und sie in Sicherheit zu bringen. Janson sucht schon länger nach ihnen, so viel habe ich schon herausgefunden und auch, dass er alles, was er über sie weiß, höchst wahrscheinlich in seinem Büro aufbewahrt. - Und da muss ich rein. Ich muss diese Hinweise finden und den Rechten Arm irgendwie kontaktieren. Ich muss diese Kinder hier raus schaffen, ich muss sie einfach retten, bevor es zu spät ist und sie mich holen.
Und ich brauche deine Hilfe, Minho. Ich schaffe das nicht alleine."
Als ich geendet hatte sagte Minho zuerst überhaupt nichts. Er sah mich an, wandte seinen Blick dann ab und starrte die Wand an. Ich konnte mir vorstellen, was gerade in seinem Kopf vor sich ging.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, als ich schon überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte, sah er mich wieder an und begann zu reden.
„Ich helfe dir. Aber alleine werden wir das nicht schaffen. Wir werden noch mehr Hilfe brauchen. Was ist mit Newt? Was meint er dazu?"
„Ich habe ihm nichts davon erzählt. Und das werde ich auch nicht. Ich will ihn nicht in Gefahr bringen, ich bin sicher, das ist egoistisch, aber ich kann es einfach nicht."
Minho nickte langsam. Er schien zu verstehen. Minho schien mich irgendwie immer zu verstehen und ich war in diesem Augenblick so unheimlich dankbar, ihn zu kennen und zum Freund zu haben.
„Trotzdem werden wir Hilfe brauchen..."
„Rachel wird uns helfen, da bin ich sicher. Und Thomas wird uns auch helfen. Er muss einfach. Ohne ihn weiß ich nicht, wie wir Kontakt zu irgendwem aufnehmen sollen, auch wenn wir genug Informationen finden sollten. Zumindest nicht, ohne dass wir sofort auffliegen würden."
Minho schwieg wieder und überlegte. Dann nickte er langsam und sah mich an.
„Okay. Sag mir, wenn ich helfen kann."
Damit war unser Gespräch beendet und ich stand auf.
„Danke Minho. Ich bin dir auf ewig was schuldig."
„Wenn jemand das Richtige tun will, dann bin ich dabei", entgegnete er nur und ich nickte.
„Danke", sagte ich noch einmal und verließ den Raum.
Jetzt musste ich also noch mit Thomas und Rachel sprechen und mir überlegen, wie ich in Jansons Büro gelangte. Doch auch da hatte ich schon eine Idee.
Die Lüftungsschächte.
Ich würde Minho mitnehmen und wir würden uns beeilen müssen. Aber ich war sicher, dass wir gemeinsam eine gute Chance hatten, etwas zu finden.

From The WICKED Start | A Maze Runner Story Where stories live. Discover now