In Laggenbeck

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Ich konnte gar nicht sagen, ob ich mich mehr darauf freute, mit Ludger Beerbaum zu einem Springturnier zu fahren, oder die andern Junioren kennenzulernen.
Ich wartete mit Charlotte und Ludger schon länger unter dem Vordach des Innenhofs, als zwei Gestalten durch den prasselnden Regen zu uns eilten. Ein Mädchen und ein Junge. Beide erkannte ich nicht sofort wieder, nachdem sich die zwei allerdings zu uns gesellt hatten, glaubte ich zumindest, im Mädchen die zu erkennen, die beim Zeitspringen die Bestzeit hingelegt hatte. Eine absolut überragende Bestzeit. Der Junge allerdings blieb mir fremd. Wahrscheinlich war er drangekommen, als ich mit Zidane im Stall war.
„Ah, unsere beiden Nachzügler!", begrüsste Ludger die beiden. Sie verzogen das Gesicht und reichten ihm je kurz ihre Hand, dann wurde verkündet: „Okay, alle zusammen! Wir sind etwas spät dran, aber das macht nichts! Ihr könnt bei mir im Auto einsteigen, bis Laggenbeck sind es gut fünfzehn Minuten, also werdet ihr während der Fahrt noch genug Zeit haben, um euch kennenzulernen!"
Den Weg bis zu Ludgers Geländewagen legten wir ohne ein Wort und rennend zurück. Über meinen dunkelblauen Pulli hatte ich zwar eine wasserdichte Jacke angezogen, aber der Regen durchnässte dafür meine Hosen und Vans. Charlotte und den andern erging es nicht besser, und als wir schliesslich im Innern des Autos, zwischen Strohhalmen und Führstricken, sassen, waren wir alle klitschnass.
„Puh, ist das ein Hundewetter heute!", brummte Charlotte und quetschte sich in die Mitte des Rücksitzes. Ich musste mich mit dem Beifahrersitz zufriedengeben, obwohl ich offen gesagt lieber hinten bei den andern gesessen wäre. Hier vorne neben Ludger war es mir etwas peinlich. Ich würde für eine Viertelstunde neben ihm sitzen und nicht wissen, ob ich etwas sagen sollte oder nicht. Doch Charlotte übernahm den Beginn eines Gesprächs, wofür ich ihr dankbar war.
„Also ich bin Charlotte, aber nennt mich doch Charlie. Das ist einfacher!", stellte sie sich vor. Ich stellte mir vor, wie sie mit ihren grossen blauen Augen die andern erwartungsvoll ansah.
Das Mädchen räusperte sich. „Alessia. Freut mich." Ihre Stimme klang etwas gedämpft, als hätte sie sich erkältet. „Martin", murmelte der Junge leise. Ludger startete den Motor und es entstand eine kurze Pause, in der ich aus dem Fenster auf die unter einer Decke von Regenwolken gar nicht mehr so einladend wirkenden LB Stables.
„Und du?", fragte das Mädchen mich. Widerwillig verrenkte ich den Hals und sah nach hinten. Während dem das Auto anfuhr, setzte ich ein freundliches Lächeln auf. „Joelle. Ich habe deinen Ritt gesehen, du warst doch die mit dieser wahnsinnigen Zeit!" Auf Alessias Gesicht stahl sich ein stolzer Ausdruck und sie strich sich mit einer langsamen Bewegung eine gewellte kupferrote Haarsträhne zurück.
„Ja, genau. Ich habe einfach alles gegeben, dann..." Sie brach ab und musterte mich genauer. Dann zog sie die Augenbrauen hoch und sah auf einmal verdattert aus. „Aber du warst doch die, die sich vor die Pignatelli gestellt hat, nicht? Das hat auch jeder gesehen!"
Peinlich berührt zog ich den Kopf ein und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Ludger Beerbaum grinste. „Ähm, ja, das war ich...", antwortete ich mit roten Wangen.
Wir fuhren den Prozessionsweg hinunter in Richtung vielbefahrene Münsterstrasse, was ich durch das Seitenfenster neben Martin beobachten konnte. Der Junge, vielleicht etwas älter als ich, hatte gerade noch verträumt in die Regenlandschaft hinausgesehen, blickte jetzt jedoch belustigt in die Runde.
„Das warst du?", staunte er. Seine braunen Augen fixierten mich interessiert, wenn auch schüchtern. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte, also nickte ich. Sonst hätte ich mich doch irgendwie erklären müssen.
Bevor eine Gesprächspause entstehen konnte, fragte Charlotte: „Habt ihr eigene Pferde?" Sie wirkte so unglaublich interessiert, dass ich mich schon fragte, ob es gekünstelt war. Sie stellte danach noch einige Fragen, in denen ich erfuhr, dass Alessia bereits berüchtigt auf den deutschen Springplätzen, Martin jedoch noch eher ein Neuling war. Und genau so einen Eindruck machte der Junge – wie ein scheuer Neuling, der sich noch nicht sicher war, ob das wirklich sein Terrain war.
Vor zwei Jahren, als ich meine ersten Turniere geritten war, musste ich wohl ebenso gewirkt haben. Verloren und schüchtern, sich des unglaublichen Drucks eines Springconcours bereits bewusst, aber noch nicht imstande, diesen Druck vollständig zu verarbeiten. Dann war das Ganze zu schnell wieder vorbeigegangen, als dass ich jemals hätte vollständig lernen können, mit dem Druck umzugehen. Bereits nach meinem ersten M**-Turnier war Schluss gewesen.
Der Krankheit war es egal, dass ich Pläne gehabt hatte. Dass ich mich bis ganz oben durchkämpfen und bei der Spitze mitreiten wollte. Sie hatte mir am Anfang dieses langen Weges ein Bein gestellt und mich dann ausgelacht, während dem ich am Boden lag. Je länger ich dagelegen hatte, desto weiter hatte sich auch mein Ziel von mir entfernt. Jetzt schwebte es in beinahe unerreichbarer Ferne. Aber ich kroch. Ich kroch vorwärts, direkt darauf zu.

Keep Dreaming - Ich werde reitenWhere stories live. Discover now