8. Ein neuer Job

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„Ich will das nicht machen, Newt. Ich kann das einfach nicht. Die da drinnen, das sind meine Freunde."
Ich war vollkommen verzweifelt, wenn ich daran dachte, was mich morgen an meinem neuen Arbeitsplatz erwartete.
Newt strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und begann, sie um seinen Finger zu wickeln, während er mich mit gerunzelter Stirn ansah. Wir lagen auf meinem Bett, es war schon spät am Sonntagabend und wir waren bereits geduscht und fertig fürs Schlafen.
Wahrscheinlich sollten wir längst schlafen, morgen müssen wir früh raus, dachte ich und wusste genau, dass ich ganz bestimmt noch lange nicht schlafen konnte.
Ich wusste von Thomas, dass wir um sieben Uhr im Überwachungslabor sein mussten, bereit für unseren Dienst.
„Du schaffst das, ich bin die ganze Zeit bei dir. Du wirst nicht eine Sekunde alleine in diesem Raum sein müssen."
Er hatte Recht, das würde ich nicht müssen, aber trotzdem war der Gedanke, dass ich ab morgen meine Freunde beobachten musste, wie sie um ihr Überleben kämpften, überaus beängstigend.
„Sieh es doch mal so...", begann er und schien noch ein wenig mit sich zu ringen, wie er sich nun ausdrücken sollte. „Du kannst jetzt in gewisser Weise auf deine Freunde aufpassen."
Als er sah, dass ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah fügte er hinzu: „Ich meine, du hattest nie zuvor die Möglichkeit aufzupassen, dass ihnen nichts Schlimmes passiert. Klar, du kannst nichts bestimmen, aber du kannst ein Stück weit mit entscheiden. Du hast jetzt auf jeden Fall mehr Macht, über das, was passiert, als jemals vorher."
Vielleicht hatte er Recht. Ich hatte einfach so schreckliche Angst, zusehen zu müssen, wie jemandem etwas passierte. Zusehen zu müssen, wie Gally etwas passierte.
„Wer weiß, vielleicht bekommen wir ja die Möglichkeit, irgendetwas zu verändern", murmelte Newt.
Ja, vielleicht. Aber viel Zeit blieb uns eh nicht. Auch, wenn ich es Newt nicht noch einmal gesagt hatte, ich hatte einen Entschluss gefasst. Wenn er ins Labyrinth geholt würde, würde ich hier nicht weiter machen können. Ich würde ganz bestimmt nicht vor einem Bildschirm sitzen und ihn dabei beobachten, wie er litt. Außerdem hielt mich dann hier gar nichts mehr. Ich hatte in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, immer dann, wenn ich alleine war, was allerdings seit unserem ersten Kuss nicht allzu oft vorkam. Trotzdem hatte ich genug Zeit gehabt, um einen Plan zu schmieden. Und den würde ich in die Tat umsetzen. Ich wusste zwar noch nicht genau wie, aber das würde sich noch ergeben, da war ich sicher.
Gewillt, jetzt zu schlafen, legte ich meinen Kopf auf seine Brust und schlang einen Arm um ihn. Seine Wärme umschloss mich und ich atmete zufrieden aus. Ich fühlte mich so unendlich wohl bei ihm. So wohl hatte ich mich noch nie irgendwo oder bei irgendwem gefühlt.
Newt nahm mich noch ein wenig fester in den Arm und ich hörte seinem Herzen zu, während ich langsam wegdämmerte.

Ich öffnete meine Augen langsam, als ich das Geräusch des Weckers vernahm, der neben meinem Kopf klingelte. Ich rollte mich auf den Bauch, stützte mich auf meine Ellenbogen und tastete im Dunklen nach dem Lichtschalter. Als ich ihn endlich gefunden hatte griff ich nach dem Wecker, schubste ihn allerdings vom Nachttisch, anstatt ihn auszustellen. Verschlafen tastete ich auf dem Boden herum, verlor das Gleichgewicht und fiel unsanft und mit einem lauten Rums auf den Boden.
„Scheiße", stieß ich hervor und richtete mich auf.
Na, wenigstens hatte ich jetzt den Wecker endlich zu fassen bekommen und konnte ihn ausstellen. Ich blieb kurz auf dem Boden sitzen und kam nun so langsam richtig zu mir.
Heute war es also soweit, ich musste meinen Freunden dabei zusehen, wie sie um ihr Leben kämpften. Zum ersten Mal fühlte ich dieser Tatsache gegenüber nicht mehr nur Abscheu, nein, ich war auch ein bisschen neugierig. Immerhin hatte ich keine Ahnung, wie es im Labyrinth aussah und da ich ja wahrscheinlich bald selber in einem sein würde -
Ich schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken. Ich war anscheinend nicht mehr ganz dicht. Ja, ich würde hier nicht bleiben wollen, wenn Newt geholt wurde. Aber war es wirklich das Richtige, selber in eines der Labyrinthe zu gehen – freiwillig?
Und da kam mir, wie ich so auf dem Boden saß, ein neuer Gedanke. Was, wenn ich es irgendwie schaffte, dass sie mich nicht in irgendein Labyrinth schickten? Sondern in dieses Labyrinth? Aber was würde das schon bringen? Ich würde mich doch sowieso nicht erinnern können.
Doch da hörte ich plötzlich wieder Teresas Stimme in meinem Kopf: „Gefühle wie tiefe Zuneigung oder Hass, besonders starke Gefühle können erhalten bleiben."
Gally hatte es wahrscheinlich geschafft, sich zu erinnern, irgendwie. Newt war sich sicher, dass er sich an mich erinnern können würde. Also warum sollte ich mich dann nicht an die beiden erinnern? Ich war mir sicher, dass man stärkere Gefühle zwei Menschen gegenüber fast nicht haben konnte, auch wenn ich für beide so verschiedene Gefühle hatte.
Während ich so darüber nachdachte wurde Newt wach. Er streckte sich, gähnte und schien dann zu merken, dass ich nicht neben ihm lag.
„Was machst du denn da auf dem Boden?", fragte er mich überrascht. „Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich so breit auch nicht bin, dass ich dich aus dem Bett schubse."
Er sah mit hochgezogenen Augenbrauen an sich herunter. Ich konnte die Ironie in seiner Stimme aber trotzdem erkennen.
Ich lachte. „Ich habe mit dem Wecker gekämpft, er hätte mich beinahe überwältigt, aber ich konnte mich dann doch noch behaupten."
Newt stimmte in mein Lachen mit ein und setzte sich auf. Seine Haare waren durcheinander und er sah einfach nur gut aus. Ich merkte, dass ich ihn anstarrte und spürte, wie meine Wangen leicht erröteten.
„Was ist los?", fragte er mich.
„Du bist so schön", rutschte es mir heraus und ich erschrak.
Hatte ich das gerade wirklich gesagt?
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und ich glaubte zu erkennen, dass auch er ein wenig rot wurde.
„Danke, gleichfalls."
Er stand auf und hielt mir eine Hand hin, um mir vom Boden aufzuhelfen. Ich nahm sie und zog mich hoch zu ihm. Ohne nachzudenken stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Er erwiderte den Kuss und sofort spürte ich wieder die tausend Schmetterlinge in meinem Bauch.
„Ich geh' mich schnell fertig machen", flüsterte ich, nachdem wir uns wieder voneinander gelöst hatten und ging ins Bad. Dort flocht ich mir einen Zopf, um meine Haare aus dem Gesicht zu haben, putzte mir die Zähne und wusch mir das Gesicht. Bevor ich das Badezimmer wieder verließ, hielt ich kurz inne und betrachtete mich im Spiegel.
War ich wirklich schön? Ich wusste es nicht.
Meine braunen Haare gingen mir – wenn ich sie nicht zu einem Zopf gebunden hatte – bis zur Taille. Gerade lag ein langer, geflochtener Zopf über meine Schulter. Meine Augen waren grün-braun und meine Nase schmal und normal groß, würde ich meinen.
Ja, wahrscheinlich würde man sagen, dass ich ganz hübsch war, aber so schön, wie Newt mich zu finden schien, war ich ganz bestimmt nicht. Und da stellte ich mir eine andere, ziemlich kindische Frage: War ich schöner als Teresa? In gewisser Weise sahen wir uns ja ein wenig ähnlich mit unseren braunen Haaren und der schmalen Nase. Und trotzdem waren wir so verschieden.
Ich fragte mich, warum Teresa früher nie mit mir geredet hatte und warum sie auch jetzt noch zu versuchen schien, unsympathisch zu wirken, obwohl sie vielleicht gar nicht so übel war.
„Die Alte meint sie wäre etwas Besseres, die würde niemals mit einem normal Sterblichen wie uns reden", das hatte Gally einmal zu mir gesagt, als ich ihn gefragt hatte, was er glaubte, warum sie sich uns gegenüber so merkwürdig verhielt. Damals hatte ich geglaubt, er habe Recht. Aber hatte er das wirklich? Ich wusste es nicht.
Als ich aus dem Badezimmer kam, ging Newt rein. Er brauchte allerdings nur die Hälfte der Zeit, die ich gebraucht hatte und wir machten uns um halb sieben auf den Weg zum Speisesaal.
Dort angekommen nahm ich mir einen Apfel, da ich mir sicher war, dass ich mehr eh nicht essen können würde, und wir setzten uns zu Minho und den Anderen. Ich konnte sehen, wie Thomas und Teresa bereits aufstanden und den Raum verließen. Wir sollten also wohl auch gleich losgehen.
Während Newt mit Ben redete zwang ich mich, den Apfel zu essen und signalisierte ihm dann, dass wir nun gehen sollten. Wir verabschiedeten uns und verließen ebenfalls den Speisesaal. Auf dem Weg zu den Überwachungslabors sprachen wir beide kein Wort. Jetzt war die ganze Sache so real wie die ganzen Tage zuvor noch nicht und ich merkte, wie nervös ich war. Ich würde gleich herausfinden, ob Gally sich an mich oder irgendetwas erinnern konnte. Und das würde mir entweder meine Hoffnung von eben nehmen oder diese bestärken.
Newt merkte, dass ich zitterte und nahm meine Hand. Die Wärme seiner Haut beruhigte mich etwas und gemeinsam blieben wir vor Überwachungslabor 1 stehen. Er holte seine Karte aus der Hosentasche und führte sie durch den Schlitz neben der Tür. Es piepte und die Tür öffnete sich.
Wir waren drinnen.
Thomas und Teresa waren wie erwartet schon da und saßen auf ihren Stühlen. Als wir hereinkamen sahen beide auf und Thomas lächelte uns vorsichtig an, während Teresa uns zu nickte und sich dann wieder einem Bildschirm direkt vor ihr zuwendete. Newt und ich setzten uns auf die beiden freien Stühle und ich sah etwas unschlüssig, was ich tun sollte, zuerst auf die Knöpfe vor mir und dann auf den Bildschirm.
„Janson sagte, ihr sollt heute erst einmal nur beobachten, was die Jungs im Labyrinth so treiben und uns zuschauen, was wir machen", begann Thomas, aber ich hörte ihm schon gar nicht mehr zu.
Ich starrte wie gebannt auf die Bildschirme und blendete alles andere um mich herum aus. Ich konnte Toby sehen, wie er Teller mit Essen über eine Theke reichte, konnte sehen, wie Alby gerade einen entgegen nahm. Ich sah Nick dort sitzen, zusammen mit drei Jungen, die ich nicht beim Namen kannte. Ich erkannte George, der anscheinend schon fertig war mit dem Frühstück und sich von den Anderen entfernte, wahrscheinlich um seiner Arbeit nachzugehen, so wie es die paar restlichen Jungen schon taten. Jetzt sah ich, wie Alby mit seinem Teller zu den Tischen ging und – anders als erwartet – setzte er sich nicht zu Nick, sondern ging auf einen Jungen zu, der etwas abseits saß und alleine aß. Er setzte sich zu ihm und ich erkannte, wer es war.
Gally.
Ich konnte erkennen, wie die beiden mit einander redeten, wobei Gally nicht einmal aufsah. Sein Anblick zerbrach mir das Herz.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich gar nicht hören konnte, was sie sagten. Gerade, als ich Thomas danach fragen wollte, hielt mir jemand ein Headset hin. Ich zuckte zusammen, denn ich hatte nicht bemerkt, dass Teresa neben mich getreten war. Sie starrte wie gebannt auf den Monitor vor mir und schien dem Gespräch zwischen den beiden Jungen gespannt zuzuhören, denn sie trug bereits ein Headset. Ich nahm das, das sie mir hinhielt und setzte es schnell auf, um auch mithören zu können.
„...werdet es mir eh nicht glauben oder mich für verrückt halten. Was hätte ich also davon, es dir zu erzählen?" Gallys Stimme war hart und gefühlslos.
„Ich werde es den Anderen nicht sagen. Du kannst mir vertrauen. Und auf gar keinen Fall werde ich dich für verrückt halten. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass da etwas ist, als würde eine Erinnerung versuchen, zu mir durchzudringen. Aber dann ist sie wieder weg. Bitte, erzähl mir, was dich beschäftigt, Gally."
Er hatte sich also an seinen Namen schon wieder erinnert. Mir wurde warm ums Herz, als ich hörte, wie nett Alby zu Gally war. Ach, Alby...
Trotzdem spannte ich mich an und ich spürte, wie auch Teresa sich aufrichtete, gespannt auf das, was Gally zu sagen hatte.
„Na schön, wenn du sonst keine Ruhe gibst." Ich konnte hören, wie er einen Bissen herunter schluckte, bevor er weiter sprach. „Ich habe die ganze Zeit das Gefühl, dass es da jemanden gab... Jemanden, den ich sehr gern hatte, mit dem mich etwas verbunden hat. Am Anfang dachte ich, ich hätte vielleicht eine Freundin gehabt, bevor ich her kam, weil ich immer diesen Spitznamen im Kopf hatte, 'Kleine'. Aber mittlerweile bin ich mir sicher, dass es mehr war. Was ich fühle... Das fühlt sich tiefer an. Wie Familie, glaube ich."
Als Alby ihn nur ansah und nichts sagte, fügte er hinzu: „War es das? Darf ich jetzt in Ruhe zu Ende frühstücken?"
Alby nickte und stand auf, um sich nun doch zu Nick und den Anderen zu setzen. Doch da blieb er noch einmal stehen, da Gally seinen Namen sagte. Er drehte sich um und sah den anderen Jungen fragend an.
„Kann man jemanden vermissen, an den man sich gar nicht richtig erinnert? Kann es sich anfühlen, als fehlte einem ein Stück, ohne dass man weiß, wie dieses Stück aussieht? Ich weiß nicht, was mit mir los ist, Alby. Es tut weh und ich weiß nicht, warum."
„Du wirst dich erinnern, da bin ich sicher. Und bis dahin kannst du immer zu mir kommen, wenn du reden willst."
Mit diesen Worten drehte Alby sich wieder um und setzte sich nun zu den Anderen. Gally blieb sitzen und starrte auf sein Essen. Ich konnte es zwar nicht hören, aber ich wusste, dass er weinte. So wie ich. Ich saß da und merkte erst jetzt, als ich das Headset absetzte, dass mir die Tränen die Wangen herunter liefen.
„Er erinnert sich an dich", flüsterte Teresa neben mir, die sich ebenfalls das Headset abgesetzt hatte. „Das ist einfach unglaublich... - Oh, warte, hier."
Sie hielt mir ein Taschentuch hin, drehte sich dann aber schnell weg und setzte sich wieder auf ihren Platz.
Wow. Ein Taschentuch. Wie... nett.
Während ich mir die Tränen wegwischte sah ich, dass Thomas ebenfalls wie gebannt auf Gally starrte, der mittlerweile aufgestanden war und sich Arbeit suchte, indem er begann, an einer provisorischen Hütte herum zu hämmern. Er schien zu wissen, wo seine Stärken lagen. Newt sah ihm ebenfalls dabei zu, schien aber mit den Gedanken woanders zu sein. Ich hätte ihn nur zu gerne gefragt, was er gerade dachte, aber wusste, dass das vor den anderen beiden nicht ging.
Also rollte ich mit meinem Stuhl zurück und stand auf. Ich musste einfach kurz hier raus. Thomas nahm sein Headset ab, als er bemerkte, dass ich im Begriff war, den Raum zu verlassen.
„Ich komme gleich wieder. Ich brauche nur eine Minute."
Er nickte und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Newt und Teresa sahen nicht einmal auf. Ich warf noch einen letzten Blick auf ersteren und sah, dass er immer noch wie gebannt geradeaus starrte.
Auf dem Korridor lehnte ich mich gegen die Wand und schloss die Augen, vollkommen überwältigt von dem, was ich eben gesehen und gehört hatte. Gally konnte sich an mich erinnern, irgendwie. Bei diesem Gedanken hüpfte mein Herz vor Freude und ich wünschte mir nichts mehr, als jetzt, in diesem Moment zu ihm zu können.
Reiß dich zusammen. Du bist im Hier und Jetzt und wenn du deine Arbeit nicht vernünftig machst, wirst du wahrscheinlich gar keine Chance haben, irgendwann zu irgendwem zu gelangen.
Ich schüttelte meinen Kopf, um all diese Gedanken loszuwerden. Dann betrat ich den Überwachungsraum wieder. Newt hatte mittlerweile wohl auch bemerkt, dass ich den Raum verlassen hatte und sah jetzt mit einer hochgezogenen Augenbraue auf, als ich mich wieder neben ihn setzte. Er schien mich fragen zu wollen, ob alles okay war, aber ich kam ihm zuvor.
„Alles gut. Ich musste nur einmal kurz durchatmen." Ich lächelte ihn an und er sah beruhigt aus.
Damit wandte ich mich wieder den Monitoren vor mir zu und setzte auch mein Headset wieder auf.

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