21. Ein kleiner Knopf

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Thomas begleitete mich zu meinem Zimmer und fragte, ob er bei mir bleiben solle, was ich verneinte. Ich wollte jetzt alleine sein und in Ruhe trauern können. Und vor allem musste ich mich auch irgendwie darauf vorbereiten, morgen mit ansehen zu müssen, wie Newt in die Gedächtniskammer gebracht wurde. Und dann blieb nur noch zu hoffen, dass auch er sich ein wenig erinnern konnte.
Ich schlief nicht viel und sehr unruhig, wurde wie immer von meinem Wecker geweckt und war sofort zurück in der schmerzhaften Realität.
Nachdem ich mich für den Tag fertig gemacht und meine geschwollenen Augen im Spiegel begutachtet hatte, machte ich mich alleine auf den Weg zum Labor, denn ich hatte keine Lust auf die Sprüche der anderen Jungs und die Blicke aller anderen Anwesenden.
Auf einem Korridor zwischen zwei Fahrstühlen traf ich auf Rachel und Aris, den ich schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte.
„Anna! Oh Gott, wie schaust du denn aus? Komm her!" Rachel nahm mich in den Arm und ich musste mich wirklich zusammenreißen, damit ich nicht sofort wieder in Tränen ausbrach.
Aris, mit dem ich noch nie wirklich viel gesprochen hatte, sah mich mitleidig an und schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.
„Was macht ihr hier?", fragte ich, als Rachel mich losließ.
„Oh, Aris wechselt seinen Arbeitsplatz und ich habe ein wenig frei bekommen, um ihn zu begleiten."
„Wie schön, wo bist du denn jetzt?", fragte ich und versuchte so interessiert wie möglich zu klingen, was mir nicht besonders gut gelang, wie ich fand.
„Es gibt da dieses neue Programm, ich soll irgendetwas steuern für das Labyrinth, in dem deine Freunde sind. Ich bin schon ganz gespannt."
Mir fiel alles aus dem Gesicht. Ich bemerkte nicht, dass mein Mund offen stand, bis Rachel begann mir mit der Hand vor der Nase herum zu fuchteln.
„Anna? Hey, ist alles okay mit dir?"
Ich schüttelte den Kopf um wieder klar denken zu können.
Aris würde Griever steuern.
„Ja, klar, ich... Oh Mann, ich bin noch etwas durcheinander, weil Newt weg ist, ich... War schön, euch zu treffen, wir sehen uns, Rachel." Damit ließ ich die beiden perplex stehen und rannte förmlich zum nächsten Fahrstuhl.
Völlig außer Atem kam ich im Labor an und ließ mich auf meinen Stuhl fallen. Thomas war aufgestanden, als ich hereingestürzt war und sah mich nun entsetzt an, während auch Teresa mich von ihrem Platz aus interessiert beobachtete.
„Was ist passiert?", fragte er, kam auf mich zu und ging vor mir in die Hocke.
„Die Griever, sie lassen sie von Probanden steuern. Aris, der Freund von Rachel... Er soll sie steuern."
Thomas sah mich mit großen Augen an. Teresa schien eher wenig überrascht.
„Ich habe doch gesagt, sie würden das durchbekommen. Jetzt ist nur noch die Frage, wie oft ein Griever auftauchen wird. Bisher ist unser George ja noch auf keinen gestoßen."
Ich sah sie entrüstet an und auch Thomas schien entsetzt über ihre Worte.
„Teresa die... die sollen die Jungs töten."
„Nein, das ist nicht ganz richtig. Im Großen und Ganzen sollen sie sie erst einmal stechen. Und wenn sie gestochen werden und es überleben, können sie sich an Dinge aus ihrem alten Leben erinnern. Es wäre nur nicht gut, wenn jemand gestochen würde, der nicht immun ist. Derjenige hätte nicht die größten Chancen, zu überleben."
Jetzt war ich endgültig sprachlos. Sollte das etwa eine Andeutung sein?
„Was stimmt manchmal nicht mit dir, Teresa?", fragte Thomas sie jetzt. Aber er bekam keine Antwort, sie setzte einfach ihr Headset wieder auf und schaute auf den Bildschirm.
„Jetzt wird's spannend. Er kommt jeden Moment in die Gedächtniskammer."
Ich sah über mich und Thomas folgte meinem Blick, wobei er sich nicht einen Zentimeter von mir weg bewegte, als wolle er aufpassen, dass ich nichts Unüberlegtes machte.
Newt wurde gerade auf die Gedächtniskammer vorbereitet und ich konnte sehen, dass er Angst hatte. Die Ärzte, die ihn fertig machten sprachen nicht mit ihm und ich war sicher, dass es das nur noch schlimmer machte, gar nicht zu wissen, was als nächstes kam.
Als er fertig war, brachten sie ihn in die Kammer und ließen sie mit Wasser voll laufen. Er hatte sich die gesamte Zeit über nicht einmal gewehrt, aber jetzt änderte sich das. Das Wasser schien ihm Schmerzen zu bereiten, als er zu ertrinken drohte, und ich verzog das Gesicht, als ich das mit ansehen musste.
„Teresa, mach das aus. Du kannst es dir auf deinem Bildschirm ansehen." Thomas war aufgestanden und hatte ihr das Headset vom Kopf genommen. „Das muss Anna nicht sehen, bitte."
Sie nickte stumm, drückte einen Knopf und der Bildschirm über uns wurde schwarz. Ich atmete erleichtert auf und es fühlte sich an, als nähme man mir eine Last von den Schultern.
Ich brauchte ein paar Minuten, wandte mich dann aber wieder den Jungen auf der Lichtung zu, die gerade mit dem Frühstück fertig waren. Gally spülte Geschirr ab, während Fry Pan schon mit dem Mittagessen anfing.
Irgendwann machte Gally sich dann auf den Weg zu den Feldern, um dort mitzuhelfen. Alles war ruhig und während ich ihn so beobachtete merkte ich, wie langsam auch ich wieder runter kam.
Ich konnte nichts tun als meinen Job zu machen und zu hoffen, dass der kommende Monat schnell vorüber ging. Mir war klar, dass Newt gerade litt, aber ich musste mich jetzt zusammen reißen und darauf hoffen, dass er sich nicht mehr an die Schmerzen erinnern würde, wenn er am nächsten Morgen auf der Lichtung aufwachte.
Still machten wir unsere Arbeit und beobachteten das Leben auf der Lichtung, als Teresa kurz vorm Mittagessen, zu dem ich gleich als Erste und alleine gehen würde, ihr Headset abnahm und zu sprechen begann.
„Bei ihm ist es noch schlimmer als bei Gally. Er will irgendetwas einfach nicht vergessen. Oder viel mehr jemanden. Bis jetzt zumindest. Sie sind noch nicht fertig mit ihm. Er kommt heute Nachmittag noch einmal in die Kammer und dann noch einmal, kurz bevor er hoch geschickt wird." Während sie dies sagte, sah sie mich direkt an.
Ich schluckte. Sollte er sich wirklich irgendwie an mich erinnern können? Oder zumindest an das Gefühl, dass er mir gegenüber gehabt hatte, so wie Gally? Ich traute mich nicht, daran zu glauben, jetzt wo all das so real war.
Mit dieser Information machte ich mich also alleine auf den Weg zum Mittagessen und war als erste an unserem Stammtisch da. Erst als ich schon fast fertig war kamen nach und nach die Anderen. Stumm setzten sie sich zu mir, wobei Ben und Zart mich kurz in den Arm nahmen, bevor sie sich hinsetzten. Es war, als wollten sie nichts Falsches sagen und gleichzeitig ihr Mitgefühl zeigen. Einzig und allein Heath sagte: „Tut mir wirklich leid, alles was du momentan durchmachst. Wir sind für dich da, wenn du wen brauchst", als er mir auf die Schulter klopfte. Ich lächelte ihn an, aß dann schnell auf und stand auf.
„Danke für euer Mitgefühl, Jungs. Ich muss jetzt wieder arbeiten." Damit brachte ich mein Tablett weg und lächelte ihnen noch einmal zu, bevor ich den Saal verließ und Thomas und Teresa ablöste.
Alleine im Raum musste ich einfach nach Newt sehen. Ich setzte mich auf Teresas Stuhl und suchte nach dem richtigen Bildschirm.
Und da war er, bewusstlos und vollkommen durchnässt lag er auf einer Liege in einem weißen Raum. Ich schluckte schwer. Dieser Anblick brach mir das Herz und noch schlimmer war, zu wissen, dass wir nur wenige Wände voneinander getrennt waren und ich trotzdem nicht zu ihm gelangen konnte.
Da sah ich plötzlich einen kleinen Knopf, der anscheinend – laut Bezeichnung – dafür gut war, mit dem Raum, in dem er sich befand zu kommunizieren. Ich erstarrte. Sollte ich?
Ich wusste, dass ich völlig alleine hier war, denn alle anderen waren beim Mittagessen, ich hatte auf meinem Rückweg gesehen, wie sie ihre Labore verlassen hatten. Und auch Teresa hatte mir einmal gesagt, dass wir gerade die Einzigen waren, wenn wir als erstes Mittag gegessen hatten.
Also nahm ich all meinen Mut zusammen und drückte den kleinen Knopf, setzte mir ihr Headset auf und sagte vorsichtig: „Newt?"
Keine Reaktion.
Noch einmal. „Newt?" Dieses Mal etwas lauter.
Er regte sich!
Ein letztes Mal. „Newt?"
Jetzt öffnete er seine Augen und setzte sich etwas auf. Verwirrt sah er sich um und sah ziemlich verängstigt aus.
„Newt! Weißt du, wer hier spricht?"
„Anna...?" So leise, dass ich es fast nicht hören konnte.
„Ja! Ja, genau, Newt! Ich bin es." Ich spürte, wie mir heiße Tränen in die Augen schossen.
„Was ist passiert? Ich kann mich an fast nichts erinnern. Wo bist du? Wo bin ich?"
„Hör zu, du musst so tun, als hätte ich nicht mit dir gesprochen, okay? Ich bin hier, im Labor und ich kann dich sehen, aber ich kann nicht zu dir gelangen. Egal was passiert, du darfst mich nicht vergessen! Wir werden uns wiedersehen, Newt. Ich verspreche es." Ich konnte Geräusche auf dem Flur hören.
„Sie kommen! Stell dich schlafend! Und denk daran, mein Name ist Anna. Ich liebe dich..."
„Und ich liebe dich." Ich sah ihn schwach lächeln, als er seine Augen wieder schloss. Eine Träne lief seine Wange herunter.
Ich riss mir Teresas Headset vom Kopf und drehte mich schnell von dem Bildschirm weg, auf dem sie ihn garantiert wieder zur Gedächtniskammer bringen würden. Leise schluchzte ich auf und weinte dann stumm in meine Hände, die ich mir schützend vor das Gesicht hielt.
So fanden Thomas und Teresa mich einige Minuten später und entschieden sich, dass ich heute doch besser in meinem Zimmer aufgehoben war, als hier im Labor. Also begleitete Thomas mich die Korridore entlang, als uns eine aufgeregte Rachel entgegen kam.
„Anna! Da bist du ja!" Sie blieb keuchend vor uns stehen. „Los, komm schon, wir müssen deinen Freund suchen! Es ist soweit!"
Ich sah sie zuerst verständnislos an, aber als sie hervorstieß „Den Asiaten" wurde mir klar, was los war.

From The WICKED Start | A Maze Runner Story Where stories live. Discover now