Geschafft

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Ich hatte befürchtet, dass Ludger sehen könnte, wie ich immer noch ein wenig benommen durchs Zeug taumelte. In der Tat betrachtete mich der Springreiter mehr als seltsam, als ich an seiner Seite zurück in Richtung des Sandplatzes wankte, den Kopf gesenkt, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Er hätte sonst die Nervosität darin sehen und erkennen können, dass ich ihn angelogen hatte.
Auch war ich ein wenig beschämt, als ich mich durch das Tor schob und sah, dass Philipp Weishaupt Zidanes Zügel hielt. Sein Blick war vorwurfsvoll und ich ahnte, dass er mir gleich eine Standpauke halten würde, als er mir den Wallach überreichte.
„Was ist dir eingefallen, ihn einfach so stehen zu lassen? Ein anderes Pferd wäre vielleicht davongerannt und in die Zügel reingestanden! Das war absolut...", begann der junge Mann zu schimpfen, doch Ludger unterbrach ihn mit einem fast bösen Gesichtsausdruck. „Krieg' dich wieder ein, Philipp. Ihr ist schlecht geworden, sie konnte nichts dafür. Und ausserdem ist ja nichts passiert, wie ich sehen kann." Wie auf's Stichwort schlug Zidane mit den Kopf und schnupperte an meiner Hose. Mir schlich ein Lächeln aufs Gesicht und ich schob ihn wieder weg.
„Ich wollte doch nur sagen, dass...", versuchte Philipp es erneut, doch Ludger liess ihn abermals nicht ausreden. „Lass es gut sein, okay?", murrte er. In der Luft zwischen den beiden schien es zu knistern, jeder sah den andern grimmig an. Auch die noch anwesenden Reiter schienen nicht begeistert zu sein.
Mit dem unangenehmen Wissen, dass ich der Grund für die Diskussion war, wandte ich ein: „Er hat recht, ich hätte Zidane nicht einfach so hier stehen lassen sollen. Das war fahrlässig. Es wird nicht wieder vorkommen!" Philipp sah mich schmallippig an und wollte zu einer Entgegnung ansetzen, beherrschte sich jedoch und nickte knapp.

Zusammen mit Ludger führte ich Zidane denselben Weg wieder zurück, den ich gerade eben gegangen war. Der Wallach wirkte noch so frisch wie vor dem Vorreiten und fing wieder mit dem Kopfnicken an. Ich konnte nicht anders, als innerlich zu lachen. „Und, ist das Vorreiten gut gelaufen?", fragte Ludger mich mit den Händen in den Taschen seiner Stallhosen. Sein Gesicht war mir abgewandt, aber die Frage wirkte dennoch ehrlich interessiert. „Na ja, ich bin nicht runtergeflogen!", antwortete ich schulterzuckend. Der Springreiter stiess ein kurzes Lachen aus. Stirnrunzelnd holte ich Luft. „Wird Herr Weishaupts Urteil über meinen Ritt davon beeinflusst werden, dass ich Zidane stehen gelassen habe? Ich meine, er ist ja derjenige, der mich bewerten muss und das hängt in direktem Zusammenhang damit, ob ich genommen werde. Und ich glaube nicht, dass ich vorhin so einen guten Eindruck gemacht habe..."
Ludger trat einen Schritt vor, um mir die Stalltüre zu öffnen und sagte deshalb zuerst nichts. Als ich mit Zidane, begleitet vom klappernden Geräusch seiner Hufeisen auf dem Pflasterstein, in die Stallgasse trat, meinte er: „Philipp hat sich für mich die Ritte angesehen, um mir schildern zu können, wie sich jeder einzelne geschlagen hat. Das ist rein objektiv. Er scheint vielleicht gerade etwas mürrisch gewesen zu sein, aber er ist ein ehrlicher und fairer Mann. Er würde deine Resultate nie wegen so einer Kleinigkeit aus einem anderen Licht sehen, denn schlussendlich zählen für mich nur seine objektiven Eindrücke des Ritts und meine subjektive Meinung. Und die hat sich dadurch nicht verändert, du konntest ja wirklich nichts dafür."
„Subjektive Meinung?", bohrte ich nach. Was meinte er denn damit? Ludger blickte zu mir rüber. „Nun, ich halte dich nicht für jemanden, der Pferde einfach so stehen lässt, damit ein anderer sie auflesen kann. Nicht, nachdem du dich so aufrichtig entschuldigt hast. Und ich glaube, dass du dir selbst darüber im Klaren bist, was hätte passieren können. Passieren sollte es gerade deswegen nicht noch einmal!", erklärte er. Ich nickte.
Dann erreichten wir auch schon Zidanes Box, welche offen stand, und ich führte den braunen Wallach hinein. Während dem ich ihn abzäumte, lehnte Ludger sich gegen die Boxenwand. „Du siehst ja schon wieder viel besser aus, also denke ich, dass du das alleine schaffst. Ich werde kurz bei den Reitern vorbeischauen müssen und dann auf dem Hof etwas essen gehen. Ich weiss nicht, wie lange doch noch bleibst, aber es würde mich freuen, wenn du vielleicht nochmal kurz vorbeischauen würdest, bevor du gehst!"
Mein Herz begann zu flattern wie ein Schmetterling und ich bekam weiche Knie. Ich hatte mich vielleicht ein wenig daran gewöhnt, einen Springreiter so nahe bei mir zu haben, aber ganz sicher nicht daran, dass er mit mir sprach, als wäre ich eine alte Bekannte. Wer hätte das gedacht? Dass ich eines Tages hier, in den Ludger Beerbaum Stables, stehen und mit ihrem Inhaber schwatzen würde, während dem vorentschieden wurde, ob ich anfangen würde, hier zu reiten. „Danke...ähm...sicher doch!", erwiderte ich etwas ungeschickt und grinste verlegen. Ludger nickte mir zu und ging dann schwungvollen Schrittes durch die Stallgasse zurück zum Ausgang.

Keep Dreaming - Ich werde reitenWhere stories live. Discover now