Das Aachen der Nachwuchsreiter

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Und wieder einmal verging die Zeit so schnell, dass ich es kaum fassen konnte. Es erschien mir, als hätte ich nur einmal kurz die Augen geschlossen und Luft geholt und jetzt sass ich schon hier, einen nervösen Zidane unter mir, vor mir den Parcours der Hagen Future Champions 2019.

Der Himmel war wolkenlos und blau, obwohl es noch vor zwei Stunden wie aus Eimern geschüttet hatte. Entsprechend sah der Parcours aus. Der Rasen war eine einzige Schlammwüste, die Durchgänge eine Schlidderpartie nach der anderen. Kein einziges der fast zwei Dutzend Paare, die aus ganz Deutschland angereist waren, um sich hier im Nachwuchsturnier zu messen, war fehlerfrei geblieben.

Im Moment führte ein Junge aus Mecklenburg, der mit seinem Schimmel, der jetzt schlammverspritzt auf dem Abreitplatz im Kreis lief, zwar eine einigermassen gute Zeit, aber dafür einen Fehler am siebten Hindernis kassiert hatte.

Jetzt gerade rutschte Sereina Pignatelli auf einem Apfelschimmel, den ich als Cornet Tolstoi wiedererkannte, ein Pferd von Marcus Ehning, durch den Parcours. Sie hatte die Zähne fest aufeinandergebissen und die Hände zu Fäusten um die eng angenommenen Zügel geballt, doch ihr Pferd hatte merklich Schwierigkeiten mit dem aufgequollenen Untergrund.

Der noch junge Wallach versuchte so gut wie möglich, dem von Sereina gefordertem Tempo gerecht zu werden, aber ich konnte sehen, dass das nicht lange gut gehen würde. Schon am vierten Hindernis fiel eine Stange.

Am Ende ging Sereina trotzdem als Führende vom Platz – ihr Pferd schäumte und schwitzte, doch sie selbst lächelte siegesgewiss. Natürlich war sie das. Immerhin würde nur noch ich reiten müssen und dann hätte sie ihren ersten Platz.

Strahlend hielt sie ihr Pferd neben mir an und sah zu mir runter. Zidane machte neben Tolstoi einen recht schmächtigen Eindruck. Der kleine Braune prustete unruhig und tänzelte einige Schritte von dem Apfelschimmel weg. „Hallo, Joelle!", trällerte Sereina zuckersüss. Ich sagte nichts und sah sie einfach nur an. Was wollte sie von mir?

„Ich würde da draussen vorsichtig sein. Es ist sehr rutschig und mit deinem Pony kommst du sowieso nicht mehr aufs Podest! Warum also einen weiteren Sturz riskieren? Ludger muss wahnsinnig sein, seine Junioren nach gerade mal zwei Monaten Training schon in Hagen starten zu lassen. Das hier ist das Aachen der Nachwuchsreiter, denkst du wirklich, dass ihr Erfolg haben werdet? Deine Partnerin hat ja bereits grässlichst versagt!", frohlockte sie unbeirrt.

Genervt schüttelte ich den Kopf. „Lass mich in Ruhe, Sereina. Dein Gezicke macht meinem Pony Angst." Wie aufs Stichwort schlug Zidane mit dem Kopf. Beruhigend tätschelte ich dem Braunen den Hals.

Sereina funkelte mich an, ritt dann jedoch weiter, als sie Alessia kommen sah. Das rothaarige Mädchen hatte mitten im Parcours aufgegeben, weil Paloubet in einer Kurve beinahe hingefallen wäre. In seinem Interesse hatte sie angehalten und sich entschlossen, den Durchlauf nicht zu beenden, was ich ihr hoch anrechnete. Sie hätte ihn rüberpeitschen können. Aber sie hatte es nicht getan. Sie war nicht wie Sereina. Keiner von uns war das.

„Du bist dran! Ich soll dir von Ludger alles Gute wünschen, er hat schon Stellung bezogen!", richtete sie mir knapp aus. Ich nickte und schluckte meine Nervosität runter. Jetzt war es also soweit.

„Es liegt jetzt an euch. Es ist nur ein M-Springen. Zeig es dieser dummen Kuh!", murmelte Alessia und legte mir kurz ihre Hand auf mein Knie. Dann tätschelte sie Zidane den Hals und verschwand in Richtung der Zuschauerplätze.

Mit einem Blick zurück zu Linda, die den von seinem Beinahesturz immer noch schlammverschmierten Paloubet auf dem Abreitplatz herumführte, trieb ich Zidane vorwärts. „Here goes nothing!", flüsterte ich unsicher und biss mir auf die Unterlippe.

Keep Dreaming - Ich werde reitenWhere stories live. Discover now