12. Lüftungsschächte

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Am Abend saß Thomas wieder mit Teresa an ihrem Stammtisch und Newt und ich saßen bei unseren Freunden.
Da wir relativ spät zum Abendessen gekommen waren, leerte sich der Speisesaal bereits und es dauerte nicht lange, da standen auch Heath und Zart auf und zurück blieben nur noch Minho und Ben.
Ich sah mich im Raum um und bemerkte, dass außer uns nur noch Thomas und Teresa da waren.
Auch Minho und Ben hatten aufgegessen und verabschiedeten sich von uns.
Wir waren noch nicht fertig, also aßen wir weiter. Als wir uns gerade leise über Gallys Reaktion auf meine Nachricht unterhielten, spürte ich, wie jemand hinter mich trat.
Ich zuckte zusammen, aus Angst, es könnte Janson oder einer seiner Handlanger sein, doch es war nur Thomas, der sich neben mich setzte.
„Wo ist Teresa?", fragte ich.
„Die wollte irgendetwas holen gehen. Kommt gleich wieder. Sie meinte, ich soll hier mit euch warten." Er zuckte mit den Schultern.
Ich nickte langsam. Ich konnte mir schon denken, um was es ging.
Und ich sollte Recht behalten. Nach ein paar Minuten kam Teresa zurück, einen gefalteten Zettel in der Hand. Sie ließ sich neben Newt auf einen Stuhl fallen, vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war und breitete dann eine verwinkelte Karte in DIN A 3 Größe auf dem Tisch aus.
Ich beugte mich nach vorne, um besser sehen zu können. Das Luftschachtsystem des gesamten Gebäudes.
„Die Luftschächte verlaufen auf jeder Etage gleich. Wir haben Glück und deine Schwester befindet sich auf der gleichen Ebene, wie die Schlafräume hier. Du musst also nur von hier" – sie deutete auf einen Punkt ziemlich mittig – „nach hier gelangen, in Nebentrakt C.
Die Probanden schlafen dort in großen Schlafsälen, Mädchen und Jungen getrennt. Die sind da alle so zwischen 12 und 14. Deine Schwester ist hier untergebracht." – jetzt deutete sie auf eine Mündung des Luftschachts in einen Raum. „Der Luftschacht endet oberhalb des Raumes, von dem Gitter aus dürfte man einen guten Überblick haben, ohne selber gesehen zu werden. Jetzt musst du deine Schwester nur finden und kannst sehen, wie es ihr geht." Sie sah Newt an, nachdem sie geendet hatte.
Der nickte, den Blick noch immer auf der Karte, als suchte er bereits den besten Weg.
Teresa erhob sich und auch Thomas schob seinen Stuhl zurück.
„Na dann, viel Glück", sagte sie noch, bevor sie sich zum Gehen wandte.
„Danke, Teresa." Jetzt sah Newt doch auf und lächelte ihr leicht zu.
Sie nickte ihm zu und verließ dann gemeinsam mit Thomas den Raum.
Auch ich stand auf und Newt begann, den Plan zusammen zu falten, bevor ihn doch noch jemand sah.
Schnell brachten wir unsere Tabletts weg und liefen, ohne ein Wort, zu unserem Zimmer.
Dort angekommen breitete Newt wieder die Karte aus, dieses Mal auf dem Boden. Wir setzten uns beide im Schneidersitz davor und suchten stumm jeder nach einem kurzen Weg. Doch nach ein paar Minuten entschloss ich mich, dass ich Newt diese Arbeit überlassen sollte und selber schon einmal versuchen sollte, unsere Luftschachtklappe zu öffnen.
Ich kletterte auf mein Bett, über dem sie war und rüttelte daran.
Nichts.
Ich rüttelte fester, doch es half nichts, sie saß bombenfest. Mit zusammengekniffenen Augen suchte ich nach kleinen Schrauben oder etwas Anderem, was die Klappe an der Wand hielt. Ich fand ein Scharnier, an dem man sie runterklappen konnte, ohne sie komplett abnehmen zu müssen und dann an der oberen Kante auch vier Schrauben, die die Klappe an die Wand drückten.
Schnell sprang ich von meinem Bett und lief ins Badezimmer, um dort nach etwas schmalem und spitzem zu suchen, mit dem ich die Schrauben herausdrehen konnte. Ich wurde relativ schnell fündig, denn eine meiner Haarspangen lag auf der Anrichte.
Mit der Haarspange in der Hand stieg ich wieder auf mein Bett, um mich an den Schrauben zu schaffen zu machen. Und siehe da, es klappte.
Nachdem ich die letzte Schraube herausgedreht hatte, öffnete ich die Klappe vorsichtig und lugte herein. Ein schmaler Gang war zu sehen. Wir würden uns ziemlich klein machen müssen, aber es wäre auf jeden Fall möglich.
„Gally hätte da nicht durchgepasst mit seinen breiten Schultern." Ich hatte das eigentlich gar nicht laut sagen wollen, doch Newt hatte mir sowieso nicht zugehört. Er fuhr gerade einen Weg mit seinem Finger nach, als ich ihm über die Schulter guckte.
„Ja, das könnte klappen", murmelte er und sah dann zu mir hoch.
„Kommst du mit?"
Ich nickte.
„Machen wir es jetzt?", fragte ich, doch er schüttelte den Kopf.
„Wir warten bis heute Nacht. Wenn alle schlafen. Mach die Klappe wieder zu, aber nimm nur eine Schraube, damit wir sie später schneller aufbekommen."
Ich nickte wieder und tat, was er gesagt hatte.
Dann nahm ich mir frische Sachen und ging duschen, während Newt noch weiter die Karte studierte, als wolle er sich alle Einzelheiten einprägen. Und er hatte Recht, in den Schächten würde es zu dunkel sein, um sie zu lesen.
Frisch geduscht und umgezogen flocht ich meine Haare zu einem Zopf, damit sie mich nicht störten und legte mich dann ins Bett, von wo aus ich Newt zusah, wie er im Kopf die Abzweigungen, die wir nehmen mussten auswendig lernte.
Er hatte die Stirn gerunzelt und die Augen geschlossen, während er den Weg durchging. Wie er so da saß sah er einfach so wunderschön aus, dass ich nicht mehr wegschauen konnte. Seine Haare waren verwuschelt und wirkten im Licht der hellen Deckenlampe heller als normalerweise.
Ich hatte immer gedacht, ich würde mich niemals verlieben. Nicht hier. Nicht in dieser Welt.
Und da lag ich nun und konnte meine Augen nicht mehr von diesem Jungen nehmen, den ich erst seit so kurzer Zeit kannte und der da im Schneidersitz in der Mitte unseres Zimmers saß, vor sich eine Karte und mit seinen geschlossenen Augen ein wenig so aussah, als meditierte er. Über diesen letzten Gedanken musste ich schmunzeln.
Schon wieder fühlte sich mein Herz an, als wäre es unendlich groß und vollkommen ausgefüllt mit diesem warmen Gefühl.
Und wieder schoss mir der immer gegenwärtige Gedanke durch den Kopf, dass es nicht immer so sein würde, dass der Tag kommen würde, an dem wir getrennt wurden und nicht wussten, ob wir uns wirklich wieder sehen würden und ob wir uns dann überhaupt noch an einander erinnern würden.
Mit Gally hatte ich so viel Zeit verbracht, hatte ich so viele Erinnerungen. Und trotzdem war ich mir sicher, dass der Abschied von Newt mir genauso, wenn nicht sogar noch mehr weh tun würde.
Einen Moment schoss mir ein Gedanke durch den Kopf, der aus reinem Selbstschutz gemacht war.
Warum beendest du diese Sache mit Newt nicht einfach, bevor es zu spät ist? Wahrscheinlich würde es die ganze Sache für euch beide leichter machen.
Ja, wahrscheinlich würde es das. Aber wollte ich, dass es leichter war, wenn ich dafür einen solchen Preis bezahlen musste?
Nein. Ganz sicher nicht. Das wusste ich sofort, wenn ich ihn nur ansah.
Ich wollte jede Minute, die wir gemeinsam hatten nutzen, auch wenn ich wusste, dass es mit jeder Berührung schlimmer sein würde, ihn gehen zu lassen. Ohne zu wissen, ob er sich an mich erinnern würde. Ohne zu wissen, ob ich mich nach einem Monat an ihn erinnern würde.
Aber war das denn wirklich so wichtig? Sollte ich mich nicht damit begnügen zu wissen, dass wenn alles glatt lief und Teresa ihr Wort hielt, was ich glaubte, wir uns wieder sehen würden und das Schicksal entscheiden lassen, ob wir uns erinnerten oder nicht?
Schließlich war es ja auch gut möglich, dass wir uns noch einmal in einander verliebten. Jetzt war es ja auch nicht anders gewesen.
Ich beruhigte mich mit diesen Gedanken und glaubte weiter fest daran, dass wir uns beide aneinander erinnern würden. Ganz bestimmt. Gally war doch der beste Beweis.
In meinen Gedanken versunken hatte ich gar nicht bemerkt, dass Newt aufgestanden war und die Karte zusammen faltete.
„Die sollten wir gut verstecken, für den Fall, dass irgendjemand unser Zimmer durchsuchen sollte."
Ich nickte und stand auch auf. „Ich habe eine Idee. Wir sollten sie hinter der Klappe des Schachts verstecken, wenn keiner weiß, dass wir von dem System wissen, wird dort auch niemand suchen."
Newt nickte eifrig. „Gute Idee. Das machen wir gleich, wenn wir das erste Mal reingehen."
Er verstaute die Karte bis dahin in seiner Nachttischschublade und ging dann auch ins Badezimmer.
Ich lag auf meinem Bett und wartete, dass er fertig wurde, merkte aber schnell, wie meine Augen immer schwerer wurden und ich langsam in einen leichten Schlaf glitt.
Newt weckte mich erst wieder mitten in der Nacht, als wir uns auf den Weg machen wollten.
Ich öffnete langsam meine Augen, als ich merkte, wie er mich sanft anstupste und schreckte kurz zurück, als ich merkte, wie nah sein Gesicht meinem war. Doch ich beruhigte mich sofort wieder, als ich in seine braunen Augen sah.
Er sah mich völlig ruhig an und wirkte gar nicht nervös in Anbetracht der Tatsache, dass wir gleich versuchen würden, seine Schwester zu finden.
Ich streckte mich kurz und setzte mich dann auf.
„Bereit?", fragte Newt. Ich nickte.
„Bereit, wenn du es bist."
Er hielt mir eine Hand hin, damit ich mich an ihm hochziehen konnte. Schnell holte ich dann wieder eine Haarspange und löste die einzelne Schraube, was dazu führte, dass die Klappe aufging und ein lautes Geräusch machte.
Wir zuckten beide zusammen und lauschten, aber nichts war zu hören.
Newt kletterte mit meiner Hilfe als Erster in den Schacht und zog mich dann rauf. Es war ziemlich eng und gerade so viel Platz, dass man sich vorsichtig umdrehen konnte. Als wir los krabbelten machten wir zuerst viel zu laute Geräusche und mussten erst die richtige Methode finden, was uns aber schnell gelang.

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